Urteil des OLG Celle vom 25.08.2004

OLG Celle: hof, grundstück, haus, besucher, terrasse, unerfahrenheit, unfall, rechtshängigkeit, schmerzensgeld, vollstreckbarkeit

Gericht:
OLG Celle, 09. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 9 U 95/04
Datum:
25.08.2004
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823
Leitsatz:
1. Den Grundstückseigentümer trifft hinsichtlich seines befriedeten Besitztums eine
Verkehrssicherungspflicht nur insofern, als er für dieses den Verkehr eröffnet hat. Davon ist
regelmäßig der Innenbereich nicht erfasst, sofern das Grundstück durch einen zur Straße gelegenen
Eingang zu betreten ist, Dritte - etwa Briefträger, Handwerker etc. - also den Hof generell nicht
aufsuchen müssen.
2. Sofern andere Personen mit Zustimmung des Verkehrssicherungspflichtigen auch über den Hof in
das Gebäudeinnere gelangen, ist es ausreichend, wenn dieser zum Überqueren gedachte Bereich
gesichert ist - etwa bei Dunkelheit durch Bewegungsmelder ; für eine Außenkellertreppe, die nicht
zum Betreten des Gebäudes vorgesehen ist und außerhalb des Grundstückteiles liegt, den Besucher
auf ihrem Weg zum Haus betreten müssen, besteht keine Verkehrssicherungspflicht.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
9 U 95/04
3 O 18/04 Landgericht Lüneburg Verkündet am
25. August 2004
Groß,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
J. N., H. 7, S.,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt S.,
gegen
V. S., H. 14, S.,
Beklagter und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Z. pp.,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht
... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 11. Mai 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts
Lüneburg wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen (§ 540
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Mit der Berufung macht der Kläger geltend, das Landgericht habe zu Unrecht das Bestehen einer
Verkehrssicherungspflicht verneint. Vielmehr habe der Beklagte auch die Außenkellertreppe sichern müssen. Die
Benutzung der Grundstücksfläche des Beklagten durch den Kläger sei nämlich nicht bestimmungswidrig gewesen;
es könne nicht als besonders außergewöhnlich verstanden werden, wenn derjenige, der einen anderen besuchen will
und ihn nicht gleich antrifft, wartet und dabei ein wenig umhergeht. Mit dieser Möglichkeit habe auch der Beklagte
rechnen müssen, sodass er gehalten gewesen sei, die Außenkellertreppe durch ein Geländer zu sichern und den
Hofbereich zumindest soweit auszuleuchten, dass die Außenkellertreppe erkennbar war. Der Vorwurf eines
Mitverschuldens könne dem Kläger zudem nicht gemacht werden; der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass
Treppen, Abgänge, Schächte etc. in einer Weise gesichert sein würden, wie es im Umfeld einer Wohnbebauung
erwartet werden könne. Der Kläger sei zudem mit den Verhältnissen auf dem Hof des Beklagten nicht besonders
vertraut gewesen.
Der Kläger beantragt,
1. unter Abänderung des am 11. Mai 2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Lüneburg den Beklagten zu
verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 13.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 4.767,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus
dem Unfall vom 17. Mai 2003 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige
Dritte übergehen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
II.
Die Berufung ist unbegründet; dem Kläger steht gegen den Beklagten kein - hier allein aus § 823 BGB herzuleitender
- Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu.
1. Den Beklagten traf schon keine Pflicht, den Eingang zum Keller seines Wohnhauses abzusichern. Zwar ist der
Beklagte als Eigentümer des Grundstücks H. 14 im Grundsatz verkehrssicherungspflichtig, denn die allgemeine
Verkehrssicherungspflicht, also die Pflicht, im Verkehr Rücksicht in Bezug auf die Gefährdung anderer zu nehmen,
folgt aus dem Grundsatz, dass jeder, der durch die Eröffnung eines Verkehrs auf seinem Grundstück oder auf
andere Weise Gefahrenquellen schafft, alle Maßnahmen zu treffen hat, die zum Schutze Dritter notwendig sind
(Geigel, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl., Kap. 14 Rdnr. 28 m. w. N.). Hier ist aber - jedenfalls hinsichtlich des
Bereichs der Kellertreppe - schon nicht von der Eröffnung eines Verkehrs auszugehen. Denn einerseits ist das
Grundstück H. 14 durch den zur Straße gelegenen Eingang zu betreten, sodass Dritte - etwa Briefträger, Handwerker
etc. - generell nicht gehalten sind, über den Hof in das Gebäudeinnere zu gelangen. Mag dies auch für Freunde oder
Bekannte (z. B. des Sohnes des Beklagten) nur in eingeschränkter Form insoweit gelten, als - dies ist zwischen den
Parteien unstreitig - jedenfalls Freunde des Sohnes auch über den Hof in das Gebäudeinnere gelangen, indem sie
nämlich über den Hof gehen und das Gebäude über die Terrassentür betreten, so ist jedenfalls nicht erkennbar, dass
auch für die „Außenkellertreppe“ ein „beschränkter Verkehr“ (vgl. dazu Geigel, a. a. O., Rdnr. 30) eröffnet gewesen
wäre. Die Eröffnung des Verkehrs bezieht sich also allenfalls auf den zum Überqueren gedachten Hof, nicht aber
auch auf den Bereich den Außenkellertreppe.
2. In diesem der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten unterfallenden Bereich ist jedoch der Kläger nicht zu Fall
gekommen. In Bezug auf die Hoffläche - soweit ihre Benutzung als Weg in Richtung der Terrasse zu erwarten war -
ist der Beklagte seiner Verkehrssicherungspflicht in vollem Umfang nachgekommen. Dafür, dass der Hof etwa
aufgrund von Unebenheiten gefährlich war, bestehen keine Anhaltspunkte. Zudem ist dieser Teil des Grundstücks
auch in der Dunkelheit ausreichend beleuchtet worden: Der Beklagte hat dazu angegeben, dass sich an der ersten
Gebäudeecke zwei Außenlampen befinden, die durch einen Bewegungsmelder angeschaltet werden, der bereits
aktiviert wird, wenn die Einfahrt betreten wird. Zudem befindet sich neben der Tür zum Obergeschoss, die durch eine
Wendeltreppe neben der Außenkellertreppe erreichbar ist, eine Lampe, die ebenfalls von einem Bewegungsmelder
aktiviert wird, der die halbe Hoffläche abdeckt und „anspringt“, wenn die erste Ecke mit den eben erwähnten beiden
Außenlampen passiert wird. Die restliche Hoffläche - in Richtung Terrasse - ist von einem weiteren
Bewegungsmelder erfasst, der sich unterhalb der Dachrinne zwischen den beiden im rechten Winkel zueinander
angeordneten Wohnzimmerfenstern befindet. Für eine Verkehrssicherheit des Weges von der Hofeinfahrt zur
Terrassentür war also gesorgt.
Der Beklagte hat zudem vorgetragen, dass über dem Kellerschacht, nämlich
auf der Fensterbank des über dem Kellerschacht gelegenen Fensters, eine 40WattLampe steht, die durch eine
Zeitschaltuhr aktiviert wird und vom Einbruch der Dunkelheit bis nach Mitternacht leuchtet, sodass zwar nicht
dadurch der Hofbereich vollständig ausgeleuchtet wird, jedoch der Kellereingangsbereich erkennbar ist. Diesem
Vortrag des Beklagten ist der Kläger in seiner Replik vom 4. März 2004 nicht substantiiert entgegengetreten. Der
Kläger hat nur ausführen lassen, die Lampen seien „so angebracht, dass der Bereich der hier interessierenden
ungesicherten Kellertreppe im Dunkeln liegt“. Das mag - hinsichtlich der Treppe als ganzer, gerade im unteren
Bereich - zutreffen. Eine Ausleuchtung dieses gesamten Bereichs war jedoch keinesfalls erforderlich; die Einrichtung
einer Lichtquelle, die wenigstens den Treppenbereich in Umrissen erkennbar werden ließ, war nämlich ausreichend,
da dadurch ein Besucher mehr als überdeutlich gewarnt wurde, unabhängig davon, dass es für Besucher keinen
Anlass gab, sich in diesem Bereich aufzuhalten. Wie nämlich der Beklagte weiterhin unwidersprochen ausgeführt
hat, ist dieser Kellereingang nicht als Zugang zum Haus gedacht, das vielmehr lediglich über den Eingang zur
Straßenseite erreicht wird, außerdem über die Terrassentür sowie über die Wendeltreppe, die allerdings lediglich zum
Obergeschoss führt, in dem die Eltern des Beklagten wohnen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Rechtsprechung vereinzelt auch Grundstückseigentümer für
verpflichtet gehalten hat, Vorsorge für Personen zu treffen, die sich unbefugt auf dem Grundstück (oder Teilen
davon) aufhalten. Nur in Ausnahmefällen ist etwa angenommen worden, dass bei Kindern in besonderem Maße auf
diejenigen Gefahren Bedacht zu nehmen ist, die ihnen aufgrund ihrer Unerfahrenheit, ihres Leichtsinns und
Spieltriebs drohen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss daher jeder
Grundstückseigentümer wirksam und auf Dauer angelegte Schutzmaßnahmen ergreifen, um Kindern vor Unfällen als
Folge ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen,
wenn ihm bekannt ist oder sein muss, dass sie sein Grundstück - befugt oder unbefugt - zum Spielen benutzen und
die Gefahr besteht, dass sie sich dort an gefährlichen Gegenständen zu schaffen machen und dabei Schaden
erleiden können (BGH VersR 1984, 1486, 1487). So kann etwa auch die Absperrung eines Kiesgrubengeländes
erforderlich sein, wenn dieses auf Unbefugte eine besonders große Anziehungskraft ausübt (OLG Köln VersR 1992,
1241). Ein solcher (Ausnahme)Fall ist hier jedoch nicht gegeben: Einerseits ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte in
irgendeiner Weise damit hätte rechnen müssen, dass sich der Kläger in der Nähe der Außenkellertreppe aufhalten
würde. Andererseits bedürfen des Schutzes nur solche Personen - eben insbesondere Kinder , die (noch) nicht in der
Lage sind, für sich selbst zu sorgen, oder die Gefahrenquellen nicht erkennen können. Solche Umstände liegen
ersichtlich beim Kläger nicht vor. Dass der Beklagte aufgrund anderer Umstände für die Sicherheit der
Außenkellertreppe sorgen musste, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Eine solche Sicherungspflicht hätte
sich auch kaum gerade gegenüber dem Kläger ergeben.
3. Einer Ersatzpflicht des Beklagten stünde zudem - wollte man entgegen den obigen Ausführungen von einem
Verstoß gegen eine den Beklagten treffende Verkehrssicherungspflicht ausgehen - ein überwiegendes, die Haftung
des Beklagten ausschließendes Mitverschulden des Klägers entgegen: Der Kläger hat sich ersichtlich in einem
Bereich aufgehalten, in dem er, wie der Beklagte zutreffend formuliert hat, „nichts zu suchen hatte“. Dabei kommt es
nicht darauf an, ob der Kläger die Außenkellertreppe kannte, wofür allerdings einiges spricht, da er dem Vortrag des
Beklagten, er habe in den letzten fünf Jahren „mehr als 50 Mal“ das Haus betreten, nicht substantiiert
entgegengetreten ist, vielmehr lediglich angegeben hat, er kannte sich nur „in groben Zügen“ aus. Der Kläger hat
selbst vortragen lassen, dass sich der Unfall nicht „auf dem sozusagen normalen Weg zur Eingangstür oder
beispielsweise einer Terrassentür ereignet“ hat. Der Kläger war also gehalten, jedenfalls in der Dunkelheit den ihm
unbekannten Teil des Grundstücks zu meiden. Dies hat er aber nicht getan, sondern ist vielmehr auf dem Hof
umhergegangen und hat dabei ohne Not den von ihm unproblematisch aufgrund der Bewegungsmelder zu
übersehenden Bereich verlassen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich
aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO)
liegen nicht vor.
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