Urteil des OLG Braunschweig vom 11.03.2004

OLG Braunschweig: behandlungsfehler, klinik, kausalität, kausalzusammenhang, schmerzensgeld, haftpflichtversicherung, erfüllung, körperschaden, sicherheit, operation

Gericht:
OLG Braunschweig, 01. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 1 U 77/03
Datum:
11.03.2004
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823, BGB § 840, BGB § 847
Leitsatz:
1. Hat der bei einem Unfall Verletzte vom Unfallverursacher Schmerzensgeld erhalten, ist diese
Zahlung auf den Schmerzensgeldanspruch gegen einen Arzt, der die Unfallverletzung behandelt hat
und dem dabei Behandlungsfehler unterlaufen sind, als Erfüllung anzurechnen; Arzt und
Unfallverursacher sind in einem solchen Fall Gesamtschuldner.
2. Weigert sich der Patient, eine notwendige Behandlungsmaßnahme an sich vornehmen zu lassen,
obwohl er auf die Notwendigkeit hingewiesen worden ist, kann die Verantwortung des Arztes für die
Folgen der Unterlassung entfallen; der Kausalzusammenhang zu einem etwaigen vorangegangenen
Behandlungsfehler kann unterbrochen sein.
Volltext:
Sachverhalt:
Die Klägerin war bei einem Verkehrsunfall als Beifahrerin neben vielen anderen Verletzungen u. a. auch durch
Glassplitter in der linken Hand verletzt worden. Bei der Notfallbehandlung in der Klinik der Beklagten wurden nicht
sämtliche Splitter entfernt. Die Klägerin führt Funktionsbeeinträchtigungen der linken Hand auf in der Hand
verbliebene Glassplitter zurück.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da nach dem eingeholten Gutachten ein Ursachenzusammenhang
zwischen einem etwaigen Behandlungsfehler und in der Hand verbliebenen Glassplittern nicht nachgewiesen sei.
Die Klägerin macht geltend, dass sowohl der Sachverständige als auch das Landgericht auf den Befund im F.Stift,
dass die Nervenbahnen des kleinen Fingers von den Glassplittern angegriffen gewesen seien, überhaupt nicht
eingegangen seien. Auch mit den weiteren Kritikpunkten der Klägerin habe sich das Landgericht nicht hinreichend
auseinandergesetzt. Außerdem sei die Klägerin, wie unter Beweisantritt vorgetragen sei, für eine Zeit von etwa 6
Stunden in einem Operationssaal verblieben und offenbar vergessen worden; auch dieses Vorbringen habe das
Landgericht offenbar nicht zur Kenntnis genommen.
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verweist darauf, dass nach den vorliegenden Gutachten die Entfernung
sämtlicher Glassplitter ohne Nachteile für die Klägerin auf einen operationstaktisch günstigeren Zeitpunkt einige
Tage nach dem Unfall habe verschoben werden können. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin die Entfernung der
Glassplitter jedoch abgelehnt.
Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben.
Gründe:
...
Die Berufung ist unbegründet, weil der Klägerin gegen die Beklagte weder Schadensersatz noch
Schmerzensgeldansprüche zustehen.
1. Der erhobene Schmerzensgeldanspruch ist bereits deswegen unbegründet, weil die Klägerin, wie sie auf
entsprechende Anfrage im Berufungsverfahren mitgeteilt hat, wegen des Unfalls, auf den ihre Verletzungen
zurückzuführen sind, von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners ca. 11.300,00 € Schmerzensgeld erhalten
hat. Die Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs durch die Haftpflichtversicherung wirkte auch zugunsten der
Beklagten (§ 422 BGB), da die Beklagte – für den Fall ihrer Haftung – und der Unfallschädiger, soweit sie
nebeneinander für einen Körperschaden verantwortlich sind, nach § 840 BGB Gesamtschuldner wären (OLG
Düsseldorf, VersR 2002, 54; Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl. 2004, § 840 Rdnr. 2). Die Haftung des
Unfallverursachers erfasst auch Schäden, die auf einen ärztlichen Behandlungsfehler zurückzuführen sind
(PalandtHeinrichs. vor § 249 Rdnr. 73).
Nach Auffassung des Senats sind durch die Schmerzensgeldzahlung sämtliche von der Klägerin vorgetragenen
Unfallschäden einschließlich der durch zurückgebliebene Glassplitter verursachten Beeinträchtigungen angemessen
ausgeglichen. Für die Zahlung eines zusätzlichen Schmerzensgeldes durch die Beklagte sieht der Senat keine
Grundlage.
Soweit es um die Behauptung geht, die Klägerin sei über 6 Stunden lang ohne Behandlung in einem Operationssaal
verblieben und dort vergessen worden - ein von der Klägerin in der Berufungsverhandlung nochmals
hervorgehobenes Vorbringen , so mag es sein, dass der Unfallverursacher hierfür nicht mehr mitverantwortlich
gemacht werden könnte, weil der Kausalzusammenhang insoweit unterbrochen wäre. In den Beeinträchtigungen der
Klägerin durch das unterstellte sechsstündige Warten vermag der Senat allerdings keinen Körperschaden zu
erkennen, der durch ein Schmerzensgeld ausgeglichen werden könnte. Dass die anzunehmenden seelischen
Belastungen Krankheitswert erreichen, wird nicht behauptet und ist nicht dargelegt.
Im übrigen fehlt es aber, wie unten ausgeführt wird, ohnehin am Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität, so
dass auch aus diesem Grunde ein Schmerzensgeldanspruch zu versagen ist.
2. Die Berufung ist auch hinsichtlich des Feststellungsantrages unbegründet. Die Berufung hat zwar Recht damit,
dass das Landgericht auf mehrere von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkte nicht eingegangen ist. Das war
aber auch nicht erforderlich, weil das Landgericht zutreffend die haftungsbegründende Kausalität nicht als
nachgewiesen angesehen hat und es damit auf die Frage etwaiger Behandlungsfehler nicht mehr ankam.
Selbst wenn man nämlich zugunsten der Klägerin unterstellt, dass aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler bei der
Erstversorgung weniger Glassplitter entfernt worden sind als möglich gewesen wäre, lässt sich nicht mit
hinreichender Sicherheit feststellen, dass daraus körperliche Beeinträchtigungen für die Klägerin entstanden sind.
Denn auch bei sorgfältigstem ärztlichem Handeln ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass bei der
Erstversorgung kleine Glaskörper nicht ertastet werden können und dass auch deswegen nicht alle Glassplitter
entfernt werden können, weil das Auflösungsvermögen des Bildwandlers nicht zur Darstellung von
Kleinstglaskörpern ausreicht. Letzteres liegt im übrigen, wie die Beklagte zutreffend darlegt, nicht etwa an der
Verwendung eines lichtschwachen Bildwandlers, sondern an den Auflösungsgrenzen jedes Bildwandlers; insoweit
hat die Berufung das Gutachten des Sachverständigen L. offenbar missverstanden.
Hätte es aber auch ohne unterstellte Behandlungsfehler möglich sein können, dass bei der ärztlichen Erstversorgung
Glassplitter im Handrücken verblieben wären, die nachträglich unter Vollnarkose und mit Röntgenkontrolle hätten
entfernt werden müssen, so lässt sich eine Änderung des tatsächlichen Kausalverlaufes nicht feststellen. Es ist
anzunehmen, jedenfalls aber nicht auszuschließen, dass bei der beabsichtigten Operation am 18.11.1997 sämtliche
Glassplitter hätten entfernt werden können, so dass sich körperliche Beeinträchtigungen für die Klägerin nicht
ergeben hätten.
Wenn die Klägerin gegen ärztlichen Rat die nachträgliche operative Entfernung der verbliebenen Glassplitter in der
Klinik der Beklagten abgelehnt hat, mag dies aus subjektiven Gründen entschuldbar und vielleicht auch verständlich
sein. Die nachteiligen Folgen dieses Entschlusses der Klägerin können jedoch der Beklagten nicht angelastet
werden, weil der Kausalzusammenhang durch die sachwidrige eigene Willensentscheidung der Klägerin zum
Behandlungsabbruch unterbrochen ist. Es kommt hinzu, dass die Klägerin auch nicht, wie es medizinisch geboten
gewesen wäre, an anderer Stelle für eine sofortige Entfernung der Glassplitter Sorge getragen hat; vielmehr sind
erstmals am 05.12.1997 durch Herrn Dr. B. Glassplitter aus dem Handrücken entfernt worden, also etwa 2 ½
Wochen nach der in der Klinik der Beklagten beabsichtigten operativen Entfernung. Es ist nicht auszuschließen,
dass die nunmehr von der Klägerin beklagten Beeinträchtigungen auf dieser Verzögerung beruhen, die jedoch wie
ausgeführt der Beklagten nicht angelastet werden kann.
Dass die Klägerin von den Ärzten der Beklagten vor ihrem Entschluss zum Behandlungsabbruch nicht hinreichend
über die Notwendigkeit der beabsichtigten operativen Entfernung der am Handrücken vorhandenen Glassplitter
aufgeklärt worden sei, wird von Klägerseite nicht behauptet. Auch aus diesem Gesichtspunkt lässt sich eine Haftung
daher nicht begründen. Die vorstehend dargestellten Unsicherheiten im Kausalverlauf gehen zu Lasten der Klägerin,
welche die haftungsbegründende Kausalität in vollem Umfang zu beweisen hat, da Anhaltspunkte für etwaige
Beweiserleichterungen nicht bestehen. Da der Ursachenzusammenhang nicht sicher festgestellt werden kann, bleibt
es bei der Abweisung der Klage.