Urteil des OLG Brandenburg vom 02.04.2017

OLG Brandenburg: anspruch auf rechtliches gehör, handelsvertreter, klinikum, bad, gefährdung, akte, weisung, unternehmer, gutachter, quelle

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 67/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 280 BGB, § 598 ZPO
Urkundenprozess auf Darlehensrückzahlung mit
Prozessaufrechnung von Schadenersatzansprüchen gegen einen
Handelsvertreter: Voraussetzungen eines wirksamen
Bestreitens; Beweislastverteilung bei angeblichen
Pflichtverletzungen des Handelsvertreters; Beweiskraft eines
Privatgutachtens und inhaltliche Würdigung eines
betriebswirtschaftlichen Gutachtens zu Fragen eines
entgangenen Gewinns
Leitsatz
1. Zu den Voraussetzungen eines wirksamen Bestreitens
2. Der Unternehmer muss bei Pflichtverletzungen des Handelsvertreters die im Einzelfall
bestehende Pflicht des Handelsvertreters, deren Verletzung sowie die Voraussetzungen der
beanspruchten Rechtsfolge beweisen. Der Handelsvertreter muss beweisen, dass er im
Einzelfall eine ihm auferlegte Verpflichtung vollständig erfüllt hat, von einer bestehenden
Verpflichtung oder verbindlichen Weisung abweichen durfte oder die gebotene Sorgfalt
beachtet hat.
3. Ein Privatgutachten liefert im Urkundenprozess nur den Nachweis für eine entsprechende
schriftliche Äußerung des Gutachters.
4. Zur inhaltlichen Würdigung eines betriebswirtschafltichen Gutachtens zu Fragen eines
entgangenen Gewinns.
Tenor
In der Rechtssache ... beabsichtigt der Senat, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1
ZPO aus folgenden Gründen zurückzuweisen:
Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die berufungsführenden Beklagten im Urkundenprozess auf
Darlehensrückzahlung in Anspruch.
Er vereinbarte mit den Beklagten gem. schriftlichem Darlehensvertrag vom 25.10.2004
(Anlage K 1, Bl. 4 ff. d.GA) ein Darlehen über 50.000,00 €. Die Valuta leistete er
vereinbarungsgemäß an die Beklagten. Das Darlehen kündigte er nach Verlängerung
mit Schreiben vom 04.07.2005 (vgl. Anl. K 5, Bl. 10 d. GA).
Die Beklagten haben erstinstanzlich die Primäraufrechnung erklärt mit dem erstrangigen
Teil eines ihnen zedierten Schadensersatzanspruches einer S. GmbH (vgl.
Abtretungsverträge vom 24.10.2005, Anl. B 11, Bl. 67, 68 d. GA). Der Kläger habe seine
Pflichten als Handelsvertreter gegenüber der Zedentin beim Vertrieb eines
Softwaresystems für Kliniken und Arztpraxen verletzt, insbesondere indem er in einem
knappen Vermarktungs-Zeitfenster (vgl. mit Klageschriftsatz vom 07.03.2006, Bl. 78
d.GA) die im Lande Brandenburg meinungsbildenden Kliniken, namentlich das Ernst- von
Bergmann-Klinikum Potsdam und die Klinik Bad Saarow (vgl. Klageerwiderung S. 3, Bl. 21
d.GA) nicht angesprochen habe. Nachdem der Erstbeklagte als Geschäftsführer der
Zedentin deren Schaden mit Schreiben vom 26.10.2004 noch mit 77.172,00 € beziffert
hatte, betrug er nach dem Vorbringen in der Klageerwiderung mindestens 136.977,93 €
(vgl. S. 6, Bl. 24 d.GA) und nach Seite 2 des Beklagtenschriftsatzes vom 07.03.2006
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(vgl. S. 6, Bl. 24 d.GA) und nach Seite 2 des Beklagtenschriftsatzes vom 07.03.2006
vorläufig mindestens 250.866,93 € (vgl. Bl. 77 d.GA), wie sich aus dem Gutachten des
Dr. K. vom 28.02.2006 ergebe.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 07. Februar 2006 u.a. das Bestehen von
Handelsvertreterverpflichtungen gegenüber dem Klinikum Ernst von Bergmann sowie
der Klinik in Bad Saarow bestritten, unter Bezugnahme auf die von den Beklagten zur
Akte gereichten Kundenzuordnungen (vgl. Anl. B 5, Bl. 51 d.GA, Anl. B 10, Bl. 61 d.GA).
Ferner hat er sich gegen die mit der Vorkorrespondenz unvereinbare Herleitung der
angeblichen Schadenshöhe gewandt.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf das der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des
erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Landgericht der Klage
stattgegeben. Den Aufrechnungseinwand der Beklagten hat es gem. § 598 ZPO als im
Urkundenprozess unstatthaft zurückgewiesen, da der Kläger das diesbezügliche
Beklagtenvorbringen bestritten habe und das Gutachten der Beklagten als
Urkundenbeweis lediglich die Tatsache belege, dass der betreffende Sachverständige
sich in geschehener Weise geäußert habe.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten ihr
Klageabweisungsbegehren im Urkundenprozess uneingeschränkt weiter. Das
Landgericht habe ihr Vorbringen zur Aufrechnung rechtsfehlerhaft als streitig behandelt.
Überdies habe es ihren Vortrag in Gestalt des Sachverständigengutachtens
unzureichend ausgeschöpft, namentlich nicht beachtet, dass der Kläger als
Handelsvertreter beweisen müsse, dass er seiner Sorgfaltspflicht nicht verletzt habe.
Schließlich habe das Landgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem
es ihnen ein im Termin am 31.03.2006 erbetenen Schriftsatz Nachlass zur Erwiderung
auf einen Klägerschriftsatz vom 29. März 2006 nicht gewährt habe.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf keiner Rechtsverletzung und das
Berufungsvorbringen enthält keine nach § 529 zugrunde zu legenden Tatsachen, die
eine andere Entscheidung rechtfertigen, § 513 ZPO.
Das Beklagtenvorbringen zum Bestehen eines Schadensersatzanspruches (§ 280 BGB)
wegen der Verletzung von Handelsvertreterpflichten durch den Kläger begegnet bereits
erheblichen Schlüssigkeitsbedenken. Nach dem Beklagtenvorbringen sind die
Vertriebsbeeinträchtigungen maßgeblich darauf zurückzuführen, dass der Kläger in
einem knappen Vermarktungszeitfenster die nötigen Akquisetätigkeiten gegenüber den
im Lande Brandenburg meinungsbildenden Kliniken Ernst von Bergmann und Bad
Saarow unterlassen habe. Das Beklagtenvorbringen insoweit ist schon zum Bestehen
einer diesbezüglichen Akquisitionspflicht des Klägers unschlüssig, nämlich selbst
widerlegt durch die Anlagen B 5 und B 10 (vgl. Bl. 51, 61 d.GA). Diese
Kundenzuordnungen, die als Urkunden die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit
für sich haben, belegen klar die fehlende Zuordnung der vorbezeichneten Kliniken zu den
Vertriebsaktivitäten des Klägers. Entgegen der Auffassung der Beklagten in ihrem
Schriftsatz vom 07. März 2006 lassen sie sich auch nicht als bloß subjektive Sicht des
Klägers darstellen, die von den Beklagten immer wieder kritisiert worden sei. Hiergegen
spricht schon die jeweilig bestätigende Unterschrift der Zedentin auf der
Kundenzuordnung sowohl vom 03. Februar als auch vom 20.04.2005.
Das Landgericht hat, obwohl es nach dem Vorstehenden darauf schon nicht mehr
ankommt, das Klägerverhalten zutreffend als wirksames Bestreiten qualifiziert. Der
Kläger hat eine von dem Beklagten behauptete Vertriebsvereinbarung hinsichtlich der
vorbenannten Kliniken ausdrücklich in Abrede gestellt, was bereits angesichts des
Fehlens einlassungsfähiger Tatsachen zur Einbeziehung gerade dieser Kliniken in den
Vertriebsbereich des Klägers ausgereicht hat. Überdies hat er sein Vorbringen näher
substanziiert durch die Bezugnahme auf die von den Beklagten bereits zur Akte
gereichten Kundenzuordnungen, Anl. B 5, B 10, die sich der Kläger ersichtlich zu Eigen
gemacht hat.
Die Ausführungen der Beklagten zur Beweislast sind unvollständig und irreführend. Der
Unternehmer muss bei Pflichtverletzungen des Handelsvertreters die im Einzelfall
bestehende Pflicht des Handelsvertreters, deren Verletzung sowie die Voraussetzungen
der beanspruchten Rechtsfolge beweisen. Der Handelsvertreter muss beweisen, dass er
im Einzelfall eine ihm auferlegte Verpflichtung vollständig erfüllt hat, von einer
bestehenden Verpflichtung oder verbindlichen Weisung abweichen durfte oder die
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bestehenden Verpflichtung oder verbindlichen Weisung abweichen durfte oder die
gebotene Sorgfalt beachtet hat (vgl. Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 86 Rn.
49 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Hier lässt sich, wie bereits erörtert, schon die
im Einzelfall bestehende Pflicht des Handelsvertreters, hier also die angebliche Pflicht
des Klägers, Vertriebsaktivitäten gegenüber dem Klinikum Ernst von Bergmann und dem
Klinikum Bad Saarow zu entfalten, nicht feststellen, schon gar nicht urkundlich; das
Gleiche gilt für die behauptete Schadenshöhe.
Das Landgericht hat das Gutachten des Dr. K. vom 28.02.2006 zutreffend nur als
urkundlichen Nachweis für eine entsprechende schriftliche Äußerung des Gutachters
gewertet. Als Gutachten selbst begegnet es inhaltlich erheblichen Bedenken. Es stellen
sich schon Zweifel an einer sinnvollen Fragestellung an den Gutachter insoweit, als
dieser sich beauftragt glaubte, Kosten zu prüfen, die durch den fehlenden Vertrieb des
Produktes „…“ entstanden seien. Fasst man Kosten als bewerteten Verzehr von
wirtschaftlichen Gütern materieller und immaterieller Art zur Erstellung und zum Absatz
von Sachen und/oder Dienstleistungen sowie zur Schaffung und Aufrechterhaltung der
dafür notwendigen Teilkapazitäten auf, so kann ein fehlender Vertrieb als fehlende
betriebliche Aktivität keine Kosten in diesem Sinne verursachen.
Darüber hinaus hat der Sachverständige entgegen jeder Gutachterübung keine
nachvollziehbaren Anknüpfungstatsachen bekannt gegeben, namentlich ist nicht
ersichtlich, welche Unterlagen ihm vorlagen und er durchgearbeitet haben will. Ferner ist
eine methodengerechte Befunderhebung oder Bewertung irgendwelcher
Anknüpfungstatsachen nicht nachvollziehbar dargetan. Der Sachverständige hat schon
nicht angegeben, welchen betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff er seiner Begutachtung
überhaupt zugrunde legt, etwa einen wertmäßigen, einen pagatorischen oder gar einen
entscheidungsorientierten. Mit den Ausführungen zu einer Gefährdung der Fortführung
des Unternehmens überschreitet er zudem erkennbar den von ihm selbst eingangs
genannten Gutachterauftrag. Abgesehen davon hängen die Aussagen zu einer
Gefährdung der Fortführung des Unternehmens ohne Darlegung der konkreten
Ertragssituation der GmbH ersichtlich in der Luft. Das Gutachten hat nicht einmal den im
Gutachteneingang angesprochenen Amortisationsverlauf anhand tatsächlicher Erträge
darzustellen vermocht, geschweige denn einen konkret nachvollziehbaren Einfluss auf
das Erreichen der Gewinnschwelle anhand der tatsächlichen Umsatz-
/Gewinnentwicklung. Ebenso wenig sind die Kosten- und Ertragszahlen in der
hypothetischen Umsatz- und Gewinnentwicklung auf S. 6 des Gutachtens in irgendeiner
Weise anhand tatsächlich überprüfbarer Umsatz- und Gewinnzahlen nachvollziehbar
verifiziert.
zwei Wochen.
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