Urteil des OLG Brandenburg vom 02.04.2017

OLG Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, vorweggenommene beweiswürdigung, orden, entschädigung, internet, ausführung, beschlagnahme, besitz, post, sicherstellung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 W 9/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 30a Abs 1 S 3 VermG, § 280
BGB
Rechtsanwaltshaftung: Schadenersatzanspruch wegen
Versäumung der Frist für einen Entschädigungsantrag beim
Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen nach
Rehabilitation wegen einer rechtsstaatswidrigen Sicherstellung
von Orden und Medaillen und Anforderungen an einen
schlüssigen Klagevortrag
Tenor
Dem Kläger wird auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug
auf die Versäumung der Frist der sofortigen Beschwerde bewilligt.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des
Landgerichts Neuruppin vom 4. November 2005, Az.: 3 O 97/05, abgeändert.
Dem Kläger wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H. Prozesskostenhilfe bewilligt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher
Pflichten, weil er es versäumt hat, nach einem erfolgreich durchgeführten
Rehabilitierungsverfahren rechtzeitig beim Landesamt zur Regelung offener
Vermögensfragen einen Antrag auf Entschädigung für rechtsstaatswidrig
beschlagnahmte Medaillen und Orden zu stellen. Nach dem Vortrag des Klägers sollen
im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung am 30.09.1982
verschiedene Orden und Medaillen beschlagnahmt worden sein. Mit Beschluss vom 15.
05.2003 hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in einem
Rehabilitierungsverfahren die Sicherstellung einer Medaille für Deutsche Volkspflege,
einem Verwundetenabzeichen, eines Eisernen Kreuzes, einer Medaille der Olympischen
Spiele 1936, einer Ordensspange sowie ein Abzeichen mit Hakenkreuz für
rechtsstaatswidrig erklärt und die Maßnahme aufgehoben. Der Kläger zeigte dem
Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 17.09.2003 den vermeintlichen Wert der
Medaillen an. Da dieser jedoch einen Antrag auf Entschädigung für den Verlust an den
Vermögenswerten nicht innerhalb der Frist des § 30 a Abs. 1 S. 3 VermG stellte, wurde
der Antrag mit Bescheid vom 30.08.2004 abgelehnt. Im nachfolgenden Klageverfahren
wurde die Klage nach vorherigem richterlichen Hinweis zurückgenommen und der
Bescheid bestandskräftig.
Der Kläger geht nunmehr im Wege des Regresses gegen den Beklagten vor, benennt in
diesem Zusammenhang die einzelnen Medaillen und Orden, die bei der Durchsuchung
beschlagnahmt worden sein sollen und beziffert deren Wert, zunächst unter Hinweis aus
einem Fachkatalog. Im Verlaufe des Rechtsstreits hat er jeweils einen Wert bezogen auf
den Beschlagnahmezeitraum im Jahre 1982 angegeben und sich in diesem
Zusammenhang auf Zeugenbeweis sowie auf die Einholung eines
Sachverständigengutachtens als Beweismittel bezogen. Für seinen Vortrag, wonach es
sich bei dem Eisernen Kreuz um das Großkreuz des Eisernen Kreuzes von 1939
gehandelt habe, hat er ebenfalls Zeugenbeweis angetreten.
Nachdem dem Beklagten am 20.11.2004 ein Vollstreckungsbescheid mit einer
Hauptforderung von insgesamt 27.403,96 € zugestellt worden war, hat dieser hiergegen
Einspruch eingelegt. Der Kläger beantragt für seinen Antrag, den Vollstreckungsbescheid
des Amtsgerichts Wedding aufrechtzuerhalten, Prozesskostenhilfe.
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Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe
der Höhe nach die Forderung nicht schlüssig dargelegt, weshalb nicht davon
ausgegangen werden könne, dass er im Rahmen des Entschädigungsverfahrens eine
positive Entscheidung herbeigeführt hätte. Hinsichtlich des mit 45.000,00 DM in Ansatz
gebrachten Großkreuzes habe er nicht schlüssig dargelegt, dass er dieses tatsächlich im
Besitz gehabt habe und sich die Entscheidung des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts dementsprechend darauf bezogen habe. Im Übergabe-
/Übernahmeprotokoll vom 30.09.1982 sei lediglich von einem Eisernen Kreuz die Rede.
Vor dem Hintergrund einer Internet-Recherche, wonach das Großkreuz des Eisernen
Kreuzes nur ein einziges Mal verliehen worden sei, sei sein Vortrag ebenfalls nicht
plausibel. Selbst wenn das Großkreuz in mehreren Exemplaren hergestellt worden sei,
müsse der Kläger im Einzelnen darlegen, dass und wie er in den Besitz eines dieser
seltenen Exemplare gekommen ist. Es liege auf der Hand, dass ein solches wertvolles
Exemplar so aufbewahrt werde, dass es nicht ohne weiteres dem Zugriff marodierender
Mannschaftsdienstgrade ausgesetzt sei.
Unabhängig davon fehle es an hinreichend schlüssigem Vortrag zur Anspruchshöhe. Der
Kläger habe keine verlässliche Verwertung für den entscheidungserheblichen Tag, dem
30.09.1982, vorgetragen. Hinsichtlich des Zeugenbeweisantrittes bleibe unerfindlich, aus
welchen Gründen der benannte Zeuge den Wert beurteilen könne. Es müssten vielmehr
verlässliche Quellen genannt werden, wie z. B. Katalogangaben oder Auskünfte von
Museumsleitern, die derartige Stücke angekauft oder zumindest ausgestellt hätten.
Entsprechendes gelte auch für die übrigen Medaillen und Orden.
Der Kläger hat gegen den ihm am 28.11.2005 zugestellten Beschluss mit einem am
30.12.2005 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt
mit der Begründung, entgegen der Ansicht des Landgerichts habe er hinreichend unter
Beweis gestellt, dass es sich bei dem Eisernen Kreuz um ein solches in der Ausführung
des Großkreuzes gehandelt habe. Der entsprechende Vortrag des Klägers sei auch nicht
bestritten worden. Es könnten von ihm keine weiteren Ausführungen darüber verlangt
werden, von wem und unter welchen Umständen der Großvaters des Klägers, von dem
er das Großkreuz geerbt habe, dieses erworben habe. Hinsichtlich der von ihm
angegebenen Werte habe sich das Landgericht über seinen Beweisantritt zu Unrecht
hinweggesetzt.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem
Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Nachdem der Kläger mit Schreiben des Senats vom 28.06.2006 darauf hingewiesen
wurde, dass die sofortige Beschwerde erst nach Ablauf der Monatsfrist beim Landgericht
eingegangen ist, hat er mit einem am 03.07.2006 eingegangenen Schriftsatz einen
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt mit der Begründung, den
Schriftsatz der sofortigen Beschwerde vom 16.12.2005 noch am selben Tag zur Post
gegeben zu haben.
II.
1. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Er
wurde form- und fristgerecht gestellt (§§ 234, 235 ZPO). Er ist auch begründet. Der
Kläger hat glaubhaft gemacht, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Monatsfrist
des § 127 Abs. 3 Satz 3 ZPO verhindert gewesen zu sein (§ 233 ZPO). Er hat durch
Vorlage eidesstattlicher Erklärungen seines Prozessbevollmächtigten sowie dessen
Büroangestellter hinreichend glaubhaft gemacht. dass der vom 16.12.2005 datierende
Beschwerdeschriftsatz noch am selben Tag zur Post gegeben wurde. Angesichts des
Fristablaufs erst am 28.12.2006 konnte sich der Prozessbevollmächtigte bei normaler
Postlaufzeit darauf verlassen, dass sein Schriftsatz das Landgericht rechtzeitig vor
Fristablauf erreichen würde. Der tatsächliche Postlauf von zwei Wochen ist auch unter
Berücksichtigung der erst in acht Tagen bevorstehenden Weihnachtsfeiertage derart
ungewöhnlich lang, dass seitens des Prozessbevollmächtigten des Klägers keine
Veranlassung bestand, den Schriftsatz vorab per Fax zu versenden oder sich beim
Landgericht zu vergewissern, ob der Schriftsatz auch tatsächlich rechtzeitig
eingegangen ist.
2. Die damit noch zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Das Landgericht hat die Anforderungen an einen schlüssigen Klagevortrag überspannt.
Das Versäumnis des Beklagten, den Entschädigungsantrag rechtzeitig beim Landesamt
zur Regelung offener Vermögensfragen einzureichen, führt zu einem Anspruch des
Klägers aus § 280 BGB. Soweit der Beklagte mit der Klageerwiderung ausgeführt hat, für
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Klägers aus § 280 BGB. Soweit der Beklagte mit der Klageerwiderung ausgeführt hat, für
den Ersatz des sich aus der rechtsstaatswidrig vorgenommenen Beschlagnahme
ergebenden Schadens komme nicht die Regelung des Vermögensgesetzes, sondern ein
Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB zur Anwendung, so ist dies unzutreffend. Das
Vermögensgesetz verdrängt die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, auf die der
Berechtigte seinen Herausgabeanspruch nach Aufhebung der rechtsstaatswidrigen
Entscheidung ansonsten stützen könnte (Säcker-Busche in Säcker, § 1 VermG, Rn. 191).
Dass es sich bei dem laut Protokoll vom 30.09.1982 beschlagnahmten Eisernen Kreuz
um ein solches in der Ausführung des Großkreuzes gehandelt haben soll, hat der Kläger
hinreichend schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt, wobei der diesbezügliche
Vortrag durch den Beklagten zunächst nicht bestritten wurde. Mit Schriftsatz vom
27.05.2005 hat er vielmehr „hilfsweise beantragt“, die Klage der Höhe nach abzuweisen,
worin ansatzweise ein Bestreiten der Höhe der Forderung zu sehen sein kann. Dies
beinhaltet nicht ohne weiteres auch ein Bestreiten hinsichtlich der tatsächlich
beschlagnahmten Gegenstände. Hierzu hatte der Kläger schlüssig vorgetragen; es
reicht aus, dass dargestellt wird, worin die schädigende Handlung besteht und inwieweit
sich daraus ein Schaden ergibt. Diese Merkmale erfüllt der Klägervortrag und dies wird
auch nicht durch die vom Landgericht von sich aus angestellten Recherchen im Internet
zur Geschichte des Großkreuzes des Eisernen Kreuzes in Frage gestellt. Das Landgericht
geht selbst zutreffend davon aus, dass der Umstand, dass dieses nur einmal verliehen
wurde, nicht von vornherein dagegen spricht, dass es sich um ein solches Großkreuz
gehandelt haben kann, weil es nicht entscheidend auf die Verleihung ankommt, sondern
es durchaus denkbar ist, dass weitere Exemplare dieses Großkreuzes existiert haben.
Der Kläger hat angegeben, inwieweit sich das Großkreuz des Eisernen Kreuzes von dem
herkömmlichen Eisernen Kreuz unterscheidet und dass diese Unterschiede gut
erkennbar sind. Mithin wäre also dem Zeugenbeweisantritt des Klägers hierzu
nachzugehen, sofern man die Einlassung des Beklagten in seinem Schriftsatz vom
26.07.2006 nunmehr als ein Bestreiten in Bezug auf die behauptete Beschlagnahme des
Großkreuzes wertet. Das Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht bereits vorweg als für
den Kläger ungünstig vorher gesagt werden. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung
kann zwar im Prozesskostenhilfeverfahren ausnahmsweise zulässig sein. Eine solche
Beweisantizipation ist aber nur erlaubt, wenn die Gesamtwürdigung aller schon
feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des
Antragstellers als ausgeschlossen erscheinen lässt und wenn eine vernünftig und
wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen müsste, wegen des
absehbaren Misserfolges der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde
(Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114 Rn. 26 m.w.N.). Ob die vom Kläger benannte Zeugin
tatsächlich in der Lage ist, frei von vernünftigen Zweifeln den Klägervortrag in Bezug auf
das Großkreuz zu bestätigen, mag zweifelhaft sein; ausgeschlossen erscheint dies
jedoch von vornherein nicht.
Auch der Vortrag des Klägers zum Wert der beschlagnahmten Gegenstände kann nicht
bereits als unschlüssig angesehen werden. Er hat den Wert dargelegt und hat sich
zunächst auf einen Fachkatalog bezogen. Mag dieser zwar nicht die Werte benennen, wie
sie im Jahre 1982 zugrunde zu legen sind, so bieten die in dem Katalog angegebenen
Werte aber zumindest erst einmal einen Ansatz zur Berechnung des Schadensersatzes.
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass dem Kläger zwar auch im
Rahmen des Antragverfahrens auf Entschädigung bei dem Landesamt zur Regelung
offener Vermögensfragen die materielle Beweislast für die sein Begehren stützenden
und begründenden Tatsachen obliegt; dass aber auch ein Amtsermittlungsgrundsatz
besteht, d. h. es wäre vor dem Hintergrund der Angaben des Klägers zunächst einmal
Sache des Landesamtes gewesen, Ermittlungen über den Wert der Gegenstände
anzustellen, wenn es die vom Kläger angegebenen Werte für zweifelhaft erachtete (vgl.
Säcker-Busche, a.a.O., Rn 24). Die vom Landgericht bereits zur Schlüssigkeit der
Klageforderung für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungen bei
Museumsdirektoren oder sonstigen Fachkundigen stellen deshalb erheblich zu strenge
Anforderungen an die Schlüssigkeit des Klagevorbringens. Der Kläger hat insoweit
Zeugenbeweis angetreten und eine Person benannt, die er als Sammler von Orden
bezeichnet, die auch die Preise kenne, die im Jahre 1982 in der DDR gezahlt worden
seien. Überdies hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, dem
- ausgehend davon, dass der Beklagte den Klägervortrag überhaupt in prozessual
erheblicher Weise bestreitet - ebenfalls nachzugehen wäre, sofern der
Zeugenbeweisantritt sich nicht zu einer Überzeugungsbildung für die vom Kläger
aufgestellte Behauptung eignet.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung
nicht statt.
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