Urteil des OLG Brandenburg vom 02.04.2017

OLG Brandenburg: unterbringung, bewährung, vollstreckung, behandlung, entlassung, untersuchungshaft, anschluss, widerruf, strafverfahren, straftat

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 195/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 56f Abs 2 StGB, § 63 StGB, §
64 StGB
Strafaussetzung: Verlängerung der Bewährungszeit anstelle des
Bewährungswiderrufs wegen erneuter Straffälligkeit bei
Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug
Leitsatz
Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB, nämlich die Verlängerung der Bewährungszeit, können
dann ausreichend sein, wenn die in der Bewährungszeit begangene neue Tat zur
Unterbringung gemäß §§ 63, 64 StGB geführt hat und der Verurteilte sich im Maßregelvollzug
befindet. Die Behandlung aufgrund der gerichtlichen Unterbringung wird nämlich so lange
fortgesetzt, bis eine hinreichend sichere Legalprognose dahin getroffen werden kann, dass
der Verurteilte keine weiteren erheblichen Straftaten begehen wird. Die Vollstreckung einer
durch Widerruf der Bewährung im Anschluss an die Unterbringung vollstreckbaren
Freiheitsstrafe wäre kontraproduktiv, da Voraussetzung der Entlassung aus dem
Maßregelvollzug eine positive Aussetzungsprognose ist.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht
Brandenburg an der Havel vom 15. Juli 2009 aufgehoben.
Die zur Bewährung ausgesetzte Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder)
vom 2. November 2004, Az.: …., wird erlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit
erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3.
November 2004, Az.: …., wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei
Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist seit dem 3. November 2004
rechtskräftig. Die Bewährungszeit endete daher am 2. November 2007.
Innerhalb der laufenden Bewährung, am 12. Januar 2007, beging der Angeklagte erneut
eine Sexualstraftat. Er wurde deshalb mit Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.:
…vom 25. November 2008 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen
Missbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt.
Außerdem wurde gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet, da der Angeklagte an einer hirnorganischen
Persönlichkeitsstörung leidet und seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich
vermindert war und die Gefahr erneuter erheblicher Straftaten besteht. Das Urteil ist seit
dem 3. Dezember 2008 rechtskräftig. Am 5. Januar 2009 ist der Verurteilte, der sich seit
dem 27. Juni 2007 in Untersuchungshaft befand, in …… verlegt worden, wo er sich bis
heute befindet.
Nach vorheriger schriftlicher Anhörung des Verurteilten im April 2009 hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam auf Antrag der
Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) durch Beschluss vom 15. Juli 2009, also mehr als 1
Jahr und 8 Monate nach Ablauf der Bewährungszeit, die Strafaussetzung zur Bewährung
widerrufen, da der Verurteilte erneut einschlägig straffällig geworden sei und offenbar
uneinsichtig und unzugänglich sei. Mildere Maßnahmen im Sinne des § 56 f Abs. 2 StGB
reichten zur Wiederherstellung einer positiven Kriminalprognose nicht aus.
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Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 11. August 2009 zugestellt. Hiergegen
wendet sich der anwaltlich vertretene Beschuldigte mit seiner am 18. August 2009
eingegangenen sofortigen Beschwerde. Zur Begründung führt er aus, der Beschluss
trage der gegenwärtigen Situation des Verurteilten nur ungenügend Rechnung. Der
Beschwerdeführer befinde sich im Maßregelvollzug und in therapeutischer Behandlung.
Er habe erst bei gravierenden therapeutischen Fortschritten, die wiederum eine günstige
Kriminalprognose begründen müssten, eine Entlassungsperspektive. Ein
Bewährungswiderruf sei deshalb kontraproduktiv, ein Vorwegvollzug der Strafe sei von
dem Landgericht Frankfurt (Oder) ausdrücklich mit Erwägungen zum Zweck der
Maßregel, die auch im Widerrufsverfahren zu berücksichtigen seien, abgelehnt worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, der sofortigen Beschwerde mit dem Ziel
des Straferlasses stattzugeben.
II.
Die gemäß § 453Abs. 2 S. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f
Abs. 1 StGB liegen grundsätzlich vor. Der Verurteilte ist innerhalb der laufenden
Bewährung erneut – einschlägig – straffällig geworden.
Vorliegend wären jedoch Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB, nämlich die Verlängerung
der Bewährungszeit, ausreichend, um die durch die erneute Straftat widerlegte
Aussetzungsprognose wieder herzustellen. Dabei sind hier die wesentlichen Änderungen
in den Lebensumständen des Verurteilten zu berücksichtigen (vgl. OLG Frankfurt vom 6.
Februar 2009, 3 Ws 106/09 zitiert nach juris). Zum einen hat er in dem neuen
Strafverfahren etwa 18 Monate Untersuchungshaft verbüßt. Er befand sich erstmals
überhaupt in Haft, was mutmaßlich auf den Verurteilten Wirkung gezeigt hat. Außerdem
ist der Verurteilte darüber hinaus seit zehn Monaten im Maßregelvollzug untergebracht.
Die Behandlung dort aufgrund der gerichtlichen Unterbringung wird so lange fortgesetzt,
bis eine hinreichend sichere Prognose getroffen werden kann, dass der Verurteilte keine
weiteren erheblichen Straftaten begehen wird. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe von
zwei Jahren im Anschluss an die Entlassung aus dem Maßregelvollzug wäre
kontraproduktiv, da Voraussetzung der Entlassung aus dem Maßregelvollzug eine
positive Aussetzungsprognose ist.
Hier käme wegen der Schwere der innerhalb der Bewährungszeit begangenen Tat
grundsätzlich eine Verlängerung der Bewährungszeit um maximal 2 Jahre in Betracht (
vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 56 f Rdnr. 17; OLG Stuttgart, NStZ 2000, 478). Diese Frist
liefe jedoch am 3. Dezember 2009 ab. Da sich der Verurteilte bis zu dieser Zeit wegen
der Vollstreckung seiner Unterbringung jedoch nicht in Freiheit befindet, kann er sich in
der verbleibenden Bewährungszeit nicht „bewähren“. Da unter diesen Umständen eine
Verlängerung der Bewährungszeit zur jetzigen Zeit eine rein formale Entscheidung ohne
jede tatsächliche Auswirkung darstellte, war davon abzusehen. Die Strafe war zu
erlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
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