Urteil des OLG Brandenburg vom 02.04.2017

OLG Brandenburg: wiederaufnahme des verfahrens, rechtskräftiges urteil, zuständigkeitsstreit, rechtskraft, link, quelle, unparteilichkeit, sammlung, obergericht, geldstrafe

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 15/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 StPO, § 103 StPO, §§ 103ff
StPO, § 464b StPO
Zuständigkeitsbestimmung im Strafverfahren: Zuständigkeit für
die Kostenfestsetzung nach erfolgreichem
Wiederaufnahmeverfahren
Leitsatz
1) Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 14 StPO bei einem Zuständigkeitsstreit
zwischen zwei Rechtspflegern unterschiedlicher Gerichte in einem
Kostenfestsetzungsverfahren.
2) Für das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 464 b StPO, 103 ff ZPO ist dann, wenn die
erstinstanzliche Entscheidung durch ein Wiederaufnahmegericht eines anderen Gerichts
beseitigt wurde, als Gericht des ersten Rechtszuges das zeitlich zuerst mit dem Verfahren
befasste Gericht anzusehen.
Tenor
Für das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 464 b StPO, 103 ff. ZPO ist das
Amtsgericht Potsdam zuständig.
Gründe
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 6. Oktober 2003 - 83 Cs 440 Js 36518/02
(7/03) - wurde der Betroffene wegen versuchter Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe
verurteilt. Eine gegen das Urteil eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Nach
Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Amtsgericht Frankfurt (Oder) wurde der
Betroffene mit Beschluss vom 13. März 2007 freigesprochen. Die ihm entstandenen
notwendigen Auslagen, auch der früheren Verfahren, wurden der Staatskasse auferlegt.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2007 beantragte der Verteidiger des Betroffenen bei dem
Amtsgericht Frankfurt(Oder) die Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen
gegen die Staatskasse. Ein Teil der Auslagen wurde durch Beschluss der Rechtspflegerin
beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) vom 14. August 2007 festgesetzt. Mit
Kostenfestsetzungsantrag vom 24. Januar 2008 beantragte der Verteidiger für den
Betroffenen die Festsetzung der notwendigen Auslagen des früheren Verfahrens beim
Amtsgericht Potsdam, welches die Akten am 19. August 2009 an das Amtsgerichts
Frankfurt (Oder) weiterleitete. Durch Beschluss vom 21. September 2009 hat sich die
Rechtspflegerin des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) für die Festsetzung der notwendigen
Auslagen des Betroffenen gegen die Staatskasse für unzuständig erklärt und das
Kostenfestsetzungsverfahren mit dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers vom
24. Januar 2008 zur Entscheidung an das Amtsgericht Potsdam verwiesen. Das
Amtsgericht Frankfurt (Oder) vertritt die Auffassung, dass zuständiges Gericht für die
Kostenfestsetzung gemäß § 464 b Satz 1 StPO das Gericht des ersten Rechtszuges sei,
in welchem die Gebühren und Auslagen entstanden seien. Werde eine erstinstanzliche
Entscheidung durch ein Wiederaufnahmeverfahren eines anderen Gerichts beseitigt, so
sei als das Gericht des ersten Rechtszuges dasjenige Gericht anzusehen, das zuerst mit
der Sache befasst gewesen sei. Das Amtsgericht Potsdam hat die Übernahme des
Kostenfestsetzungsverfahrens durch Beschluss des Rechtspflegers vom 9. November
2009 abgelehnt, sich für unzuständig erklärt und die Sache zur Entscheidung über die
Zuständigkeit für die Festsetzung der Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens dem
Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Da es sich um die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen
Verfahrens handele, eröffne das Wiederaufnahmeverfahren einen eigenen Instanzenzug.
§ 462 a Abs. 6 StPO bezeichne das Gericht, welches über die Wiederaufnahme
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§ 462 a Abs. 6 StPO bezeichne das Gericht, welches über die Wiederaufnahme
entscheide, eindeutig als das Gericht des ersten Rechtszuges.
II.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 14 StPO
sind gegeben.
Nach § 14 StPO bestimmt das gemeinschaftliche Obergericht bei einem Streit über die
Zuständigkeit zwischen mehreren Gerichten das Gericht, das „sich der Untersuchung
und Entscheidung zu unterziehen“ hat.
Die Frage, ob § 14 StPO bei einem Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Rechtspflegern
verschiedener Gerichte anzuwenden ist, wird in Rechtsprechung und Literatur
unterschiedlich beantwortet (Meyer-Goßner StPO 51. A. § 14 Rdn. 3). Der
Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 30. Mai 1990 - 2 ARS 163/90 - unter
Hinweis auf den seinerzeit geltenden § 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG a. F. ausgeführt, die
Zuständigkeit des Rechtspflegers zur Kostenfestsetzung erstrecke sich nicht auf einen
Antrag zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 14 StPO, weil die Sache in
einem solchen Fall dem Richter gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG a. F. vorzulegen gewesen
wäre. Rechtliche Schwierigkeiten würden sich typischerweise ergeben, wenn zur Frage
der Zuständigkeit die Entscheidung eines Obergerichts eingeholt werden solle. Diese
Aufgaben seien dem Richter vorbehalten. Aus den gleichen Gründen wurde seitens des
Bundesverfassungsgerichts eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG durch den
Rechtspfleger als unzulässig angesehen (BVerfGE 61, 75). Nach Änderung der
gesetzlichen Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG ist eine Richtervorlage nur noch in
engen Grenzen möglich. Insbesondere ist der Fall, dass sich ein Sachverhalt als
besonders schwierig erweist, aus dem Katalog der Vorlegungsfälle herausgenommen
worden.
Die zwischen zwei Rechtspflegern unterschiedlicher Gerichte streitige Frage der
Zuständigkeit für ein Kostenfestsetzungsverfahren könnte hiernach, da eine
Richtervorlage nach § 5 Abs. 1 oder 2 RPflG ausscheidet, nur durch ein Rechtsmittel der
am Verfahren Beteiligten gemäß § 11 RPflG geklärt werden, über welches dann der
Richter zu entscheiden hätte. Werden Erinnerung oder Beschwerde nicht eingelegt,
bestände kein Ausweg, den Zuständigkeitsstreit zu klären und das Verfahren
fortzusetzen. Nach dem Wortlaut des § 14 StPO ist für dessen Anwendbarkeit eine
gerichtliche Tätigkeit (im Gegensatz zur Verwaltungstätigkeit) Voraussetzung. Die dem
Rechtspfleger übertragene Kostenfestsetzung ist als gerichtliche Tätigkeit, die im
Rechtsmittelverfahren – nach ( nicht abgeholfener) Erinnerung oder Beschwerde gegen
die Entscheidung des Rechtspflegers - letztendlich zur richterlichen Tätigkeit wird,
anzusehen und unterfällt deshalb nach Auffassung des Senats § 14 StPO.
2. Für das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 464 b StPO, 103 ff ZPO ist dann, wenn
die erstinstanzliche Entscheidung durch ein Wiederaufnahmegericht eines anderen
Gerichts beseitigt wurde, als Gericht des ersten Rechtszuges das zeitlich zuerst mit dem
Verfahren befasste Gericht anzusehen.
Das Amtsgericht Potsdam ist für die Kostenfestsetzung als Gericht des ersten
Rechtszuges zuständig.
Der Senat schließt sich der überzeugenden Begründung in dem Beschluss des 3.
Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. September 2002 an. Entgegen der
Auffassung des Rechtspflegers beim Amtsgericht Potsdam, der sich der Entscheidung
des Landgerichts Karlsruhe vom 31. März 2008 - 3 Qs 25/08 - anschließt, ist als Gericht
des ersten Rechtszuges im Sinne der §§ 464 b StPO, 103 ff ZPO das Gericht, welches
mit der Sache erstmals befasst worden ist, anzusehen.
Bei einer Beseitigung der Rechtskraft der ursprünglich ergangenen erstinstanzlichen
Entscheidung durch ein Wiederaufnahmeverfahren ist die Sachlage mit der
Zurückverweisung einer Sache an ein anderes Gericht gemäß § 354 Abs. 2 StPO im
Revisionsverfahren vergleichbar. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in
seinem Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 2 ARS 422/90 ausgeführt, dass nach Sinn und
Zweck des § 354 StPO die Zurückverweisung an ein anderes Gericht regelmäßig keine
Ausdehnung der Zuständigkeit dieses Gerichts über das Urteil hinaus auf die nach
dessen Rechtskraft erforderlich werdenden weiteren Entscheidungen (hier
Kostenfestsetzung) erfordern würde. Zwar bezieht sich das Wiederaufnahmeverfahren
auf ein rechtskräftig beendetes Verfahren und eine Zurückverweisung durch das
Revisionsgericht gemäß § 354 Abs. 2 StPO auf ein noch nicht abgeschlossenes
Verfahren, allerdings ist die Wirkung letztlich vergleichbar. Bei einer erfolgreichen
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Verfahren, allerdings ist die Wirkung letztlich vergleichbar. Bei einer erfolgreichen
Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens wird die Strafsache wieder in das
Hauptverfahren zurückversetzt. Das Wiederaufnahmeverfahren stellt deshalb im
Ergebnis eine Fortsetzung des ursprünglichen Hauptverfahrens dar.
Im Kostenfestsetzungsverfahren sind sowohl die Kosten des rechtskräftig
abgeschlossenen ersten Verfahrens (einschließlich des Berufungs- und
Revisionsverfahrens) als auch die Kosten des nach Wiederaufnahme im neuen
Rechtszug durchgeführten Verfahrens nach der im Wiederaufnahmeverfahren
ergangenen Kostenentscheidung festzusetzen. Die Kostenfestsetzung bei dem
Wiederaufnahmegericht anzusiedeln, etwa aus dem Umstand der zeitnäheren
Bearbeitung, erweist sich nicht als notwendig oder geboten, da die erforderliche
Kostenfestsetzung sowohl das alte als auch das neue Verfahren betrifft. So kann der im
Wiederaufnahmeverfahren freigesprochene Angeklagte die Festsetzung seiner
notwendigen Auslagen, insbesondere auch der Kosten eines Wahlverteidigers
beantragen, die Jahre zuvor bei dem zuerst tätigen Gericht entstanden sind. Wie das
Oberlandesgericht Hamm zu Recht ausführt, spielt im Kostenfestsetzungsverfahren der
Gesichtspunkt der Unparteilichkeit keine Rolle, sodass die Festsetzung durch das
Wiederaufnahmegericht auch nicht aus diesem Grund sinnvoll wäre. Weitere
Gesichtspunkte, die dafür sprechen könnten, eine Zuständigkeit des erstinstanzlichen
Gerichts im Wiederaufnahmeverfahren anzunehmen, sind nicht ersichtlich.
Bei der Bestimmung des „Gerichts des ersten Rechtszuges“ gemäß § 464 b StPO ist
deshalb nach Auffassung des Senats für die Frage der Kostenfestsetzung an den
„zeitlich“ ersten Rechtszug anzuknüpfen und nicht an den aufgrund eines
Wiederaufnahmeverfahrens „erneuerten“ ersten Rechtszug.
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