Urteil des OLG Brandenburg vom 29.03.2017

OLG Brandenburg: verschlechterungsverbot, verfahrenskosten, angeklagter, quelle, sammlung, link, schöffengericht, ausnahme, gesamtstrafe

Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 74/08, 1 Ws
203/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 331 Abs 1 StPO, § 354 Abs 1a
StPO
Strafverfahren: Verschlechterungsverbot bei einer Berufung des
Angeklagten und einer verworfenen Berufung zu Ungunsten des
Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft; Erforderlichkeit der
Zurückverweisung
Leitsatz
Das Verbot der Schlechterstellung (§ 331 StPO) greift auch dann ein, bzw. lebt dann wieder
auf, wenn beide Seiten (Angeklagter und Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten)
Berufung eingelegt haben, diejenige der Staatsanwaltschaft aber verworfen wird. Ein
verworfenes Rechtsmittel wirkt nicht zum Nachteil des Angeklagten und beseitigt den
Rechtsvorteil des § 331 StPO nicht. Es liegt so, als ob der Angeklagte von vornherein allein
Berufung eingelegt hätte.
Eine Zurückverweisung ist nicht erforderlich. Der Senat kann entsprechend § 354 Abs. 1a
StPO die entgegen § 331 Abs. 1 StPO durch das Berufungsgericht erhöhte Einzelstrafe auf
das ursprünglich vom Erstgericht festgesetzte Maß zurückführen (so auch BayObLG NStZ-RR
2004, 22, 23).
Tenor
Landgerichts Neuruppin vom 24. Juli 2008 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als
offensichtlich unbegründet verworfen.
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird die Kostenentscheidung
hinsichtlich des Angeklagten ... wie folgt neu gefasst: Der Angeklagte ... trägt die
Verfahrenskosten der 1. und 2. Instanz und seine notwendigen Auslagen soweit er
verurteilt ist; sowie er freigesprochen ist, fallen die Kosten des Verfahrens und die dem
Angeklagten ... in diesen Instanzen entstanden notwendigen Auslagen der Landeskasse
zur Last. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die ihm darin entstandenen
notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte ... vollständig.
Auf die Revision des Angeklagten ... wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin vom 24. Juli 2008 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben; die
weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet
verworfen.
Der Angeklagte ... wird wegen gemeinschaftlich begangenen Diebstahls im besonders
schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.
Der Angeklagte ... trägt die Verfahrenskosten soweit er verurteilt ist; sowie er
freigesprochen ist, fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten ...
entstanden notwendigen Auslagen der Landeskasse zur Last; jedoch trägt die
Landeskasse die dem Angeklagten ... durch die Berufung der Staatsanwaltschaft
entstandenen Mehrauslagen. Darüber hinaus werden die Gebühren für das Berufungs-
und für das Revisionsverfahren um 1/6 ermäßigt. Der Landeskasse werden schließlich
1/6 der dem Angeklagten ... im Berufungs- und im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen auferlegt.
Die Revision des Angeklagten ... gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin vom 24. Juli 2008 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als
offensichtlich unbegründet verworfen.
Der Angeklagte ... hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu
tragen, jedoch mit Ausnahme der durch die Berufung der Staatsanwaltschaft
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tragen, jedoch mit Ausnahme der durch die Berufung der Staatsanwaltschaft
entstandenen Mehrauslagen, die die Landeskasse trägt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich des Angeklagten ... und die ihm darin
entstandenen notwendigen Mehrauslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
1.
Ls 14/07) den Angeklagten ... wegen „gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders
schweren Fall in zwei Fällen“ zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und
4 Monaten, der Einsatzstrafen in Höhe von jeweils 1 Jahr zugrunde liegen. Gegen den
Angeklagten ... erkannte das Amtsgericht Oranienburg ebenfalls wegen
„gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall in zwei Fällen“ auf eine
unbedingte Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten mit Einsatzfreiheitsstrafen
von jeweils 10 Monaten. Der Angeklagte ... wurde wegen „gemeinschaftlichen Diebstahls
im besonders schweren Fall in zwei Fällen […] zudem mit Fahren ohne Fahrerlaubnis in
zwei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt; hier
betrugen die Einsatzstrafen jeweils 1 Jahr 6 Monate.
Gegen diese Entscheidung haben die drei Angeklagten Berufung eingelegt. Die
Staatsanwaltschaft Neuruppin hat überdies zu Ungunsten der Angeklagten ... und ...
Berufung eingelegt mit dem Ziel, eine höhere Freiheitsstrafe zu erreichen.
Die 1. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin hat mit Urteil vom 24. Juli 2008
die Berufung der Staatsanwaltschaft Neuruppin als unbegründet verworfen. Die Berufung
des Angeklagten ... hat das Gericht mit der Maßgabe verworfen, dass er des
„gemeinschaftlich besonders schweren Diebstahls und des Diebstahls einer
geringwertigen Sache, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne
Fahrerlaubnis“ schuldig ist. Auf die Berufung der Angeklagten ... und ... hat die 1. kleine
Strafkammer das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 15. August 2007, soweit es
sie betrifft, aufgehoben, und sie jeweils wegen „gemeinschaftlichen besonders schweren
Diebstahls“ zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, und im
Übrigen die Angeklagten ... und ... freigesprochen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen der
Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.
Während die Angeklagten ... und ... ihre Revision nicht weiter ausführen, rügt der
Angeklagte ... vor allem, dass das Landgericht gegen das Verschlechterungsverbot des
§ 331 StPO verstoßen habe.
2.
Auslagenentscheidung des Berufungsgerichts sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
1.
344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden.
2.
Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 7.
November 2008, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, gem. §
349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
b)
Soweit sich das Rechtsmittel des Angeklagten ... gegen den Schuldspruch richtet, ist es
offensichtlich unbegründet und muss nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen werden.
Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat
gegen das Verbot der Schlechterstellung (§ 331 StPO) verstoßen. Denn das
Verschlechterungsverbot greift auch dann ein, bzw. lebt dann wieder auf, wenn beide
Seiten (Angeklagter und Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten) Berufung
eingelegt haben, diejenige der Staatsanwaltschaft aber verworfen wird. Ein verworfenes
Rechtsmittel wirkt nicht zum Nachteil des Angeklagten und beseitigt den Rechtsvorteil
des § 331 StPO nicht. Es liegt so, als ob der Angeklagte von vornherein allein Berufung
eingelegt hätte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 1.2.2001, 5 St RR 421/00, in: Juris; OLG
Celle NrdRpfl. 1977, S. 252; LR-Gössel, StPO, 25. Aufl. 2003, § 331 Rdnr. 26; Meyer-
Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 331 Rdnr. 9; AK-Dölling, StPO 1996, § 331 Rdnr. 15;
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Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 331 Rdnr. 9; AK-Dölling, StPO 1996, § 331 Rdnr. 15;
ähnlich BayObLG, Beschluss vom 20.01.2000, 5 St RR 295/00, in: Juris; OLG Hamburg
VRS 44, S. 188).
Trotz des damit zu beachtenden Verschlechterungsverbots hat die Strafkammer gegen
den Angeklagten ... für die erste Tat (2. März 2007, 1:30 Uhr) eine unbedingte
Freiheitsstrafe von 1 Jahr ausgesprochen, während das Amtsgericht Oranienburg eine
solche von 10 Monaten für ausreichend erachtet hatte. In Folge des Freispruchs für die
zweite Tat (2. März 2007, 3:30 Uhr) ist das Landgericht zwar hinter der vom Amtsgericht
erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten zurückgeblieben. Jedoch
kommt es darauf nicht ein, da das Verschlechterungsverbot nicht nur für die vom
Erstrichter verhängte Gesamtstrafe, sondern auch für jede der zu Grunde liegenden
Einzelstrafen gilt (BayObLG NStZ-RR 2004, S. 22 f.; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008,
§ 331 Rdnr. 18), mithin hätte das Landgericht höchstens auf die vom Amtsgericht
verhängte Einzelstrafe von 10 Monaten erkennen können.
Einer Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung durch eine
andere kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin bedarf es jedoch nicht.
Vielmehr ist es dem Revisionsgericht entsprechend § 354 Abs. 1a StPO in dem
vorliegenden Fall möglich, in der Sache selbst zu entscheiden. Der Senat kann die
entgegen § 331 Abs. 1 StPO durch das Berufungsgericht erhöhte Einzelstrafe auf das
ursprünglich vom Erstgericht festgesetzte Maß zurückführen (so auch BayObLG NStZ-RR
2004, 22, 23), zumal sich hier die Strafzumessungsfaktoren nicht geändert haben (vgl.
Meyer-Goßner aaO., § 267 Rdnr. 18; Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 46 Rdnr. 53 b) und
aufgrund der ausführlichen und zutreffenden Strafzumessungserwägungen des
Berufungsgerichts eine geringere Freiheitsstrafe als die gegen den Angeklagten ...
erstinstanzlich verhängten 10 Monate ausgeschlossen erscheint.
IV.
Die gem. § 464 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte, gegen die Kosten- und
Auslagenentscheidung des Berufungsgerichts gerichtete sofortige Beschwerde der
Staatsanwaltschaft Neuruppin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg
und beruht auf §§ 465, 466, 467, 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO.
Eine Kostenentscheidung hinsichtlich der 29. Juli 2008 bei Gericht angebrachten
sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Neuruppin ist lediglich hinsichtlich des
Angeklagten ... veranlasst, da das Berufungsgerichts – wie es in einem Vermerk selbst
zum Ausdruck bringt – versehentlich die Berufungsgebühren ermäßigt und entsprechend
der Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten ... auferlegt hat.
Darüber hinaus betrifft die Beschwerde offensichtlich den Angeklagten ... nicht; die
neugefasste Kostenentscheidung dient insoweit lediglich der Klarstellung. Da das
Hauptrechtsmittel bezüglich des Angeklagten ... zu einer Abänderung der
Hauptentscheidung geführt hat, ist insoweit der Kostenentscheidung als bloßem Annex
die Grundlage entzogen und ohnehin neu zu fassen.
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