Urteil des OLG Brandenburg vom 29.03.2017

OLG Brandenburg: gemeinsame elterliche sorge, wohl des kindes, eltern, jugendamt, kindeswohl, wohnkosten, anhörung, auffordern, sozialhilfe, sammlung

1
2
3
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 73/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 Abs 2 Nr 2 BGB, § 114
ZPO
Prozesskostenhilfe im Sorgerechtsverfahren: Anhaltspunkte für
erhebliche Kommunikationsstörungen und Einschränkungen der
Kooperationsfähigkeit und/oder -bereitschaft
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gemäß §§ 14 FGG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu
der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Antragstellerin kann
Prozesskostenhilfe nicht aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen versagt
werden.
1. Dem Begehren der Antragstellerin kann entgegen der Auffassung des Amtsgerichts
die hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO, nicht abgesprochen werden.
Gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung der Alleinsorge
stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen
Sorge und die Übertragung auf den antragenden Elternteil dem Kindeswohl am besten
entspricht. Mit der Neuregelung der Übertragung der elterlichen Sorge durch das
Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. I, S. 2942 ff.) hat der
Gesetzgeber, wie auch das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom
8.3.2007 ausgeführt hat, zwar kein Regel-Ausnahme-Verhältnis im den Sinne
geschaffen, dass ein Vorrang zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht
und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio, als letzte
Möglichkeit, in Betracht kommt (BGH, FamRZ 1999, 1646, 1647; KG, FamRZ 2000, 502
f.; FamRZ 2000, 504). Er ist aber davon ausgegangen, dass es für das Wohl der Kinder
am Besten ist, wenn sich die Eltern auch nach Trennung und/oder Scheidung
einvernehmlich um sie kümmern (vgl. BT-Drucksache 13/4899, S. 63) und sie in dem
Gefühl aufwachsen, weiter zwei verlässliche Eltern zu haben, die nicht um sie
konkurrieren und sie nicht in Loyalitätskonflikte bringen (KG, FamRZ 2000, 502, 503). Ob
dies möglich ist, hängt von der entsprechenden Einsicht der Eltern und ihrer Fähigkeit,
sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, ab, entscheidend sind also die objektive
Kooperationsfähigkeit und die subjektive Kooperationsbereitschaft der Eltern (Senat,
FamRZ 1998, 1047, 1048; FamRZ 2003, 1952; KG, FamRZ 2000, 504;
Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1671, Rz. 36). Eingeschränkte
Kommunikation unter den Eltern rechtfertigt noch nicht ohne weiteres die Annahme der
Einigungsunfähigkeit. Vielmehr können sie, so lange ihnen die Konsensfindung, dies ist
die Herbeiführung von Übereinstimmung und Gemeinsamkeit, zum Wohl des Kindes
zumutbar ist, nicht aus der Verpflichtung dazu entlassen werden (Senat, FamRZ 2003,
1952; Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl., § 1671, Rz. 17). Ebenso führen erhebliche
Streitigkeiten zwischen den Eltern nicht notwendig zur Aufhebung der gemeinsamen
elterlichen Sorge. Die Einigungsunfähigkeit muss gerade in Bezug auf das Kind vorliegen,
d. h., die Eltern dürfen in grundsätzlichen Erziehungsfragen bzw. in allen
Angelegenheiten des Kindes von erheblicher Bedeutung zu einer einvernehmlichen
Regelung nicht in der Lage sein (KG, FamRZ 2000, 504; Palandt/Diederichsen, a.a.O.).
Bei der Entscheidung darüber, ob die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben ist, kann
auch von Bedeutung sein, ob in absehbarer Zeit sorgerechtsrelevante Entscheidungen
4
5
6
auch von Bedeutung sein, ob in absehbarer Zeit sorgerechtsrelevante Entscheidungen
gemeinsam zu treffen sind (Senat, FamRZ 2003, 1952; OLG Brandenburg - 3. Senat für
Familiensachen -, FamRZ 2002, 567 f.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann
dem Antrag der Mutter, ihr die elterliche Sorge für die Tochter C. allein zu übertragen,
die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen soll, die
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der
Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens
treten zu lassen. Dies bedeutet zugleich, dass Prozesskostenhilfe nur verweigert werden
darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die
Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, FamRZ 2005, 1893; Senat, FamRZ
2006, 1775).
Im vorliegenden Fall bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern nicht in
der Lage sind, sachlich miteinander zu kommunizieren. Das Jugendamt hat in seinem
Bericht vom 26.1.2007 zusammenfassend mitgeteilt, zwischen den Eltern beständen
erhebliche Kommunikationsstörungen und Verletztheiten, die nicht abschließend
bearbeitet worden seien. Hinsichtlich der Telefongespräche zwischen den Eltern hat das
Jugendamt mitgeteilt, bei diesen könnten keine Absprachen erzielt werden, da jedes
Telefonat im Streit ende. Auch die vorgelegte E-Mail des Vaters vom 5.11.2006, in der er
erhebliche Vorwürfe an die Mutter richtet, sind ein Indiz dafür, dass die Eltern nicht
problemlos miteinander kommunizieren. Schon mit Rücksicht darauf, dass es bei den
telefonischen Absprachen offensichtlich auch um die Belange der Kinder geht, ist die
Annahme, dass Kooperationsfähigkeit und/oder -bereitschaft erheblich eingeschränkt
sind und sich dies auf das Kindeswohl auswirkt, nicht fern liegend. Nähere Feststellungen
hierzu wird das Amtsgericht im Hauptverfahren bei Anhörung beider Elternteile und aller
Kinder treffen. Eine Entscheidung zu Lasten der Mutter bereits im
Prozesskostenhilfeverfahren, sodass es ihr mangels ausreichender finanzieller Mittel gar
nicht möglich ist, den Sachverhalt abschließend gerichtlich überprüfen zu lassen,
scheidet demnach aus.
2. Die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da
dort noch Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in
der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, § 114 ZPO (vgl. auch
Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 197). Denn bislang
liegt lediglich eine zumindest hinsichtlich der Wohnkosten nicht vollständig ausgefüllte
Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
vom 27.11.2006 vor. Das Amtsgericht wird die Antragstellerin auffordern, eine aktuelle
Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden
Belegen einzureichen und dabei sämtliche Fragen im Formular zu beantworten.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass es der ständigen Praxis des Senats entspricht,
Angaben zu allen Fragen des Formulars, insbesondere also auch zu den Feldern E bis J,
zu verlangen, wenn der Antragsteller Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bezieht. Auf der
Grundlage der ergänzenden Angaben der Antragstellerin wird das Amtsgericht unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO gegeben sind und danach erneut
über den Antrag entscheiden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum