Urteil des OLG Brandenburg vom 29.03.2017

OLG Brandenburg: zivilrechtliche streitigkeit, funktionelle zuständigkeit, rechtshängigkeit, auszug, trennung, zuständigkeitsstreit, wohnung, unterhalt, befristung, link

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 AR 2/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 37 ZPO,
§ 745 Abs 2 BGB, § 1361b Abs 3
S 2 BGB
Zuständigkeitsbestimmung: Klage auf Nutzungsentschädigung
für die alleinige Nutzung der Ehewohnung, wobei die Klage von
der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht
wurde und die Parteien während des laufenden
Prozesskostenhilfeverfahrens rechtskräftig geschieden wurden.
Tenor
Zum zuständigen Gericht wird das Amtsgericht – Zivilabteilung – Perleberg bestimmt.
Gründe
1. Die Parteien waren getrennt lebende Eheleute, die inzwischen rechtkräftig geschieden
sind. Der Antragsteller hat mit seiner ausdrücklich für den Fall der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe am 8. April 2008 eingereichten “Klage” die Antragsgegnerin auf
Zahlung von Nutzungsentgelt für die Zeit seit September 2007 und Erstattung insoweit
vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten in Anspruch genommen. Er hat hierzu
behauptet, die Antragsgegnerin nutze nach seinem – des Antragstellers - Auszug aus
der im Miteigentum beider Parteien stehenden Ehewohnung diese nunmehr mit ihrem
neuen Lebenspartner und einem Pflegekind. Der Nutzungswert der Wohnung übersteige
die unstreitig zwischenzeitlich allein noch von der Antragsgegnerin getragenen
Kreditverbindlichkeiten für das Objekt mit der Folge, dass der Antragsteller hierfür in
Höhe der Hälfte des überschießenden Betrages zu entschädigen sei.
Die Antragsschrift vom 7. April 2008 ist an das Amtsgericht Perleberg gerichtet und dort
bei einer Zivilabteilung eingetragen worden. Der Abteilungsrichter hat den Antragsteller
unter dem 14. April 2008 darauf hingewiesen, dass es sich um einen
“Nutzungsvergütungsanspruch (…) familienrechtlicher Art” handeln dürfte und einen
Abgabeantrag an die Familienabteilung anheimgegeben, der mit Schriftsatz vom 29.
April 2008 gestellt worden ist. Nachdem der Antragsgegnerin Gelegenheit zur
Stellungnahme (im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren) gegeben worden ist, hat das
Amtsgericht – Zivilabteilung – sich mit Beschluss vom 11. November 2008 für sachlich
unzuständig erklärt und das Verfahren antragsgemäß an die Familienabteilung
abgegeben, weil Gegenstand des Rechtsstreits Ansprüche auf Nutzungsvergütung für
die Ehewohnung seien, die in die Zuständigkeit des Familiengerichts fallen.
Die Abteilungsrichterin für Familiensachen hat sich nach Anhörung der Parteien durch
Beschluss vom 14. Januar 2009 für sachlich unzuständig erklärt und die Übernahme
abgelehnt mit der Begründung, die Parteien seien geschiedene Eheleute, die sich über
die Nutzungsentschädigung zivilrechtlich auseinanderzusetzen hätten.
2. Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist gemäß §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 ZPO zur
Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen. Diese Vorschriften finden bei den
die sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Gerichte betreffenden negativen
Kompetenzkonflikten entsprechende Anwendung, auch wenn es sich um einen
Zuständigkeitsstreit zwischen Zivilabteilung und Familienabteilung innerhalb desselben
Gerichts handelt (vgl. BGHZ 71, 264; Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 36 Rn. 2 a, 24,
29). Streitigkeiten zwischen einem Prozessgericht (Zivilgericht) und einem
Familiengericht werden durch den Familiensenat des Oberlandesgerichts entschieden
(ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 10. April
2008, Az. 9 AR 2/08, vom 16. April 2008, Az. 9 AR 4/08, und vom 21. April 2008, Az. 9 AR
5/08; OLG Rostock, FamRZ 2004, 956).
a) Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung liegen vor. Eines Gesuchs
der Parteien bedarf es nicht; es genügt die Vorlage durch ein an dem Kompetenzkonflikt
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der Parteien bedarf es nicht; es genügt die Vorlage durch ein an dem Kompetenzkonflikt
beteiligtes Gericht von Amts wegen.
Die beiden Abteilungen des Amtsgerichts Perleberg haben sich “rechtskräftig” im Sinne
von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt. Das – den Parteien durch
Übermittlung der entsprechenden Beschlüsse jeweils bekannt gegebene - tatsächliche
Leugnen der Zuständigkeitskompetenz im Rahmen der entsprechenden Anwendung des
§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO reicht aufgrund der insoweit fehlenden Bindungswirkung von
Verweisungsbeschlüssen aus (vgl. BGH NJW 1978, 1531; BGH NJW-RR 1992, 579; Zöller-
Gummer, a.a.O., § 23 b GVG Rdnr. 6 f.; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 36 Rdnr. 25).
Der Verweisungsbeschluss vom 11. November 2008 ist nicht gemäß § 281 Abs. 2 Sätze
2 und 4 ZPO bindend, weil die Vorschrift nicht bei “Verweisungen” (eigentlich: Abgaben)
zwischen Abteilungen innerhalb desselben Gerichts gilt (vgl. BGHZ 6, 178; 71, 264; OLG
Rostock, FamRZ 2004, 650; BayObLG, FamRZ 1992, 333).
Der Umstand, dass sich das Verfahren nach wie vor im Stadium der
Prozesskostenhilfeprüfung befindet, steht einer Entscheidung, die grundsätzlich auch vor
Rechtshängigkeit einer Klage in Betracht kommen kann, nicht entgegen (BGH NJW-RR
1991, 1342; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 36 Rdnr. 8).
b) Zuständig ist die Zivilabteilung des Amtsgerichts Perleberg.
Ausschlaggebend für die Frage, ob eine Familiensache oder eine allgemeine
zivilrechtliche Streitigkeit vorliegt, ist die Klagebegründung. Nicht entscheidend ist dabei
die in der Klagebegründung von der Partei vorgenommene rechtliche Wertung.
Abzustellen ist vielmehr auf den vorgetragenen Lebenssachverhalt und die daraus
abgeleiteten Schlüsse und Ansprüche (BGH FamRZ 1980, 988).
Im Streitfall hat der Kläger mit der – von der Beklagten noch in der Erwiderung vom 21.
Mai 2008 ausdrücklich bestätigten, also unstreitig gestellten – Darlegung des
Getrenntlebens der Parteien Nutzungsentschädigung dafür begehrt, dass die Beklagte
nach dem Auszug des Klägers die bisher gemeinsam genutzte Ehewohnung nunmehr
allein (bzw. hier mit einem neuen Lebenspartner und Kind) bewohnt. Es wird also – wenn
auch isoliert neben dem seinerzeit bei dem Amtsgericht Perleberg zum Az. 16 a F
187/07 bereits anhängigen Scheidungsverfahren - unmittelbar eine finanzielle Folge der
Trennung der Ehegatten zum Streitgegenstand erhoben. Alleinige Anspruchsgrundlage
ist – jedenfalls für die bei Einreichung der Antragsschrift noch andauernde - Zeit der
Trennung § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB, der selbst für den bis zur Neufassung der
Vorschrift noch umstrittenen und hier möglicherweise vorliegenden Fall eines freiwilligen
Weichens eines Ehepartners (vgl. dazu BGH FamRZ 2006, 930) lex specialis auch
gegenüber den allgemeinen Regelungen für Miteigentümer nach § 745 Abs. 2 BGB ist
(vgl. erkennender Senat, Beschluss vom 7. Juni 2006, Az. 9 AR 3/06;
Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 4. Aufl., § 1361b Rdnr. 33). Da auch das
isolierte Verlangen nach einer Nutzungsentschädigung für die Dauer des Getrenntlebens
einen Anspruch nach § 1361b BGB und damit die Regelung über die Ehewohnung betrifft,
besteht grundsätzlich gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 7 ZPO, 23b Abs. 1 Nr. 8 GVG die
ausschließliche Zuständigkeit des Familiengerichts (vgl. erkennender Senat, Beschluss
vom 7. Juni 2006, Az. 9 AR 3/06; OLG Dresden OLGR 2005, 781). Dies ist auch
sachgerecht, weil das Problem der Nutzungsvergütung in der Praxis regelmäßig von der
unterhaltsrechtlichen Problematik überlagert wird (vgl. Johannsen/Henrich, a.a.O., Rdnr.
31; OLG Dresden a.a.O.).
Im Streitfall allerdings sind die Parteien jedenfalls inzwischen rechtkräftig geschieden.
Diese Veränderung bleibt nicht ohne Wirkung für die Zuständigkeit des Prozessgerichts,
weil § 263 Abs. 3 Satz 2 ZPO nur den nach Rechtshängigkeit eintretenden
Veränderungen der die Zuständigkeit des Prozessgerichts begründenden Umstände
keine Relevanz mehr beimisst. Zwar wird bei gleichzeitiger Einreichung von
Prozesskostenhilfegesuch und Klage neben dem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren
auch der Rechtsstreit als solcher anhängig. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Antragsteller
eindeutig klarstellt, dass er den Klageantrag nur bedingt für den Fall der
Prozesskostenhilfebewilligung stellen will (vgl. BGH FamRZ 2005, 794; KG MDR 2008,
585; Zöller-Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 117 Rdnr. 7). So liegt der Fall hier. In der
Antragsschrift vom 7. April 2008 heißt es ausdrücklich: “Nach Bewilligung von
Prozesskostenhilfe wird beantragt werden”. Dadurch hat der Antragsteller klargestellt,
dass die Klage erst nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben werden soll. Da das
Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren noch andauert, ist Rechtshängigkeit bisher nicht
eingetreten.
Für eine nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe isoliert und in keinem Zusammenhang
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Für eine nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe isoliert und in keinem Zusammenhang
mit familienrechtlichen Ansprüchen wie Unterhalt, Hausrats- oder Wohnungszuweisung
oder Zugewinnausgleich erhobene Klage auf Nutzungsentschädigung für die alleinige
Nutzung der ehelichen Wohnung während des Trennungszeitraumes und ggf. darüber
hinaus – eine Befristung des geltend gemachten Anspruchs auf die Zeit des
Getrenntlebens ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich - ist aber die allgemeine
Zivilgerichtsbarkeit zuständig (vgl. OLG Jena, OLG-NL 2002, 93).
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