Urteil des OLG Brandenburg vom 29.03.2017

OLG Brandenburg: anhörung, unterbringung, fortdauer, bewährung, vollstreckung, körperverletzung, klinik, psychotherapie, verzicht, unterlassen

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 134/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 454 Abs 2 S 3 StPO, § 463 Abs
4 S 4 StPO, § 67e StGB, § 37
Abs 4 PsychKG BB
Leitsatz
Die Anhörungsregelung des § 454 Abs. 2 S. 3 §§ 463 Abs. 4 S. 4 StPO ist auch dann
(entsprechend) anzuwenden, wenn die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung
nach § 67 e StGB in wesentlichen Teilen ein Gutachten verwertet, welches seitens der Klinik
gemäß § 37 Abs. 4 BbgPsychKG in Auftrag gegeben worden ist.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Untergebrachten wird der Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts …. vom 1. April 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts ... zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens
und die der Untergebrachten hierbei entstandenen notwendigen Auslagen zu
entscheiden haben wird.
Gründe
I.
Das Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht - ordnete mit Urteil vom 11. November 2005
(70 Ls - 4112 Js 2885/04 - 75/04), rechtskräftig seit dem 24. Juli 2006, die Unterbringung
der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an.
Das Gericht stellte fest, dass die bereits strafrechtlich auffällig gewordene
Beschwerdeführerin
aufgrund einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom
Borderline-Typ (ICD 10 F 60.3) eine Körperverletzung, eine gefährliche Körperverletzung
in Tateinheit mit Beleidigung, eine Beleidigung und vier Fälle des Widerstands gegen
Vollstreckungsbeamte, davon zwei Fälle in Tateinheit mit Körperverletzung begangen
hatte. Die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde
zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom 7. November 2006, rechtskräftig seit
dem 10. Januar 2007, widerrief das Amtsgericht .... die Aussetzung der Maßregel, weil die
Beschwerdeführerin gegen Auflagen und Weisungen verstoßen hatte.
Nach Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen in der JVA … wurde die
Beschwerdeführerin am 14. Mai 2007 gem. § 63 StGB in das ... Fachklinikum .. überführt.
Das Amtsgericht …. ordnete zuletzt am 14. Januar 2009 (3.2 VRJs 17/07) die Fortdauer
der Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus an
und beschloss zugleich, gem. § 85 Abs. 6 JGG die weitere Vollstreckung der
Unterbringung an die Staatsanwaltschaft ... abzugeben, da die Untergebrachte
zwischenzeitlich das 24. Lebensjahr vollendet hatte.
Unter dem Datum des 15. September 2009 erstattete der Sachverständige Prof. Dr. ...
von der …. gem. § 37 BbgPsychKG ein Gutachten zum weiteren Verlauf der Therapie, zu
etwaigen Lockerungen und zur Frage der Gefährlichkeit und der Erprobung der
Untergebrachten in Freiheit. Am 8. Dezember 2009 fertigte das ... Fachklinikum eine
durch den Chefarzt ….., die Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und
Psychoanalyse Dr. …… und durch die Diplom-Psychologin … gezeichnete Stellungnahme
zur Frage der Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf
Bewährung.
Mit Verfügung vom 21. Dezember 2009 hat die Staatsanwaltschaft ... unter Vorlage der
gutachterlichen Stellungnahme des ...-Fachklinikums ... vom 8. Dezember 2009 die
Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... zur Entscheidung über die
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Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... zur Entscheidung über die
Fortdauer der Unterbringung gemäß § 67e Abs. 2 StGB übersandt, wo sie am 23.
Dezember 2009 eingegangen sind.
Nach Anhörung der Untergebrachten am 4. März 2010 in Anwesenheit ihres Verteidigers
sowie der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. … hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... mit Beschluss vom 1. April 2010, dem
Verteidiger der Untergebrachten am 9. Juli 2010 förmlich zugestellt, die Fortdauer der
Unterbringung beschlossen, die sich vor allem auf die gutachterliche Stellungnahme des
externen Sachverständigen Dr. ... aus ... vom 15. September 2009 stützt.
Mit Anwaltschriftsatz vom 13. Juli 2010, eingegangen bei Gericht am 14. Juli 2010, hat die
Untergebrachte gegen den Beschluss des Landgerichts ... vom 1. April 2010 sofortige
Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass ihr – entgegen den
gutachterlichen Ausführungen eine positive Legalprognose zu stellen und überdies die
weitere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unverhältnismäßig sei.
II.
1.
statthaft und gemäß § 311 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2.
Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ....
Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer
Stellungnahme vom 13. August 2010 ausgeführt:
Der Senat tritt dieser Stellungnahme bei, sie entspricht der Sach- und Rechtslage.
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Es ist in der Tat zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer den
Sachverständigen Prof. Dr. ... nicht zu seinem Gutachten vom 15. September 2009
angehört hat, das dieser gemäß § 37 Abs. 4 BbgPsychKG erstattet hat. Die
Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer jährlichen Überprüfung gemäß § 67e StGB zu
prüfen, ob die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
anzuordnen oder ob im Verlauf der Unterbringung Umstände eingetreten sind, auf
Grund derer die weitere Maßregelvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann
(§ 67e Abs. 1 i.V.m. § 67 d Abs. 2 StGB), ein Fall der Erledigung (§ 67 d Abs. 6 StGB)
vorliegt oder eine Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (§ 67 a StGB)
oder eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 3 StGB) in Betracht
kommt.
Hat sich daher die Strafvollstreckungskammer bei der (noch vor Ablauf der
Fünfjahresfrist des § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgenden) Vorbereitung ihrer Prüfung
gem. § 67e StGB in weiten Teilen auf ein externes Prognosegutachten gestützt und ihrer
Bewertung zugrunde gelegt, so ist sie zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen
und darüber hinaus dazu verpflichtet, den Beteiligten Gelegenheit zur Mitwirkung zu
geben, sich also insbesondere zu der Frage zu erklären, ob sie auf die Anhörung des
Sachverständigen verzichten (arg. aus § 454 Abs. 3 Satz 4 StPO; vgl. OLG Sachsen-
Anhalt, Beschluss vom 15. Januar 2010, 1 Ws 812/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.
Juli 2009, III – 4 Ws 27409; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Februar 2007, 1 Ws 85/07,
zit. jeweils nach juris).
Dieser Verpflichtung ist die Strafvollstreckungskammer nicht nachgekommen.
Zwar liegt der Fall, dass die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung einer
Aussetzungsentscheidung nach § 67 g Abs. 2 StGB, § 463 Abs. 4 StPO ein externes
Gutachten in Auftrag gegeben hat, nicht vor, da der in § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO
genannte Zeitraum von fünf Jahren vollzogener Unterbringung noch nicht abgelaufen
war – die Beschwerdeführerin befand sich im Zeitpunkt der Gutachtenerstattung nicht
einmal zweieinhalb Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus –, so dass noch keine
zwingende Veranlassung zur Einholung eines externen Gutachtens bestand.
Infolgedessen waren die §§ 463 Abs. 4 S. 4, 454 Abs. 2 S. 3 StPO - wonach der
beauftragte Sachverständige mündlich anzuhören ist - nicht unmittelbar einschlägig. Es
war vorliegend aber eine entsprechende Anwendung der vorgenannten Vorschriften über
die Anhörung geboten.
Die Strafvollstreckungskammer hat sich nämlich zur Frage, ob die Unterbringung nach
§§ 67 d Abs. 2, 67 e StGB zur Bewährung auszusetzen ist, maßgeblich auf ein gemäß §
37 Abs. 4 BbgPsychKG eingeholtes externes Prognosegutachten gestützt: Nachdem die
Beschlussgründe unter Bezugnahme auf die im Anhörungstermin gehörten Therapeuten
den Therapieverlauf kurz schildern, heißt es:
(Bl. 2/3 BA).
Auch war das externe Gutachten ausweislich des Anhörungsprotokolls (Bd. II, Bl. 326 VH)
Gegenstand der mündlichen Anhörung am 4. März 2010. Hierbei ist zu berücksichtigen,
dass die Untergebrachte ausdrücklich danach befragt wurde, ob ihr das externe
Gutachten bekannt sei, wodurch die Kammer zu erkennen gegeben hat, dass sie es für
ihre Entscheidung auch heranzuziehen gedenke. Schließlich hat auch das ...
Fachklinikum ... in ihrer Stellungnahme vom 8. Dezember 2009 das externe Gutachten
von 15. September in großen Teilen verwertet und ihrer Bewertung zugrunde gelegt.
Dann aber war das erkennende Gericht auch gehalten, die Anhörungsregelung des § 454
Abs. 2 S. 3 StPO anzuwenden, den Sachverständigen anzuhören und hierbei den
Beteiligten "Gelegenheit zur Mitwirkung" zu geben, sich also insbesondere zu der Frage
zu erklären, ob sie auf die Anhörung des Sachverständigen verzichten (§ 454 Abs. 3 S. 4
StPO).
Das hat die Kammer nicht getan und es bei der - hierfür unzureichenden - Anhörung von
Vertretern der Klinik belassen. Ein allseitiger Verzicht auf die mündliche Anhörung des
Sachverständigen, § 454 Abs. 2 S. 4 StPO, ist in den Akten nicht belegt.
Nach alledem hat die Strafvollstreckungskammer, indem sie ohne Anhörung des
Gutachters entschieden hat, die umfassende Aufklärung der fortdauernden
Gutachters entschieden hat, die umfassende Aufklärung der fortdauernden
Unterbringungsnotwendigkeit unterlassen. Der hierin liegende Verfahrensfehler hat zur
Folge, dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer an einem
Aufklärungsmangel leidet, der entgegen § 309 Abs. 2 StPO zur Aufhebung und
Zurückweisung an die Strafvollstreckungskammer führt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53.
Aufl. 2010, § 309 Rdnr. 8, OLG Düsseldorf NJW 2002, 2963, OLG Jena NStZ 2007, 421).
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