Urteil des OLG Brandenburg vom 07.12.2006

OLG Brandenburg: eintritt des versicherungsfalls, rechtliches gehör, unparteilichkeit, versicherungsbetrug, versicherer, voreingenommenheit, geschäftsführer, quelle, link, sammlung

1
2
3
4
5
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 3/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 42 Abs 2 ZPO, § 139 Abs 1
ZPO
Prüfungsumfang im Ablehnungsverfahren wegen Befangenheit
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam
vom 7. Dezember 2006 - 3 O 65/06 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46.328,12 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch
der Klägerin vom 24. Oktober 2006 zu Recht als unbegründet zurückgewiesen und der
dagegen gerichteten Beschwerde mit Recht nicht abgeholfen.
Dem Ablehnungs- und Beschwerdevorbringen lässt sich kein Grund entnehmen, der
geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der erkennenden Richterin zu
rechtfertigen; diese kann deshalb nicht mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit
abgelehnt werden (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Die Verhandlungsführung der abgelehnten Richterin gibt einer vernünftigen, mit den
Gepflogenheiten des Zivilprozesses vertrauten Partei keinen Anlass, deren
Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Das mit den Parteien geführte Rechtsgespräch
lässt insbesondere keine Voreingenommenheit der Klägerin gegenüber besorgen.
Umfang und Inhalt der materiellen Prozessleitungspflicht des Gerichts sind anhand der in
§ 139 ZPO angelegten Unterscheidung zwischen Erörterungs- und Hinweispflicht zu
bestimmen (Senat, Beschlüsse vom 4. Januar 2006 - 1 W 10/05 - und 26. Januar 2006 - 1
W 9/06 -). Die allgemeine Erörterungspflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO unterliegt einer
Einschätzungsprärogative des erkennenden Gerichts, weil die Erforderlichkeit der
Erörterung im Sinne dieser Vorschrift zwangsläufig von dessen rechtlichen
Einschätzungen abhängt, die es in sachlicher Unabhängigkeit zu treffen hat.
Im Mittelpunkt der Erörterung stand danach die Frage, ob die Klägerin ihre
Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzt hat. Diese Frage hat die
abgelehnte Richterin ausweislich ihrer dienstlichen Äußerung, deren Richtigkeit insoweit
auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird, zunächst mit der Begründung bejaht,
dass die Angaben zu Ziff. 12 der Schadensanzeige vom 1. Dezember 2005 nicht
ausreichend gewesen seien; diese Angaben, die die Zusammenhänge betrafen, die zum
Verlust des Fahrzeugs führten, seien, wie die Richterin weiter ausgeführt hat, deshalb
von wesentlicher Bedeutung, weil sie die Grundlage eigener Ermittlungen des
Versicherers bildeten. Dem ist die Klägerin mit dem Argument entgegengetreten, dass
Versicherer in diesen Fällen ohnehin nur sehr beschränkte Ermittlungen anzustellen
pflegten; die Einlassung zielte mithin in rechtlicher Hinsicht darauf ab, dass das Gericht
die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers überspanne. Wenn die erkennende
Richterin im Anschluss hieran die Redewendung vom „Volkssport Versicherungsbetrug“
bemühte, diente dies ersichtlich nur der Illustration ihres Verständnisses des Inhalts der
jeden Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls treffenden
Obliegenheiten. Darin unterscheidet sich der Streitfall im Übrigen entscheidend von der
Konstellation, die der klägerseits zitierten Senatsentscheidung vom 27. Mai 1997 - 1 W
14/97 - zu Grunde lag (MDR 1997, 780 f.). Während dort ein konkreter Straftatverdacht
mit darauf gestützter Aussetzung des Verhandlung (§ 149 ZPO) in Rede stand, geht es
hier um die Auswirkungen kriminologischen Erfahrungswissens („Volkssport
6
7
8
hier um die Auswirkungen kriminologischen Erfahrungswissens („Volkssport
Versicherungsbetrug“) auf versicherungsvertragsrechtliche Obliegenheiten.
Es mag zwar durchaus sein, dass die Klägerin in Person ihres Geschäftsführers diesen
rechtlichen Kontext, gleichsam im „Eifer des Gefechts“, außer Acht gelassen und die
beanstandete Äußerung als gegen sich gerichteten Vorwurf missverstanden hat. Diesem
Missverständnis ist die abgelehnte Richterin aber sogleich, wie auch die Klägerin
einräumt, mit dem Bemerken entgegengetreten, dass sie dem Geschäftsführer der
Klägerin „nichts unterstelle“. Inwieweit diese Äußerung der Richterin mit einem
tendenziösen „Unterton“ unterlegt gewesen sein soll, lässt sich weder dem
Ablehnungsgesuch noch der Beschwerde entnehmen. In der detaillierten und sorgsamen
dienstlichen Äußerung findet sich kein Anhalt für einen solchen „Unterton“. Die
Richtigkeit und Vollständigkeit der dienstlichen Äußerung steht ebenfalls außer Zweifel.
Sie wird zudem durch die Stellungnahme der Beklagten vom 22. November 2006
bestätigt. Letztlich bekräftigt die Klägerin selbst in ihrem Schriftsatz vom 25. Oktober
2006, dass die Richterin auch hierbei wiederum ausdrücklich („… es gibt schon ein
berechtigtes Interesse der Versicherer durch genaues Ausfüllen von Anzeigen, eigene
Ermittlungen anstellen zu können“) den Bezug zur zentralen Frage des Inhalts der
Obliegenheiten des, d. h. eines jeden, Versicherungsnehmers hergestellt hat.
Ob die von der erkennenden Richterin im Verhandlungstermin geäußerte Einschätzung,
die Klägerin habe ihre Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzt, der
rechtlichen Überprüfung standhält, hat der Senat nicht zu entscheiden, weil das
Ablehnungsverfahren kein der (vorbeugenden) Fehlerkontrolle dienendes antizipiertes
Rechtsmittelverfahren ist. Auch aus inhaltlich unzutreffenden Äußerungen des Richters
zur Rechtslage lässt sich daher grundsätzlich kein Befangenheitsgrund herleiten. Dabei
macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob die Rechtslage als solche oder infolge
einer fehlerhaften Erfassung des Tatsachenstoffs verkannt wird. Die mit der dienstlichen
Äußerung als irrtümlich erkannte Annahme der Richterin, der Zeugenbeweisantritt aus
dem Schriftsatz der Klägerin vom 20. Juni 2006 sei erst 1 ½ Jahre nach dem
Versicherungsfall erfolgt, lässt demzufolge ebenfalls nicht auf Voreingenommenheit
schließen. Dies umso weniger, als die offene Erörterung des Sach- und
Streitverhältnisses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO
gerade dazu dient, den Parteien möglichst effektiv rechtliches Gehör zu gewährleisten,
um Fehlerquellen im Zivilprozess beseitigen zu können. Auch dieser Gesetzeszweck
würde vereitelt, wollte man solcherart prozessual veranlassten Einschätzungen
Ablehnungsrelevanz zubilligen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des
Gegenstandswertes folgt aus den §§ 40, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO. Nach ständiger
Rechtsprechung des Senats entspricht der Gegenstandswert für Ablehnungsgesuche
dem Wert des zu Grunde liegenden Rechtsstreits (vgl. nur Senat, NJW-RR 1999, S. 1291,
1292).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum