Urteil des OLG Brandenburg vom 14.02.2005
OLG Brandenburg: treu und glauben, eintragung im handelsregister, zwangsvollstreckung, geschäftsführer, anfechtung, verjährung, zahlungsverbot, bürge, deckung, ratenzahlung
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 4.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 U 61/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgericht
Cottbus vom 14. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe hat der
Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer am 20. Februar 2002 übernommenen
Bürgschaft in Anspruch. Gegenstand der - selbstschuldnerischen - Bürgschaft ist eine
gegen die ... GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte seinerzeit war, titulierte
Hauptforderung i.H.v. 15.302,68 € nebst Zinsen sowie die "im Verfahren vor dem
Landgericht Berlin - 105 O 166/01- und darauffolgenden Vollstreckungsverfahren
anfallenden Gebühren und Zinsen". In der Folgezeit leistete die ... GmbH bis auf einen
Restbetrag von 3.014,48 € den titulierten Betrag nebst angefallener Zinsen, u.a. zahlte
sie am 12. März 2002 2.000,00 € und am 5. Juli 2002 weitere 7.050,63 €. Diese Beträge,
die die Klägerin nach Erklärung der Insolvenzanfechtung durch den Streithelfer
zurückgewährt hatte, macht sie klageerweiternd neben der offenen Restforderung von
3.014,48 € gegen den Beklagten geltend.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird mit folgenden
Ergänzungen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug
genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO):
Rechtsvorgängerin der Klägerin war die R... GmbH, die mit Eintragung im Handelsregister
am 12. Dezember 2004 durch formwandelnde Fusion auf ihre Rechtsnachfolgerin, die
Klägerin, verschmolzen wurde. Soweit im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils von
Handlungen der Klägerin vor diesem Zeitpunkt die Rede ist, handelt es sich um solche
der Rechtsvorgängerin der Klägerin.
Auf Grund des Urteils vom 23. Januar 2002 des Landgerichts Berlin (Az. 105 O 166/01)
erwirkte die Rechtsvorgängerin der Klägerin am 4. Februar 2002 ein vorläufiges
Zahlungsverbot betreffend die Kontoverbindung der Gemeinschuldnerin bei der ... sowie
im Februar 2002 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.
Unter dem 4. Juli 2002 forderte die Gemeinschuldnerin die Rechtsvorgängerin der
Klägerin auf, den Forderungsausgleich im Hinblick auf die verbürgte Hauptforderung zu
bestätigen;. diese reagierte jedoch nicht.
Das Landgericht Cottbus hat ein vom Amtsgericht Senftenberg gegen den Beklagten
erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten und der Klageerweiterung in vollem
Umfang stattgegeben. Der Anspruch stütze sich auf die §§ 765 Abs. 1, 767 Abs. 1 BGB
in der geltend gemachten Höhe. Im Hinblick auf den offenen Restbetrag von 3.014,48 €
habe der Beklagte keine konkreten Einwendungen erhoben, obgleich er hierzu als
ehemaliger Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin in der Lage gewesen sei. Die
Zahlung der 2.000,00 € sei wirksam gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten. Zum
Zeitpunkt der Zahlung sei die Gemeinschuldnerin nach den Ausführungen des
Streithelfers, denen der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten sei,
zahlungsunfähig gewesen. Die Zahlung der 7.050,63 € sei nach Stellung des Antrages
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zahlungsunfähig gewesen. Die Zahlung der 7.050,63 € sei nach Stellung des Antrages
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt und wirksam gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1
InsO durch den Streithelfer angefochten worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sein
Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt. Er hält seine Inanspruchnahme in Höhe von
3.014,48 € für treuwidrig, da die Rechtsvorgängerin der Klägerin auf sein Schreiben vom
4. Juli 2002 nicht reagiert habe. Hätte diese die Zahlungsrückstände mitgeteilt, hätte die
Gemeinschuldnerin unverzüglich gezahlt; so sei ihm die Möglichkeit genommen worden,
seine Rechte aus den §§ 774, 775 BGB wahrzunehmen.
Im Übrigen fehle es an einer wirksamen Anfechtung, denn diese sei nicht - wie
erforderlich - durch Klageerhebung erfolgt. Jedenfalls sei die Inanspruchnahme
treuwidrig, da sich die Gemeinschuldnerin nicht auf die Einrede der Verjährung berufen,
sondern das Geld zurückgezahlt habe. Auch habe kein Anfechtungstatbestand
vorgelegen. § 131 InsO sei nicht einschlägig, eine Inkongruenz liege nicht vor. Die
Zahlungen seien nicht zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, sondern freiwillig
erfolgt. Auch habe keine Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorgestanden, was daraus
deutlich werde, dass im Zeitraum vom 12. März 2002 bis zum 2. Juli 2002 überhaupt
keine Zahlung erfolgt sei, ohne dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin vollstreckt oder
eine Vollstreckung angekündigt habe.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Klägerin und der Streithelfer beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen mit näheren Ausführungen das erstinstanzliche Urteil.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Landgericht ist zu Recht und aus zutreffenden Erwägungen davon ausgegangen,
dass der Klägerin ein Anspruch aus §§ 765 Abs. 1, 767 Abs. 1 BGB in Höhe von
insgesamt 12.065,11 € gegen den Beklagten zusteht.
a) Die Klägerin kann den Beklagten wegen der unstreitig offenen titulierten Forderung
von 3.014,48 € aus der Bürgschaft in Anspruch nehmen.
Der Einwand der Treuwidrigkeit greift nicht durch.
Ein Vertrauenstatbestand ist nicht bereits wegen der fehlenden Reaktion der
Rechtsvorgängerin der Klägerin auf die Aufforderung vom 4. Juli 2002 um Bestätigung,
dass die Verbindlichkeiten ausgeglichen seien, entstanden, denn das bloße Nichtstun
begründet grundsätzlich kein Vertrauen dahingehend, nicht in Anspruch genommen zu
werden.
Der Beklagte konnte aber auch deshalb nicht davon ausgehen, nicht mehr aus der
Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden, weil die von der späteren
Gemeinschuldnerin bis zum 4. Juli 2002 beglichenen Beträge lediglich insgesamt
15.050,63 € betrugen, also unzweifelhaft nicht einmal der vom Landgericht Berlin
ausgeurteilte Betrag erreicht war. Darüber hinaus war dem Beklagten als
Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin auch bekannt, dass Verfahrenskosten
in Höhe von 1.438,93 € entstanden waren, denn der entsprechende
Kostenfestsetzungsbeschluss wurde letzterer zugestellt, und der Beklagte wußte, dass
aufgrund des erwirkten vorläufigen Zahlungsverbotes sowie des Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses Vollstreckungskosten angefallen waren, für die er nach der
Bürgschaftsurkunde vom 20. Februar 2002 ebenfalls haftete.
Schließlich kann er mit seinem Einwand, bei Mitteilung der offenen Restforderung hätte
die Gemeinschuldnerin jene beglichen, auch deshalb nicht durchdringen, weil eine solche
Zahlung - wie das Landgericht hinsichtlich der am 4. Juli 2002 gezahlten 7.050,63 €
zutreffend erkannt hat und im Folgenden unter b) aa) ausgeführt wird - gemäß § 131
Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar gewesen wäre.
b) Die Klägerin kann von dem Beklagten Zahlung in Höhe weiterer 7.050,63 € verlangen.
Zwar hat die Gemeinschuldnerin am 5. Juli 2002 diesen Betrag an die Rechtsvorgängerin
der Klägerin gezahlt, so dass die Hauptforderung und damit gem. § 767 Abs. 1 Satz 1
BGB auch die Bürgschaftsforderung in dieser Höhe gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlosch. Sie
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BGB auch die Bürgschaftsforderung in dieser Höhe gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlosch. Sie
lebte jedoch gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auf, da die Zahlung anfechtbar war und die
Rechtsvorgängerin der Klägerin das Erlangte im Oktober 2002 - nach Erklärung der
Anfechtung, zu deren Wirksamkeit es entgegen der Auffassung des Beklagten einer
Klageerhebung nicht bedarf - zur Insolvenzmasse zurückgewährte.
aa) Die zunächst erfolgte Zahlung war anfechtbar gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
Sie erfolgte am 5. Juli 2002 und wurde damit nach dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens am 28. Mai 2002 vorgenommen.
Die Zahlung war auch inkongruent, denn sie erfolgte nach den insoweit bindenden
Feststellungen des Landgerichts, die vom Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen
werden, in der Krise und zur Vermeidung der unmittelbar drohenden
Zwangsvollstreckung.
Hier hatte die Rechtsvorgängerin der Klägerin gegen die spätere Gemeinschuldnerin
wenige Tage vor Abschluß der Ratenzahlungsvereinbarung - und wenige Monate vor der
Zahlung der 7.050,63 € am 5. Juli 2002 - Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet.
Sie hatte wegen der titulierten Forderungen am 4. Februar 2002 ein vorläufiges
Zahlungsverbot erwirkt und zudem einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Mit
Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung vom 20. Februar 2002, die zudem nach dem
unbestrittenen Vortrag des Streithelfers unter dem Vorbehalt des Widerrufs stand,
wendete die Gemeinschuldnerin die Gefahr der Fortführung der Zwangsvollstreckung ab;
bei Nichteinhaltung der Ratenzahlungsvereinbarung drohte mithin nicht nur eine -
unbedenkliche - Mahnung, sondern die zwangsweise Durchsetzung der bereits titulierten
Zahlungsansprüche. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hätte die Zwangsvollstreckung
jederzeit wieder aufnehmen können. Sie hat zudem dadurch, dass sie sich eine
vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts Berlin
vom 13. März 2002 hat erstellen und der Gemeinschuldnerin am 3. April 2002 zustellen
lassen, auch insoweit die Vollstreckungsvoraussetzungen geschaffen und
unmißverständlich zu erkennen gegeben, dass sie die ihr zustehenden Zahlungen
erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzen wird.
Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
Gemeinschuldnerin, die sich nach den Feststellungen der Kammer in finanzieller
Bedrängnis befand, am 5. Juli 2002 "freiwillig", ungeachtet der drohenden
Zwangsvollstreckung geleistet hat. Zwar waren seit der letzten Ratenzahlung - die nach
der Forderungsaufstellung der Klägerin am 19. April 2002 erfolgte - etwa 2 ½ Monate bis
zur Zahlung der 7.050,63 € vergangen, ohne dass die Klägerin ihre
Vollstreckungsmaßnahmen fortgeführt hatte. Gleichwohl liegt eine freiwillige Zahlung -
und damit eine nicht inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts nicht vor,
denn die infolge der nicht nur angekündigten, sondern in der Vergangenheit bereits
begonnenen Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen begründete Drucksituation wirkte
bis zum 5. Juli 2002 fort. Die Gemeinschuldnerin mußte damit rechnen, dass die
Rechtsvorgängerin der Klägerin mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung
fortfahren würde.
Dass die Zahlung der 7.050,63 € von einem Geschäftskonto der Gemeinschuldnerin bei
der ... erfolgt ist, die nicht als Drittschuldnerin in Anspruch genommen worden war, ist
insoweit unbeachtlich. Entscheidend ist allein, dass die durch Abschluß der
Ratenzahlungsvereinbarung lediglich "gehemmte" Zwangsvollstreckung jederzeit hätte
fortgeführt werden können und die Gemeinschuldnerin damit rechnen mußte, dass dies
auch geschehen würde.
Nicht zu folgen ist auch dem Einwand, die Vollstreckung habe deswegen nicht gedroht,
da der Beklagte als selbstschuldnerische Bürge für die Forderungen gehaftet habe. Mit
der Übernahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft verzichtet der Bürge gegenüber
dem Gläubiger auf die - allein ihm zustehende - Einrede der Vorausklage gemäß § 771
BGB (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB); das Verhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner
wird hiervon indes nicht berührt.
bb) Die Klägerin hat den Bürgschaftsfall schließlich nicht treuwidrig herbeigeführt,
insbesondere erfolgte der mit Schreiben vom 16. August 2004 erklärte der Verzicht auf
die Einrede der Verjährung nicht unter Verstoß gegen Treu und Glauben, sondern im
Hinblick auf die andernfalls drohende - kostenintensive - gerichtliche Inanspruchnahme
durch den Streithelfer.
c) Ein Anspruch aus §§ 765 Abs. 1, 767 Abs. 1 BGB besteht gegen den Beklagten auch in
Höhe von weiteren 2.000,00 €.
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Auch diese Zahlung war anfechtbar und zwar nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, denn sie
wurde im dritten Monat vor Eingang des Eröffnungsantrages und zu einem Zeitpunkt
vorgenommen, zu dem die Gemeinschuldnerin nach den bindenden Feststellungen des
Landgerichts (§ 529 ZPO) bereits zahlungsunfähig war.
Die Zahlung war aus den oben unter b) dargestellten Gründen auch inkongruent, denn
sie erfolgte einzig unter dem Druck der bei Nichteinhaltung der
Ratenzahlungsvereinbarung vom 20. Februar 2002 unmittelbar drohenden Fortsetzung
der Zwangsvollstreckung.
2. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 291, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 i. V. m. §
767 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 I, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) und die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß den §§ 47 Abs. 1, 48 GKG n.F. auf
12.065,11 € festgesetzt.
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