Urteil des OLG Brandenburg vom 29.03.2017

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 203/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG
Untätigkeitsbeschwerde in Umgangsrechtsverfahren:
Unangemessen lange Verfahrensdauer
Tenor
Auf die Untätigkeitsbeschwerde des Antragstellers hin wird das Amtsgericht
Fürstenwalde angewiesen, das Umgangsverfahren beschleunigt fortzuführen und zum
Abschluss zu bringen.
Gründe
Die Untätigkeitsbeschwerde des Vaters ist zulässig und begründet.
I.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Untätigkeitsbeschwerde sind erfüllt.
Die weder in der ZPO noch im FGG gesetzlich geregelte Untätigkeitsbeschwerde ist von
der Rechtsprechung als außerordentlicher Rechtsbehelf geschaffen worden. Sie dient
dem Zweck, den verfassungsrechtlich geschützten Anspruch der Verfahrensbeteiligten
auf einen effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.
3 GG zu gewähren. Das Rechtsstaatprinzip erfordert im Interesse der Rechtssicherheit
insbesondere, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden
(vgl. hierzu etwa BVerfG, FamRZ 2005, 173/174 und FamRZ 2005, 1233/1234). Die
Untätigkeitsbeschwerde setzt dabei nicht voraus, dass es bereits tatsächlich zu einem
sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Verfahrensstillstand gekommen ist. Für die
Zulässigkeit reicht es vielmehr aus, wenn eine über das Normalmaß hinausgehende
unzumutbare Verzögerung des Verfahrens schlüssig dargetan wird, die auf einen
Rechtsverlust oder eine Rechtsverweigerung hinausläuft (vgl. hierzu OLG Koblenz,
FamRZ 2004, 53/54; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 567, Rn. 21). Das ist hier der Fall.
Der Antragsteller betreibt das Umgangsrechtsverfahren in der Hauptsache jedenfalls
seit März 2005, ohne dass das Amtsgericht bisher über das Umgangsrecht des Vaters
mit seiner Tochter C. in der Sache endgültig entschieden oder zumindest beschlossen
hätte, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zusätzliche Grundlagen für
eine erstinstanzliche Hauptsacheentscheidung zu schaffen. Mit Blick auf den bisherigen
Verfahrensablauf in erster Instanz ist für den Antragsteller deshalb der Weg der
Untätigkeitsbeschwerde eröffnet.
II.
Die Beschwerde erweist sich auch insoweit als sachlich begründet, als das Amtsgericht
über die begehrte Regelung des Umgangsrechts des Antragstellers mit seiner
inzwischen 15-jährigen Tochter bis heute keine inhaltliche Entscheidung getroffen hat.
1. Da Verfahrensgegenstand ausschließlich die Untätigkeit des erstinstanzlichen
Gerichts ist, führt die Beschwerde des Antragstellers allerdings nicht schon im Hinblick
auf das am 21.12.2003 eingeleitete einstweilige Anordnungsverfahren zum Erfolg.
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 27.6.2006 über diesen Antrag des Vaters in
der Sache entschieden und ihn u. a. wegen fehlender Eilbedürftigkeit zurückgewiesen.
Diese Beschlussfassung, durch die das einstweilige Anordnungsverfahren zum Abschluss
gekommen ist, stellt das Gegenteil einer Untätigkeit dar.
2. Die Untätigkeitsbeschwerde des Vaters hat aber im Hinblick auf das
Hauptsacheverfahren Erfolg. Die lange Verfahrensdauer in erster Instanz verletzt seinen
Anspruch auf Entscheidung über das Umgangsrecht in angemessener Zeit.
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Mit Schriftsatz vom 14.3.2005 hat der damalige Verfahrensbevollmächtigte die
Vertretung des Antragstellers angezeigt, und es erfolgte erstmals eine konkrete
Antragstellung zu seinem Umgangsbegehren in der Hauptsache. Zwar ist das
Amtsgericht in der Folgezeit nicht untätig geblieben, sondern hat durch eine Fülle von
Aufforderungen und auch Anberaumungen von Terminen zur mündlichen Verhandlung
seinen Willen zum Ausdruck gebracht, das Verfahren zu fördern und zu einer
Sachentscheidung zu gelangen. Das Amtsgericht hat jedoch das Hauptsacheverfahren
über die Frage des Umgangsrechts des Vaters nicht genügend forciert und in einer
Weise betrieben, die einen Abschluss des Umgangsverfahrens in erster Instanz in
angemessener Zeit ermöglichte. Die Dauer des vorliegenden Verfahrens von jedenfalls
1½ Jahren ist für eine familienrechtliche Angelegenheit und speziell für ein
Umgangsrechtsverfahren unter den gegebenen Umständen unangemessen lang .
Es gibt allerdings keine festgelegten Grundsätze, die besagen, ab wann von einer
überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden Verfahrensdauer auszugehen ist. Dies
ist eine Frage der Abwägung im Einzelfall und muss nach den konkreten Umständen
geklärt werden (vgl. hierzu BVerfG, FamRZ 2001, 753/ 754 und NJW 1997, 2811/2812).
Dabei kommt es in erster Linie auf das Gewicht bzw. die Sensibilität des Verfahrens bzw.
der erstrebten Regelung an (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, OLG-Report 2004, 33/34).
Insoweit ist vorliegend zunächst zu berücksichtigen, dass das Umgangsrecht eine vom
Grundgesetz besonders geschützte elterliche Rechtsposition darstellt. Ferner hat das
Bundesverfassungsgericht wiederholt darauf hingewiesen, insbesondere bei
Streitigkeiten um das Sorge- und Umgangsrecht sei bei der Frage, welche
Verfahrensdauer noch als angemessen betrachtet werden kann, zu beachten, dass jede
Verfahrensverzögerung wegen der durch den Zeitverlust eintretenden und sich
vertiefenden Entfremdung häufig schon rein faktisch zu einer (Vor-)Entscheidung führt,
noch bevor ein richterlicher Spruch vorliegt. Schon deshalb und weil sich das kindliche
Zeitempfinden von dem eines Erwachsenen deutlich unterscheidet sowie sich der
Sachverhalt ständig im Fluss befindet, komme in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren
der Problematik der Verfahrensdauer eine besondere Bedeutung zu (vgl. hierzu BVerfG,
FamRZ 2005, a.a.O.).
Im vorliegenden Umgangsverfahren liegen sachliche Gründe oder sonstige besondere
Umstände für die Dauer von gut 1 ½ Jahren nicht vor. Diese Verfahrensdauer ist nach
Auffassung des Senats unangemessen lang. Welche konkreten Maßnahmen zu welchen
Zeitpunkten tatsächlich ergriffen werden bzw. Art und Umfang der anzustellenden
Ermittlungen obliegen zwar letztlich allein der Entscheidung des zuständigen
Amtsrichters. Er hat hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Im
Streitfall musste das Amtsgericht jedoch durch eine entsprechende Verfahrensführung
sicherstellen, dass nach Einleitung des Hauptsacheverfahrens im März 2005 frühzeitig
die erforderliche persönliche Anhörung aller Verfahrensbeteiligten erfolgte und das
Jugendamt vorbereitend zu diesem Termin rechtzeitig einen aktuellen schriftlichen
Bericht vorlegte. Sodann hätte das Amtsgericht noch im Jahr 2005 entweder eine
abschließende erstinstanzliche Sachentscheidung treffen oder durch eine
Gutachteneinholung zusätzliche Grundlagen für eine Umgangsentscheidung schaffen
müssen. Von der besonderen Förderungsbedürftigkeit des vorliegenden Verfahrens
musste das Amtsgericht hier gerade auch deshalb ausgehen, weil der Antragsteller
wiederholt darauf hingewiesen hat, dass ihm seit dem Jahr 2003 kein Umgang mehr mit
seiner Tochter C. gewährt werde. Auch in der
Prozesskostenhilfebeschwerdeentscheidung vom 18.1.2006 ist das Amtsgericht
ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer zügigen Fortsetzung und Beendigung des
Umgangsverfahrens hingewiesen worden. Anders als in dem einstweiligen
Anordnungsverfahren liegen in dem vorliegenden Hauptsacheverfahren keine
rechtfertigenden Gründe für die unangemessen lange Verfahrensdauer von bislang
bereits 1 ½ Jahren vor. Diese läuft auf eine Verweigerung eines effektiven
Rechtsschutzes hinaus und ist mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch des
Vaters, dass über sein streitiges Umgangsrecht in angemessener Zeit sachlich
entschieden wird, nicht vereinbar.
3. Bei Begründetheit der Untätigkeitsbeschwerde ist das Beschwerdegericht nicht
berechtigt, das Verfahren selbst an sich zu ziehen oder dem erstinstanzlichen Gericht
einen bestimmten Verfahrensablauf vorzuschreiben. Der Senat muss sich daher darauf
beschränken das Amtsgericht anzuweisen, das Verfahren mit Beschleunigung
fortzuführen (vgl. hierzu BVerfG, FamRZ 2005, a.a.O. und NJW 1997, a.a.O.).
Von der gebotenen Beschleunigung könnte - sofern nicht besondere Umstände
hinzutreten - nicht mehr gesprochen werden, wenn das Amtsgericht nicht folgende
Fristen einhält: Über die Einholung eines etwaigen psychologischen Gutachtens wäre
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Fristen einhält: Über die Einholung eines etwaigen psychologischen Gutachtens wäre
binnen eines Monats nach Rücksendung der Akten an das Amtsgericht zu beschließen.
Andernfalls wäre noch innerhalb des Jahres 2006 endgültig über das Umgangsrecht des
Vaters zu entscheiden.
III.
Von einer Kostenentscheidung ist abzusehen, da es sich vorliegend um ein einseitiges
Beschwerdeverfahren ohne eigentlichen Gegner handelt (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, OLG-
Report 2004, 33/35).
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