Urteil des OLG Brandenburg vom 29.03.2017

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 238/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1603 Abs 2 BGB, § 11 Abs 2 S
2 SGB 2
Kindesunterhalt: Umfang der Darlegungs- und Beweislast für die
Leistungsfähigkeit bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit;
Anrechnung von Nebeneinkünften des Unterhaltsschuldners auf
den Bezug von Arbeitslosengeld II
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
3. Der Berufungswert beträgt 6.319,00 Euro.
4. Den Klägerinnen wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwältin G in S bewilligt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um den Regelbetrag für die noch minderjährigen Klägerinnen.
Die am 31. August 1999 geborene Klägerin zu 1. und die am 18. Dezember 1994
geborene Klägerin zu 2. sind die nichtehelich geborenen Kinder des Beklagten. Sie leben
bei ihrer Mutter, die sie betreut, versorgt und gesetzlich vertritt. Die Klägerinnen haben
vormals Unterhaltsvorschuss erhalten, die Klägerin zu 1. monatlich 106 Euro, die
Klägerin zu 2. monatlich
145 Euro. Das Kindergeld bezieht die gesetzliche Vertreterin der Klägerinnen.
Der Beklagte ist gelernter Elektro- und Funkmechaniker. Er ist seit längerem arbeitslos
und bezieht staatliche Transferleistungen, zuletzt in Form von Arbeitslosengeld II nach
dem SGB II. Der Beklagte ist - wohl - Alleineigentümer eines in der Finsterwalder Straße
13 in G… gelegenen, bebauten Grundstückes. Das Haus verfügt zumindest über eine
119 qm große, durch den Beklagten selbst genutzte und wohl im Obergeschoss
gelegene Wohnung. Die im Erdgeschoss befindlichen Räumlichkeiten werden durch den
Beklagten gewerblich genutzt zum Betrieb einer Gaststätte. Darüber hinaus existiert
noch eine weitere Wohneinheit, die durch den Beklagten vermietet wird. Insgesamt
erzielt der Beklagte aus der Vermietung zweier Wohneinheiten monatliche
Nettokaltmieteinnahmen von 244 Euro.
Die Klägerinnen haben mit Schreiben vom 23. Juni 2003 den Beklagten zur Erteilung
einer Auskunft über sein Einkommen aufgefordert.
Die Klägerinnen haben behauptet, der Beklagte erziele aus dem Betrieb einer Gaststätte
ausreichend Einkünfte, die ihm unter Berücksichtigung des ihm weiter zuzurechnenden
Wohnvorteils in die Lage versetzen würden, ihnen den Mindestunterhalt zu zahlen.
Die Klägerinnen haben beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihnen ab Juli 2003 unter Anrechnung der geleisteten
Unterhaltsvorschussbeträge die Regelbeträge gemäß der Regelbetragsverordnung zu
zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
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Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen
Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht leistungsfähig zu sein. Im Übrigen habe
er sich ausreichend um eine neue Arbeitsstelle bemüht, wofür er auf im Einzelnen
dargetane Erwerbsbemühungen (insbesondere Bl. 46 ff d. A.) Bezug genommen hat.
Mit dem am 9. September 2005 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht Senftenberg
den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung der Regelbeträge unter Anrechnung der
erhaltenen Unterhaltsvorschussleistungen verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung
des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Für die Durchführung seiner Berufung hat der Beklagte die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe begehrt, die ihm der Senat mit Beschluss vom 12. April 2006 versagt
hat.
II.
Die Berufung ist nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da die Berufung keine Aussicht
auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung haben und da die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Senats nicht erfordert. Das Amtsgericht hat mit zutreffenden
Erwägungen den Beklagten als zumindest fiktiv leistungsfähig zur Zahlung der geltend
gemachten Kindesunterhaltsbeträge, bei denen es sich um die Regelbeträge nach der
Regelbetragsverordnung und daher den so genannten Mindestunterhalt handelt,
behandelt.
1.
Die für einen Unterhaltsanspruch vorausgesetzte Leistungsfähigkeit des
Unterhaltsverpflichteten wird nicht allein durch das tatsächlich vorhandene Einkommen
des Unterhaltsschuldners, sondern vielmehr auch durch seine Erwerbsfähigkeit
bestimmt. Reichen seine tatsächlichen Einkünfte nicht aus, so trifft ihn
unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, seine Arbeitsfähigkeit in bestmöglicher Weise
einzusetzen und eine mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben (BGH FamRZ 1985, 158,
159; 1994, 372, 373; 1998, 357, 359). Gegenüber minderjährigen Kindern erfährt diese
Verpflichtung aufgrund der Vorschrift des § 1603 Abs. 2 BGB eine Verschärfung dahin,
dass den Unterhaltspflichtigen eine noch erheblich gesteigerte Verpflichtung zur
Ausnutzung seiner Arbeitskraft trifft. Dies folgt aus der die Eltern treffenden rechtlichen
und sittlichen Pflicht, ihre Kinder am Leben zu erhalten; diese Pflicht findet ihre Grenze
allein in der Unmöglichkeit (RG JW 1903, 29, zitiert bei OLG Dresden, OLG-Report 2005,
496). Für seine den Mindestunterhalt im Sinne eines Existenzminimums betreffende
Leistungsunfähigkeit ist der Verpflichtete in vollem Umfange darlegungs- und
beweisbelastet (BGH FamRZ 1996, 345, 346). Legt der Unterhaltsverpflichtete nicht dar,
dieser Obliegenheit vollständig gerecht geworden zu sein, so muss er sich so behandeln
lassen, als ob er über ein solch hohes Einkommen verfügt, welches ihm die Zahlung des
Mindestunterhaltes ermöglicht (st. Rspr. des Senats, Brandenburgisches OLG NJW-RR
2005, 949; FuR 2004, 38, 40; NJWE-FER 2001, 70 ff.; s. auch JAmt 2004, 502; FamRB
2004, 216, 217).
Ein gemäß § 1603 Abs. 2 BGB verschärft haftender Unterhaltspflichtiger hat sich
intensiv,
d. h. unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um
die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen. Er muss alle
verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten
ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen
Lebensgestaltung in Kauf nehmen, um ein die Zahlung des Mindestunterhaltes
sicherstellendes Einkommen zu erzielen. Bei eigener Arbeitslosigkeit hat sich der
Pflichtige durch intensive Suche um eine Erwerbsstelle zu bemühen; bei Arbeitsstellen
mit geringeren Einkommen ist entweder eine neue Arbeitsstelle oder eine weitere
Beschäftigung zu suchen, um zusätzliche Mittel zu erlangen, etwa zusätzliche
Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten (OLG Köln NJWE-FER 1999, 84, 85). Dabei kommen
für die Ausübung einer Nebentätigkeit auch Zeiten, die üblicherweise dem
Freizeitbereich zuzuordnen sind, in Betracht (OLG Dresden OLG-Report 2005, 496). Die
beruflichen Dispositionsmöglichkeiten treten dabei weitgehend hinter der
Elternverantwortung zurück (OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 29, 30), weshalb sich die
Bemühungen um die (Wieder-) Erlangung einer Arbeit nicht auf den Bereich des
erlernten Berufes oder der zuletzt ausgeübten Tätigkeit beschränken dürfen. Vielmehr
ist dem Unterhaltspflichtigen grundsätzlich anzusinnen, sich jedenfalls nach einiger Zeit
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ist dem Unterhaltspflichtigen grundsätzlich anzusinnen, sich jedenfalls nach einiger Zeit
um jede Art von Tätigkeit, auch eine solche unterhalb seines Ausbildungsniveaus, zu
bemühen. Hierzu zählen Arbeiten für ungelernte Kräfte ebenso wie Arbeiten zu
ungünstigen Zeiten oder zu wenig attraktiven Arbeitsbedingungen (OLG Zweibrücken, a.
a. O.).
Bestehen keine die Interessen des unterhaltsbedürftigen Kindes eindeutig
überwiegenden Bindungen an den bisherigen Wohnort, so muss unter Inkaufnahme
eines Wohnortwechsels gegebenenfalls im gesamten Bundesgebiet eine Arbeit
übernommen werden, sofern in einem anderen Teil Deutschlands bessere bzw. höher
dotierte Erwerbsmöglichkeiten bestehen und die Umzugskosten mit Rücksicht auf den
erzielbaren Verdienst tragbar erscheinen. Hiernach sind die Erwerbsbemühungen, sofern
sie im Bereich des näheren Wohnumfeldes keinerlei Erfolg hatten, jedenfalls nach einiger
Zeit auf das großräumige Umfeld, das gesamte Bundesland und schließlich auch auf
Erfolg versprechende Bereiche im übrigen Bundesgebiet zu erstrecken (OLG Köln,
FamRZ 1997, 1105).
Für die Suche nach Arbeit selbst ist die Zeit aufzuwenden, die erforderlich ist, alle der
nach Vorgesagtem in Betracht kommenden Stellen zu erfassen, sich darauf zu
bewerben und Vorstellungsgespräche wahrzunehmen. Dies wird bei Arbeitslosen in aller
Regel dem Zeitaufwand eines vollschichtig Erwerbstätigen entsprechen (OLG Köln NJWE-
FER 1999, 84, 85; FamRZ 1997, 1104, 1105; OLG Hamm, FamRZ 1994, 115),
wohingegen bei Erwerbstätigen geringere Anforderungen zu stellen sind.
Regelmäßige Meldungen beim Arbeitsamt und die Wahrnehmung sämtlicher von dort
angebotenen Vermittlungen sind in diesem Zusammenhang selbstverständlich, indes
für sich allein nicht ausreichend. Vielmehr ist auch bei einfachen Arbeitsplätzen die
regelmäßige und kontinuierliche Auswertung der gesamten einschlägigen örtlichen wie
gegebenenfalls auch überörtlichen Tages- und Wochenpresse erforderlich. Eigene
Annoncen sind ebenso zu erwarten, wie "Blind-Bewerbungen" bei allen in Betracht
kommenden Arbeitgebern. Bewerbungen sind auch bei einfachen Arbeitsplätzen
grundsätzlich in schriftlicher Form abzufassen und so zu gestalten, dass sie geeignet
erscheinen, den Adressaten von der Ernsthaftigkeit der Bewerbung und der Eignung des
Bewerbers zu überzeugen. Bloße telefonische Bewerbungen sind demgegenüber auch
bei einfachen Arbeitsplätzen in aller Regel nicht ausreichend, da bei der heutigen
Arbeitsmarktlage davon ausgegangen werden muss, dass ein gewerblicher Arbeitgeber
nur schriftliche Arbeitsgesuche in die engere Auswahl einbezieht.
Für die ordnungsgemäße Erfüllung sämtlicher der zuvor dargestellten Voraussetzungen
ist der Unterhaltsverpflichtete darlegungs- und beweisbelastet. Dies gilt auch für die
Richtigkeit der Behauptung fehlender realer Beschäftigungschancen (Brandenburgisches
OLG JAmt 2004, 502, 503). Zweifel daran, dass bei angemessenen Bemühungen eine
Beschäftigungschance von vornherein auszuschließen ist, gehen daher zu Lasten des
Unterhaltsverpflichteten. Auch ältere Arbeitnehmer sind - trotz schwieriger allgemeiner
wirtschaftlicher Lage - von ihrer Darlegungslast nicht befreit, da die Sicherstellung des
Minderjährigenunterhalts im Familienrecht absolute Priorität genießt (OLG Saarbrücken
ZFE 2005, 100 f. - für 63-jährigen Unterhaltsschuldner; OLG Hamm FamRZ 2005, 297 -
für 57-jährigen Unterhaltsschuldner).
2.
Diesen strengen Anforderungen genügt das Vorbringen des Beklagten erkennbar nicht.
a.
So hat der Beklagte bereits seine tatsächliche Leistungsunfähigkeit nicht in
ausreichendem Maße dargelegt.
aa.
Bis auf einige rudimentäre Angaben fehlen nähere Angaben zu den für eine Bestimmung
des dem Beklagten zuzurechnenden Wohnwertes maßgebenden Wert bildenden
Faktoren von Haus und Grundstück.
So ist nicht einmal genau bekannt, welche Wohnfläche vorhanden ist. Die Behauptung
der Klägerinnen über eine Wohnfläche von 238 qm hat der Beklagte bestritten und
sodann zunächst behauptet, er selbst bewohne eine Wohnfläche von 60 qm (Bl. 33 d.
A.), wohingegen er nunmehr die von ihm selbst bewohnte Fläche mit 119 qm im Rahmen
der Berufungsbegründung (Bl. 165 d. A.) angibt.
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Unabhängig von diesem widersprüchlichen Vorbringen des Beklagten fehlen nähere
Angaben zu den vermieteten Wohneinheiten. Auch im Übrigen sind keine Angaben zur
genauen Ausstattung, dem konkreten baulichen Zustand, der genauen Größe des
Grundstückes und evtl. sonstigen aufstehenden Gebäuden vorhanden. Nach alledem
kann ein dem Beklagten evtl. zuzurechnender Wohnvorteil nicht errechnet werden. Dies
geht jedoch zulasten des für seine eigene Leistungsunfähigkeit darlegungs- und
beweisbelasteten Beklagten.
bb.
Gleiche Erwägungen treffen auf die durch den Beklagten erzielten Mieteinnahmen zu.
Allein der Hinweis auf die konkret erzielten Mieteinnahmen genügt insoweit nicht.
Vielmehr hätte es einer mehrere Jahre erfassenden Aufstellung bedurft, mit der
einerseits die konkreten Mieteinnahmen, andererseits die angefallenen Belastungen
einzeln gegenüber zu stellen wären. All dies fehlt hier.
cc.
Zuletzt sind auch die Angaben des Beklagten zu seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb
mangelhaft.
Eine Aufstellung über die insoweit erzielten Einkünfte nebst entsprechenden Belastungen
über mehrere Jahre hinweg fehlt auch hier. Es ist nicht einmal bekannt, ob der Beklagte
derzeit noch - wie die Klägerinnen im Rahmen ihrer Klageschrift zumindest angedeutet
haben - ein Gaststättengewerbe betreibt.
b.
Selbst wenn aber der Beklagte unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Einkünfte
tatsächlich leistungsunfähig wäre, müsste er sich aufgrund eines Verstoßes gegen die
ihn treffende gesteigerte Erwerbsobliegenheit als fiktiv leistungsfähig zur Zahlung des
hier geforderten Mindestunterhaltes behandeln lassen.
aa.
Hinsichtlich des feststellbaren Verstoßes kann auf die zutreffenden Ausführungen des
Amtsgerichts in der angefochtenen Entscheidung - dort S. 9 f - Bezug genommen
werden. Hieraus ist erkennbar, dass die Bemühungen des Beklagten bei weitem nicht
die vorangestellten strengen Anforderungen an die gesteigerte Erwerbsobliegenheit
erfüllen.
bb.
Hinzu kommt, dass der Beklagte auch hinsichtlich der Aufnahme einer
Nebenerwerbstätigkeit kein ausreichendes Vorbringen getätigt hat. Dass er aber nicht in
der Lage ist, einen Nebenerwerb nachzugehen und dadurch die hier erforderlichen
Beträge (Klägerin zu 1. monatlich
228 Euro, Klägerin zu 2. monatlich 169 Euro) neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II
zu beziehen, ist nicht erkennbar.
Dabei ist zu beachten, dass derartige Nebeneinkünfte anrechnungsfrei gegenüber dem
Bezug von Leistungen nach dem SGB II wären. Unterhaltsansprüche, denen ein
Unterhaltsverpflichteter ausgesetzt ist, sind von seinem Einkommen abzuziehen, wenn
es um den Unterhalt von minderjährigen (erstrangigen) Kindern geht (SG Dortmund
Jugendamt 2005, 144; Fichtner/Wenzel-Augstein, Kommentar zur Grundsicherung, 3.
Aufl., 2005. Rn. 3). Das für diese Unterhaltszwecke eingesetzte Einkommen bleibt daher
anrechnungsfrei gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II, sodass es ohne Auswirkungen auf den
Bezug von Leistungen auf Arbeitslosengeld II ist.
III.
Auf die vorgenannten, dem Erfolg der Berufung weiter entgegenstehende Erwägungen
hat der Senat den Beklagten bereits mit Beschluss vom 12. April 2006 hingewiesen,
ohne dass der Beklagten hierzu innerhalb der ihm gesetzten Frist Stellung genommen
hat.
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