Urteil des OLG Brandenburg vom 17.07.2009

OLG Brandenburg: wohl des kindes, haushalt, elterliche sorge, sorgerecht, eltern, anhörung, familienleben, aufenthalt, widerruf, alter

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 94/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1626a Abs 2 BGB, § 1672 BGB
Elterliche Sorge nicht verheirateter Eltern: Widerruf der
Zustimmung der Mutter zur Sorgerechtsübertragung auf den
Vater
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Lübben vom
17. Juli 2009 – Az. 30 F 154/09 – mit Wirkung vom 5. November 2009 aufgehoben mit der
Folge, dass die elterliche Sorge für S… K… nunmehr wieder der Kindesmutter allein
zusteht.
Von der Kostenerhebung für das erstinstanzliche Verfahren ist abzusehen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern der am …. Juni 1995 geborenen S… K…. Die
Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet, leben seit 1998 voneinander getrennt
und haben auch keine gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB
abgegeben, sodass die Kindesmutter allein Inhaberin des elterlichen Sorgerechts war (§
1629 a Abs. 2 BGB). Nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Haushalt der Großeltern
väterlicherseits hatte S… seit 2002/2003 ihren Lebensmittelpunkt im mütterlichen
Haushalt. Dort lebt auch ihr heute rund 7-jähriger (Halb-)Bruder P....
Während eines Krankenhausaufenthalts vom 7. bis 20. Mai 2009 hat sich S… – wohl in
erster Linie überfordert durch die Diagnose einer schwerwiegenden chronischen
Erkrankung bei gleichzeitiger Abwesenheit der Kindesmutter - entschlossen, nicht mehr
bei der Mutter leben, sondern in den väterlichen Haushalt ziehen zu wollen. Nach der
Entlassung aus dem Krankenhaus hat S… ihren ständigen Aufenthalt beim Vater
genommen. Auch die Kindesmutter hat sich diesem Wunsch der Tochter nicht
verschließen wollen, allerdings den Kindesvater mit Schreiben vom 19. Mai 2009 (Bl. 3
d.A.) zugleich unmissverständlich aufgefordert, sich unter Anrufung des Gerichts um das
alleinige Sorgerecht um S… zu bemühen. Dieser Aufforderung folgend hat der
Kindesvater am 20. Mai 2009 auf Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts für
S… angetragen.
Das Amtsgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes, Anhörung
von S… am 22. Juni 2009 und ausführlicher Erörterung mit den übrigen
Verfahrensbeteiligten im Anhörungstermin am 2. Juli 2009 mit Beschluss vom 17. Juli
2009 das alleinige elterliche Sorgerecht für S… K… mit Zustimmung der Kindesmutter
auf den Kindesvater übertragen.
Gegen diese Entscheidung hat die Kindesmutter am 22. Juli 2009 befristete Beschwerde
eingelegt. Sie verweist unter Vorlage zweier Schreiben der Tochter darauf, dass diese
zwischenzeitlich wieder in den mütterlichen Haushalt zurückkehren wolle. Aufgrund
dieser Sachlage wolle sie – die Kindesmutter – an ihrer Zustimmung zur Übertragung
der elterlichen Sorge auf den Kindesvater nicht festgehalten werden.
Der Kindesvater hat betont, dass er sich nicht aus eigenem Antrieb um das Sorgerecht
für seine Tochter bemüht habe, sondern von Mutter und Tochter dazu veranlasst worden
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für seine Tochter bemüht habe, sondern von Mutter und Tochter dazu veranlasst worden
sei. Er habe sich – überraschend mit dem Wechselwunsch seiner Tochter konfrontiert -
seit Mai 2009 mit erheblichem Aufwand bemüht, die kurzfristige Aufnahme von S… im
eigenen Haushalt zu realisieren und das Familienleben – er und seine Lebensgefährtin
erwarteten selbst ein (erstes) gemeinsames Kind – für seine Tochter so angenehm wie
möglich zu gestalten und ihr in ihrer besonderen Situation zu helfen. Er sei auch
weiterhin in erster Linie am Wohl der Tochter interessiert, akzeptiere deren
Rückkehrwunsch in den mütterlichen Haushalt und wolle sich einer alle Beteiligten
zufrieden stellenden Lösung nicht verschließen.
S… lebt nach einem weiteren Krankhausaufenthalt seit dem 23. Juli 2009 wieder im
Haushalt der Mutter.
II.
Die gemäß §§ 621e, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517 ff. ZPO zulässige befristete Beschwerde der
Kindesmutter führt insoweit zum Erfolg, als der Kindesmutter aufgrund veränderter
Sachlage wieder das alleinige elterliche Sorgerecht einzuräumen war und deshalb der
angefochtene Beschluss keinen Bestand mehr haben konnte.
Die angefochtene Entscheidung beruht – zum damaligen Zeitpunkt sachlich zutreffend –
auf § 1672 Abs. 1 BGB. Danach kann die nach § 1626 a Abs. 2 BGB allein
sorgeberechtigte Mutter einer Übertragung der elterlichen Sorge oder von Teilen davon
auf den Kindesvater allein zustimmen. Einem darauf gestützten Antrag des Kindesvaters
ist stattzugeben, wenn die Übertragung dem Wohl des Kindes dient. Die Ausführungen
des Amtsgerichts hierzu in der angefochtenen Entscheidung begegnen – bezogen auf
den damaligen Erkenntnisstand - keinerlei Bedenken und werden insoweit von den
Beteiligten auch nicht ernstlich in Zweifel gezogen.
Nachdem sich die Kindesmutter im Ergebnis des – am 23. Juli 2009 tatsächlich
umgesetzten – Wunsches von S… nach Rückkehr in den mütterlichen Haushalt jetzt
nicht mehr an ihrer seinerzeit erteilten Zustimmung festhalten lassen will, fehlt es –
inzwischen – schon an dieser formalen Voraussetzung für die Übertragung des alleinigen
elterlichen Sorgerechts auf den Kindesvater nach § 1672 Abs. 1 BGB. Tatsächlich ist die
Kindesmutter an die einmal erteilte Zustimmung nicht gebunden; sie kann sie bis zur
Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz frei widerrufen (vgl. Bauer in jurisPK-BGB,
4. Aufl., 2008, § 1672 Rdnr. 14; BGH NJW-FER 2000, 278) und dadurch die
Voraussetzungen für das Wiederaufleben der ihr nach § 1626a Abs. 2 BGB zustehenden
alleinigen elterlichen Sorge schaffen.
Ohne dass es in dieser hier vorliegenden Fallkonstellation darauf ankäme, kann der
Senat im Übrigen feststellen, dass diese Entscheidung dem Wohl des Kindes dient,
diesem jedenfalls nicht entgegensteht. Der Senat hat nach der persönlichen Anhörung
von S… die sichere Überzeugung gewonnen, dass es sich bei dem Wechselwunsch im
Mai 2009 um eine Kurzschlussreaktion gehandelt hat, die dadurch eine besondere
Eigendynamik entwickelt hat, dass die Kindesmutter – in einer aus der Enttäuschung
über die Abkehr ihrer Tochter zwar menschlich verständlichen, zugleich aber sicherlich
überzogenen und wenig souveränen Reaktion – den Kindesvater zugleich ultimativ
aufgefordert hat, die Übertragung der gesamten elterlichen Verantwortung gerichtlich
durchzusetzen. S… hat – wie sie dem Senat glaubhaft vermittelt hat - dann während des
Aufenthalts bei ihrem Vater sehr starkes Heimweh nach dem ihr über die Jahre eng
vertrauten Familienleben im mütterlichen Haushalt entwickelt, das Zusammensein mit
Mutter und (Halb-)Bruder vermisst, sich deshalb unglücklich gefühlt und den
vorangegangenen Entschluss bereut. Sie hat deshalb den ernsthaften Wunsch geäußert,
in den mütterlichen Haushalt zurückzukehren. Diesem Wunsch haben die Kindeseltern
entsprochen. Der Senat erwartet nach dem persönlichen Eindruck von S… nicht, dass es
in der näheren Zukunft einen erneuten Sinneswandel geben wird. Der ursprüngliche
Wechselwunsch war vor dem Hintergrund der besonderen Ereignisse im Mai 2009 von
Unsicherheit über ihre gesundheitliche Situation und Verlassensängsten getragen,
menschlich verständlich, aber mit Blick auf die Konsequenzen noch wenig durchdacht.
Inzwischen macht S… einen für ihr Alter sehr reifen Eindruck. Sie hat sich mit ihrer
Erkrankung eingehend beschäftigt und ist daran offenbar deutlich gewachsen. Sie hat
die besondere Bindung an die tschechische Großfamilie glaubhaft vermittelt und
insbesondere auch deutlich gemacht, dass sie ein von der Kindesmutter immer noch ins
Auge gefasster Umzug nach Z… nicht nur nicht schreckt, sondern sie diesen wegen der
größeren Nähe zur Großfamilie mütterlicherseits sogar begrüßen würde.
Nach alledem war das alleinige elterliche Sorgerecht der Kindesmutter wieder
herzustellen und der angefochtene Beschluss aufzuheben.
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III.
Eine Kostenentscheidung nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG ist nicht veranlasst.
Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2, 2. HS; 131 Abs. 1
Satz 2 KostO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 30 Abs. 2 KostO.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 621 e Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht
veranlasst, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.
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