Urteil des OLG Brandenburg vom 03.09.2007
OLG Brandenburg: zustellung, auflage, entschuldigung, kausalität, bewilligungsverfahren, abgabe, verfügung, fristversäumnis, ratenzahlung, link
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 WF 353/07 (PKH), 9
WF 353/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 120 Abs 4 S 1 ZPO, § 120 Abs
4 S 2 ZPO, § 124 Nr 2 ZPO, §
172 Abs 1 ZPO
Verfahren zur Aufhebung einer Prozesskostenhilfebewilligung:
Notwendige Zustellung des Aufforderungsschreibens über die
Erklärung zu Veränderungen der maßgeblichen Verhältnisse an
den früheren Prozessbevollmächtigten des
Hauptsacheverfahrens; Berücksichtigungsfähigkeit
nachgereichter Erklärungen
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts
Oranienburg vom 3.9.2007 - Aktenzeichen 32 F 132/05 - aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragstellerin war mit Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 28.6.2005
ratenfreie Prozesskostenhilfe für die Scheidungssache und die Folgesache
Versorgungsausgleich bewilligt worden. Sie wurde im Hauptsacheverfahren und im
Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Rechtsanwalt L. vertreten, der ihr
durch Beschluss vom 8.3.2007 beigeordnet wurde.
Mit Schreiben vom 16.4.2007 forderte das Amtsgericht die Antragstellerin auf, etwaige
Veränderungen ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen. Ein
Zugangsnachweis für dieses Schreiben fehlt. Mit Verfügung vom 24.7.2007 ließ der
Rechtspfleger des Amtsgerichts Oranienburg der Antragstellerin das Formular „ZP 51“
(Frist 2 Wochen) zustellen. Gemäß Zustellungsurkunde ist der Antragstellerin ein
Schreiben des Gerichts vom 24.7.2007 am 27.7.2007 persönlich übergeben worden.
Nachdem kein Eingang zu verzeichnen war, erließ der Rechtspfleger unter dem 3.9.2007
einen Beschluss, mit dem die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin
aufgehoben wurde, da diese trotz Erinnerung keine Erklärung über ihrer persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben habe. Der Beschluss wurde Rechtsanwalt L.
zur Kenntnisnahme übersandt.
Mit am 21.9.2007 eingegangenem Schriftsatz legte die Antragstellerin, vertreten durch
Rechtsanwalt L., sofortige Beschwerde ein und erklärte, dass sich an ihren
wirtschaftlichen Verhältnissen zwischenzeitlich keine Änderung erheben habe. Sie
erhalte weiterhin Leistungen nach dem SGB II. Mit am 24.9.2007 eingegangenem
Schriftsatz legte sie einen entsprechenden Bescheid des Landkreises O. vom 11.9.2007
vor.
Die Antragstellerin behauptet, eine gerichtliche Aufforderung zur Erklärung über ihre
derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erhalten zu haben. Sie ist der Ansicht,
diese hätte ihrem Verfahrensbevollmächtigten zugestellt werden müssen. Außerdem
reiche die Nachholung der geforderten Erklärung im Beschwerdeverfahren aus.
Das Amtsgericht hat unter dem 2.11.2007 der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO.
Insbesondere ist die Notfrist von einen Monat (§ 127 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit §
569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingehalten worden. Es fehlt zwar ein Zustellungsnachweis für
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569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingehalten worden. Es fehlt zwar ein Zustellungsnachweis für
den angefochtenen Beschluss, die sofortige Beschwerde ist jedoch innerhalb eines
Monats seit Datum des Beschlusses eingegangen und somit in jedem Fall rechtzeitig.
Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann
gemäß § 124 Nr. 2, 2. Alternative ZPO aufgehoben werden, wenn die Partei eine
Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO über die Veränderung der maßgeblichen
Verhältnisse nicht abgegeben hat. Dies setzt voraus, dass die begünstigte Partei
zunächst zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung aufgefordert worden ist. Da die
Erklärung nur „auf Verlangen des Gerichts“ abgegeben werden muss, ist eine
ausdrückliche Aufforderung unter Fristsetzung erforderlich (Baumbach/Hartmann, ZPO,
66. Auflage, § 120 Rn. 29; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Auflage, § 120 Rz. 28; jeweils mit
weiteren Nachweisen). Da die Aufforderung eine Fristbestimmung beinhaltet, bedarf sie
der förmlichen Zustellung, § 329 Abs. 2 ZPO. Hier ist der Antragstellerin das
Aufforderungsschreiben vom 16.4.2007 nicht förmlich zugestellt worden. Auch der
bestrittene Zugang kann damit nicht nachgewiesen werden. Zugestellt worden ist der
Antragstellerin allerdings ein weiteres Schreiben vom 24.7.2007, wie die
ordnungsgemäße Zustellungsurkunde beweist (§ 418 ZPO). Der Inhalt des Schreibens
ergibt sich aus der Verfügung des Rechtspflegers vom 24.7.2007. Darin ist zwar nicht der
Wortlaut aufgenommen worden, jedoch die Angabe „ZP 51“. Dabei handelt es sich um
ein Formular, welches die notwendigen Aufforderungen über die abzugebende Erklärung
gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO enthält. Von einer näheren Darstellung kann allerdings
abgesehen werden, weil die Zustellung an die Antragstellerin persönlich nicht ausreicht.
Der Senat schließt sich nunmehr unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl.
Entscheidung vom 3.3.2004, FamRZ 2005, 47) der inzwischen auch vom 2. Senat für
Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vertretenen Auffassung an,
wonach eine Zustellung an den früheren Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hat
(Entscheidung vom 27.3.2007 zum Aktenzeichen 10 WF 187/07; zitiert nach juris; so
auch: BAG, Entscheidung vom 19.7.2006 zum Aktenzeichen 3 AZB 18/06; zitiert nach
juris; a. A. OLG München FamRZ 1993, 580; OLG Koblenz, FamRZ 2005, 531;
Zöller/Philippi, a.a.O., § 120 Rz. 28). Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung an den
„für den Rechtszug bestellten“ Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Ob der
Prozessbevollmächtigte des Hauptverfahrens zugleich auch stets für das
Prozesskostenhilfe-Verfahren bevollmächtigt ist (was im Fall erfolgter Beiordnung der Fall
sein dürfte), braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden. Hat ein Rechtsanwalt -
wie hier - den durch den Prozesskostenhilfe-Beschluss Begünstigten bereits im
Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertreten, so ist er für dieses
Verfahren jedenfalls bevollmächtigt. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass zu einem
anhängigen Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren auch das sich gegebenenfalls erst
nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens anschließende Prozesskostenhilfe-
Prüfungsverfahren gehört und beide als im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO zum selben
Rechtszug gehörig anzusehen sind. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe bezieht sich
hier auf das gesamte erstinstanzliche Hauptsacheverfahren. Wenn die Bewilligung, und
sei es erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, nachträglich aufgehoben wird,
wirkt sich dies auf die Kostentragungspflicht für das erstinstanzliche Verfahren aus. Es ist
demnach davon auszugehen, dass das Prüfungsverfahren mit dem Ausgangsverfahren
auf PKH-Bewilligung so eng verbunden ist, dass die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts
auch das nachfolgende Prüfungsverfahren umfasst. Zu berücksichtigen ist bei dieser
Bewertung, dass nach allgemeiner Ansicht sogar für die Erhebung einer
Wiederaufnahmeklage gemäß §§ 578 ff. ZPO die im Vorprozess erteilte Vollmacht als
ausreichend anzusehen ist, sodass Zustellungen an die früheren
Prozessbevollmächtigten zu richten sind (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 585 Rz. 7;
Baumbach, a.a.O. § 172 Rz. 28). Das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren stellt sich
lediglich als Fortsetzung des Prozesskostenhilfeverfahrens über die Instanzbeendigung
hinaus dar. Dass sowohl das Bewilligungsverfahren als auch das Prüfungsverfahren
Justizverwaltungsangelegenheiten betreffen, ändert an dieser Würdigung nichts.
Jedenfalls sind die Verfahren den Vorschriften der ZPO unterworfen, sodass § 172 ZPO
ohne weiteres anwendbar ist.
Da eine förmliche Zustellung der Erklärungsaufforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO an den
Prozessbevollmächtigten fehlt und der Zustellungsmangel erst durch Übersendung des
Beschlusses vom 3.9.2007 geheilt worden ist, war die innerhalb der Beschwerdefrist
eingegangene Erklärung über das Fortbestehen der wirtschaftlichen Verhältnisse, die der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugrunde lagen, rechtzeitig und eine Aufhebung des
Bewilligungsbeschlusses damit unzulässig.
Die Aufhebung wäre aber auch dann unzulässig gewesen, wenn die Aufforderung mit
Fristsetzung dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ordnungsgemäß
zugestellt worden wäre. Denn die im Beschwerdeverfahren nachgereichte Erklärung, aus
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zugestellt worden wäre. Denn die im Beschwerdeverfahren nachgereichte Erklärung, aus
der sich ergibt, dass keine Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen eingetreten
sind, hätte auch dann Berücksichtigung finden müssen, obwohl die Antragstellerin für die
verspätete Abgabe der Erklärung keine nachvollziehbare Entschuldigung vorgebracht
hat. Zwar hat § 124 Nr. 2 ZPO Sanktionscharakter; nach allgemeinen Grundsätzen des
Beschwerdeverfahrens ist es der Partei jedoch nicht verwehrt, in II. Instanz Tatsachen
vorzubringen, auf die sie sich zuvor nicht berufen hatte. Weder handelt es sich bei der
gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzten Frist um eine Ausschlussfrist, noch werden
die allgemeinen Grundsätze des Beschwerdeverfahrens, insbesondere § 571 Abs. 2 Satz
1 ZPO dadurch eingeschränkt, dass es sich um ein Justizverwaltungsverfahren handelt,
welches die Sanktionierung nachlässigen Verhaltens durch Aufhebung einer früheren
Bewilligung ermöglicht. Die Beschwerde kann nach allgemeinen Grundsätzen auf neue
Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. „Neu“ sind Tatsachen nicht nur, wenn
sie erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entstanden sind, sondern wenn sie
erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden (vgl.: Zöller, a.a.O., § 531 Rz. 22;
Baumbach, a.a.O., § 531 Rz. 12; BGH, NJW 1989, 718; NJW 1998, 2977). Im
Beschwerdeverfahren gilt insoweit für neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nichts
anderes als im Berufungsverfahren. Es entspricht deshalb der inzwischen überwiegenden
Ansicht, dass die Nachholung der zunächst versäumten Erklärung in II. Instanz auch
dann zu deren Berücksichtigung führen muss, wenn für die Versäumung keine
Entschuldigung vorgebracht wird (Baumbach, a.a.O. § 120 Rz. 29 anders aber wohl: §
124 Rz. 39; Zöller; a.a.O, § 124 Rz. 10 a; Münchener Kommentar zur ZPO/Motzer, 3.
Auflage, § 124 Rz. 12; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 2. Auflage, § 124 Rz. 16;
Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Senat für Familiensachen, FamRZ 1996, 806;
OLG - NL 2005, 208). Der Senat, der früher teilweise eine abweichende Auffassung
vertreten hat (etwa: FamRZ 2005, 47), hält nicht mehr daran fest, dass der
Sanktionscharakter des §§ 124 Nr. 2 ZPO es gebietet, nachgereichte Erklärungen nur bei
hinreichender Entschuldigung zu berücksichtigen. Denn der Sanktionscharakter der
Vorschrift, der unzweifelhaft vorhanden ist, bezieht sich ausdrücklich auf die Nichtabgabe
einer Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO und nicht auf die Nichteinhaltung einer
gesetzten Frist. Für eine vom allgemeinen Beschwerderecht abweichende
Sanktionierung wäre aber eine ausdrückliche Sanktionierung der Fristversäumnis
erforderlich gewesen. Die Aufhebung der Bewilligung wäre im vorliegenden Fall
ausschließlich auf die Nichteinhaltung einer Frist gestützt. Da die Aufhebung der
Prozesskostenhilfebewilligung eine kostenrechtliche Maßnahme und keine Strafe
darstellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Fristversäumung zur
Aufhebung führen soll.
Auch der Gesichtspunkt der Kausalität des Fehlverhaltens des Begünstigten spricht für
eine Auslegung im oben dargestellten Sinn. Grundsätzlich ist bei den weiteren
Möglichkeiten der Aufhebung der Bewilligung nach § 124 ZPO jeweils zu prüfen, ob die
unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses, die falschen Angaben über die
persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Nichtabgabe einer Erklärung
auch kausal für die begünstigende Entscheidung geworden sind. In den Fällen, in denen
sich auch bei rechtzeitiger und vollständiger zutreffender Angabe der Tatsachen keine
Änderung im Hinblick auf die getroffene Bewilligungsentscheidung (sei es im Hinblick auf
die Bewilligung als solche, sei es im Hinblick auf die angeordnete Ratenzahlung) ergeben
hätte, kommt eine Sanktion nicht in Betracht (vgl. Zöller, a.a.O., § 124 Rz. 5 a;
Baumbach a.a.O., § 124 Rz. 32, 37). In den Fällen, in denen nachträglich eine Erklärung
abgegeben wird, aus der sich ergibt, dass eine Aufhebung aufgrund der wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht geboten war, liegt keine Kausalität für eine fehlerhafte Entscheidung
vor.
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt trotz Vorliegens der Gründe gemäß § 574
Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht in Betracht, weil die allein beschwerte Staatskasse nicht
beschwerdebefugt ist (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 127, Rz. 27; OLG Oldenburg,
FamRZ 2004, 170).
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