Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: örtliche zuständigkeit, bindungswirkung, bezirk, anhörung, bereicherung, kompetenzkonflikt, anschrift, abgabe, unterkunftskosten, initiative

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 31/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 36 Abs 2
ZPO, § 281 Abs 2 S 2 ZPO, §
281 Abs 2 S 4 ZPO, § 29a Abs 1
ZPO
Zuständigkeitsstreit: Verfahren betrifft Rückforderung nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz überzahlter
Unterkunftskosten durch Sozialleistungsträger
Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht Lichtenberg.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückzahlung überzahlter Unterkunftskosten in
Anspruch, die er als Sozialleistungsträger unmittelbar an die Dr. T… & U… J…
Hausverwaltung als Vermieterin eines nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
leistungsberechtigten Mieters gezahlt hat. Auf Antrag des Klägers ist gegen den
Beklagten ein Mahnbescheid erlassen worden, der ihm unter seiner im Rubrum
genannten Anschrift zugestellt worden ist. Als Gericht, an welches das Verfahren im Fall
des Widerspruchs abgegeben werden sollte, ist im Antrag das Amtsgericht Cottbus
angegeben worden, ein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens ist zunächst
nicht gestellt worden. Nach Einlegung des Widerspruchs hat der Kläger mit Schriftsatz
vom 24. Februar 2010 die Durchführung des streitigen Verfahrens und gleichzeitig die
Abgabe an das Amtsgericht Lichtenberg beantragt. Das Amtsgericht Wedding, das den
Mahnbescheid erlassen hat, hat den Beklagten zum Abgabeantrag angehört. Da keine
Stellungnahme einging, ist das Verfahren entsprechend den Angaben im Mahnantrag an
das Amtsgericht Cottbus abgegeben worden. Mit Schreiben vom 21. Mai 2010 hat das
Amtsgericht Cottbus den Kläger zunächst um Klarstellung gebeten, wer beklagte Partei
sein solle, da anstelle der Bezeichnung des Antragsgegners aus dem Mahnverfahren,
Herrn Dr. T… J…, in der Anspruchsbegründung die Dr. T… & U… J… Hausverwaltung
unter der Anschrift …straße 45, B…, angegeben worden sei. Mit Schriftsatz vom 1. Juni
2010 hat der Kläger ausgeführt, dass die Klage sich gegen den Vermieter des
leistungsberechtigten Mieters, die Dr. T… & U… J… Hausverwaltung richte.
Schriftverkehr sei mit Dr. T… J… geführt worden. Zugleich hat er die Verweisung an das
Amtsgericht Lichtenberg unter Hinweis auf § 29 a Abs. 1 ZPO beantragt, weil die
Wohnung des Mieters in dessen Bezirk gelegen sei. Das Amtsgericht Cottbus hat sich
nach Anhörung des Herrn Dr. T… J… „als Teil der Dr. T… und U… J… Hausverwaltung“
mit Beschluss vom 1. Juli 2010 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das
Amtsgericht Lichtenberg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die
Mietsache im Bezirk des Amtsgerichts Lichtenberg liege. Das Amtsgericht Lichtenberg
hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 5. August 2010 für unzuständig
erklärt. Es hat den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Cottbus nicht als bindend
angesehen, weil ein Wohnraummietverhältnis zwischen den Parteien nicht vorliege, was
sich bereits aus der Anspruchsbegründung ergeben habe. Es hat die Sache dem
Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts
vorgelegt.
II.
Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das
Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das zu seinem Bezirk
gehörende Amtsgericht Cottbus unter den am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichten
zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.
Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung liegen vor. Die Gerichte,
zwischen denen der Kompetenzkonflikt besteht, haben sich, wie in § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO
vorausgesetzt, rechtskräftig für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Cottbus durch den
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vorausgesetzt, rechtskräftig für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Cottbus durch den
nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 1. Juli 2010,
das Amtsgericht Lichtenberg durch den Beschluss vom 5. August 2010, in dem es sich
für unzuständig erklärt hat. Der Beschluss vom 5. August 2010 genügt den
Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO
zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt
gemachte ausdrückliche beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (Senat, NJW 2004,
780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28.Aufl., § 36 Rdnr. 25).
Zuständig ist Amtsgericht Lichtenberg. Seine Zuständigkeit ist Folge der
Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Cottbus vom 1. Juli
2010 (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann die
Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen
(Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen
Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen
Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer zügigen Klärung der
Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen ist
die Willkürschwelle hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler wie zum Beispiel das
Übersehen einer zuständigkeitsbegründenden Rechtsnorm rechtfertigen die Annahme
einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht (BGH NJW-RR
2002, 1498). Hinzu kommen muss dafür vielmehr, dass die Verweisung offenbar
gesetzwidrig oder sonst grob fehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage
entbehrt (Senat, NJW 2004, 780; NJW 2006, 3444, 3445; MDR 2006, 1184; JMBl. 2007, 65,
66; Tombrink, NJW 2003, 2364 f.).
Diesen Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Cottbus stand.
Der Beklagte ist zum dem Verweisungsbeschluss der Klägerin auch angehört worden;
das Anhörungsschreiben wurde an den Beklagten Dr. T… J…, der nach dem Inhalt des
Mahnbescheides eindeutig Antragsgegner war, unter der Geschäftsanschrift der Dr. T…
& U… J… Hausverwaltung zugestellt. Einen Parteiwechsel auf Beklagtenseite hat der
Kläger bisher nicht erklärt.
Der Verweisungsbeschluss entbehrte auch nicht der gesetzlichen Grundlage. Das
Amtsgericht Lichtenberg weist in seinem Beschluss vom 5. August 2010 allerdings zu
Recht darauf hin, dass Gegenstand der Klage nicht Ansprüche aus einem Mietverhältnis,
sondern aus ungerechtfertigter Bereicherung seien, weil zwischen den Parteien kein
Wohnraummietverhältnis bestanden habe. Die Tatsache, dass das Amtsgericht Cottbus
fehlerhaft von der Anwendbarkeit des § 29 a ZPO ausgegangen ist, führt aber jedenfalls
nicht zur Bewertung als willkürliche Verweisung. Selbst wenn ein Gericht seine eigene
ausschließliche örtliche Zuständigkeit nach § 29 a Abs. 1 ZPO übersieht, rechtfertigt dies
für sich gesehen nicht die Annahme objektiver Willkür (vgl. BGH NJW 1962, 1819; OLG
Düsseldorf, Rpfleger 1976, 186; OLG Frankfurt/Main, Rpfleger 1979, 389, 390).
Entsprechendes gilt, wenn das Gericht fehlerhaft von der ausschließlichen Zuständigkeit
eines anderen Gerichts ausgeht und annimmt, seine eigene Zuständigkeit sei nach § 12,
2. Hs. ZPO verdrängt.
Das Amtsgericht Cottbus hat mit seinem Beschluss weder Vortrag der Parteien zur
Zuständigkeit unberücksichtigt gelassen, noch einen Verweisungsantrag ungeachtet der
Annahme eigener Zuständigkeit „initiiert“ (vgl. BGH NJW 2002, 3634; KG MDR 2002,
905). Der Kläger selbst ist bei Beantragung der Verweisung im Schriftsatz vom 1. Juni
2010 davon ausgegangen, dass auch für die geltend gemachten Ansprüche aus
ungerechtfertigter Bereicherung die örtliche Zuständigkeit nach § 29 a Abs. 1 ZPO zu
beurteilen sei. Der Verweisungsantrag wurde vom Kläger ohne vorausgehende Initiative
des Gerichts im streitigen Verfahren gestellt. Er entsprach dem bereits im
Mahnverfahren gestellten Antrag des Klägers auf Abgabe an das Amtsgericht
Lichtenberg als Streitgericht.
Das Fehlen einer umfassenden Begründung lässt schließlich für sich gesehen einen
Verweisungsbeschluss nicht als offensichtlich gesetzwidrig erscheinen, wenn sich aus
dem Beschluss und dem Akteninhalt ergibt, auf welcher Grundlage die Verweisung
erfolgt ist (OLG Karlsruhe VersR 1991, 125; KG MDR 1993, 176). Das ist hier der Fall. Der
Verweisungsantrag ist unter Hinweis auf § 29 a Abs. 1 ZPO und die Lage der
Mietwohnung in B… Lichtenberg begründet worden. In den Gründen des
Verweisungsbeschlusses ist die Begründung des Verweisungsantrages wiederholt
worden, da die Belegenheit der Mieträume als für die Verweisung maßgeblicher
Umstand angeführt worden ist.
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