Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: treu und glauben, rechtshängigkeit, stufenklage, prozessstandschaft, zustellung, verwirkung, uvg, aktivlegitimation, unterhalt, scheidung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 285/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 254 ZPO, § 261 ZPO, § 242
BGB, § 7 Abs 4 S 2 UhVorschG
Kindesunterhalt: Rechtshängigkeit des Zahlungsantrags durch
Stufenklage; Verwirkung des Unterhaltsanspruchs;
Geltendmachung des Anspruchs nach Gewährung von
Unterhaltsvorschuss und Rückübertragung
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Beklagten wird zur Rechtsverteidigung gegen die Klage Prozesskostenhilfe
insgesamt unter Beiordnung von Rechtsanwalt … in F… als Hauptbevollmächtigten und
Rechtsanwalt K… in O… als Verkehrsanwalt bewilligt.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 127
Abs. 2 Satz 2 ZPO anzusehen und als solche zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist begründet. Dem Beklagten ist in weitergehendem Umfang,
als vom Amtsgericht angenommen, Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Seine
Rechtsverteidigung bietet insgesamt hinreichend Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO. Bei der
im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Philippi,
ZPO, 25. Aufl., § 114, Rz. 19; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, §
1, Rz. 254) ist zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen, dass die Klage wegen
anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig ist.
In dem Verfahren 9 F 380/01 vor dem Amtsgericht hat die gesetzliche Vertreterin der
Kläger gegen den Beklagten im Wege der Stufenklage für sich Trennungsunterhalt und in
gesetzlicher Prozessstandschaft nach § 1629 Abs. 3 BGB für die gemeinsamen Kinder
Kindesunterhalt geltend gemacht. Die Stufenklage hat neben dem Antrag auf
Verurteilung zur Auskunftserteilung, wie dies regelmäßig der Fall ist, auch einen
unbezifferten Zahlungsantrag enthalten. Dieser Zahlungsantrag wird mit der Zustellung
der Klageschrift hinsichtlich der Stufenklage und nicht erst mit Zustellung des
Schriftsatzes, in dem der Zahlungsantrag beziffert wird, rechtshängig (BGH, FamRZ
1995, 729; FamVerf/Schael, § 1, Rz. 382; vgl. auch FamVerf/ Gutjahr, § 1, Rz. 263 sowie
Rz. 623). Diese Rechtshängigkeit dauert fort, bis die Stufenklage auch hinsichtlich der
Zahlungsstufe ihre prozessuale Beendigung gefunden hat, sei es durch Urteil, Vergleich,
übereinstimmende Erledigungserklärungen oder Klagerücknahme. Allein der Umstand,
dass das Verfahren wegen Nichtbetreibens über einen Zeitraum von mehr als sechs
Monaten hinweg nach der Brandenburgischen Aktenordnung ausgetragen und vom
Gericht als erledigt behandelt worden ist, reicht entgegen der vom Amtsgericht in der
Nichtabhilfeentscheidung vom 8.11.2005 geäußerten Rechtsauffassung nicht aus. Das
Verfahren, in dem ein Anerkenntnisteilurteil hinsichtlich der Verpflichtung zur
Auskunftserteilung ergangen ist, hätte jederzeit, insbesondere durch Stellung eines
bezifferten Zahlungsantrags, wieder aufgenommen werden können und in diesem Fall
vom Amtsgericht unter dem bisherigen Aktenzeichen weitergeführt werden müssen. Die
Rechtshängigkeit jenes Verfahrens 9 F 380/01 dauert somit an. Die fortdauernde
Rechtshängigkeit in dem Verfahren 9 F 380/01 hat gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die
Wirkung, dass die Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden
kann. Geschieht dies dennoch, so ist die spätere Klage wegen anderweitiger
Rechtshängigkeit unzulässig (vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., vor § 253, Rz.
24 sowie § 261, Rz. 15; Zöller/Greger, a.a.O., § 261, Rz. 8). Im
Prozesskostenhilfeverfahren ist auch zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen,
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Prozesskostenhilfeverfahren ist auch zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen,
dass im vorliegenden Verfahren eine anderweitige Rechtshängigkeit hinsichtlich des
Kindesunterhalts eingetreten ist.
Mit Schriftsatz vom 30.6.2004 hat die Mutter der Kläger hinsichtlich des Kindesunterhalts
bezifferte Zahlungsanträge angekündigt, die sie nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe
weiterverfolgen wollte. Auf das vorangegangene Verfahren 9 F 380/01 hat sie dabei nicht
Bezug genommen. Das Amtsgericht hat die Sache zunächst im
Prozesskostenhilfeverfahren betrieben und ihr dabei bereits ein neues Aktenzeichen,
nämlich 9 F 294/04, gegeben. In einem weiteren Schriftsatz vom 17.9.2004 ist seitens
der Kläger auf das Verfahren 9 F 380/01 eingegangen worden. Aus jenem Schriftsatz
ergibt sich aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Zahlungsanträge im
Rahmen der Zahlungsstufe der noch rechtshängigen Stufenklage gestellt werden sollen.
Zum einen ist dieser Schriftsatz zum neuen Aktenzeichen 9 F 294/04 eingereicht
worden. Zum anderen ist das Klagerubrum dahin geändert worden, dass Kläger nun die
unterhaltsberechtigten Kinder sind. Dabei ist in dem Schriftsatz davon ausgegangen
worden, dass die Prozessstandschaft der Mutter gemäß § 1629 Abs. 3 BGB wegen
inzwischen erfolgter rechtskräftiger Scheidung nicht mehr gegeben sei. Da aber ein
einmal zulässigerweise in Prozessstandschaft eingeleitetes Verfahren betreffend den
Kindesunterhalt auch nach zwischenzeitlicher Rechtskraft der Scheidung in
Prozessstandschaft beendet werden kann (vgl. FamVerf/Schael, § 1, Rz. 314), spricht die
Rubrumsänderung hier ebenfalls dafür, dass nicht die Fortsetzung der in
Prozessstandschaft eingeleiteten Stufenklage beabsichtigt war, sondern ein neues
Unterhaltsverfahren. Der einzige Umstand, der auf einen Willen der Kläger auf
Fortsetzung des bisherigen Verfahrens hindeuten könnte, liegt darin, dass mit Rücksicht
darauf, dass Trennungsunterhalt nicht mehr begehrt werden soll, das Verfahren 9 F
380/01 hinsichtlich der Auskunftsstufe insgesamt für erledigt erklärt werden soll. Dies
könnte dafür sprechen, dass die Kläger selbst jenes Verfahren im Übrigen, nämlich
hinsichtlich der Zahlungsstufe, noch als offen betrachten. Das Amtsgericht hat die
Schriftsätze vom 30.6. und 17.9.2004 nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe dem
Beklagten unter den neuen Aktenzeichen zugestellt. Erst im Schriftsatz vom 2.3.2005 ist
seitens der Kläger ausdrücklich die Auffassung vertreten worden, das bisherige
Verfahren 9 F 380/01 hätte fortgeführt werden müssen, wobei die Wahl des anderen
Aktenzeichens nicht maßgeblich sei. Angesichts dieses Verfahrensablaufs ist jedenfalls
im Prozesskostenhilfeverfahren davon auszugehen, dass mit der am 17.2.2005 erfolgten
Zustellung des Zahlungsantrags vom 30.6.2004 eine neue Rechtshängigkeit eingetreten
ist, die aber wegen der früheren Rechtshängigkeit der noch nicht erledigten Stufenklage
zur Unzulässigkeit der Klage vom 30.6.2004 in Verbindung mit der Rubrumsänderung
vom 17.9.2004 führt.
Wenn nach alledem die Rechtsverteidigung des Beklagten schon wegen anzunehmender
Unzulässigkeit der Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann dahinstehen, ob
das Amtsgericht, wie vom Beklagten mit der sofortigen Beschwerde weiter geltend
gemacht, unter Berücksichtigung seines Ausbildungsstandes und mit Rücksicht auf den
Umstand, dass er als Ausländer einer Arbeitserlaubnis bedarf, von einem zu hohen
fiktiven Einkommen ausgegangen ist. Auch bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob
die Unterhaltsansprüche (teilweise) verwirkt sind und ob mit der Klage dem Umstand,
dass Unterhaltsvorschuss bezogen worden ist, hinreichend Rechnung getragen ist.
Nur vorsorglich wird hinsichtlich der beiden letztgenannten Punkte auf Folgendes
hingewiesen:
Hinsichtlich der Verwirkung, also der Frage, ob sich der Unterhaltsgläubiger nach Treu
und Glauben gemäß § 242 BGB nicht mehr darauf berufen kann, den
Unterhaltsschuldner in Verzug gesetzt zu haben, bedarf es des Zeit- und des
Umstandsmoments (vgl. Wendl/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 6, Rz. 135 ff.). Beim Unterhalt sind an das
Zeitmoment keine großen Anforderungen zu stellen. Das Zeitmoment kann bereits für
Zeitabschnitte, die mehr als 1 Jahr vor Rechtshängigkeit der Klage oder einem erneuten
Tätigwerden liegen, bejaht werden. Da ein Unterhaltsanspruch nicht verwirkt sein kann,
bevor er überhaupt fällig geworden ist, müssen gegebenenfalls die in Frage kommenden
Zeitabschnitte gesondert betrachtet werden (BGH, FamRZ 1988, 370).
Neben dem Zeitmoment kommt es für die Verwirkung auf das Umstandsmoment an,
das heißt, es müssen besondere Umstände hinzutreten, aufgrund deren sich der
Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet
hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH,
FamRZ 1988, 370, 373). Da von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf
Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen
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Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen
zu erwarten ist, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht (vgl.
BGH, a.a.O.), darf der Unterhaltsschuldner, wenn das Verhalten des
Unterhaltsgläubigers den Eindruck erweckte, in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig
zu sein, davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Soweit es beim
Umstandsmoment auch darauf ankommt, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete
tatsächlich darauf eingerichtet hat, Unterhalt für die zurückliegende Zeit nicht mehr
zahlen zu müssen, reicht die Feststellung aus, dass ein Unterhaltsverpflichteter
erfahrungsgemäß seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte
anpasst, so dass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Ersparnisse
zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät (BGH, a.a.O.; Senat,
NJW-RR 2002, 870). Sind Anhaltspunkte dafür, dass es im zu entscheidenden Fall anders
lag, nicht ersichtlich, so bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass der
Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen
eingerichtet hat (BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.).
Auch Ansprüche auf Kindesunterhalt können verwirkt sein, obwohl die Verjährung solcher
Ansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit
des Kindes gehemmt ist (BGH, FamRZ 1999, 1422).
Soweit Unterhaltsvorschuss geleistet worden ist, ist der Unterhaltsanspruch gemäß § 7
Abs. 1 UVG auf das Land übergegangen. Dieser Anspruchsübergang ist im
Unterhaltsprozess in der Weise zu berücksichtigen, dass der übergegangene
Unterhaltsanspruch, soweit es die Zeit vor Rechtshängigkeit betrifft, mangels
Aktivlegitimation vom Kind nicht geltend gemacht werden kann. Soweit es um den nach
Rechtshängigkeit auf das Land übergegangenen Unterhaltsanspruch geht, kann dem
gesetzlichen Forderungsübergang durch Umstellung des Klageantrags dahin Rechnung
getragen werden, dass Verurteilung des Beklagten zur Zahlung an die
Unterhaltsvorschusskasse im Umfang des Anspruchsübergangs begehrt wird (vgl.
Wendl/Scholz, a.a.O., § 6, Rz. 553; FamVerf/Schael, § 1, Rz. 319). Aktivlegitimation des
Kindes in vollem Umfang, also in Höhe des gesamten Unterhaltsanspruchs unabhängig
vom etwa eingetretenen gesetzlichen Forderungsübergang ist aber dann gegeben, wenn
der übergegangene Unterhaltsanspruch von dem Land gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 UVG
zur gerichtlichen Geltendmachung auf den Leistungsempfänger rückübertragen worden
ist. Die Beteiligten müssten also einen Abtretungsvertrag schließen (vgl. Wendl/Scholz,
a.a.O., § 6, Rz. 556; vgl. auch FamVerf/Schael, § 1, Rz. 317). Ob ein solcher
Rückübertragungsvertrag wirksam geschlossen worden ist, bedürfte vorliegend der
Prüfung. Insbesondere erscheint nicht zweifelsfrei, eine wirksame Rückübertragung allein
schon in der mit dem Schriftsatz vom 30.6.2004 vorgelegten Erklärung des Landkreises
O… vom 14.8.2003 zu sehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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