Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: elterliche sorge, jugendamt, anhörung, haushalt, erziehungsfähigkeit, zusammenarbeit, gefahr, schule, untersuchungshaft, gefährdung

1
2
3
4
5
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UF 158/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf zwischen 4.501 € und 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die knapp 40 Jahre alte Beteiligte zu 1. ist Mutter der Kinder S… R…, geb. am ….5.1993,
C… R…, geb. am ….8.1995, M…, P... und Pa… R…, alle geboren am ….8.1999, sowie Pl…
R…, geb. am ….1.2001. S… und C… stammen aus der Verbindung mit Ma… S…, M…,
P…, Pa… und Pl… sind aus der Ehe mit dem Beteiligten zu 2. hervorgegangen. Dieser
wurde im März 2002 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (zulasten des Sohns S…
der Beteiligten zu 1.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Im Jahr 2004 trennte
sich die Mutter von ihm. Durch Beschluss des Amtsgerichts Görlitz vom 19.8.2008 wurde
ihr mit Zustimmung des Ehemanns die alleinige elterliche Sorge für die gemeinsamen
Kinder übertragen. Die Scheidung erfolgte im März 2010.
Die Mutter wurde in der Vergangenheit wiederholt wegen teilweise gemeinsam mit ihrem
damaligen Ehemann begangenen Diebstahls verurteilt. Zuletzt verhängte das
Amtsgericht Bernkastel-Kues durch Urteil vom 29.3.2010 eine Gesamtfreiheitsstrafe von
vier Monaten. Zulasten der Mutter berücksichtigte das Gericht den Einsatz ihrer Kinder
bei Begehung der Taten. Nach dem Strafantritt am 1.11.2010 ist die Strafe nunmehr
verbüßt.
Aufgrund einer Kontaktanzeige im Internet lernte die Mutter ihren jetzigen Partner, den
Zeugen H… P…, kennen. Im September 2008 verließ sie ihren Wohnort in Sachsen und
zog mit ihren Kindern zu ihm nach Rheinland-Pfalz. Wegen des Verhaltens von M… und
P… konnte sie zunächst keine passende Schule für sie finden. Angebotene
Jugendhilfemaßnahmen lehnte sie ab. Im Ergebnis besuchten beide Söhne monatelang
keine Schule. Nachdem die Mutter einer Bekannten erzählt hatte, dass der Zeuge P…
ihre Kinder geschlagen, P… sexuell missbraucht und C… den Missbrauch beobachtet
habe, wurden die Kinder am 30.1.2009 vom Jugendamt in Obhut genommen. Aufgrund
der Zusicherung der Mutter, sich räumlich von dem Zeugen zu trennen und die Kinder
zu schützen, kehrten diese am 6.2.2009 in den Haushalt der Mutter zurück. Der alsdann
dort tätige Familienhelfer stellte fest, dass der Zeuge P… mit den Kindern weiterhin
Kontakt hatte. Zudem kam es zu zahlreichen Beschwerden von Nachbarn, Polizei und
den Schulen wegen Sachbeschädigungen, Belästigungen und Lärms durch die Kinder.
Am 25.5.2009 brannte die an das Wohnhaus der Familie angrenzende Scheune ab, der
Sohn M… wurde als Verursacher des Brandes verdächtigt.
Das Amtsgericht Bernkastel-Kues leitete ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung
ein, das in Auftrag gegebene Erziehungsfähigkeitsgutachten konnte wegen mangelnder
Kooperation der Mutter nicht erstellt werden. Als sie dann den Umzug in die neuen
Bundesländer plante und nicht bereit war, ihre neue Anschrift anzugeben, nahm das
Jugendamt die Kinder am 28.5.2009 erneut in Obhut. Durch Beschluss des Amtsgerichts
Bernkastel-Kues vom 9.6.2009 (3 F 47/09) wurden der Mutter das
Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht auf Einleitung und Durchführung von
Hilfen zur Erziehung und das Recht zur Wahrnehmung der Gesundheitsfürsorge für alle
sechs Kinder entzogen und dem Jugendamt übertragen.
Noch im Juni 2009 zog die Mutter nach B…. Der Zeuge P… lebte mit ihr zusammen und
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Noch im Juni 2009 zog die Mutter nach B…. Der Zeuge P… lebte mit ihr zusammen und
renovierte das gemietete Haus. S… und C… kehrten im Juli 2009 in den Haushalt der
Mutter zurück. Die vier jüngeren Kinder wurden in verschiedenen Wohngruppen in der
Umgebung untergebracht.
Im Sommer 2010 zog die Mutter mit ihrem Partner P… sowie S… und C… erneut um,
und zwar in ein Haus in L…. Seit dem 28.7.2010 befindet sich der Zeuge P… wegen des
Verdachts, seinen Sohn D… in der Zeit von Januar 2001 bis Januar 2002 durch 106
selbstständige Handlungen sexuell missbraucht zu haben, in Untersuchungshaft.
Durch Schriftsatz vom 9.9.2009 hat die Mutter das vorliegende Verfahren eingeleitet und
behauptet, sie habe ihr Leben „komplett neu geregelt“, ein Haus angemietet und alles
vorbereitet, um mit ihren Kindern dort wohnen zu können. Sie hat beantragt, den
Beschluss des Amtsgerichts Bernkastel-Kues vom 9.6.2009 aufzuheben.
Das Amtsgericht hat die Diplompsychologin J… zur Verfahrensbeiständin ernannt und
das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Psych. Dr. Sch… zur Frage der
Erziehungsfähigkeit der Mutter eingeholt. Nach Anhörung der Beteiligten und
Vernehmung der Betreuer der Kinder in den jeweiligen Wohngruppen hat es durch den
Beschluss vom 11.6.2010 den Abänderungsantrag der Mutter zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Mutter mit der Beschwerde. Sie trägt vor:
Die Kinder könnten derzeit zwar nicht in ihrem Haushalt wohnen, sie stimme aber einer
Beibehaltung ihrer Unterbringung zu und sei bereit, mit dem Jugendamt
zusammenzuarbeiten. Sie wende sich nur gegen einseitig vom Jugendamt gemachte
Vorschriften und Bevormundung.
Die Beziehung zu ihrem Partner P… sei fest und innig, sie könne und wolle sich nicht von
ihm trennen. Das von ihr zu verlangen, sei grundgesetzwidrig. Eine Gefährdung der
Kinder durch ihren Partner bestehe nicht. Wegen seiner Haft könne er derzeit ohnehin
nicht mit den Kindern in Verbindung treten. Falls er nicht verurteilt werde, sei ein Kontakt
aber unter Aufsicht und Beachtung des Kindeswohls anzubahnen.
Die Mutter beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Bad Freienwalde vom
11.6.2010 den Beschluss des Amtsgericht Bernkastel-Kues vom 9.9.2009 aufzuheben
und ihr die elterliche Sorge für die Kinder M…, P…, Pa… und Pl… R… wieder allein zu
übertragen.
Das Jugendamt befürwortet das Begehren der Mutter nicht und weist darauf hin, dass
der erhöhte erzieherische und teilweise therapeutische Bedarf der Kinder auf das
Erziehungsverhalten der Mutter zurückzuführen, deren Erziehungsfähigkeit erheblich
eingeschränkt und deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt gering
sei.
Der Senat hat die Beteiligten angehört und den Zeugen P… vernommen. Die
Verfahrensbeiständin hat ihre Stellungnahme vom 21.4.2010, der Sachverständige sein
Gutachten vom 23.3.2010 ergänzt. Auf die Anhörungsvermerke zu den Senatsterminen
vom 11.11.2010 und 17.1.2011 wird Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Mutter, auf die wegen der Einleitung des Abänderungsverfahrens
nach dem 1.9.2009 das FamFG Anwendung findet, Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG (s.a.
Verfahrenshandbuch Familiensachen/Schael, 2. Aufl., § 2, Rz. 158), ist gemäß §§ 58 ff.
FamFG zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Es muss bei der vom Amtsgericht
getroffenen Entscheidung, wonach der die elterliche Sorge der Mutter teilweise
aufhebende Beschluss des Amtgerichts Bernkastel-Kues vom 9.6.2009 (3 F 47/09) nicht
abgeändert wird, verbleiben.
Sind, wie hier durch den Beschluss des Amtsgerichts Bernkastel-Kues vom 9.6.2009,
Maßnahmen zum Schutz von Kindern gemäß §§ 1666, 1666 a BGB getroffen worden,
müssen diese nach § 1696 Abs. 2 BGB aufgehoben werden, wenn eine Gefahr für das
Kindeswohl nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist. Eine
Gefahr besteht dann nicht mehr, wenn sie vollständig weggefallen ist, wenn also in den
tatsächlichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten ist oder Umstände zutrage
getreten sind, die zu einer anderen Beurteilung des der früheren Regelung zugrunde
gelegten Sachverhalts zwingen und sich danach ergibt, dass die
18
19
20
21
22
gelegten Sachverhalts zwingen und sich danach ergibt, dass die
Gefährdungsvoraussetzungen der §§ 1666, 1666 a BGB nicht mehr vorliegen (vgl.
Johannsen/Henrich/Büte, Familienrecht, 5. Aufl., § 1696 BGB, Rz. 34). Danach muss es
bei dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie des Rechts auf Einleitung und
Durchführung von Hilfen zur Erziehung und der Gesundheitsfürsorge für die Kinder M…,
P…, Pa… und Pl… R… verbleiben.
Entgegen der Ansicht der Mutter liegt eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse
nicht vor. Sie ist zwar von ihrem Wohnort in Rheinland-Pfalz nach Brandenburg
umgezogen, die häuslichen Verhältnisse mögen angemessen, das von ihr bewohnte
Haus ordentlich ausgestattet sein. Eine maßgebliche Änderung der Verhältnisse im
Sinne von § 1696 Abs. 1 BGB ist aber nicht eingetreten. Die Kinder benötigen weiterhin
ein hohes Maß an Leitung und Förderung, das die Mutter angesichts ihrer
eingeschränkten Erziehungsfähigkeit nicht gewährleisten kann. Insoweit hat sich auf ihrer
Seite nichts entscheidend geändert. Sie ist, wie sie in ihrer Beschwerdeschrift selbst
einräumt, (derzeit) nicht in der Lage, selbstständig für ihre Kinder in ihrem Haushalt zu
sorgen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dies könne mit Unterstützung des Jugendamts
geschehen.
Allerdings kann von einer Gefährdung des Kindeswohls durch den Partner der Mutter
nicht ausgegangen werden. Dem Zeugen P… wird zwar vorgeworfen, seinen eigenen
Sohn D… in mehr als 100 Fällen sexuell missbraucht zu haben, weswegen er sich seit
dem 28.7.2010 in Untersuchungshaft befindet. Es steht ferner im Raum, dass es einen
Übergriff auf P… gegeben habe, den die Tochter C… mit dem Handy aufgenommen
haben soll. Im Hinblick darauf ist die Mutter zunächst auch selbst, wie sich ihrem
Schreiben vom 15.11.2008 und demjenigen der Kreisverwaltung …, Fachbereich Jugend
und Familie, vom 11.2.2009 entnehmen lässt, von einer pädophilen Neigung ihres
Partners ausgegangen. Dass vom Zeugen P… tatsächlich eine Gefahr für die Kinder
ausgeht, lässt sich aber nicht feststellen. Er selbst hat bei seiner Vernehmung durch den
Senat jeglichen Vorwurf als Intrige bezeichnet und bekundet, C… habe den Vorfall mit
P… inszeniert, weil sie ihn aus dem Haushalt habe drängen wollen. Die Mutter hat diese
Angaben bei ihrer Anhörung durch den Senat bestätigt und geäußert, C… habe sich mit
dem behaupteten Vorfall „als Kriminalkommissarin aufgespielt“, weil sie sich nicht damit
abfinden könne, mit dem Zeugen P… zusammenzuleben. Im Übrigen befindet sich der
Zeuge P… zurzeit in Untersuchungshaft, sodass er schon deshalb nicht mit den Kindern
zusammentreffen kann.
Das Wohl der Kinder ist aber deshalb gefährdet, weil sie immer noch einen hohen
erzieherischen und therapeutischen Bedarf haben, ihre Mutter in ihrer
Erziehungsfähigkeit jedoch eingeschränkt und jedenfalls nicht in der Lage ist, sie
entsprechend den sich daraus ergebenden Anforderungen zu versorgen.
Alle vier Kinder, besonders M… und P…, benötigen, wie das Jugendamt in seinem Bericht
vom 5.10.2010 ausgeführt hat, ein Höchstmaß an erzieherischer und therapeutischer
Betreuung. Pa… und Pl… brauchen eine besondere Führung. Ihnen müssen klare
Grenzen gesetzt und feste Strukturen gegeben werden, damit sie sich an Regeln halten
können. M… hat, wie sich aus dem Entwicklungsbericht vom 24.9.2010 ergibt,
unverändert einen ausgeprägten Bewegungsdrang, verbunden mit einer ständigen
inneren Unruhe. Es fällt ihm, wie die Bezugserzieherin aus ihrem täglichen Umgang mit
ihm berichtet, schwer, sich über längere Zeit zu konzentrieren, er sucht ständig neue
Ablenkungsmöglichkeiten und Reize. Er konnte lange Zeit nicht beschult werden und ist,
obwohl bereits elf Jahre alt, außer Stande, die Schule für länger als zweimal drei Stunden
die Woche zu besuchen, vermittelt wird der Stoff der ersten Klasse. P… zeigt weiterhin
aggressive Wutausbrüche. Er verfügt kaum über soziale Verhaltensweisen, kennt kein
Unrechtsbewusstsein und zeigt sich sehr stark fremd- und selbstgefährdend. Er liebt
seine Mutter, fühlt sich von ihr aber zugleich emotional erdrückt und entwickelt eine sog.
Hass-Liebe. Wegen seiner Verhaltensauffälligkeiten und fehlenden sozialen Kompetenz
kann er eine Regelschule nicht besuchen. Das alles steht zur Überzeugung des Senats
aufgrund der Äußerungen des Jugendamts, etwa in den Hilfeplänen vom 23. und
29.9.2010, im Verein mit dem persönlichen Eindruck, den der Senat bei der
Kindesanhörung hat gewinnen können, fest.
All dies zeigt, dass die Kinder noch immer besonderer Betreuung und Förderung
bedürfen, auch wenn, wie die Vertreterin des Jugendamts bei ihrer Anhörung durch den
Senat berichtet und die Verfahrensbeiständin bestätigt hat, bei allen Kindern eine
positive Entwicklung eingesetzt hat, jedenfalls ein Anfang gemacht ist. Diese auf die
Bedürfnisse jedes Kindes individuell abzustimmende besondere Betreuung und
Förderung kann die Mutter nicht gewährleisten.
23
24
25
26
27
28
Wie der Sachverständige Dr. Sch… in seinem sorgfältig abgefassten, folgerichtig und
ohne innere Widersprüche entwickelten Gutachten, dessen Feststellungen der Senat bei
der Anhörung der Mutter bestätigt gefunden hat, ausführt, ist die Mutter selbst
hilfebedürftig, leidet an einer Angststörung und benötigt eine Therapie. Sie projiziert
ihren überstarken Beziehungswunsch auf die Kinder und kann ihre eigenen Wünsche
nicht von denjenigen der Kinder trennen. Dies zeigt sich an dem wiederholt von der
Mutter auf die Kinder ausgeübten starken Druck, den Zeugen P… als ihren Vater
anzuerkennen. Die Mutter kann, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem
Senat überzeugend ausgeführt hat, ihr Augenmerk wegen ihrer eigenen
Behandlungsbedürftigkeit nicht in erster Linie auf die Kinder richten, sodass sich schon
von daher eine kindeswohlgefährdende Einschränkung ihrer Erziehungsfähigkeit ergibt.
Dass die Kinder vor diesem Hintergrund (derzeit) nicht in ihren Haushalt zurückkehren
können, sieht im Übrigen auch die Mutter so.
Der Mutter kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nicht im Hinblick darauf
zurückübertragen werden, dass sie erklärt hat, sie wolle die Kinder in ihren derzeitigen
Wohngruppen belassen und sie schrittweise in ihren Haushalt zurückführen, sie sei auch
bereit, künftig mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten. Denn es kann nicht erwartet
werden, dass die Mutter sich entsprechend dieser Ankündigung verhalten wird, weil sie
sich schon bisher wiederholt nicht an ihre Ankündigungen gehalten und eigene
Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt hat. Im Übrigen hält sich die Mutter nicht stets
an die Wahrheit und legt die Dinge so zurecht, wie sie sie gerade braucht.
Die Zusammenarbeit von Mutter und Jugendamt war schon bisher nicht von
Verlässlichkeit geprägt. Getroffene Verabredungen wurden von der Mutter, ungeachtet
der Bedürfnisse ihrer Kinder, nicht vollständig eingehalten. So hat sie sich nach dem
Bericht des Jugendamts zwar daran gehalten, die Kinder, wie verabredet, im Sommer
2010 nicht zu besuchen, sie hat ihnen aber, entgegen der weiteren Verabredung, keine
Karten geschrieben. Vielmehr hat sie sich bei den Kindern überhaupt nicht gemeldet und
ihr Verhalten später damit erklärt, keine Zeit gehabt zu haben, weil sie zusammen mit
dem Zeugen P… ein anderes Haus in L… bezogen habe. Bei ihrer Anhörung durch den
Senat hat sie dazu erläutert, sie habe anderes zu tun gehabt als Karten zu schreiben,
der Zeuge P… sei in dieser Zeit verhaftet worden, die Kinder hätten wohl auch nicht auf
eine Karte von ihr gewartet. Dies zeigt nicht nur mangelnde Zuverlässigkeit der Mutter,
sondern auch, dass für sie die eigenen Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Wie sie
glauben konnte, die Kinder würden eine Nachricht von ihr nicht vermissen, ist nicht
nachvollziehbar, zumal sie im Übrigen stets auf die gute Beziehung zu ihren Kindern
hinweist, die Kinder ihrerseits, wie bei ihrer Anhörung durch den Senat deutlich geworden
ist, an der Mutter hängen.
Die trotz geäußerter Kooperationsbereitschaft fehlende Bereitschaft zur
Zusammenarbeit mit dem Jugendamt zeigen auch die Bekundungen der Mutter vor dem
Senat. So wollte sie sich wiederholt zu bestimmten Fragen in Anwesenheit der
Jugendamtsvertreterinnen erst gar nicht äußern. Überdies hat sie erklärt, mit diesen
verstehe sie sich (nur), weil man sich verstehen müsse. Familienhilfe, so die Mutter
weiter, wolle sie in Anspruch nehmen, wenn die „Chemie stimme“. All dieses macht
deutlich, dass die Mutter dem Jugendamt skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, die
Erforderlichkeit der Unterstützung durch das Jugendamt zwar verbal bekundet,
tatsächlich aber nur zu ihren Bedingungen dazu bereit ist. Diese vom Senat gewonnene
Überzeugung wird durch die Einschätzung der Jugendamtsvertreterin bei ihrer Anhörung
durch den Senat, die Zusammenarbeit mit der Mutter gestalte sich schwierig, sie sei
dem Jugendamt gegenüber misstrauisch und könne ambulante Hilfsangebote nicht
annehmen, bestätigt.
Fehlende Berechenbarkeit mit der Folge fehlenden Vertrauens in die Tragfähigkeit ihrer
Bekundung, mit dem Jugendamt zusammenarbeiten zu wollen, folgt auch aus ihrer
subjektiven Sicht der Dinge, die teilweise mit der Wahrheit nicht übereinstimmt. So hat
sie etwa ihren Kindern gegenüber behauptet, mit Vierlingen schwanger zu sein, und
diese Behauptung auch gegenüber dem Strafrichter aufrechterhalten, der dann in
seinem Urteil vom 29.3.2010, durch das er die Mutter wegen Diebstahls zur einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt hat, davon ausgegangen ist, sie habe
insgesamt zehn Kinder, die Vierlinge seien im Zeitpunkt der Verurteilung zwei Monate
alt. Gründe, aus denen die Mutter diese unwahre Behauptung aufgestellt hat, sind nicht
erkennbar, sie war bei ihrer Anhörung durch den Senat nicht bereit, sich dazu zu äußern.
Das Vorgehen der Mutter, ihren Kindern nichts von dem Umzug nach L… zu berichten,
sondern ihnen – heimlich – Zettel mit der neuen Anschrift zuzustecken, zeigt ebenfalls,
dass sie nach ihren Vorstellungen entscheidet, was und wieviel ihre Umgebung über sie
29
30
31
32
dass sie nach ihren Vorstellungen entscheidet, was und wieviel ihre Umgebung über sie
und ihr Leben wissen darf. Das Gleiche gilt für die fehlende Bereitschaft, ihre Kinder über
den bevorstehenden Strafantritt zu unterrichten. Im Übrigen hat sie damit die Chance
für einen offenen Umgang mit den Kindern vertan.
Die Kinder ihrerseits sind derzeit gut betreut und werden in den Wohngruppen ihrer
besonderen Situation entsprechend gefördert. Sie haben sich bei ihrer Anhörung durch
den Senat positiv über ihre jeweilige Wohngruppe geäußert, auch wenn sie gleichzeitig
erklärt haben, sie hätten ihre Mutter sehr lieb und wollten eigentlich wieder mit ihr
zusammenleben. Das aber kommt angesichts der dargestellten Erziehungs- und
Förderungsdefizite der Mutter nicht in Betracht. Vielmehr muss es bei dem Entzug des
Aufenthaltsbestimmungsrechts bleiben.
Da die Kinder in verschiedenen, räumlich vom Wohnort der Mutter weiter entfernten
Wohngruppen leben, eine verlässliche Zusammenarbeit von Jugendamt und Mutter, wie
dargestellt, nicht gewährleistet ist, muss es auch bei der Entziehung des Rechts auf
Einleitung und Durchführung von Hilfen zur Erziehung und der Gesundheitsfürsorge
bleiben.
Eine (teilweise) Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater scheidet aus. Denn er
ist, wie er bei seiner Anhörung durch den Senat angegeben hat, seit rund acht Jahren
von der Mutter getrennt. Seine Kinder hat er zuletzt im August 2008 (also vor gut 2 ½
Jahren) gesehen. Schon wegen der so fehlenden persönlichen Beziehung der Kinder zu
ihrem Vater kann eine Entscheidung zu seinen Gunsten nicht erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum