Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: hinreichender tatverdacht, firma, ordnungswidrigkeit, foto, geschäftsführer, erlass, höchstgeschwindigkeit, inhaber, verfolgungsverjährung, auflage

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss (OWi) 22 B/07, 2
Ss (OWi) 22B/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 1 S 1 Nr 1 OWiG, § 24
StVG, § 26 Abs 3 StVG
Behördliches Bußgeldverfahren wegen
Verkehrsordnungswidrigkeit:
Verfolgungsverjährungsunterbrechende Wirkung der
Übersendung des Anhörungsbogens an die Firma oder den
Verantwortlichen eines Unternehmens als Kraftfahrzeughalter
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen
Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bad Liebenwerda hat mit Urteil vom 15. September 2006 gegen den
Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
eine Geldbuße von 800,00 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von drei Monaten
angeordnet.
Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und
materiellen Rechts.
II.
Die dem Rechtsbeschwerdegericht auf Grund der zulässigen Rechtsbeschwerde
obliegende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass die Verfolgung der dem
Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit verjährt ist.
Das Verfahren ist gemäß § 206 a Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen. Damit
verliert das angefochtene Urteil seine Wirkung.
Nach den Feststellungen des Urteils soll der Betroffene die Ordnungswidrigkeit am 31.
Mai 2005 begangen haben. Die dreimonatige Frist der Verfolgungsverjährung bis zum
Erlass eines Bußgeldbescheids (§ 26 Abs. 3, § 24 StVG) wurde am 15. Juni 2005
unterbrochen und endete am 15. September 2005 und somit vor Erlass des
Bußgeldbescheids am 10. Oktober 2005.
Die Übersendung des Anhörungsbogens durch das Straßenverkehrsamt am 15. Juni
2006 hat als Anhörung des Betroffenen die Verfolgungsverjährung gemäß § 33 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 OWiG wirksam unterbrochen. Die erneute Übersendung eines
Anhörungsbogens am 29. Juli 2005 konnte die Verjährung nicht ein zweites Mal
unterbrechen, denn die Unterbrechungsmöglichkeiten des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG
bestehen nur alternativ, nicht kumulativ (Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 33 Rdnr. 6 a
m.w.N.).
Die die Verjährung unterbrechende Wirkung einer in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG
genannten Handlung tritt nur dann ein, wenn sie sich gegen eine individuell bestimmte
Person richtet, die von der Verwaltungsbehörde als Täter verdächtigt wird (BGHSt 24,
321, 323).
Die Übersendung eines Anhörungsbogens als Bekanntgabe im Sinn dieser Vorschrift ist
nur ausreichend, wenn daraus für den Adressaten hervorgeht, dass die Ermittlungen
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nur ausreichend, wenn daraus für den Adressaten hervorgeht, dass die Ermittlungen
gegen ihn als Betroffenen geführt werden und er nicht nur als Zeuge zur Ermittlung des
betroffenen Fahrzeugführers in Frage kommt (OLG Hamm, NZV 2000, 178, 179; OLG
Hamburg NStZ-RR 1999, 20 f.). Ermittlungen gegen eine Firma bzw. die Verantwortlichen
eines Unternehmens konkretisieren in der Regel den Täter nicht nach näheren
Merkmalen (OLG Brandenburg, NZV 1998, 424; Göhler, a.a.O., § 33 Rdnr. 56). Wenn sich
aber hinter der Firma eine natürliche Person - also ein Einzelkaufmann - verbirgt oder
nach dem Text der Betroffene konkretisiert wird, reicht diese Bezeichnung aus, um
deutlich zu machen, dass die Ermittlungen der Behörde sich gegen den in Person
bestimmten Adressaten richten (Göhler, a.a.O., § 33 Rdnr. 56; OLG Düsseldorf NZV
1999, 348; BayObLG VRS 75, 218).
Daran ändert sich auch nichts, wenn der Tatverdacht ohne ausreichende tatsächliche
Grundlage erhoben wurde und die Behörde nach fehlender Einlassung des Adressaten
weitere Ermittlungen veranlasst, bevor sie den Bußgeldbescheid erlässt (BayObLG VRS
75, 218).
Der Anhörungsbogen, den das Straßenverkehrsamt am 15. Juni 2005 abgesandt hat,
wendet sich gegen den Betroffenen persönlich.
Zwar ist die Gestaltung des Bogens und sind die Formulierungen des Textes dort nicht
widerspruchsfrei. Der Bogen selbst ist als „Anhörung des Betroffenen“ überschrieben. Im
Adressenfeld ist der Adressat des Schreibens als „An den Geschäftsführer(in) M. G. M.
m. G.“ mit der Anschrift der Firma des Betroffenen in L. bezeichnet. Die Anrede im Text
ist mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ unpersönlich gewählt und der Tatvorwurf
beginnt mit „dem Führer des Fahrzeugs wird hiermit zur Last gelegt ...“. Nach Angabe
von Tatort und Tatzeit heißt es weiter: „Sie überschritten die zulässige
Höchstgeschwindigkeit ...“, wonach als Beweismittel das Foto des
Geschwindigkeitsmessgeräts benannt wird. Daran schließt sich die Belehrung an: „Nach
§ 55 OWiG wird Ihnen hiermit Gelegenheit gegeben, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Es
steht Ihnen frei, sich zu der Beschuldigung zu äußern ... Sie sind aber in jedem Fall -
auch wenn Sie die Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben – verpflichtet, die Fragen
zur Person ... zu beantworten“.
Aus dem Gesamteindruck dieses Bogens ergibt sich, dass die Straßenverkehrsbehörde
den Betroffenen als Halter des Wagens und Inhaber bzw. Geschäftsführer der Firma
anhand des augenscheinlich einen Mann abbildenden Fotos der Ordnungswidrigkeit
verdächtigte und ihn zu diesem Vorwurf anhören wollte. Trotz der unpersönlichen Anrede
und der Formulierung „dem Führer des Fahrzeugs“ ist ersichtlich, dass sich die
Ermittlungen bereits gegen den Betroffenen als Inhaber und „Geschäftsführer“ der
Firma, die seinen Namen trägt, richteten. Entsprechend konkret sind auch die
Formulierungen zum Tatvorwurf, in denen der Betroffene persönlich angesprochen wird.
Die Belehrung über die Betroffenenrechte ist – ohne Einschränkungen für eventuelle
Zeugenaussagen – angefügt.
Danach ist auszuschließen, dass die Straßenverkehrsbehörde das Schreiben lediglich
zur Ermittlung des Fahrers an die Firma als Halterin des fraglichen Fahrzeugs sandte.
Dass die Straßenverkehrsbehörde anschließend den Tatverdacht nicht für ausreichend
hielt und weitere Ermittlungen veranlasste, nachdem der Betroffene sich zu dem Vorwurf
nicht geäußert hatte, steht dem ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass sie dem
Betroffenen unter seiner Privatanschrift in D. am 29. Juli 2005 einen zweiten
Anhörungsbogen übersandte, in welchem sie im Text konkret mit Namen ansprach und
formulierte „Ihnen wird hiermit zur Last gelegt ...“.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.
Der Senat hat von der Möglichkeit, gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon
abzusehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen,
keinen Gebrauch gemacht. Zwar besteht diese auch bei einer Verfahrenseinstellung
außerhalb der Hauptverhandlung. Sie setzt aber voraus, dass ein hinreichender
Tatverdacht gegen den Betroffenen fortbesteht (Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 467
Rdnr. 16).
Bei Einstellung durch das Revisionsgericht kommt es darauf an, ob die Verurteilung beim
Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses sicher erscheint (Meyer-Goßner a.a.O.).
Dies ist hier bisher nicht der Fall. Der Betroffene hat nicht eingeräumt, zur Tatzeit der
18 Dies ist hier bisher nicht der Fall. Der Betroffene hat nicht eingeräumt, zur Tatzeit der
Fahrer des fraglichen Fahrzeugs gewesen zu sein. Das vom Geschwindigkeitsmessgerät
gefertigte Foto zeigt wegen der herunter geklappten Sonnenblende nur den unteren Teil
des Gesichts des Fahrers. Das Ergebnis des vom Amtsgericht in Auftrag gegebenen
humanbiologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Identität des Fahrers ist
nicht aktenkundig. Auch im Hauptverhandlungstermin ist der beauftragte Gutachter
nicht geladen worden, so dass dessen Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden können.
Dass das Amtsgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen
maßgeblich auf das genannte Foto gestützt hat, rügt der Betroffene mit seiner
Rechtsbeschwerde zu Recht.
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