Urteil des OLG Brandenburg vom 20.10.2009

OLG Brandenburg: elterliche sorge, entziehung der elterlichen sorge, haushalt, eltern, wohl des kindes, jugendamt, bedürfnis, zukunft, heim, wechsel

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UF 176/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1666 BGB, § 1666a BGB
Sorgerechtsbeeinträchtigende Maßnahmen: Entziehung der
elterlichen Sorge und Herausnahme eines Kindes aus dem
Haushalt der Mutter
Tenor
Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 1. und 2. wird der Beschluss des Amtsgerichts
Strausberg vom 20. Oktober 2009 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beteiligten zu 1. wird die elterliche Sorge für die Kinder J…, Je… und A… K…
entzogen.
Dem Beteiligten zu 2. wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder Je… und A…
entzogen.
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder Je… und A… K… wird dem Jugendamt
des Landkreises … als Pfleger übertragen. Das Aufenthaltsbestimmungsrechts für J…
K… wird auf den Vater übertragen.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern der Kinder
Seit dem Jahr 2002 wird für die Familie Hilfe zur Erziehung geleistet. Die Trennung der
Eltern erfolgte im August 2006. Die Mutter steht unter Betreuung. Der Aufgabenkreis
ihrer Betreuerin umfasst die Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen,
Gerichten, Versicherungen und Kreditinstituten sowie in Angelegenheiten der
Vermögenssorge.
Bis November 2008 lebten die drei Kinder im Haushalt der Mutter. Aufgrund einer SMS
an ihren Lebensgefährten, aus der sich der Schluss auf Selbsttötungsgedanken der
Mutter ergab, hat das Jugendamt die drei Kinder am 29.11.2008 in Obhut genommen
und in einer Wohneinrichtung in S… untergebracht sowie das Amtsgericht angerufen. Im
Verhandlungstermin vom 17.12.2008 hat das Amtsgericht die Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Eltern angeordnet.
Mit den Eltern wurde vereinbart, dass bis zur Vorlage des schriftlichen Gutachtens J…
seinen Aufenthalt beim Vater hat und Je… sowie A… in den Haushalt der Mutter
zurückkehren.
Trotz wiederholter Zusagen und zahlreicher Terminsabsprachen nahm die Mutter mit
den Kindern Je… und A… an der Begutachtung nicht teil. Von der Sachverständigen,
Dipl.-Psych. B… Sch…, wurden deshalb nur Je… und der Vater begutachtet. Die
gutachterliche Stellungnahme vom 11.5.2009 empfahl für J…, der aufgrund einer
Leistungsdiagnostik als geistig behindert eingestuft ist, den Verbleib beim Vater.
Durch Beschluss vom 20.10.2009 hat das Amtsgericht der Mutter die elterliche Sorge für
die drei Kinder sowie dem Vater für sechs Monate das Aufenthaltsbestimmungsrecht für
Je… und A… entzogen. Dem Jugendamt als Pfleger wurde für Je… und A… das Recht zur
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Je… und A… entzogen. Dem Jugendamt als Pfleger wurde für Je… und A… das Recht zur
Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, zur Gesundheitsfürsorge sowie zur
Regelung des Umgangs übertragen. Das Jugendamt hat daraufhin Je… und A… am
11.11.2009 in einer Jugendhilfeeinrichtung in O… untergebracht.
Gegen die Sorgerechtsregelung des Amtsgerichts haben die Mutter Beschwerde und der
Vater Anschlussbeschwerde eingelegt. Im Senatstermin vom 16.3.2010 einigten sich die
Eltern, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J… dem Vater allein übertragen wird.
Nachdem die Mutter bei ihrer Anhörung zugesagt hatte, in Zukunft öffentliche Hilfen
annehmen und nutzen zu wollen, hat der Senat durch Beschluss vom 23.3.2010 im
Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für Je… und A…
vorläufig der Mutter allein übertragen. Ferner wurde die Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens beschlossen, das die Sachverständige, Dipl.-Psych. A…
M…, unter dem 30.8.2010 erstattet hat. Seit dem 18.4.2010 und bis heute leben Je…
und A… aufgrund der einstweiligen Anordnung des Senats wieder im Haushalt der
Mutter.
Die Mutter beantragt nunmehr,
den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 20.10.2009 abzuändern und ihr
die elterliche Sorge für Je… und A… allein zu übertragen.
Der Vater stellt den Antrag,
den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 20.10.2009 abzuändern und
ihm die elterliche Sorge für alle drei Kinder, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht
für Je… und A… allein zu übertragen.
Im Übrigen beantragen beide Eltern Zurückweisung des Rechtsmittels des jeweiligen
anderen Elternteils.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gerichtlichen Beschlüsse und die
schriftlichen Sachverständigengutachten sowie wegen des Vorbringens der Eltern auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 1 ZPO a. F. statthaften und auch im Übrigen
form- sowie fristgemäß eingelegten Beschwerden der beteiligten Eltern - die gemäß
Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG nach altem Recht zu beurteilen sind - führen ganz
überwiegend nicht zum Erfolg.
1.
Mutter
Voraussetzungen für eine Entziehung der elterlichen Sorge für alle drei Kinder sowie eine
Herausnahme von Je… und A… aus ihrem Haushalt vor. Dass J… seinen
Lebensmittelpunkt beim Vater hat und behalten soll, steht zwischen den Eltern nicht
mehr im Streit. Die Mutter ist in ihrer Erziehungs- und Förderkompetenz so erheblich
eingeschränkt, dass daraus eine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne von §§ 1666,
1666 a BGB resultiert. Dieser Umstand rechtfertigt es, der Mutter die elterliche Sorge für
alle drei Kinder zu entziehen und die beiden jüngeren Kinder - weil auch der Vater
gegenwärtig zu ihrer Betreuung und Versorgung nicht in der Lage ist - fremd
unterzubringen.
Ein Entzug der elterlichen Sorge oder von Teilen der elterlichen Sorge ist gerechtfertigt,
wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird und die
Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, § 1666 Abs. 1
BGB. Eine Kindeswohlgefährdung in diesem Sinne bedeutet, dass Eltern in ihrer
Schutzfunktion versagt haben. Denn zwischen den als Kindeswohlgefährdung definierten
Verletzungen, Entwicklungsdefiziten und Auffälligkeiten des Kindes einerseits und dem
Erziehungsverhalten der Eltern andererseits besteht ein untrennbarer Zusammenhang
(vgl. dazu Johannsen/Henrich/Büte, Familienrecht, 5. Aufl., § 1666 BGB, Rz. 21). Eine
Trennung des Kindes von den Eltern erfordert nach § 1666 a BGB zudem, dass der
Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden
kann. Danach können die beiden jüngeren Kinder vorliegend nicht im Haushalt der
Mutter verbleiben.
a)
Die Sachverständige M… hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 30.8.2010, dem der
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Die Sachverständige M… hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 30.8.2010, dem der
bei Je… und A… erhebliche
entwicklungspsychologische Defizite und Verhaltensauffälligkeiten
Vergleich zu anderen gleichaltrigen Kindern vorliegen.
Bei Je… bestehen Defizite im kognitiven, emotionalen und sozialen Bereich. Seine
sprachliche Entwicklung und seine soziale Kompetenz sind nicht altersentsprechend.
Eine Dyskalkulie sowie eine Lesestörung wurden diagnostiziert. Sein Leistungsvermögen
kann Je… aufgrund fehlender Förderung im mütterlichen Haushalt nicht ausschöpfen. Es
bestehen zudem Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Suche nach Aufmerksamkeit und
Zuwendung, Bedürfnis nach körperlicher Nähe, Gefühle der Überforderung und
mangelnden Anerkennung, Misserfolgsorientierung, fehlendes Vertrauen in die eigene
Leistungsfähigkeit), die auf Defizite im emotionalen Bereich hinweisen. Die
Sachverständige hält eine erfolgreiche schulische Entwicklung von Je… bei einem
Verbleib des Jungen im Haushalt der Mutter für gefährdet. Zwar wird Je… aufgrund seiner
Verhaltensauffälligkeiten sowie seiner erheblichen Leistungsprobleme bereits
sonderpädagogisch gefördert. Dennoch hat sich die Situation nach den Angaben der
Klassenlehrerin seit der Rückführung des Jungen in den Haushalt der Mutter aufgrund
des Senatsbeschlusses vom 23.3.2010 deutlich verschlechtert. Dies ist auch auf das
Verhalten bzw. Unterlassen der Mutter zurückzuführen, da die Teilnahme von Je… an
den wöchentlichen ergotherapeutischen Förderungsterminen nur unregelmäßig erfolgt,
sodass bislang keine ausreichenden Therapieerfolge eintreten konnten.
Bei A… hat die Sachverständige im Vergleich zu anderen Kindern Einschränkungen bzw.
Auffälligkeiten im kognitiven sowie emotionalen Bereich festgestellt. Ihre sprachliche
Entwicklung ist nicht altersentsprechend. Die erhöhte Ablenkbarkeit und das
eingeschränkte Konzentrationsvermögen werden durch die festgestellte Überforderung
des Mädchens mit der familiären Situation deutlich verstärkt. Um eine erfolgreiche
schulische Entwicklung nicht zu gefährden, ist das Mädchen auf intensive Förderung und
Unterstützung angewiesen. Die Mutter ist nicht in der Lage, dies zu leisten.
Um den genannten Entwicklungseinschränkungen von Je… und A… wirksam begegnen
zu können, bedarf es nach Einschätzung der Sachverständigen der Ausbildung enger
und tragfähiger Beziehungen beider Kinder zu einer stabilen Bezugsperson.
b)
Die Mutter ist nach den Ausführungen der Sachverständigen derzeit als nur
eingeschränkt erziehungsfähig
Bereits das Bedürfnis der Kinder nach Sicherstellung der physiologischen
Grundbedürfnisse (Kleidung, Nahrung, Hygiene, Gesundheitsfürsorge) wird von der
Mutter lediglich eingeschränkt erfüllt. Es gelingt der Mutter trotz der Unterstützung durch
ihre Betreuerin nicht, von sich aus die ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel so
einzuteilen, dass für die Belange der Kinder ausreichend gesorgt wird. So hat die
Familienhelferin bei Hausbesuchen in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart
festgestellt, dass keine ausreichenden Nahrungsmittel vorhanden sind. Die
Ergotherapietermine für Je… nimmt die Mutter nur unzuverlässig wahr und erschwert
damit eine adäquate und dringend notwendige Förderung des Jungen sowie eine
Verbesserung seiner Situation. Während einer Klassenfahrt ist Je… durch unsaubere
Kleidung aufgefallen. Als Je… kürzlich erkrankt war, konnte seine Mutter unter der von ihr
angegebenen Notfallnummer nicht erreicht werden. Zudem hat sich herausgestellt,
dass die Mutter den Jungen zur Schule geschickt hat, obwohl es ihm bereits am Morgen
schlecht gegangen ist.
Die Mutter ist ferner nicht in der Lage, den Kindern altersangemessene Grenzen zu
setzen und ihrem Bedürfnis nach Orientierung, Strukturen und Regeln gerecht zu
werden. Zwar besitzt sie nach den Angaben der Sachverständigen die Fähigkeit, sich
den Kindern immer wieder liebevoll zuzuwenden und zeitweise auf ihre spielerischen
Initiativen positiv einzugehen. Obwohl sie darauf von Dritten bereits wiederholt
hingewiesen worden ist, gelingt es der Mutter nicht, den Kindern eine ausreichende
Tagesstrukturierung zu schaffen. Außerdem gibt es zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass
die Kinder im Tagesverlauf häufig sich selbst überlassen sind, wodurch das Bedürfnis der
Kinder nach Sicherheit vernachlässigt wird. Selbst abends lässt die Mutter Je… und A…
allein in der Wohnung zurück, ohne die Kinder darüber zu informieren. Diese
Abwesenheit wurde sowohl von Je… als auch von A… bemerkt und gegenüber der
Sachverständigen so mitgeteilt.
Das Unvermögen der Mutter, die Kinder vor dem bestehenden Alkoholproblem ihres
Lebensgefährten zu schützen, weist nach Darstellung der Sachverständigen ebenfalls
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Lebensgefährten zu schützen, weist nach Darstellung der Sachverständigen ebenfalls
auf ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Mutter gegenüber den Kindern hin.
Ferner ist sie nicht in der Lage, die Bedürfnisse der Kinder nach neuen und
entwicklungsgerechten Erfahrungen zu erfüllen. So werden von der Mutter die für die
Entwicklung der Kinder wichtigen sozialen Kontakte außerhalb der Schule nicht gefördert.
Auch die Sicherstellung der schulischen Belange der Kinder gelingt der Mutter nicht in
ausreichender Weise. Dies umfasst zum einen die konkrete Förderung der Kinder, die sie
aufgrund ihrer eigenen, von der Sachverständigen festgestellten intellektuellen
Einschränkung nicht leisten kann. Zum anderen zeigt die Mutter mangelndes Interesse
und Engagement im Hinblick auf die schulischen Angelegenheiten der Kinder. Die Mutter
lässt in diesem Zusammenhang aber auch externe Hilfen nicht ausreichend zu bzw.
nimmt die entsprechenden Termine mit den Kindern nicht regelmäßig wahr.
Weiterhin hat die Sachverständige die fehlende Bindungstoleranz der Mutter als
Erziehungseinschränkung eingestuft. Es gelingt der Mutter nicht, die Bedeutung des
Vaters für die Identitätsentwicklung von Je… und A… anzuerkennen und ihnen einen
freien und unkomplizierten Zugang zum Vater zu ermöglichen.
Die Untersuchungen und Beobachtungen der Sachverständigen haben deutlich
gemacht, dass die Mutter aktuell nicht ausreichend in der Lage ist, die spezifischen
Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen und zu erfüllen. Es ist bis heute - trotz ihrer
wiederholten gegenteiligen Beteuerungen - nicht zu der aus Gründen des Kindeswohls
notwendigen grundlegenden Einstellungsänderung der Mutter gekommen. Die ihr
aufgrund des Senatsbeschlusses vom 23.3.2010 eingeräumte Chance, die
angekündigten Veränderungen in ihrem Verhalten vorzunehmen sowie Familienhilfe
anzunehmen, hat sie trotz der ihr im Verhandlungstermin vom 16.3.2010 vom Senat
eindringlich vor Augen geführten Folgen nicht genutzt. Die Berichte der Familienhelferin
sowie der Klassenlehrer zeigen, dass die Mutter auch aktuell wiederholt reale
Anforderungen vernachlässigt und somit grundlegende Bedürfnisse der Kinder unerfüllt
bleiben. Auf der anderen Seite bezieht sie die Kinder zu stark in ihre eigenen Probleme
mit ein, wodurch sie diese emotional überfordert. Von Dritten wird das Befinden der
Kinder allgemein als „angestrengt“ und „stark strapaziert“ beschrieben.
Der Senat geht mit der Sachverständigen M… davon aus, dass die Mutter aufgrund ihrer
intellektuellen Einschränkungen und ihrer eingeschränkten Konfliktbewältigungsfähigkeit
sowie ihrer Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse nach wie vor und nicht nur in
Krisensituationen die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht erkennt. Mangelnde Problemeinsicht
und Lernfähigkeit, die sich in der Übergangszeit seit dem Senatsbeschluss vom
23.3.2010 bestätigt haben, rechtfertigen die Annahme, dass die Mutter voraussichtlich
auch in der Zukunft nicht ausreichend in der Lage ist, Je… und A… die notwendige
Stabilität und Kontinuität zu vermitteln, die sie für ihre emotionalen, kognitiven und
sozialen Bedürfnisse benötigen.
Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die Erziehungsfähigkeit und Förderkompetenz
der Mutter erheblich eingeschränkt ist. Entsprechendes gilt für ihre Bereitschaft, Hilfen
zu akzeptieren und diese umzusetzen. Die gerichtlichen Auflagen wurden nicht erfüllt (z.
B. Kooperation mit der Familienhelferin und der Sachverständigen, Einhaltung der
Umgangskontakte mit dem Vater). Es ist somit nicht zu einer Verbesserung der
Situation für die Kinder gekommen, obwohl die Mutter wusste, dass es aufgrund des
Senatsbeschlusses vom 23.3.2010 gilt, ihre Zusagen, in Zukunft öffentliche Hilfen
annehmen und nutzen zu wollen, in der Praxis unter Beweis zu stellen. Ein Verbleib der
Kinder im Haushalt der Mutter birgt das Risiko, dass sich die bestehenden
Verhaltensprobleme und die schulischen Probleme der Kinder als Folge einer
emotionalen, sozialen und kognitiven Vernachlässigung im Haushalt der Mutter weiter
verfestigen. Daher ist vorliegend in Übereinstimmung mit den Familienhelfern eine
psychosoziale Verwahrlosung festzustellen, die die Grenze der Kindeswohlgefährdung
überschreitet. Das Verhalten der Mutter seit der einstweiligen Anordnung des Senats
vom 23.3.2010 macht deutlich, dass die Gewährung ambulanter Hilfen nicht ausreichend
ist, um die deutlichen Erziehungseinschränkungen der Mutter zu kompensieren und die
Gefährdung aufzufangen. Das tatsächliche Verhalten der Mutter macht deutlich, dass
ihre Kooperations- und Lernfähigkeit sowie ihre Veränderungsbereitschaft nicht
genügend ausgebildet und vorhanden sind. Unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismäßigkeit stehen gegenwärtig keine milderen Mittel als die Herausnahme von
Je… und A… aus dem Haushalt der Mutter zur Verfügung.
c)
Zwar haben Je… und A… übereinstimmend den Wunsch zum Ausdruck gebracht, in
Zukunft bei der Mutter leben zu wollen. Es gebe dort nichts, was ihnen nicht gefalle. Die
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Zukunft bei der Mutter leben zu wollen. Es gebe dort nichts, was ihnen nicht gefalle. Die
Sachverständige hat jedoch festgestellt, dass die Willensäußerung von Je… als wenig
intensiv, zielorientiert und stabil angesehen werden könne, da er gleichzeitig angab, es
im Heim und beim Vater sei es ebenfalls „lustig“ gewesen, er wisse nicht, ob er gerne im
Heim geblieben wäre. Zwar habe A… deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihr bei
der Mutter besser gefalle als beim Vater oder im Heim. Sie habe dies aus kindlicher
Perspektive erlebnisgestützt, autonom und zielorientiert begründet. Die
Sachverständige hat jedoch herausgearbeitet, dass eine Umsetzung des Kindeswillens
unter den gegebenen Umständen dem Kindeswohl schaden würde. Es ist daher
selbstgefährdenden Kindeswillen
folgen ist.
d)
Dem Vater bescheinigt hat die Sachverständige, dass er sich sehr intensiv um den Sohn
J… bemüht. Insoweit ergaben sich keine Zweifel an der Bereitschaft und Fähigkeit des
Vaters, J… verantwortungsvoll und angemessen zu betreuen, zu versorgen und zu
erziehen. Auflagen des Gerichts, mit dem Jugendamt und dem Familienhelfer
zusammenzuarbeiten, werden von ihm zuverlässig und mit ausgeprägter Bereitschaft
zur Kooperation erfüllt. Dem Familienhelfer zufolge hat sich im Verlauf der öffentlichen
Hilfeleistung ein gutes „Arbeitsbündnis“ entwickelt. Gemeinsam sei viel erreicht worden,
da der Vater sich auf die Hilfe eingelassen habe und Ratschläge annehme.
der Vater
Wechsel von Je… und A… in seinen
Haushalt zum aktuellen Zeitpunkt
Versorgung stellt hohe Anforderungen an ihn. Hinzu kommt, dass Je… und A… aufgrund
ihrer bestehenden erheblichen Defizite im kognitiven und emotionalen ebenfalls erhöhte
Anforderungen an ihn stellen würden, die der Vater gegenwärtig nicht auch noch leisten
kann. Der Senat folgt daher der Empfehlung der Sachverständigen, dass für Je… und A…
zunächst eine Fremdunterbringung geboten ist. Die Kinder müssen dabei Gelegenheit
erhalten, sich einzugewöhnen und zu stabilisieren. Im Übrigen wird nach Ablauf von etwa
einem halben bis einem Jahr erneut zu überprüfen sein, wie sich die Umgangskontakte
und die Beziehungen von Je… und A… zum Vater sowie der drei Geschwister
untereinander gestalten und ob zukünftig - zu einem jetzt noch nicht bestimmbaren
Zeitpunkt - ein Wechsel von Je… und A… in den Haushalt des Vaters möglich ist.
2.
Soweit es die Beschwerde des Vaters betrifft, haben sich die Eltern im Senatstermin
vom 16.3.2010 geeinigt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J… auf den Vater
allein übertragen werden soll. Dem ist gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu entsprechen.
Soweit es um Je… und A… geht, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass
gegenwärtig eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die beiden
jüngeren Kinder auf den Vater allein im Interesse des Kindeswohls nicht in Betracht
kommt, jedoch zukünftig eine entsprechende Überprüfung zu erfolgen hat.
Der Vater ist bereit, zum Wohle seiner Kinder mit den Erziehern und dem Jugendamt zu
kooperieren, was sich in seinem konkreten Handeln und dem positiven Verlauf der
Familienhilfe zeigt. Termine beim Jugendamt wurden vom Vater stets verlässlich
eingehalten. Er ist bereit und in der Lage, Familienhilfe anzunehmen und mit Helferin
bzw. Helfer eng zusammenzuarbeiten. Im Hinblick darauf geht der Senat davon aus,
dass der Vater in der Lage ist, die Teile der elterlichen Sorge, die ihm aufgrund der
Entziehung des Sorgerechtes aufseiten der Mutter „angewachsen“ sind (z.B.
Gesundheitsfürsorge, schulische Angelegenheiten), für alle drei Kinder
verantwortungsvoll allein wahrzunehmen.
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