Urteil des OLG Brandenburg vom 25.11.2005
OLG Brandenburg: einstellung des verfahrens, gespräch, beweismittel, polizei, strafanzeige, strafverfahren, video, eifersucht, verfügung, form
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AR 49/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 138a Abs 1 Nr 3 StPO, § 258
Abs 1 StGB
Ausschließung des Strafverteidigers: Notwendiger Inhalt einer
Antragsschrift der Staatsanwaltschaft auf Ausschluss des
Verteidigers wegen des Verdachts der versuchten
Strafvereitelung
Tenor
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Ausschließung des Rechtsanwalts … als
Verteidiger wird als unzulässig abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens über den Verteidigerausschluss und die insoweit
entstandenen notwendigen Auslagen des Verteidigers trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Geschädigte S… S…, geboren am … 1986, erstattete am 25. November 2005
gegen den Beschuldigten bei der Polizei Strafanzeige wegen sexueller Nötigung. Sie
schilderte dort sinngemäß, sie habe mit dem Beschuldigten von Ende des Jahres 2000
bis ca. 1 ½ Jahre vor der Strafanzeige eine sexuelle Beziehung unterhalten, die sich von
anfänglichen Küssen über einvernehmlichen Geschlechtsverkehr bis zu
sadomasochistischen Sexualpraktiken entwickelt habe. Dabei habe der wesentlich ältere
Beschuldigte sie u. a. gefesselt, ihr Gegenstände in die Scheide und den After eingeführt
und mit ihr den Oralverkehr durchgeführt. Bei diesen Handlungen habe der Beschuldigte
sie gefilmt. Die Strafanzeige erstatte sie, weil sie als Minderjährige mit dem
Beschuldigten sexuellen Kontakt gehabt habe.
Eine am 27. Dezember 2005 bei dem Beschuldigten vorgenommene Durchsuchung
verlief ergebnislos; insbesondere wurde kein Bildmaterial gefunden, das sexuelle
Handlungen zwischen der Geschädigten und dem Beschuldigten wiedergibt.
Bei einer ersten Nachvernehmung der Geschädigten durch die Polizei am 30. Dezember
2005, die am 3. Januar 2006 fortgesetzt wurde, gab sie an, die sexuelle Beziehung zu
dem Beschuldigten habe von August 2001 bis Ende 2003 gedauert. Zu dem von dem
Beschuldigten bei sexuellen Handlungen ausgeübten Zwang gab sie sinngemäß an,
dieser habe sie nie geschlagen und sie auch nicht auf irgendeine Art und Weise bedroht,
sondern sie mit seiner körperlichen Überlegenheit zu Handlungen gezwungen; er habe
sie mit seinem Körper irgendwo hingedrückt, die Arme festgehalten und die Beine
auseinandergedrückt.
Am 3. April 2006 übergab Rechtsanwalt …, der den Beschuldigten verteidigt, der
sachbearbeitenden Staatsanwältin eine handgeschriebene Erklärung der Geschädigten
vom 2. April 2006, mit der sie erklärte, ihre Anzeige gegen den Beschuldigten
zurückzuziehen und somit der Staatsanwaltschaft nicht als Zeugin zur Verfügung zu
stehen; die Erklärung erfolge aus familiären Gründen und da sie sich in einigen Punkten
geirrt habe.
Nach einem Vermerk der sachbearbeitenden Staatsanwältin vom 3. April 2006 soll der
Verteidiger bei dieser Gelegenheit mitgeteilt haben, dass es sehr wohl zwischen dem
Beschuldigten und der Geschädigten eine sexuelle Beziehung gegeben habe. Auch die
Mutter der Geschädigten habe eine Beziehung zum Beschuldigten gehabt. Das habe sie
dem Verteidiger persönlich in einem Gespräch in seiner Kanzlei erzählt. Es solle ein
Video geben, das den Beschuldigten und die Mutter der Geschädigten beim Sex zeige.
Dies solle die Geschädigte gesehen haben. Aus Eifersucht und aus Geldsorgen heraus
solle sie dann die Anzeige gemacht haben.
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Bei einer zweiten Nachvernehmung der Geschädigten am 18. April 2006 durch die
Staatsanwaltschaft erklärte diese sinngemäß, sie wisse nicht, ob sie mit der
Vergewaltigung ein bisschen übertrieben habe. Zu einzelnen sadomasochistischen
Sexualpraktiken befragt, erklärte sie, sie habe diese eigentlich nicht gewollt, aber sich
auch nicht weiter dagegen gewehrt, bzw. sich nicht richtig mit vollem Körpereinsatz
gewehrt, bzw. sie habe das mit sich machen lassen. Das angeblich existierende Video,
auf dem sexuelle Handlungen zwischen dem Beschuldigten und ihrer Mutter zu sehen
seien, sei für sie auch ein Grund für die Strafanzeige gewesen.
Mit Schreiben vom 28. April 2006 übersandte der Verteidiger der Staatsanwaltschaft ein
weiteres handgeschriebenes Schreiben der Geschädigten vom 8. April 2006, in dem
diese u. a. erklärte, es habe mit ihr "keinen Sex vor Herbst 2003 gegeben somit auch
keine Nötigung und Vergewaltigung".
Der Verteidiger trug weiter vor, der Beschuldigte werde von der Geschädigten erpresst;
dieser habe der Geschädigten 1.250,00 Euro für die Rückgabe einer Video-DVD, auf der
der Beschuldigte und die Mutter der Geschädigten dargestellt seien, gegeben; die
Geschädigte verlange nun weitere 2.000,00 Euro.
Am 2. Mai 2006 erfolgte die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den
Beschuldigten gemäß § 170 Abs. 2 StPO.
In einem Schreiben der Geschädigten vom 8. Mai 2006 an die Staatsanwaltschaft teilte
diese mit, ihre Aussage vom 18. April 2006, sie hätte die Anzeige "aus Eifersucht oder
ähnliches" gemacht, sei nicht wahr. Sie sei lediglich bemüht gewesen, die
"Vereinbarungen mit der Gegenseite zu erfüllen". Sie habe einfach nur Angst, dass
Rechtsanwalt … sie in einem Verfahren "total fertig mache". Er habe schon ein paar
Sachen durchblicken lassen.
In einer dritten Nachvernehmung der Geschädigten am 31. Mai 2006 durch die
Staatsanwaltschaft erklärte sie zum Zustandekommen ihrer handschriftlichen Erklärung
vom 2. April 2006 sinngemäß, der Beschuldigte habe sie mehrmals angerufen und auch
ihre Mutter habe sie gefragt. Sie sei deshalb am Sonntag, den 2. April 2006, mit ihrer
Mutter in die Kanzlei von Rechtsanwalt … gefahren. Dort habe sich Rechtsanwalt … mit
ihrer Mutter unterhalten, während sie sich mit dem Beschuldigten in einem gesonderten
Raum habe unterhalten müssen. Der Beschuldigte habe ihr insgesamt 2.500,00 Euro
dafür geboten, die sexuelle Beziehung zu ihm gänzlich in Abrede zu stellen. Dies hätten
auch ihre Mutter und Rechtsanwalt … so gewollt. Sie habe 1.250,00 Euro als erste Rate
in bar bekommen, danach jedoch kein Geld mehr. Das meiste Geld habe sie ihrem
Exfreund gegeben.
Zum Handeln des Verteidigers enthält die Vernehmung der Geschädigten in diesem
Zusammenhang die nachfolgend aufgeführten wörtlich protokollierten Aussageteile:
"Frage:
Welche Rolle spielte denn dabei der Rechtsanwalt …?
Antwort:
Äh, ja, naja er hatte das, hm wie soll ich'n das nennen, eingefädelt, dass wir uns
da ebend treffen konnten und, na ja, und bei den Gesprächen mit dem Herrn …, wir
war'n, ich war ja dann noch mehrmals da, ähm hat er ebend ooch gesagt, was er so in
dem Verfahren machen würde, dass er mich als Schlampe darstellen würde, sonsterwas
. Dass er mich ebend fertig machen wollen würde.
Frage:
Sie waren mehrmals da. Wie oft waren sie denn da?
Antwort:
Ja, oh Gott, …
Frage:
… und gab es denn da noch ein Gespräch mit Herrn …?
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Antwort:
Naja kurz danach, da war ich dann mit meiner Mutter bei Herrn … drin.
Frage:
An demselben Tag?
Antwort:
Ja, an demselben Tag. Ach Gott, was ham wir'n da, ach da hat er, was hat er'n da
noch so erzählt? Na dass es ebend das beste sein kann, dass wenn ich sie
zurücknehme, dass das das beste für mich ist und das beste was ich machen kann, und
dann hat er noch von irgendwelchen Urlaubsreisen erzählt, na ja. Ja. …
Frage:
… Wer hat dieses (die Erklärung vom 02.04.2006) geschrieben?
Antwort:
Das hab ich geschrieben, und Herr … hat's diktiert.
Frage:
Herr … hat's diktiert? Wortwörtlich diktiert?
Antwort:
Ja …
Frage:
… Und bei Herrn …, wie verlief da das Gespräch?
Antwort:
Na da hab ich ebend erst dieses Schreiben verfasst und in der Zwischenzeit hat
er dann so getan, als ob er sich mit meiner Mutter unterhält, damit's nich , weil ja
irgendwie, man sollte ja nicht mitkriegen, dass er's diktiert hat. Er hat ooch zu mir
gesacht , ich hab's aber nich diktiert und sonst irgendwas. …
So, dann hat er ebend noch'n bisschen von seinem Urlaub erzählt und mir dann
auch noch mehrmals wieder gesagt, ähm, dass ist doch mit das beste is, was ich
machen kann, dass ich die Anzeige, naja zurückgenommen hab ich's nich , aber ebend
abmildere und ja, und der Herr L… hat ooch gesagt, der will ooch nur das beste und
dass keener damit reingezogen wird.
Frage:
Hm, bleiben wir noch mal bei dem Gespräch, wo nur der Herr … war mit Ihrer
Mutter zusammen. In welcher Situation haben sie ihm denn gesagt, dass eigentlich die
Aussagen bei der Polizei stimmen?
Antwort:
Ach Gott, wann war denn das?
Frage:
War das vor dem Schreiben oder nach dem Schreiben?
Antwort:
Das war nach dem Schreiben. …
Frage:
Wie haben Sie ihm das gesagt?
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Antwort:
… Naja, nachdem er denn ebend gesagt hatte, dass es das beste war, was ich
machen konnte, hab ich gesagt, der Meinung bin ich aber nich , weil "das stimmt ja
alles", hab ich so gesagt. Irgendwie so war mein Wortlaut, so ganz genau weiß ich's nicht
mehr. Ja.
Frage:
Und was hat er dann darauf gesagt?
Antwort:
Gesagt hat er, er hat nur so komisch gegrinst und dann gesagt, …. wie war'n
das, was hat'n der da gesagt, irgendwas hat er noch gesagt … Ich weeß nich , was er
gesagt hat, im Moment. Das Grinsen sehe ich noch vor mir, aber was er gesagt hat?
Frage:
Na wenn sie es nicht mehr genau wissen, dann sagen sie das so.
Antwort:
Ja, ich weeß es nich mehr genau. Ich will ja auch nischt falsches sagen.
Frage:
Ja, eben. Aber ihm war schon klar, dass Ihre Aussagen bei der Polizei eigentlich
richtig waren? Das war dem Rechtsanwalt … klar?
Antwort:
Hm, das weeß ich nich , ich weeß ooch nich , wie ich den da einschätzen soll.
Frage:
Nee, ich meine, weil sie's ihm gesagt haben?
Antwort:
Ja, gesagt hab ich's ja, aber ob er das, ich gloob nich , dass er das irgendwie
ernst genommen hat, was ich gesagt hab. Hat er nich grad den Eindruck gemacht."
Im weiteren Verlauf dieser Nachvernehmung wurde die Geschädigte erneut im Einzelnen
zu den Tatvorwürfen gegen den Beschuldigten befragt.
In einer Nachvernehmung der Mutter der Geschädigten, Frau M… S…, am 13. Juni 2006
durch die Staatsanwaltschaft gab diese sinngemäß an, sie habe eine sexuelle Beziehung
zu dem Beschuldigten unterhalten, dieser habe mit ihr auch sadomasochistische
Sexualpraktiken vollzogen und dabei Videos gemacht. Zum Handeln des Verteidigers
bei der Unterredung am 2. April 2006 enthält die Nachvernehmung die folgenden
wörtlich protokollierten Aussageteile:
"Frage:
… haben sie mal irgendwelche Beeinflussungen von Rechtsanwalt … auf S… in
Bezug auf eine eventuelle Hauptverhandlung, Gerichtsverhandlung gehört, als Sie
damals mit ihm zusammen in einem Raum waren?
Antwort:
Ja er hat das so angedeutet, dass es keinen, ich sag jetzt einfach mal so so'n
Zuckerschlecken wird, es wird richtig hart und da werden richtig harte Bandagen da eben
aufgeführt.
Frage:
Hat er der S… gesagt, ich mach Dich fertig in der Verhandlung und Du hast
nichts zu lachen?
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Na ja also in der Form schon. Das es wie gesagt, richtig hart werden wird und da
kommt alles zur Sprache und das es richtig doll wird. Ja schon, dass er sie fertig machen
werde."
Mit Verfügung vom 2. August 2006 hat die Staatsanwaltschaft die Ausschließung des
Verteidigers gemäß § 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO beantragt. Mit einer Zuschrift vom 11.
September 2006 hat sie diesen Antrag mit der Darstellung der gegen den Beschuldigten
erhobenen Tatvorwürfe ergänzt.
Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, der Beschuldigte sei bei dem gegenwärtigen
Ermittlungsstand verdächtig, die Geschädigte zwischen Ende des Jahres 2002 und Ende
des Jahres 2003 in vier Fällen vergewaltigt zu haben; wegen der Einzelheiten der
Tatvorwürfe verweist der Senat auf die Zuschrift der Staatsanwaltschaft vom 11.
September 2006.
Die Staatsanwaltschaft ist weiter der Auffassung, der Verteidiger sei hinreichend
verdächtig, eine Handlung begangen zu haben, die für den Fall der Verurteilung des
Beschuldigten Strafvereitelung wäre (§ 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Sie führt dazu aus, die
Geschädigte habe sich auf Drängen des Beschuldigten, begleitet von ihrer Mutter M…
S…, am Sonntag, den 02.04.2006, in den Räumen der Rechtsanwaltskanzlei … in D…
mit diesem und dem Beschuldigten getroffen. Während ihre Mutter von Rechtsanwalt …
in sein Büro geführt worden sei, habe sich die Geschädigte in einem durch den
Rechtsanwalt zugewiesenen Raum mit dem Beschuldigten aufgehalten. Bei dem dort
geführten Gespräch habe dieser die Geschädigte angebettelt, sein Leben nicht zu
zerstören. Er habe ihr Geld für den Fall angeboten, dass sie ihre Aussage zurücknehme.
Als Summe habe der Beschuldigte einen Betrag von 2.500,00 Euro auf ein Blatt
geschrieben, die Hälfte habe die Geschädigte vor ihrer staatsanwaltschaftlichen
Vernehmung bekommen sollen, die andere Hälfte danach.
Unmittelbar nach dem Gespräch mit dem Beschuldigten habe Rechtsanwalt … der
Geschädigten im Beisein ihrer Mutter gedroht, er werde sie in einem gerichtlichen
Strafverfahren fertig machen und als Schlampe darstellen. Für sie sei es daher das
Beste, wenn sie die Anzeige zurücknehme. Daraufhin habe er der Geschädigten wörtlich
das Schreiben vom 2. April 2006 diktiert, mit dem die Geschädigte ihre Anzeige gegen
den Beschuldigten aus familiären Gründen zurücknahm. Er habe ihr auch erklärt: "Ich
habe das aber nicht diktiert". Als die Geschädigte den Rechtsanwalt … mehrfach darauf
hingewiesen habe, dass es die bei der Polizei geschilderten Vergewaltigungen durch den
Beschuldigten tatsächlich gegeben habe, habe dieser nur gegrinst.
Zudem hätten Rechtsanwalt … sowie der Beschuldigte die Geschädigte aufgefordert, in
ihrer alsbald anstehenden staatsanwaltschaftlichen Vernehmung ihre polizeilichen
Aussagen abzumildern und auszusagen, dass die sexuellen Beziehungen zu dem
Beschuldigten erst nach ihrem 16. Geburtstag stattgefunden hätten.
Tags darauf habe Rechtsanwalt …der sachbearbeitenden Staatsanwältin die Einstellung
des Verfahrens gegen den Beschuldigten nach § 153 a StPO gegen Zahlung einer
Geldbuße angeboten. Dabei habe er erklärt, es habe zwischen dem Beschuldigten und
der Geschädigten sowie zwischen dem Beschuldigten und der Mutter der Geschädigten
jeweils einvernehmliche sexuelle Beziehungen gegeben. Als die Geschädigte von dem
Verhältnis des Beschuldigten mit ihrer Mutter durch ein Video erfahren habe, habe sie
aus Eifersucht und Geldsorgen heraus die Anzeige erstattet.
Aus der glaubhaften Aussage der Geschädigten und deren Mutter ergäbe sich der
hinreichende Tatverdacht einer versuchten Strafvereitelung zu Gunsten des
Beschuldigten, weil der Verteidiger die Geschädigte massiv beeinflusst habe, um von ihr
die Zusicherung einer Falschaussage zu bekommen, die die Geschädigte dann am 18.
April 2006 auch umgesetzt habe.
In einer Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 und einer ergänzenden Stellungnahme
vom 30. November 2006 hat der Verteidiger hierzu sinngemäß vorgetragen, der
Beschuldigte habe ihm erklärt, von der Geschädigten mit einer CD erpresst worden zu
sein, auf der sexuelle Handlungen zwischen ihm und der Mutter der Geschädigten
aufgezeichnet seien. Die Geschädigte habe am 17. November 2005 vom Beschuldigten
2.500,00 Euro verlangt. Der Beschuldigte habe ihm weiter erklärt, die Mutter der
Geschädigten wolle eine Einigung und er benötige einen neutralen Raum, wo er, der
Beschuldigte, die Gespräche mit der Geschädigten und deren Mutter durchführen könne.
Hierfür habe der Verteidiger am 2. April 2006 einen Besprechungsraum in seiner Kanzlei
zur Verfügung gestellt. Der Aussprache zwischen dem Beschuldigten und der
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zur Verfügung gestellt. Der Aussprache zwischen dem Beschuldigten und der
Geschädigten habe er nicht beigewohnt, aber mit der Mutter der Geschädigten im
Beratungszimmer gesprochen. Das Schreiben vom 2. April 2006 sei ohne sein Zutun
verfasst worden.
II.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verteidigerausschluss ist unzulässig.
Der auf Ausschließung des Verteidigers aus dem Verfahren gerichtete Antrag muss
hinsichtlich seiner Zulässigkeit bestimmten inhaltlichen Mindestanforderungen genügen.
Die dem betroffenen Verteidiger zur Last gelegte Pflichtverletzung muss unter Angabe
aller Tatsachen in objektiver und subjektiver Hinsicht dargelegt und die zu ihrem
Nachweis erforderlichen Beweismittel müssen genauestens bezeichnet werden (KG
Berlin, Beschluss vom 25. Juli 2001 - 2 AR 104/00 - in juris; OLG Hamm NStZ-RR 1999, 50
f. sowie Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 138 c Rdnr. 9 m.w.N.). Dies folgt aus der
Umgrenzungsfunktion der Antragsschrift, die ähnlich einer Anklageschrift in
Strafverfahren klarstellen muss, welches Verhalten dem Verteidiger zur Last gelegt wird.
Hierbei genügt es jedoch nicht, lediglich das äußere Handeln des Verteidigers zu
bezeichnen, das den objektiven Tatbestand der versuchten Strafvereitelung erfüllen soll,
weil Verteidigerhandeln typischerweise auf die Entlastung des Beschuldigten gerichtet
ist. Bei Verteidigerhandeln bestehen erhöhte Nachweisanforderungen an das voluntative
Element der Strafvereitelung (BGHSt 24, 38 f.; 46, 53 f.), denn der Verteidiger macht
sich nur dann nach § 258 Abs. 1 StGB strafbar, wenn er die Tat "absichtlich oder
wissentlich" begeht. Diesen erhöhten Nachweisanforderungen muss auch die
Antragsschrift im Verfahren auf Verteidigerausschluss nach §§ 138 a f. StPO genügen,
indem sie die für die Begründung eines hinreichenden Tatverdachts der versuchten
Strafvereitelung durch den Verteidiger erforderlichen inneren Tatbestandsmerkmale
darlegt und die Beweismittel genauestens bezeichnet, aus denen der Rückschluss auf
die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands gezogen werden soll. Dem genügt die
vorliegende Antragsschrift nicht.
1. Die Struktur des Straftatbestands der Strafvereitelung gemäß § 258 StGB birgt für
den Verteidiger selbst das Risiko, dass ein prozessual erlaubtes, im Rahmen wirksamer
Verteidigung liegendes Verhalten in den Anwendungsbereich des Straftatbestands fallen
kann. Der besonderen Situation des Verteidigers kann durch Auslegung des
Straftatbestands hinreichend Rechnung getragen werden. Das Erfordernis hierzu ergibt
sich daraus, dass die Möglichkeit wirksamer Verteidigung auf der Grundlage des
Verfahrensrechts notwendiger Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist; ihr
kommt hierfür grundlegende Bedeutung zu. Der Angeklagte hat nach Art. 6 Abs. 3
Buchst. c) MRK Anspruch auf konkrete und wirkliche Verteidigung. Dieser Anspruch wäre
ernsthaft gefährdet, wenn der Verteidiger wegen einer üblichen und prozessual
zulässigen Verteidigungstätigkeit selbst strafrechtlich verfolgt würde. Der Wirkkraft dieser
letztlich im Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren
wurzelnden verfahrensrechtlichen Verbürgung ist deshalb bei der Auslegung und
Anwendung des Straftatbestands Genüge zu tun (BGHSt 46, 53 f.).
Soweit ein Strafverteidiger prozessual zulässig handelt, ist sein Verhalten bereits nicht
tatbestandsmäßig im Sinne des § 258 StGB. Bei dessen Auslegung kann auch das
Standesrecht von Bedeutung sein. Standesrechtlich zulässiges Verhalten wird in der
Regel prozessual nicht zu beanstanden sein. Standesrechtlich unzulässiges Verhalten
führt nicht ohne weiteres zur Strafbarkeit (BGHSt 2, 375, 377; 10, 393, 395).
Der Verteidiger darf grundsätzlich alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandender
Weise seinem Mandanten nützt (BGHSt 38, 345, 347). Allerdings muss er sich bei
seinem Vorgehen auf verfahrensrechtlich erlaubte Mittel beschränken und er muss sich
jeder bewussten Verdunkelung des Sachverhalts und jeder sachwidrigen Erschwerung
der Strafverfolgung enthalten. Ihm ist es insbesondere untersagt, durch aktive
Verdunkelung und Verzerrung des Sachverhalts die Wahrheitserforschung zu
erschweren, insbesondere Beweismittel zu verfälschen (BGHSt 9, 20, 22; 38, 345, 348;
BGH NStZ 1999, 188). Auf der anderen Seite darf der Verteidiger solche Tatsachen und
Beweismittel einführen, die einen von ihm lediglich für möglich gehaltenen Sachverhalt
belegen können. Dies ist dem Verteidiger nicht nur gestattet; es kann zur effektiven
Strafverteidigung sogar geboten sein. Eine andere Beurteilung liefe darauf hinaus, dass
der Verteidiger, wenn er die Interessen seines Mandanten vertritt, nur das vorbringen
dürfte, von dessen Richtigkeit er voll überzeugt ist, was regelmäßig eine eingehende
Nachprüfung der von dem Mandanten ihm gegenüber aufgestellten Behauptungen
erforderte, und ihm, soweit er nicht jeden Zweifel ausschließen kann, praktisch die
Möglichkeit verschließen würde, bestehende Rechte seines Mandanten wahrzunehmen
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Möglichkeit verschließen würde, bestehende Rechte seines Mandanten wahrzunehmen
(BGH, Beschluss vom 16.09.1981 - 3 StR 234/81 -).
Soweit es um Zeugenaussagen geht, darf der Verteidiger zwar nicht wissentlich falsche
Tatsachen behaupten und hierfür Zeugen benennen. Er ist verpflichtet, darauf zu
achten, dass er nicht Zeugen benennt, von denen er erkennt, dass sie eine
Falschaussage machen werden. Auch darf er einen Zeugen nicht absichtlich in einer
vorsätzlichen Falschaussage bestärken (BGHSt 29, 99, 107; BGH NStZ 1983, 503). Er
kann eigene Ermittlungen führen und insbesondere Zeugen auch außerhalb der
Hauptverhandlung befragen (BGH NJW 2000, 1277). Hat er lediglich Zweifel an der
Richtigkeit einer Zeugenaussage, die seinen Mandanten entlasten könnte, so ist es ihm
nicht verwehrt, den Zeugen zu benennen; er wird dazu regelmäßig sogar verpflichtet
sein. Anderenfalls würde er in Kauf nehmen, ein möglicherweise zuverlässiges,
entlastendes Beweismittel zu unterdrücken (BGH, Urteil vom 8. Januar 1957 - 5 StR
360/56 sowie zu allem Vorhergehenden BGHSt 46, 53 f.).
Für den vorliegenden Fall folgt hieraus, dass Rechtsanwalt … es bei den Gesprächen am
2. April 2006 in seiner Kanzlei mit der Geschädigten zumindest für möglich gehalten
haben kann, die ihm vom Beschuldigten vorgetragene Sachverhaltsdarstellung sei
richtig und die von der Geschädigten zuvor im Ermittlungsverfahren gemachten
belastenden Angaben seien falsch. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn Rechtsanwalt
… - wie er es in Abrede stellt - der Geschädigten den Text der von ihr geschriebenen
handschriftlichen Erklärung vom 2. April 2006 wörtlich diktiert hat. Warum Rechtsanwalt
… nicht von der Möglichkeit ausgegangen sein soll, sein Mandant habe ihm die Wahrheit
gesagt, wird in der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft nicht erörtert; es werden auch
keine geeigneten Tatsachen und Beweismittel vorgetragen, die diese Möglichkeit
ausschließen könnten.
Allein der Umstand, dass die Geschädigte ihm gegenüber nach Abfassung ihrer
handschriftlichen Erklärung vom 2. April 2006 geäußert haben soll, ihre früheren
polizeilichen Aussagen seien doch richtig gewesen, ist hierfür ersichtlich ungeeignet. Da
Rechtsanwalt … zuvor Akteneinsicht genommen hatte, waren ihm nicht nur die
bestreitenden Angaben seines Mandanten, sondern auch die zum Teil widersprüchlichen
vorangegangenen Aussagen der Geschädigten bekannt. Vor diesem Hintergrund konnte
er sich keinesfalls sicher sein, die Geschädigte würde, nachdem sie sich kurz zuvor mit
dem Beschuldigten auf eine Rücknahme ihrer Anzeige gegen Zahlung von 2.500,00 Euro
geeinigt hatte, gerade in dem Moment die Wahrheit sagen, als sie nach Abfassung ihrer
handschriftlichen Erklärung die Richtigkeit ihrer früheren polizeilichen Aussagen
behauptete. Selbst im jetzigen Verfahrensstadium ist nach Aktenlage völlig offen, was
tatsächlich zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten vorgefallen ist.
2. Eine andere Beurteilung des Verteidigerhandelns kann allerdings geboten sein, wenn
es sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das trotz des äußeren Anscheins der
Verteidigung nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen
Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermag (BGH NJW 2006, 2421). Die vorstehend
dargelegte einschränkende Auslegung des Straftatbestands der Strafvereitelung gilt nur,
soweit der Verteidiger im Rahmen des prozessual Zulässigen handelt. Überschreitet der
Verteidiger dagegen diese Grenzen, indem er etwa einen Zeugen erpresst, um von
diesem eine für seinen Mandanten günstige Aussage zu erhalten, kann der Verdacht der
versuchten Strafvereitelung nahe liegen.
Die vorliegende Antragsschrift deutet diese Möglichkeit an, indem sie behauptet, der
Verteidiger habe die Geschädigte im Beisein ihrer Mutter damit bedroht, er werde sie in
einem gerichtlichen Strafverfahren fertig machen und als Schlampe darstellen. Auch
unter diesem Gesichtspunkt ist der Antrag auf Verteidigerausschluss jedoch nicht
zulässig; es mangelt ihm insoweit an einer ausreichenden Tatsachengrundlage.
Es kann dabei offen bleiben, ob die Unzulässigkeit des Antrags bereits aus der Form der
Wiedergabe der diesbezüglichen Aussagen der Geschädigten und deren Mutter folgt, die
jeweils nur durch die Angabe von Blattzahlen bezeichnet sind. Bei Nachschau dieser
Blattzahlen ergibt sich jedenfalls, dass die betreffenden Aussageteile nicht belegen, dass
der Verteidiger die ihm von der Staatsanwaltschaft unterstellten Äußerungen überhaupt
gemacht haben soll. Es bleibt offen, ob es sich bei der Formulierung, der Verteidiger
werde die Geschädigte "fertig machen", um eine wörtliche Äußerung des Verteidigers
oder um eine zusammenfassende Wertungen seiner Äußerungen durch die Geschädigte
und deren Mutter handelt. Eine entsprechende Nachfrage ist durch die
Staatsanwaltschaft bei deren Vernehmungen nicht erfolgt. Das gleiche gilt für die
Formulierung, der Verteidiger werde die Geschädigte "als Schlampe darstellen", die
zudem in der Nachvernehmung der Mutter der Geschädigten nicht wiedergegeben wird.
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Naheliegend bleibt die Möglichkeit, dass der Verteidiger die Geschädigte auf die zu
erwartenden Belastungen als Zeugin in einer Hauptverhandlung und die von ihm zu
führenden Angriffe auf ihre Glaubwürdigkeit hingewiesen hat. Solche Äußerungen wären
dem Verteidiger im Rahmen eines Gesprächs mit der Geschädigten als zulässiges
Verteidigerhandeln nicht verwehrt.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
467 Abs. 1 StPO.
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