Urteil des OLG Brandenburg vom 15.03.2017

OLG Brandenburg: eltern, wohl des kindes, vorläufiger rechtsschutz, erlass, projekt, kur, rückführung, hauptsache, erziehungsfähigkeit, eherecht

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 273/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1626 BGB, § 1666 BGB
Sorgerecht: Vorläufiger Entzug des
Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge
wegen erheblich eingeschränkter Erziehungsfähigkeit der Eltern
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird insoweit abgeändert, als den Eltern nicht die gesamte
Personensorge für die Kinder M., J. und S., sondern nur das
Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur
Wahrnehmung der schulischen Belange entzogen werden.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Das von beiden Eltern unterzeichnete und mit "Berufung" bezeichnete Schreiben vom
30.11.2006 ist als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom
15.11.2006, durch den es nach mündlicher Verhandlung seinen Beschluss vom
12.6.2006 aufrechterhalten und sich damit inhaltlich zu Eigen gemacht hat, anzusehen
und als solche gemäß §§ 621 g, 620 c ZPO zulässig. Das Amtsgericht hat den Eltern
einen Teilbereich der elterlichen Sorge, nämlich die Personensorge, einstweilig entzogen.
Eine solche Teilregelung der elterlichen Sorge genügt für die Statthaftigkeit der
sofortigen Beschwerde im Sinne von § 620 c ZPO (Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 620 c,
Rz. 4).
II.
Die sofortige Beschwerde ist nur zum Teil begründet. Die Voraussetzungen für den
Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die den Eltern Teilbereiche der elterlichen
Sorge entzogen werden, liegen vor. Allerdings bedarf es nicht des Entzuges der
gesamten Personensorge, sondern lediglich des vorläufigen Entzuges des
Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge. Hinsichtlich dieser
Teilbereiche der elterlichen Sorge verbleibt es dabei, dass das Jugendamt des
Landkreises M. die Funktion eines Pflegers ausübt.
1. Für eine einstweilige Sorgerechtsregelung besteht ein Regelungsbedürfnis dann, wenn
das Wohl des Kindes einen Aufschub der Regelung bis zur endgültigen Entscheidung
nicht gestattet (Zöller/Philippi, a.a.O., § 620, Rz. 38). Ein solches Regelungsbedürfnis ist
gegeben. Insbesondere ist den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen.
Die vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige Ho. ist in ihrem Gutachten vom
13.10.2006 nach Kontaktaufnahme mit den Eltern und Kindern, nach einem Hausbesuch
bei den Eltern, einem Besuch in der Pflegestelle von S. und J. und einer Untersuchung
dieser beiden Kinder sowie weiteren Explorationsgesprächen zu dem Ergebnis gelangt,
dass die Erziehungsfähigkeit der Eltern gegenwärtig auf Grund individueller
Persönlichkeitsdefizite und ihrer spezifischen Lebenssituation erheblich eingeschränkt
ist. Eine Rückführung der Kinder könne unter den bestehenden Bedingungen nicht
verantwortet werden. Die Eltern müssten zunächst in ihre Elternrolle hineinwachsen, eine
entsprechende Nachreifung und Schulung erfahren, um elementare Aufgaben des
alltäglichen Lebens zu bewältigen, was evtl. in einer Mutter-Kind- oder Vater-Mutter-Kind-
Einrichtung möglich wäre. Trotz der Einwendungen, die die Eltern nun gegen dieses
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Einrichtung möglich wäre. Trotz der Einwendungen, die die Eltern nun gegen dieses
Gutachten erhoben haben, kann im einstweiligen Anordnungsverfahren davon
ausgegangen werden, dass die Sachverständige, die dem Senat aus ihrer Tätigkeit
bekannt ist, ihr Gutachten entsprechend den anerkannten Regeln vom psychologischen
Sachverständigen erstattet hat und zu einem gut begründbaren Ergebnis gelangt ist.
Die Feststellungen im Gutachten sind unter Berücksichtigung des gesamten
Akteninhalts, insbesondere auch der Ausführungen des Jugendamtes, nachvollziehbar.
Wenn nach alledem bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen
summarischen Prüfung (vgl. Gießler/Soyka, Vorläufiger Rechtsschutz in Familiensachen,
4. Aufl., Rz. 7 f.) davon auszugehen ist, dass eine Rückführung der Kinder unter den
bestehenden Bedingungen nicht verantwortet werden kann, kommt eine
Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Eltern nur in Betracht,
wenn die von der Sachverständigen verlangte Nachreifung und Schulung erfolgt ist. Dass
dies kurzfristig geschehen könnte, ist nicht ersichtlich. Nach den vom Amtsgericht zu
Protokoll genommenen Ausführungen der Mutter im Termin vom 15.11.2006 hat diese
ihre Bereitschaft erklärt, eine psychosomatische Kur zu absolvieren, auch in ein Mutter-
Kind-Projekt zu gehen. Zugleich ist den Äußerungen der Mutter eine Distanzierung vom
Vater zu entnehmen. Mit der von beiden Eltern eingelegten Beschwerde ist aber eine
Abschrift jenes Protokolls vorgelegt worden, die mit handschriftlichen Kommentaren der
Eltern versehen ist. Hierin heißt es im Zusammenhang mit der von der Mutter
bekundeten Bereitschaft nun: "Ich gehe in kein Mutter u. Kind Projekt." und "Ich brauche
kein Mutter u. Kind Projekt und keine Kur. Wir haben eine Wohnung." Daraus wird
deutlich, dass die Eltern jedenfalls gegenwärtig Maßnahmen ablehnen, die sie in die Lage
versetzen könnten, ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Somit muss es bei der
Unterbringung der Kinder in der Pflegefamilie bzw. der Familienwohngruppe bleiben.
2. Allerdings bedarf es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht des Entzuges
der gesamten Personensorge (vgl. zu diesem Begriff Palandt/Diederichsen, BGB, 66.
Aufl., § 1626, Rz. 10 ff.). Auf der Grundlage der von der Sachverständigen getroffenen
Feststellungen erscheint es ausreichend, wie geschehen zu entscheiden.
3. Vorsorglich werden folgende Hinweise erteilt:
a) Der angefochtene Beschluss hat lediglich den Inhalt, dass der Beschluss des
Amtsgerichts vom 12.6.2006 aus den Gründen seines Erlasses aufrechterhalten bleibe.
Eine weitere Begründung ist nicht erfolgt. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Vorschrift
des § 620 d Satz 2 ZPO. Danach entscheidet das Gericht in den Fällen der §§ 620 b, 620
c ZPO durch begründeten Beschluss. Die Begründung muss die wesentlichen
tatsächlichen und rechtlichen Grundlage der Entscheidung erkennen lassen
(Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 620 d ZPO, Rz. 4). Hieran
fehlt es. Die Bezugnahme auf die Begründung im Beschluss vom 12.6.2006 reicht nicht
aus. Damals hat das Amtsgericht seine Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung
ergangen ist, auf das Vorbringen des Jugendamtes in seinem Bericht vom 12.6.2006
gestützt. Im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung stellt sich die
Sachlage ganz anders dar. Insbesondere hat das Amtsgericht ein
Sachverständigengutachten eingeholt. Vor diesem Hintergrund war es zwingend
geboten, sich mit diesem Gutachten in der Entscheidung auseinanderzusetzen. Dies gilt
insbesondere auch dann, wenn das Amtsgericht der Auffassung ist, dass den
Empfehlungen der Sachverständigen zu folgen ist.
b) Bislang liegt mit dem angefochtenen Beschluss lediglich eine vorläufige Entscheidung
des Amtsgerichts vor. Eine Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus. Nachdem
das Amtsgericht, was nicht unbedingt der Regelfall ist, schon im Verfahren über den
Erlass seiner einstweiligen Anordnung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat,
wird es die abschließenden Feststellungen, die es für den Erlass einer Endentscheidung
als notwendig ansieht, unverzüglich treffen. Dies ist schon mit Rücksicht darauf geboten,
dass in Streitigkeiten, die das Sorge- oder das Umgangsrecht betreffen, jede
Verfahrensverzögerung wegen der eintretenden Entfremdung häufig schon rein faktisch
zu einer (Vor-)Entscheidung führt, noch bevor ein richterlicher Spruch vorliegt (vgl.
BVerfG, FamRZ 2001, 753 f.).
c) Bei Fortsetzung des Hauptverfahrens wird das Amtsgericht zunächst unter
Einbeziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Eltern zu prüfen haben, ob die
Ausführungen der Eltern persönlich in der Beschwerdeschrift vom 30.11.2006 so zu
verstehen sind, dass die erkennende Richterin und die Sachverständige für das
Hauptverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Sollte dies der
Fall sein, sind in dem hier vorliegenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die §§
42 ff. ZPO entsprechend anzuwenden (vgl. Keidel/Zimmermann, FGG, 15. Aufl., § 6, Rz.
39).
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III.
Einer Kostenentscheidung bedarf es im Hinblick darauf, dass die im Verfahren der
einstweiligen Anordnung entstehenden Kosten gemäß §§ 621 g, 620 g ZPO für die
Kostenentscheidung als Teil der Kosten der Hauptsache gelten, nicht (vgl. Zöller/Philippi,
a.a.O., § 620 g, Rz. 8).
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