Urteil des OLG Brandenburg vom 11.02.2009
OLG Brandenburg: strafzumessung, geldstrafe, nötigung, senkung, nettoeinkommen, urkundenfälschung, gewerbe, einkünfte, winterdienst, link
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 104/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 40 Abs 3 StGB
Tagessatzhöhe; Hinweise zur Schätzung des Einkommens
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin vom 5. Mai 2009 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die ihm darin entstandenen
notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Neuruppin – Strafrichter – hat den Angeklagten mit Urteil vom 11.
Februar 2009 wegen Urkundenfälschung und wegen Nötigung zu einer Gesamtgeldstrafe
von 60 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte
form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 5. Mai 2009 hat die 4. kleine
Strafkammer des Landgerichts Neuruppin die Berufung des Angeklagten gegen das
amtsgerichtliche Urteil vom 11. Februar 2009 mit der Maßgabe als unbegründet
verworfen, dass er wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 30 Tagssätzen zu
je 40 € verurteilt wurde. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte in einem
ihn betreffenden Zwangsversteigerungsverfahren vor dem Zwangsversteigerungstermin
eine unechte Urkunde gebraucht hatte, um potentielle Erwerber bzw. Gläubiger von
einer Ersteigerung seines Grundstücks abzuhalten. Hinsichtlich des Vorwurfs der
Nötigung ist das Verfahren in der Berufungshauptverhandlung auf Antrag der
Staatsanwaltschaft gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
Gegen diese Verurteilung durch das Berufungsgericht richtet sich die am 11. Mai 2009
bei Gericht angebrachte und nach Zustellung der Urteilsgründe am 24. Juli 2009 vor der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 12. August 2009 begründete Revision des
Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, dabei „insbesondere“
die Strafzumessung angreift. Der Angeklagte bringt erstmals vor, dass er lediglich
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II in Höhe von 671,37 €
beziehe.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom
26. September 2009 beantragt, die Revision mit der Maßgabe einer ins Ermessen des
Revisionsgerichts gestellten Senkung der Tagessatzhöhe entsprechend den
wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten zu verwerfen.
II.
1.
formgerecht bei Gericht angebracht worden.
2.
a)
ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
b)
Dabei ist es ureigene Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden
Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit
gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen,
sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Für die revisionsgerichtliche
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sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Für die revisionsgerichtliche
Überprüfung der Strafzumessung bedeutet dies, dass im Hinblick auf den Spielraum des
Tatrichters bei der Strafzumessung eine exakte Richtigkeitskontrolle zwar nicht möglich
ist, Strafzumessungserwägungen die Revision jedoch dann auslösen können, wenn sie
rechtsfehlerhaft sind. Das ist dann der Fall, wenn das Tatgericht von einem falschen
Strafrahmen ausgegangen ist (vgl. BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafrahmenwahl 1) bzw.
der dem Urteil zugrunde gelegte Strafrahmen nicht nachvollziehbar ist, oder wenn die
für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgeblichen Leitgesichtspunkte (§ 46 StGB) nicht
richtig gesehen oder nicht zugrunde gelegt worden sind (vgl. BGHSt 15, S. 372, 375;
BGHSt 27, S. 2, 3, BGHSt 29, S. 319, 320).
aa)
Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen nicht zu beanstanden.
bb)
begründet worden.
Den Urteilsgründen lässt sich noch hinreichend nachvollziehbar entnehmen, wie das
Landgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte verfüge über ein
anrechenbares Nettoeinkommen in Höhe von 40 € pro Tag.
Hierzu heißt es im Rahmen der Strafzumessung:
(Bl. 5 UA)
Das Gericht ist befugt, das Einkommen des Angeklagten zu schätzen, wenn er dazu
keine Angaben macht (§ 40 Abs. 3 StGB). Dabei muss das Gericht die in der
Verhandlung feststellbaren Aspekte berücksichtigen und darlegen, wie es aufgrund
dieser Anknüpfungstatsachen zum gefundenen Ergebnis kommt.
Dabei ist – wie im vorliegenden Fall – bei einer selbständigen Tätigkeit das Einkommen
oftmals nur schwer zu bestimmen. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um
seltenere oder um mehrere Tätigkeiten handelt, bei denen das Gericht nicht über
Erfahrungswerte verfügt und auch keine statistischen Durchschnittswerte ermittelbar
sind.
In den Urteilgründen ist ausgeführt, der Angeklagte sei mit einem Winderdienst- und
einer Transportdienstleistungsunternehmen tätig und zahle für ein Kind 130 € Unterhalt.
Erst recht wird – wie hier – eine Schätzung schwierig bei mehreren nebeneinander
ausgeübten Tätigkeiten, zumal wenn vom Angeklagten keine Angaben zu erlangen sind.
Die relativ zuverlässigste vorstellbare Erkenntnisquelle, nämlich Steuererklärungen und -
bescheide, sind wegen des Steuergeheimnisses im Bereich des allgemeinen Strafrechts
nicht zugänglich. Zwar wären Erkenntnisse zu den Einkommensverhältnissen etwa im
Zuge von Durchsuchungsmaßnahmen zu gewinnen. Eine solche Vorgehensweise dürfte
aber gerade wegen der Schätzungsmöglichkeit nach § 40 Abs. 3 StGB
unverhältnismäßig sein (vgl. BGH NStZ 1995, 27; OLG Dresden StraFo 2007, 329). Eine
Überprüfung von Bankkonten wäre ebenfalls nicht nur unverhältnismäßig aufwändig,
sondern auch unzuverlässig, weil es gerade bei Selbständigen keineswegs
selbstverständlich ist, dass einerseits die Einnahmen über Bankkonten laufen,
andererseits die Betriebsausgaben so einigermaßen zuverlässig ermittelt werden
können.
Die Anforderungen an eine Schätzung dürfen nicht überspannt werden. Vor zu hohen
Schätzungen kann der Angeklagte sich durch eine Offenlegung seiner Verhältnisse –
spätestens in der Berufungsinstanz – schützen. Im vorliegenden Verfahren wurde der
Angeklagte in der ersten Instanz, durch das Amtsgericht Neuruppin, zu einer Geldbuße
mit einem Tagessatz in Höhe von 40 € verurteilt, dem mithin ein Monatseinkommen in
Höhe von 1.200 € zugrunde liegt. Der Angeklagte hätte in der Berufungsinstanz die
Möglichkeit gehabt, darzulegen, dass sein Monatseinkommen unter 1.200 € liegt; dem
ist er nicht nachgekommen.
Wenn keine Feststellungen zu den einzelnen Einkünften und ihrer ungefähren Höhe bzw.
ihren Anteilen an der gesamten Tätigkeit und zu den gesamten Einkünften getroffen
werden können, ist nur eine einheitliche Schätzung des gesamten Einkommens möglich.
Eine solche hat das Landgericht hier vorgenommen, was im daraus ersichtlich ist, dass
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Eine solche hat das Landgericht hier vorgenommen, was im daraus ersichtlich ist, dass
es seiner Berechnung ein „unterdurchschnittliches Einkommen“ zugrunde gelegt hat.
Es wird in Fällen wie dem vorliegenden, wenn sich der Angeklagte zu seinen
Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht einlässt, dem Tatgericht nichts
anderes übrig bleiben, als davon auszugehen, dass das Gesamteinkommen eines
Selbständigen im Bereich des durchschnittlichen Einkommens eines Arbeitnehmers
liegt, das etwa aus Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts sowie der
Statistischen Landesämter (zugänglich auch im Internet) festgestellt werden kann. Aus
solchen Veröffentlichungen sind auch für einzelne Berufsgruppen
Durchschnittseinkommen ermittelbar (vgl. zu diesem Weg auch NK-Albrecht, StGB, 2.
Aufl., § 40 Rn. 49), was genauere Schätzungen ermöglicht, wenn die Art der Tätigkeit
bekannt ist.
Bei einem Selbständigen kann die Schätzung auf ein durchschnittliches
Arbeitnehmereinkommen gestützt werden, weil er in der Regel ein Einkommen
mindestens in derselben Höhe erzielt, wie ein in derselben Branche abhängig
Beschäftigter. Sollte sein Einkommen tatsächlich noch niedriger liegen, er aber dennoch
die weitere Selbständigkeit aus persönlichen Gründen vorziehen oder eine abhängige
Beschäftigung nicht finden können, steht es ihm wiederum frei, einer zu hoch
ausfallenden Schätzung, wie sie etwa durch die Vorinstanz erfolgt ist, durch Angaben zu
den konkreten Verhältnissen zu entgegnen.
Im vorliegenden Fall kann der Senat ausschließen, dass die vom Berufungsgericht
vorgenommene Schätzung zu hoch ausgefallen ist. Denn das Statistische Bundesamt
weist für einen Transportarbeiter für das Jahr 2006 einen monatlichen Bruttolohn von
2.247 € aus. Unter Berücksichtigung der Lohnnebenkosten in Höhe von 30% sowie der
Unterhaltszahlungen in Höhe von 130,00 € pro Monat verbliebe ein
berücksichtigungsfähiger monatlicher Nettobetrag in Höhe von 1.442,90 € (2.247,00 € -
674,10 € -130,00 €). Soweit das Gericht einen weiteren Sicherheitsabschlag
vorgenommen und die Tagessatzhöhe lediglich nach einem anrechenbaren monatlichen
Nettoeinkommen abzüglich Unterhaltszahlungen von 1.200 € berechnet hat, ist dies
nicht zu beanstanden.
cc)
Stellungnahme vom 26. September 2009 angeregt – kommt nicht in Betracht, weil der
Senat hierzu keine rechtliche Handhabe hat. Soweit der Angeklagte erstmals in der
Revisionsbegründung vorträgt, er habe „im zu beurteilenden Zeitraum“ lediglich
Leistungen nach SGB II in Höhe von 671,37 € bezogen, kann er damit im
Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden. Da der Vortrag keinen Niederschlag im
Urteil gefunden, der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung zu seinen
Vermögensverhältnissen nicht eingelassen hat, ist dem Revisionsgericht eine
Berücksichtigung dieser Angaben verwehrt. Dessen ungeachtet ist der mit der
Revisionsbegründung vorgelegte Bescheid des JobCenters Pankow vom 18. Dezember
2008 nicht aussagekräftig, da nicht ersichtlich ist, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung
des Berufungsgerichts am 5. Mai 2009 noch bestandskräftig war. Zudem besteht die
Möglichkeit, dass der Angeklagte weitere Einkünfte erzielt hat, zumal in den Akten
befindliche Schreiben u. a. vom 16. Februar 2009, vom 10. Mai 2009 und vom 2. Juni
2009 im Briefkopf auf ein bestehendes Gewerbe hinweisen, nämlich auf einen
„Winterdienst ….“ mit Angaben zur Steuernummer, zum Firmeninhaber (…) und zum
Gerichtsstand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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