Urteil des OLG Brandenburg vom 17.12.2008

OLG Brandenburg: geldstrafe, gesamtstrafe, strafzumessung, bewährung, sperrfrist, auflage, verschlechterungsverbot, ausnahme, link, sammlung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 33/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 55 StGB, § 331 StPO
Strafverfahren: Nachholung erstinstanzlich unterbliebener
Gesamtstrafenbildung im Berufungsverfahren
Leitsatz
Gesamtstrafenbildung im Berufungsverfahren bei unterlassener Gesamtstrafenbildung in 1.
Instanz trotz bestehender Gesamtstrafenlage - Verbot der Schlechterstellung
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin vom 17. Dezember 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens und die ihm insoweit
erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
I.
Das Amtsgericht Neuruppin hat gegen den Angeklagten mit Urteil vom 18. März 2008
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten sowie eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung
einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren verhängt. Der Gesamtstrafenbildung des Gerichts
haben für die am 03. und 06. Juli 2006 begangenen Taten festgesetzte Einzelstrafen von
jeweils fünf Monaten zugrunde gelegen. Eine weitere nach § 55 StGB
gesamtstrafenfähige Verurteilung des Amtsgerichts Passau vom 25. Oktober 2007 ist
dem Amtsgericht ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe – allerdings ohne Angaben
zum Vollstreckungsstand - zwar bekannt gewesen, jedoch hat es eine Entscheidung über
die Einbeziehung jener Strafe nicht getroffen.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der Angeklagte über seinen Verteidiger am 25.
März 2008 Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung mit
Zustimmung der Staatsanwaltschaft Neuruppin auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt hat.
Mit Urteil vom 17. Dezember 2008 hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts
Neuruppin die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass er unter
Einbeziehung der verhängten Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau vom 25.
Oktober 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt wird. Zudem
hat die Kammer die isolierte Sperrfrist auf ein Jahr herabgesetzt.
Das angefochtene Urteil enthält zur einbezogenen Verurteilung folgende Feststellung:
Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger Revision
eingelegt, mit welcher er mit der Sachrüge insbesondere die Versagung der
Strafaussetzung zur Bewährung angreift. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision
für unbegründet.
II.
1. Die Revision des Angeklagten ist statthaft (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässig
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1. Die Revision des Angeklagten ist statthaft (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässig
(§§ 341 Abs. 1, 344, 345).
2. Die auf die Revisionsrechtfertigung veranlasste Prüfung hat keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben, weshalb das Rechtsmittel des Angeklagten auf
Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gemäß § 349 Abs. 2
StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist.
a) Der Schuldspruch ist durch die bereits im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung
des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen. Die vom
Angeklagten erklärte Berufungsbeschränkung war nicht nur formell (§§ 302 Abs. 2, 303
StPO), sondern auch materiell wirksam.
b) Zudem hält der Rechtsfolgenausspruch, insbesondere was die Entscheidung über die
Strafaussetzung zur Bewährung betrifft, rechtlicher Prüfung stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf
der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat
und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und
belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander
abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist
in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn
das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die
verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter
Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 29, 319, 320 m.w.Nachw.). Nur in diesem Rahmen
kann eine "Verletzung des Gesetzes" (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine
exakte Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (vgl. BGH St 34, 345ff). Ebenso ist die Frage
der Strafaussetzung zur Bewährung im Grundsatz eine dem Ermessen des Tatrichters
überantwortete Entscheidung, die revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob
Rechtsbegriffe verkannt oder Ermessensfehler vorgekommen sind (vgl. BGH, NStZ
1984, 410). Liegt ein Rechtsfehler nicht vor, so muss das Revisionsgericht die
tatrichterliche Beurteilung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen und ist daran
gehindert, seine eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen
(vgl. Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2008 – 1 Ss 85/08 – m.w.N.; Dahs/Dahs, Die
Revision im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 449).
Unter diesen Voraussetzungen liegt ein revisionsrechtlich relevanter Rechtsfehler im
angefochtenen Urteil nicht vor. Überdies ist eine Neuverhandlung der Sache im
Revisionsrechtszug ausgeschlossen. Vielmehr ist das Revisionsgericht an die
Feststellungen des Tatrichters gebunden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., vor § 333,
Rn. 1).
c) Auch stellt die nachträgliche Gesamtstrafenbildung im angefochtenen Urteil keinen
sachlich rechtlichen Mangel dar. Die Strafkammer hat hierdurch nicht gegen das im
Berufungsverfahren geltende Verbot der Schlechterstellung (§ 331 Abs. 1 StPO)
verstoßen.
Nach § 55 StGB hat der Tatrichter anderweitig rechtskräftig erkannte Strafen in seinen
Urteilsspruch einzubeziehen, sofern die sachlichen Voraussetzungen für die Bildung
einer Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB vorliegen. Der Angeklagte soll durch die
getrennte Aburteilung seiner Taten in verschiedenen Verfahren keinen Nachteil erleiden
und keinen Vorteil erlangen (vgl. BGHSt 35, 208, 211; BGHSt 33, 131, 132). Trifft in den
verschiedenen Verfahren – wie hier - Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, bedarf es
nach § 53 Abs. 2 StGB einer besonderen Entschließung darüber, ob eine
Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden oder ob von der Einbeziehung der Geldstrafe abzusehen
ist.
Im Berufungsverfahren gilt allerdings § 331 Abs. 1 StPO. Danach darf das
Berufungsgericht das Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen unter anderem dann nicht
zum Nachteil des Angeklagten abändern, wenn – wie vorliegend - nur der Angeklagte
Berufung eingelegt hat. Die Vorschrift will sicherstellen, dass der Angeklagte bei seiner
Entscheidung darüber, ob er von dem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen
will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt wird, es könne ihm durch die Einlegung des
Rechtsmittels ein Nachteil in Gestalt höherer Bestrafung entstehen (vgl. Meyer-Goßner,
a.a.O., § 331, Rn. 1 m.w.N.).
Hat es der erste Richter abgelehnt, aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe eine
Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat er zu dieser Frage mithin eine Entscheidung
getroffen, dann hat es bei alleiniger Berufung des Angeklagten dabei sein Bewenden.
Dem Rechtsmittelgericht ist es in einem solchen Fall durch das Verschlechterungsverbot
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Dem Rechtsmittelgericht ist es in einem solchen Fall durch das Verschlechterungsverbot
des § 331 Abs. 1 StPO verwehrt, die Entscheidung des ersten Richters zu korrigieren;
denn da Freiheitsstrafe im Verhältnis zu Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen
ist, würde der Angeklagte durch die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene
Einbeziehung einer Geldstrafe gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten
Urteils eine Verschlechterung erfahren (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.).
Hat der erste Richter allerdings über die Bildung einer Gesamtstrafe keine Entscheidung
getroffen, muss das Berufungsgericht diese nachholen, um dem aus § 55 StGB
folgenden Gebot gerecht zu werden. Durch § 331 Abs. 1 StPO ist es daran nicht
gehindert. Die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Geld- und einer
Freiheitsstrafe bedeutet zwar für den Angeklagten - insgesamt gesehen - eine
Verschlechterung seiner früheren Lage. Diese beruht jedoch nicht auf einer Abänderung
der vorausgegangenen Rechtsfolgenentscheidungen, sondern auf einem erstmals im
Berufungsurteil vorzunehmenden richterlichen Gestaltungsakt, der von § 331 Abs. 1
StPO nicht erfasst wird (vgl. BGHSt 35, 208; Fischer, StGB, 56. Auflage, § 55, Rn. 20;
Gössel in LR-StPO, 25. Aufl., § 331 Rn. 40).
Dabei kann das Fehlen einer Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung darauf
zurückzuführen sein, dass dem erstinstanzlichen Tatrichter die gesamtstrafenfähige
anderweitige Verurteilung unbekannt geblieben ist, oder die insoweit zu prüfenden
Unterlagen trotz sachgerechter Terminsvorbereitung nicht vollständig vorgelegen haben
(vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 73). Eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters über die
Gesamtstrafenbildung ist aber auch dann nicht getroffen, wenn diesem die
gesamtstrafenfähige anderweitige Verurteilung zwar bekannt war, er aber die Möglichkeit
einer Gesamtstrafenbildung fehlerhaft nicht erkannt hat (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR
2008, 235 m.w.N.; Meyer-Goßner, a.a.O.; Frisch in SK-StPO, § 331, Rn. 54). So liegt der
Fall hier.
Das Amtsgericht hat die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung ersichtlich übersehen
und deshalb nicht geprüft oder die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung
rechtsfehlerhaft verkannt. Es hat ohne jede Begründung davon abgesehen, die in den
Feststellungen zur Person aufgeführte Verurteilung des Amtsgerichts Passau in seine
Gesamtstrafe nach § 55 StGB einzubeziehen. Allein aus der ausdrücklichen Feststellung
jener Verurteilung in den Urteilsgründen kann indes nicht davon ausgegangen werden,
dass sich das Amtsgericht einer möglichen Gesamtstrafenbildung bewusst gewesen ist,
„schlüssig“ von der Möglichkeit des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB Gebrauch gemacht und sich
gegen die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe entschieden hat (so aber OLG
Düsseldorf, wistra 2001, 37f.). Denn die bloße Kenntnis des erstinstanzlichen Richters
von einer gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung allein ist kein genügender Anhaltspunkt
für die Annahme einer nach §§ 53, 55 StGB zu treffenden Entscheidung. Sie ersetzt nicht
die nach § 55 StGB erforderliche Prüfung, ob die Strafe "vollstreckt, verjährt oder
erlassen ist". Beim Absehen der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine nach § 53 Abs. 1
StGB zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe bedarf es zudem regelmäßig einer besonderen
Begründung, weil § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Ausnahme von der Regel darstellt (vgl.
Fischer, a.a.O., § 53, Rn. 6 m.w.N.). Ohne einen ausdrücklichen Ausspruch in der
Urteilsformel bzw. ohne besondere Begründung kann trotz Kenntnis der Vorverurteilung
deshalb nicht von einer - konkludent getroffenen - Entscheidung über die
Gesamtstrafenbildung ausgegangen werden (vgl. OLG Hamm a.a.O. m.w.N.). Mit dem
Schweigen des Urteils zur Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung wird
diese vielmehr dem Beschlussverfahren (§ 460 StPO) überlassen. Was im
Nachtragsverfahren von Amts wegen und auch zu Ungunsten des Verurteilten zulässig
ist, kann dem Berufungsgericht, das überdies eine bessere Gewähr für eine gerechte
Strafzumessung (vgl. BGHSt 25, 384) bietet, nicht untersagt sein (vgl. BGHSt 35, 208,
215).
Weil das Amtsgericht Neuruppin hiernach keine Entscheidung über das Absehen der
Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau getroffen hat, ist
die Berufungskammer nicht wegen des Verschlechterungsverbots an der nach § 55
StGB zu treffenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung gehindert gewesen.
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