Urteil des OLG Brandenburg vom 22.02.2006

OLG Brandenburg: fahrzeug, geschwindigkeit, betriebsgefahr, fahrbahn, kurve, abkommen, parkplatz, sammlung, quelle, verschulden

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 71/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 1 StVG, § 17 Abs 1
StVG, § 17 Abs 2 StVG, § 9
StVO, § 5 Abs 3 StVO
Haftungsquote bei Verkehrsunfall: Vorliegen einer unklaren
Verkehrslage; Zurücktreten der Betriebsgefahr; Anzeigen der
Abbiegeabsicht
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Februar 2006 verkündete Urteil der 1.
Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 1 O 465/04, wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die zulässige, insbesondere gemäß den §§ 517 ff ZPO form- und fristgerecht eingelegte
Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagten haften als
Gesamtschuldner in vollem Umfang für die dem Kläger entstandenen Schäden in der in
der Berufungsinstanz noch streitigen Höhe von 6.102,09 € aus den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs.
1 und 2 StVG, 3 Nr. 1 PflVG. Zur Begründung wird zunächst auf die zutreffenden Gründe
der angefochtenen Entscheidung, denen sich der Senat anschließt, Bezug genommen.
Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung rechtfertigen keine andere
Entscheidung.
Soweit die Beklagten mit der Berufung weiterhin den vom Landgericht bejahten örtlichen
und zeitlichen Rechnungszusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges der
Beklagten zu 1. in Abrede stellen wollen, indem sie ausführen, das Fahrzeug des Klägers
sei weit hinter dem Fahrzeug der Beklagten zu 1. von der Straße abgekommen, räumen
sie an anderer Stelle der Berufungsbegründung einen solchen Ursachenzusammenhang
letztlich selbst ein, indem sie zugestehen, dass der Zeuge M. P. als Fahrer des
klägerischen Fahrzeuges beim Überholen aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte
zu 1. nach ihrem Vortrag den linken Blinker gesetzt habe, erschreckt sei und deswegen
sein Lenkrad verrissen habe. Damit war auch nach dem eigenen Vorbringen der
Beklagten in der Berufungsbegründung die Fahrweise des Beklagtenfahrzeuges, hier das
Setzen des linken Blinkers, mitursächlich für das Abkommen von der Fahrbahn durch
den Zeugen M. P.. Der Ursachenzusammenhang ergibt sich darüber hinaus aus den
Bekundungen der Beklagten zu 1. im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung gem. § 141
ZPO, indem sie angegeben hat, sie sei angerollt und habe erst dann das klägerische
Fahrzeug in dem Rückspiegel wahrgenommen, als dieses bereits beim Überholen
gewesen sei (Bl. 95 GA). Sie sei dann sofort auf die Bremse getreten, woraus zum einen
folgt, dass der Zeuge M. P. in dem Augenblick, als die Beklagte zu 1. den
Abbiegevorgang einleitete, bereits zum Überholen angesetzt hatte, und zum anderen
die Beklagte zu 1. bereits in Bewegung war. Danach kann das Abkommen von der
Fahrbahn des klägerischen Fahrzeuges letztlich nur dadurch erklärt werden, dass der
Zeuge M. P. versucht hat, dem unmittelbar bevorstehenden Abbiegevorgang des
Beklagtenfahrzeuges ausweichen. Ein anderer Grund, weshalb der Zeuge von der
Fahrbahn abgekommen sein sollte, ist nicht erkennbar und durch die Beklagten auch
nicht vorgetragen. Auch die Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil, wonach das
Fahrzeug des Klägers an dem Fahrzeug der Beklagten zu 1. vorbeigefahren sei, beruht
auf den Äußerungen der Beklagten zu 1., die im Termin angegeben hat, das Fahrzeug
des Klägers sei an ihr “vorbeigeschossen”.
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Gegen einen Verstoß der Beklagten zu 1. gegen § 9 Abs. 1 S. 4, Abs. 5 StVO spricht im
vorliegenden Fall bereits der Beweis des ersten Anscheins, der von den Beklagten nicht
entkräftet worden ist. Darüber hinaus ergibt sich bereits aus der Äußerung der Beklagten
zu 1., dass die Beklagte zu 1. ihrer gesteigerten Sorgfaltspflicht gerade nicht genügt hat.
Aus der Äußerung der Beklagten zu 1., sie habe das Fahrzeug des Klägers erst gesehen,
als sie bereits ein paar Zentimeter angerollt gewesen sei, ist zu entnehmen, dass die
Beklagte zu 1. ihrer doppelten Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO nicht genügt
haben kann, da sie nach ihren eigenen Ausführungen erst in den linken Rückspiegel
gesehen hat, als sie bereits zum Abbiegen angesetzt hatte. Nichts anderes ergibt sich
aus den Bekundungen der Zeugin Sch., die zwar bestätigt hat, dass die Beklagte zu 1.
nach links hinten gesehen habe, nicht jedoch zu welchem Zeitpunkt. Auch aus den bei
der Verkehrsunfallanzeige beiliegenden Lichtbildern lässt sich nicht entnehmen, dass der
Unfallort “gleich hinter einer Kurve” liegt, sondern dass die Straße vielmehr vor dem
Unfallort bereits ein Stück geradeaus verläuft. Da zudem beide Fahrzeuge bereits zuvor
die vor dem Unfallort befindliche Doppelkurve hintereinander durchfahren hatten, ist
nicht ersichtlich, dass die Beklagte zu 1. das Fahrzeug des Klägers nicht zuvor im
Rückspiegel hätte bemerken können.
Demgegenüber kann dem Zeugen M. P. ein Verkehrsverstoß nicht vorgehalten werden.
Darin, dass der Zeuge M. P. unmittelbar nach der Kurve den Überholvorgang gestartet
hat, ist weder ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO noch gegen § 5 Abs. 7 StVO zu
sehen. Eine unklare Verkehrslage liegt nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende
Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits zur Fahrbahnmitte eingeordnet
haben sollte (vgl. KG NJW-RR 1987, 1251; KG NZV 2003, 89; OLG Koblenz NZV 2005,
413; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 5 StVO, Rn. 35). Vielmehr müssen
darüber hinaus konkrete Umstände hinzutreten, die für ein unmittelbar vorliegendes
Linksabbiegen sprechen können. Ein solcher konkreter Umstand kann beispielsweise
darin liegen, dass der Vorausfahrende in seiner Fahrweise unsicher erscheint und es den
Anschein hat, er suche eine Parkmöglichkeit (vgl. OLG Köln NZV 1999, 333). So lag der
Fall hier aber nicht. Es ist nicht vorgetragen worden, dass die Beklagte zu 1. unsicher
oder zögerlich gefahren ist, woraus der Zeuge P. auf die Absicht der Beklagten zu 1.
hätte schließen müssen, dass sie einen Parkplatz suchte, so dass der Zeuge P. mit
einem Abbiegevorgang nach links hätte rechnen müssen. Vielmehr ist die Beklagte zu 1.
lediglich durchgehend mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h gefahren; im Übrigen
haben die Beklagten lediglich vorgetragen, dass die Beklagte zu 1. die Geschwindigkeit
verringert habe. Dass sie sich zur Mitte hin eingeordnet hat, tragen die Beklagten nicht
vor. Auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 7 StVO steht nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht fest. Zwar ist nach dem Ergebnis der vom Landgericht
durchgeführten Beweisaufnahme als bewiesen anzusehen, dass die Beklagte zu 1. den
linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat. Es steht jedoch nicht fest, dass die Beklagte
zu 1. den linken Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig gesetzt hat und sich dabei bereits
nach links eingeordnet hatte, so dass sie nur rechts überholt werden durfte. Die Zeugin
Sch. hat zwar die akustische Wahrnehmung des Blinkers bestätigt, hat jedoch zu dem
Zeitpunkt, ab wann die Beklagte zu 1. den Blinker gesetzt hat, keine Angaben machen
können. Da die Beklagten für einen Verstoß des Zeugen P. gegen § 5 Abs. 7 StVO im
Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1 StVG darlegungs- und beweisbelastet
sind, geht die Unklarheit, zu welchem Zeitpunkt die Beklagte zu 1. den linken
Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat, zulasten der Beklagten.
Die Bekundungen des Zeugen M. P. sind im Übrigen hinsichtlich des Setzen des
Fahrtrichtungsanzeigers nicht allein deshalb unglaubhaft, weil der Zeuge damit auf die
Aussage der Zeugin Sch. reagiert habe. Vielmehr hat der Zeuge P. seine Angaben
hinsichtlich des Setzen des linken Blinkers bereits getätigt, bevor die Zeugin Sch.
ihrerseits in ihrer Aussage das Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers bestätigt hat.
Steht danach ein Verkehrsverstoß des Zeugen P. nicht fest und ist somit im Rahmen der
Haftungsabwägung lediglich die aufgrund des Überholvorganges erhöhte Betriebsgefahr
des Fahrzeuges des Klägers zu berücksichtigen, ist nicht zu beanstanden, dass das
Landgericht im Rahmen der Abwägung die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der
Beklagten zu 1. vollständig hat zurücktreten lassen. Eine solche Haftungsverteilung ist in
der Regel bei Fällen wie dem hier Vorliegenden, in dem nicht feststeht, dass der
Linksabbieger rechtzeitig seine Abbiegeabsicht gem. § 9 Abs. 1 S. 1 StVO angezeigt hat,
als angemessen anzusehen (vgl. die bei Grüneberg, Haftungsquoten bei
Verkehrsunfällen, 9. Aufl., Rn. 169 zitierten Entscheidungen). Soweit in den dort
aufgeführten Fällen eine Mithaftung des Überholenden angenommen worden ist, beruht
dies auf eigenen Verkehrsverstößen des Überholenden wie überhöhter Geschwindigkeit,
Überholen bei unklarer Verkehrslage oder Einhaltung eines nicht ausreichenden
Sicherheitsabstandes nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO, welche hier nicht vorliegen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Gründe für die Zulassung der Revision
nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 3 ZPO i.V.m. § 47 Abs. 1 Nr. 1
GKG auf 6.102,09 € festgesetzt.
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