Urteil des OLG Brandenburg vom 27.11.2006

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
13. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 U 18/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 823 Abs 1 BGB
Verkehrssicherungspflicht: Sicherungspflichten eines
Bauunternehmers innerhalb einer als Baustellenbereich
ausgewiesenen Verkehrsfläche
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. November 2006 verkündete Urteil des
Landgerichts Cottbus wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Im Herbst 2004 führte die Klägerin im Rahmen einer Baumaßnahme an der
Bundesautobahn 14 nahe M. im Auftrag des zuständigen Straßenbauamtes die
Verkehrssicherung durch. Im Zuge einer Kontrollfahrt, bei der der Fahrer der Klägerin
den als Baustelle ausgeschilderten und abgesperrten Bereich befuhr, geriet er in eine
etwa 22 m lange, 9 m breite und 10 - 12 cm tiefe Fahrbahnvertiefung. Diese hatte die
Beklagte durch Abfräsen des Straßenbelages auf einer zusätzlich zu der eigentlichen
Baustelle im abgesperrten Baustellenbereich geschaffen. Absperrungen oder sonstige
Hinweise auf die Vertiefungen waren nicht angebracht. An dem Fahrzeug der Klägerin
entstand ein Sachschaden, für dessen Reparatur der von der Klägerin beauftragte
Sachverständige Kosten in Höhe von 7.804,88 € veranschlagte. Diese sowie die Kosten
für das Gutachten in Höhe von 544,07 €, die Kosten für den Rücktransport des
Fahrzeuges der Klägerin von der Baustelle in Höhe von 193,60 € sowie
Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 50 € täglich für insgesamt 11 Tage =
insgesamt 550 € macht die Klägerin mit ihrer Klage geltend.
Das Landgericht hat die Klage nach einer umfangreichen Beweisaufnahme u. a. zur
Erkennbarkeit der ausgefrästen Baugruben abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, dass unabhängig davon, ob die Bauarbeiten der Beklagten tatsächlich einer
zusätzlichen Absicherung bedurft hätten, jedenfalls nicht zur Überzeugung des Gerichts
feststünde, dass das Unterlassen entsprechender Sicherungsvorkehrungen ursächlich
für den Schaden am klägerischen Fahrzeug gewesen sei. Die dazu vernommenen
Zeugen hätten einander widersprechende Angaben gemacht. Ausgehend davon stehe
nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der eingetretene Schaden durch eine
zusätzliche Absicherung der Fahrbahnvertiefungen vermieden worden wäre.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, dass es im
Rahmen der Kausalitätsprüfung einzig darauf ankomme, ob der Schaden bei Beachtung
der der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht verhindert worden wäre. Davon
sei angesichts der auch vom Landgericht angenommenen generellen Sicherungspflicht
der Beklagten auszugehen. Außerdem rügt sie hierfür das Landgericht bei seiner
Beweiswürdigung.
Sie beantragt,
das am 27.11.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Cottbus abzuändern und
die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.092,55 € nebst 11,25 % seit 4.11.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Dazu macht sie insbesondere geltend, dass die
RSA, aus der allein sich ihre Verkehrssicherungspflicht ergebe, der Schutz Dritter, nicht
jedoch dem an den Baumaßnahmen ebenfalls Beteiligten weiteren Unternehmen diene.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
wechselseitigen Schriftsätze und der Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug
genommen.
II.
Die gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung der Klägerin bleibt im Ergebnis
ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die
dagegen mit der Berufung vorgebrachten Angriffe rechtfertigen eine abweichende
Beurteilung nicht.
Die Beklagte haftet für den der Klägerin entstandenen Schaden nicht unter dem
Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung, § 823 BGB, der insoweit einzig
in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.
Der Beklagten ist schon eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht
vorzuwerfen, weil sie die im für den allgemeinen Straßenverkehr ordnungsgemäß
abgesperrten und gesicherten Baustellenbereich vorgenommene zusätzliche
Fahrbahnvertiefung nicht gesondert kenntlich gemacht bzw. durch Warnhinweise darauf
aufmerksam gemacht hat.
Allerdings trifft grundsätzlich jeden, der eine Gefahrenquelle schafft, die Pflicht,
Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr von Personen und Sachen zu treffen. Dabei sind
die Maßnahmen gefordert, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen
Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor
Schäden zu bewahren (BGH NZBau 2007, 309). Für Maßnahmen im Bereich des
Straßenbaus konkretisiert die auf der Grundlage von § 43 Abs. 3 Nr. 2 StVO vom
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen erlassene Richtlinie für die
Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (im folgenden RSA) neben der Person des
Verkehrssicherungspflichtigen die zur Schadensabwendung notwendigen
Sicherungsmaßnahmen. Nach deren Ziff. 1.3.1 obliegt die Verkehrssicherungspflicht
demjenigen, der im öffentlichen Straßenraum Arbeiten ausführt oder ausführen lässt.
Die Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers besteht neben der des
Straßenbaulastträgers und der der Straßenverkehrsbehörde. Sie betrifft den gesamten
Baustellenbereich und endet erst dann, wenn der Unternehmer die tatsächliche
Herrschaft über die Arbeitsstelle nicht mehr ausübt (Reitenspiess, NZV 2003, 504, 506).
Mit Beginn der Fräsarbeiten hat die Beklagte im öffentlichen Straßenraum Arbeiten
ausgeführt und - wie der zur Entscheidung anstehende Fall belegt - eine Gefahrenquelle
für fremde Rechtsgüter geschaffen. Gleichwohl hält der Senat die Vorschriften der RSA
als Grundlage weder für die Verkehrssicherungspflichtigkeit der Beklagten noch für die
Art der von ihr zu treffenden Sicherungsvorkehrungen für einschlägig. Allerdings dienen
die Regelungen der RSA gem. Ziff. 1.1 Abs. 2 dem Schutz der Teilnehmer des
öffentlichen Straßenverkehrs und der Arbeitskräfte sowie der Geräte in der Arbeitsstelle.
Den Regelplänen D 1 Autobahn ist jedoch zu entnehmen, dass mit den im Einzelnen zur
Sicherung von Arbeitsstellen im Bereich von Autobahnen vorgesehenen Maßnahmen
ausschließlich der Schutz der Teilnehmer des öffentlichen Straßenverkehrs vor von einer
Baumaßnahme ausgehenden Gefahren bzw. Arbeitskräfte und Geräte des die
Straßenbauarbeiten ausführenden Unternehmens vor Gefahren aus dem Bereich des
öffentlichen Straßenverkehrs bezweckt ist. Solche Gefahren hat die Beklagte mit ihren
Arbeiten nicht geschaffen. Die von der Beklagten vorgenommenen
Fahrbahnvertiefungen begründeten für die Teilnehmer des öffentlichen Straßenverkehrs
eine ungesicherte Gefahr schon deshalb nicht, weil der allgemeine Verkehrsfluss
vorschriftsmäßig weit im Vorfeld vor der Arbeitsstelle der Beklagten wegen der
großräumigen Absperrung der Fahrbahnen Richtung M. auf die Gegenfahrbahn
übergeleitet worden war. Ebenso wenig gingen für die Arbeitskräfte und die Geräte der
Beklagten vom allgemeinen Verkehrsfluss Gefahren aus, weil diese die Gegenfahrbahn
befuhr.
Eine in einem aus Anlass einer umfangreichen Straßenbaumaßnahme bereits
weiträumig abgesperrten Arbeitsbereich zusätzlich eingerichtete Arbeitsstelle, wie die
der Beklagten, ist nach Ansicht des Senats einer Arbeitsstelle im Sinne der RSA nicht
vergleichbar, weshalb deren Regelungen in Bezug auf die Verkehrssicherungspflichtigkeit
und die notwendigen Maßnahmen auch nicht entsprechend heranzuziehen sind. Die
wegen Arbeiten an der Straße vorübergehend gesperrten Verkehrsflächen sind nicht für
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wegen Arbeiten an der Straße vorübergehend gesperrten Verkehrsflächen sind nicht für
den allgemeinen Straßenverkehr, sondern nur für einen eingeschränkten Verkehr,
insbesondere Baustellenfahrzeuge, zugänglich. Dem danach für den Bereich einer
Arbeitsstelle im Sinne der Ziff. 1 der RSA nur sehr eingeschränkt zugelassenen Verkehr
sind im allgemeinen die durchgeführten Baumaßnahmen und die davon ausgehenden
Gefahren sowohl für die dort tätigen Arbeitskräfte und die Arbeitsgeräte der Bau
ausführenden Unternehmer, als auch die damit verbundenen entsprechenden Gefahren,
bekannt. Zum Schutz dieses nur eingeschränkten Verkehrs bedarf es der in der RSA
vorgesehenen umfangreichen Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich nicht.
Aus der fehlenden Anwendbarkeit der RSA auf den baustelleninternen Verkehr folgt
indessen nicht notwendigerweise, dass für im Bereich weiträumig gesperrter
Verkehrsflächen separat durchgeführter Baumaßnahmen von vornherein keine
Verkehrssicherungspflichten bestehen. Die allgemeine zivilrechtliche
Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers bezieht sich auf jeden, der erfahrungs- und
bestimmungsgemäß den Gefahren in dem für den allgemeinen Verkehr gesperrten
Baustellenbereich ausgesetzt ist. Das sind bei einer umfangreichen
Straßenbaumaßnahme, an der unter Umständen mehrere Unternehmer beteiligt sind,
die übrigen im Baustellenbereich tätigen Arbeitskräfte und gegebenenfalls beschränkt
zugelassener Verkehr. Zum Schutz dieses beschränkten Baustellenverkehrs ist das Bau
ausführende Unternehmen gehalten, erforderliche Sicherungsvorkehrungen zu treffen,
etwa Warnhinweise auf nicht oder schwer erkennbare Gefahrenstellen aufzustellen o. ä.
Mit der Beklagten ist allerdings davon auszugehen, dass es einer Absicherung der von
ihr vorgenommenen Vertiefungen deswegen nicht bedurfte, weil nicht ersichtlich ist,
dass und ggf. aus welchem Grund die von der Beklagten durch ihre Fräsarbeiten
geschaffene Gefahrenstelle einer zusätzlichen Sicherung bedurfte. Es ist schon nicht
ersichtlich, dass innerhalb des gesperrten Baustellenbereichs neben
Baustellenfahrzeugen weiterer (beschränkter) Verkehr zugelassen war. Das
diesbezügliche Vorbringen der Klägerin ist weder unter Beweis gestellt noch bewiesen.
Wenn aber der gesperrte Bereich ausschließlich der Benutzung von
Baustellenfahrzeugen vorbehalten gewesen wäre, hätte es einer zusätzlichen Warnung
vor der Vertiefung schon deshalb nicht bedurft, weil die übrigen, wenn auch an einem
anderen Arbeitsbereich tätigen Unternehmer, diese während der Fräsarbeiten allein
durch das Vorhandensein von Baumaschinen erkennen konnten und nach
Arbeitsschluss diese Baustelle kannten. Mit dem Befahren der abgesperrten Fläche
durch andere Verkehrsteilnehmer, denen die Fräsarbeiten nicht bekannt waren, hätte
die Beklagte nicht rechnen und dementsprechend auch keine Warnhinweise anbringen
müssen. Dessen ungeachtet ist angesichts des Umfangs der Baumaßnahme nicht
ersichtlich, dass sie bei der innerhalb eines Baustellenbereichs auch ohne gesonderte
Warnhinweise gebotenen Aufmerksamkeit nicht erkennbar war. Die Fahrbahn war
ausweislich des von der Klägerin zu den Akten gereichten Berichts der Autobahnpolizei L.
an zwei aufeinander folgenden Flächen in einer Länge von 22 m, einer Breite von 9 m
und einer Tiefe von 10 - 12 cm abgefräst. Infolge dessen wies sie einen anderen
Straßenbelag auf als die nicht abgefräste Verkehrsfläche. Dass dieser Unterschied im
Straßenbelag bei Abblendlicht nicht sichtbar war, ist nicht nachvollziehbar dargelegt.
Noch weniger hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass der Fahrer ihres
Fahrzeugs nach Durchqueren der ersten Vertiefung noch in die zweite Vertiefung
geraten konnte, ohne diese vorher wahrzunehmen.
Selbst wenn entgegen den vorstehenden Überlegungen ausnahmsweise eine
Verkehrssicherungspflicht der Beklagten für die von ihr geschaffenen und beherrschten
Gefahrenquellen anzunehmen wäre, wäre die selbst mit der Aufgabe der
Verkehrssicherung für den gesamten Baustellenbereich betraute Klägerin nicht in den
Schutzbereich der Sicherungspflicht der Beklagten einbezogen. Grundsätzlich kann eine
Verkehrssicherungspflicht auch zugunsten desjenigen bestehen, der selbst
verkehrssicherungspflichtig ist. Ebenso wie die Verantwortung unter mehreren Pflichtigen
zeitlich aufgeteilt werden kann, kommt auch eine Aufspaltung in getrennte
Aufgabenbereiche in Betracht (OLG Hamm, VersR 2002, 1298). Zu einer derartigen
Aufspaltung bedarf es dann jedoch wie zu einer Delegation der Verkehrssicherungspflicht
auf einen anderen einer klaren Absprache zwischen den mehreren
Verkehrssicherungspflichtigen. An einer solchen fehlt es vorliegend. Dass es dazu nicht
gekommen ist, weil die Klägerin von der zusätzlichen Baumaßnahme der Beklagten
innerhalb des für den allgemeinen Verkehr gesperrten Baustellenbereichs keine Kenntnis
hatte, entlastet die Klägerin jedenfalls im Verhältnis zur Beklagten nicht. Sie, als für die
gesamte Baumaßnahme an sich Verkehrssicherungsverpflichtete, konnte nicht blind
darauf vertrauen, dass der gesamte - ursprünglich ausschließlich für die
Brückenbauarbeiten - gesperrte Baustellenbereich keinerlei Gefahren für den allenfalls
beschränkt zugelassenen Verkehr barg und insbesondere die ohnehin erforderlich
gewordene Fahrbahnsperrung nicht gleichzeitig für kleinere Reparaturarbeiten am
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gewordene Fahrbahnsperrung nicht gleichzeitig für kleinere Reparaturarbeiten am
Straßenbelag genutzt würde. Jedenfalls bestand aus Sicht der Beklagten, die aus
Baubesprechungen mit dem Straßenbauamt um die Übertragung der Aufgaben der
Verkehrssicherung auf andere wusste und deren Fräsarbeiten im Verlaufe des Tages
nicht verborgen geblieben sein konnten, keinerlei Veranlassung, mit der Klägerin eine
Absprache zur Sicherung des inneren Bereichs der Straßenbaumaßnahme zu treffen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht
vorliegen.
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