Urteil des OLG Brandenburg vom 10.07.2007

OLG Brandenburg: besondere härte, duldung, strafzumessung, beschränkung, bewährung, geldstrafe, ordnungswidrigkeit, sanktion, rechtskraft, gesamtstrafe

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 79/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 46 Abs 3 StGB, § 47 Abs 1
StGB, § 61 Abs 1 S 1 AufenthG,
§ 61 Abs 1 S 2 AufenthG, § 95
Abs 1 Nr 7 AufenthG
Aufenthaltsrecht: Strafbarkeit von Verstößen gegen eine
räumliche Aufenthaltsbeschränkung; Verhängung kurzer
Freiheitsstrafen
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin vom 10. Juli 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Prenzlau verurteilte den Angeklagten mit Urteilen vom 6. Oktober 2006
und vom 2. März 2007 wegen jeweils zwei wiederholter Verstöße gegen eine
Aufenthaltsbeschränkung nach § § 61 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz zu
Gesamtfreiheitsstrafen von vier und sechs Monaten, deren Vollstreckung es jeweils nicht
zur Bewährung aussetzte.
Seine hiergegen gerichteten, in der Berufungshauptverhandlung auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen verwarf die 4. kleine Strafkammer des
Landgerichts Neuruppin am 10. Juli 2007 und verurteilte den Angeklagten wegen
wiederholten Verstoßes gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 2
Aufenthaltsgesetz in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung
sachlichen Rechts rügt.
II.
Die Revision ist gem. §§ 341 I, 344, 345 StPO zulässig, insbesondere form- und
fristgerecht eingelegt und begründet, führt indes nur hinsichtlich des
Rechtsfolgenausspruchs zum -vorläufigen- Erfolg.
1. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht zwar von der Wirksamkeit der Beschränkung der
Berufung auf den Rechtsfolgenanspruch ausgegangen. Da die Kammer allerdings
ergänzende eigene Feststellungen getroffen und insoweit die erhobenen Beweise
gewürdigt hat, nötigt der Fehler nicht zur Aufhebung des Urteils im Schuldspruch.
Eine wirksame Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus,
dass die zum Schuldspruch getroffenen tatsächlichen Feststellungen eine ausreichende
Grundlage für eine dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat entsprechende Bemessung
der Rechtsfolgen darstellen. Sind die Tatsachenfeststellungen unzureichend bzw.
lückenhaft, so ist eine entsprechende Beschränkung der Berufung unwirksam.
Insbesondere ist ein Fall wirkungsloser Rechtsmittelbeschränkung auf den
Rechtsfolgenausspruch dann gegeben, wenn die Feststellungen zu dem nicht
angefochtenen Schuldspruch diesen nicht tragen oder keine Ausführungen zur Schuld
des Angeklagten enthalten.
Der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkungen steht hier nicht entgegen, dass das
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Der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkungen steht hier nicht entgegen, dass das
Amtsgericht bereits das wiederholte Verlassen des Landkreises Uckermark durch den
Angeklagten als strafbewehrt angesehen hat. Zwar stellt ein auch wiederholter Verstoß
gegen die räumliche Beschränkung aufgrund einer Auflage nach § 61 Abs. 1 Satz 2
Aufenthaltsgesetz (hier: Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis Uckermark) immer
nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz dar, denn die
Strafvorschrift des § 98 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz umfasst ausschließlich
vorsätzliche Verstöße gegen die Aufenthaltsbeschränkung, die sich bereits gesetzlich
aus § 61 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz ergibt, weshalb nur ein wiederholtes Verlassen
des Bundeslandes unter Strafe steht (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2007, 136; Thüringer OLG,
ThürVBl 2007, 190 nach juris).
Bei allen vier verfahrensgegenständlichen Taten handelt es sich aber wegen des
jeweiligen Verlassens des Landes Brandenburg um Verstöße gegen die
Aufenthaltsbeschränkung aus § 61 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz, sodass zu Recht
von einem strafbaren Verhalten ausgegangen worden ist. Auch lässt sich den
amtsgerichtlichen Urteilen noch entnehmen, dass der Angeklagte vollziehbar
ausreisepflichtig war, da die Urteile mitteilen, dass er im Besitz einer Duldung war. Die
Erteilung einer Duldung setzt nämlich eine Ausreisepflicht und deren Vollziehbarkeit,
eine der Voraussetzung des § 98 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz, voraus. Wann dem
Angeklagten diese Duldung erteilt wurde, teilen die amtsgerichtlichen Urteile indes nicht
mit, so dass nicht überprüft werden kann, ob dem „vorherigen“ Zuwiderhandeln gegen
die Aufenthaltsbeschränkung (Aufenthalt am 9. Februar 2005 in Berlin – Reinickendorf)
die gleiche Duldung zugrunde lag wie der Aufenthaltsbeschränkung zum Zeitpunkt der
Tat am 26. März 2005. Nur wenn beiden Verstößen die selbe Aufenthaltsbeschränkung
zugrunde liegt, kann von einer wiederholten, den Straftatbestand erfüllenden Tat am 26.
März 2005 ausgegangen werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Mai 2007 –
2 Ss 25/07 -). Da die Urteile auch nicht mitteilen, seit wann der Asylantrag des
Angeklagten rechtskräftig abgelehnt worden war, kann nicht ausgeschlossen werden,
dass den Verstößen unterschiedliche Duldungen zu Grunde lagen.
Auch lässt das Urteil des Amtsgerichts vom 2. März 2007 jegliche Feststellungen zum
subjektiven Tatbestand vermissen. Vorliegend weisen die im Berufungsurteil mitgeteilten
amtsgerichtlichen Urteilsgründe über deren tatsächlichen Inhalt hinaus aus, dass dem
Angeklagten am 13. August 2004 eine Duldung erteilt wurde und dem Angeklagten auch
bezüglich der Taten vom 30. Januar 2006 und vom 13. Juni 2006 jeweils bekannt und
bewusst gewesen sei, dass er den Landkreis Uckermark nicht ohne entsprechende
Genehmigung habe verlassen dürfen.
Die Kammer hat allerdings ausweislich der Urteilsgründe Beweis erhoben durch
Befragung des Angeklagten, die Beweise gewürdigt und eigene Feststellungen zur
subjektiven Tatseite und zu den festgestellten Tatsachen im Übrigen getroffen, die den
Schuldspruch noch tragen. Der Revision war deshalb insoweit der Erfolg versagt.
2. Der Rechtsfolgenausspruch des landgerichtlichen Urteils kann indes keinen Bestand
haben, weil er den gesetzlichen Vorgaben für die Verhängung von Freiheitsstrafen unter
sechs Monaten nach § 47 Abs. 1 StGB nicht entspricht.
Die insoweit vorgenommene Strafzumessung erweist sich als lücken- und teilweise
fehlerhaft. Kurze Freiheitsstrafen dürfen nur dann verhängt werden, wenn besondere
Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, einen solchen
Strafausspruch zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung
unerlässlich machen und sollen nur ausnahmsweise und als letztes Mittel zur
Anwendung kommen. Dem gesetzgeberischen Gebot ist dadurch Rechnung zu tragen,
dass von dieser Ahndungsmöglichkeit äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht wird
(vgl. dazu und zum Folgenden KG Berlin, StV 2004, 383; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl.,
§ 47 Rn. 2, 6 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). Aus der Entscheidung des
Gesetzgebers für eine Beschränkung der kurzen Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle
ergeben sich auch besondere Anforderungen an die Begründung der
Sanktionsentscheidung im tatgerichtlichen Urteil (vgl. KG Berlin, a.a.O.).
Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bedarf einer Begründung, die sich
gesondert und eingehend mit den gesetzlichen Voraussetzungen in § 47 Abs. 1 StGB
auseinandersetzt. Sie muss auch erkennen lassen, dass das Gericht sich der Bedeutung
des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist und die besondere
Härte der kurzen Freiheitsstrafe im Vergleich zur Geldstrafe in seine Erwägungen
einbezogen hat.
Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hat dementsprechend in der Regel eine
umfassende Feststellung und erschöpfende Würdigung aller tat- und täterbezogenen
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umfassende Feststellung und erschöpfende Würdigung aller tat- und täterbezogenen
Umstände, die für und gegen die Annahme eines derartigen Ausnahmefalls sprechen,
zur Voraussetzung. Täterbezogene Umstände können die Verhängung einer kurzen
Freiheitsstrafe nur rechtfertigen, wenn auch das verfassungsrechtliche Gebot der
Verhältnismäßigkeit von Tat und Rechtsfolge beachtet wird (vgl. KG Berlin, a.a.O.; OLG
Karlsruhe, NJW 2003, 1825; OLG Stuttgart, NJW 2002, 3188). Die Rechtsfolge der kurzen
Freiheitsstrafe muss sich daher auch im Hinblick auf das Gewicht der Tat und die
Schwere der Tatschuld als gerechtfertigt erweisen. Daher ist, sofern die Tat – wie
vorliegend - Bagatellcharakter hat, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nur unter
außergewöhnlichen Umständen denkbar. Allein täterbezogene Umstände wie
einschlägige Vorstrafen und Bewährungsversagen sind, für sich genommen, ungeeignet,
eine solche Sanktion zu legitimieren. Soweit ihnen eine indizielle Bedeutung für die
Beurteilung der Tatschuld zukommt, können sie zu einer entscheidenden Erhöhung des
Stellenwertes der Tat nur dann führen, wenn sie ein die gewöhnlichen Fälle deutlich
übertreffendes Ausmaß an Pflichtwidrigkeit belegen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; NStZ-RR
1997, 248). Das kann etwa der Fall sein bei Taten, die aus prinzipieller rechtsfeindlicher
Gesinnung begangen werden oder wenn Umstände festgestellt sind, die ausweisen, dass
Geldstrafen auf den Täter keine Wirkung entfalten. Ausnahmslos steht der
Bagatellcharakter allerdings der Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht entgegen (vgl.
OLG Stuttgart, NJW 2006, 1222).
Diesen Grundsätzen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht.
Bezug genommen wird in der Strafzumessung zunächst darauf, dass Angeklagte in
Deutschland bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und dass er die Taten
während einer laufenden Bewährungszeit begangen habe. Die hierzu getroffenen
Feststellungen erweisen sich bereits deshalb als lückenhaft, als sie die Vorverurteilungen
nicht genauer bezeichnen und nicht die jeweilige Rechtskraft der Vorverurteilungen –
zwei (Gesamt?)Freiheitsstrafen vom 5. Mai 2004 und 31. Januar 2005 wegen mehrfachen
Diebstahls – sowie den Beginn und die Dauer der Bewährungszeiten mitteilen. Unter
Berücksichtigung des zum Zeitpunkt der ersten Tat (26. März 2005) in engem zeitlichem
Zusammenhang stehenden Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. Januar 2005
drängt sich auch die Frage auf, ob nicht vorliegend mit den Strafen der vorgenannten
Entscheidung eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen wäre oder aber ob nicht bereits die
Verurteilung vom 31. Januar 2005 die Entscheidung vom 5. Mai 2004 einbezogen hatte.
Die Kammer hätte zudem konkret darlegen müssen, warum den – nicht einschlägigen -
Vorbelastungen eine straferschwerende Bedeutung zukommen kann (vgl. OLG
Karlsruhe, a.a.O.; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., Rn. 11). Diese kann sich
insbesondere aus der Warnfunktion einer Vorverurteilung und einer
Aussetzungsentscheidung ergeben. Insofern fehlt es jedoch an einer – hier notwendigen
- Darstellung der den Vorverurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalten,
insbesondere auch den Tatzeiten und den Tatumständen. Wie bereits dargelegt, kann
zudem auf die Vorbelastung(en), ohne Berücksichtigung des Gewichts der Tat und
der Schwere der Tatschuld, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht gestützt
werden.
Soweit die Kammer die Notwendigkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe damit
begründet hat, dass der Angeklagte „gegen die entsprechenden Regelungen des
Aufenthaltsgesetzes bereits in der Vergangenheit im großen Umfang verstoßen“ habe
„und deshalb gegen ihn bereits zwölf Bußgeldbescheide ergangen seien“, die ihn in
keiner Weise beeindruckt hätten, ist zu bemerken, dass ausschließlich aus der
Verletzung von Ordnungsvorschriften resultierende Bußgelder im Rahmen der
Strafzumessung allenfalls in einem sehr eingeschränkten Maße Berücksichtigung finden
können, da die Geldbuße lediglich eine Unrechtsfolge ist und keinen Strafcharakter
besitzt. Dem Betroffenen, der eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, wird durch die
Verhängung einer Geldbuße die Zuwiderhandlung nicht als Werteverletzung vorgeworfen.
Die Geldbuße ist ein mit einer Sanktion verbundener - und deshalb spürbarer -
Pflichtenappell an den Betroffenen, der keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung
seines Ansehens und seines Leumunds zur Folge hat (vgl. BVerfGE 27, 18)
Ferner dürfen nach § 46 Abs. 3 StGB Merkmale des Tatbestandes, die schon bei der
Bestimmung des gesetzlichen Straftatbestandes, hier der „wiederholte“ Verstoß gegen
die Aufenthaltsbeschränkung, maßgeblich sind, nicht nochmals bei der Strafzumessung
berücksichtigt werden.
In der Urteilsbegründung zu der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung heißt es,
dass sich der Angeklagte als nicht zu belehrender Wiederholungstäter erwiesen habe,
der sich weder durch die Verhängung von Geldstrafen noch durch Freiheitsstrafen von
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der sich weder durch die Verhängung von Geldstrafen noch durch Freiheitsstrafen von
der Begehung weiterer Straftaten hat abschrecken lassen. Der Angeklagte ist allerdings
nicht zu Geldstrafen verurteilt worden. Eine möglicherweise hier erfolgte Gleichsetzung
von Geldbußen mit Geldstrafen ist als rechtsfehlerhaft anzusehen.
Letztlich fehlen in dem angefochtenen Urteil von den allgemeinen
Strafzumessungsgesichtspunkten Erwägungen zu der Notwendigkeit der
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe anstelle einer – gegen den Angeklagten
offenkundig bisher noch nie verhängten - Geldstrafe auch mit Blick auf die geringe
Tatschwere und die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bei
Bagatelldelikten.
Auf Grund der dargelegten Erörterungsmängel muss der Rechtsfolgenausspruch des
landgerichtlichen Urteils aufgehoben werden.
Eine Entscheidung des Senats gemäß § 354 Abs. 1 a StPO kommt nicht in Betracht, weil
weitere Feststellungen – auch zu den Vorbelastungen - erforderlich sind. Die Sache wird
daher nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
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