Urteil des OLG Brandenburg vom 14.03.2017

OLG Brandenburg: vaterschaftsanfechtungsklage, geburt, haushalt, anfang, substanziierung, sammlung, quelle, link, verkehr, abstammung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 243/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 114 ZPO, § 1600 BGB
Prozesskostenhilfe: Voraussetzungen der Erfolgsaussicht der
Rechtsverteidigung des auf Feststellung der Vaterschaft
verklagten Mannes
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das
Amtsgericht zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde nach § 127
Abs. 2 Satz 2 ZPO anzusehen und als solche zulässig.
Die sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen
Entscheidung. Dem Beklagten kann Prozesskostenhilfe nicht aus den vom Amtsgericht
angeführten Gründen versagt werden. Die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das
Amtsgericht zurückzuverweisen, da dort noch Feststellungen zu der Frage zu treffen
sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte nach seinen persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung
aufzubringen, § 114 ZPO (vgl. auch Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -
/Gutjahr, § 1, Rz. 197). Der Akte liegt ein Beiheft "Prozesskostenhilfe" nicht bei, sodass
nicht festgestellt werden kann, ob der Beklagte überhaupt schon eine Erklärung über
seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen eingereicht hat, §
117 Abs. 2 ZPO. Das Amtsgericht wird den Beklagten auffordern, eine aktuelle Erklärung
über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie mit Rücksicht auf einen
etwaigen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss (vgl. BGH, FamRZ 2004, 1633) auch
eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Mutter
vorzulegen. Auf dieser Grundlage wird das Amtsgericht unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO gegeben sind und danach erneut über den Antrag
des Beklagten entscheiden.
Der Rechtsverteidigung des Beklagten kann entgegen der Auffassung des Amtsgerichts
die hinreichende Erfolgsaussicht, § 114 ZPO, nicht abgesprochen werden. Bei der im
Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Philippi, ZPO,
25. Aufl., § 114, Rz. 19; FamVerf/Gutjahr, § 1, Rz. 254) besteht eine ausreichende
Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beklagte mit seinem Begehren, nämlich der
Abweisung der auf Feststellung der Vaterschaft gerichteten Klage, durchdringen wird.
Zur Schlüssigkeit einer - hier nicht gegebenen - Vaterschaftsanfechtungsklage gemäß
§§ 1600 ff. BGB bedarf es der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Annahme, das
Kind stamme nicht von dem als Vater geltenden Manne ab. Erforderlich ist etwa die
Leugnung des Geschlechtsverkehrs während der Empfängniszeit oder der substanziierte
Vortrag von Mehrverkehr (FamVerf/Schael, § 10, Rz. 85). Dabei ist zu beachten, dass im
Anfechtungsprozess der anfechtende Mann gemäß § 1592 Nr. 1 BGB von Gesetzes
wegen der Vater des Kindes ist. Anders liegt es beim Vaterschaftsfeststellungsprozess,
wie vorliegend. Hier wird der Beklagte auf Grund des Umstandes, dass er der Mutter
während der Empfängniszeit beigewohnt hat, lediglich als Vater vermutet, § 1600 d Abs.
2 Satz 1 BGB. Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes, §§ 640 Abs. 1, 616 Abs. 1
ZPO kommt es primär auf die Feststellung der biologischen Abstammung an, während
die Vermutung des § 1600 d Abs. 2 BGB nur subsidiär zum Zuge kommt (BayObLG,
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die Vermutung des § 1600 d Abs. 2 BGB nur subsidiär zum Zuge kommt (BayObLG,
FamRZ 1999, 1363, 1364; Scholz/Stein/Eckebrecht, Praxishandbuch Familienrecht, Q Rz.
61). Angesichts dessen sind die Anforderungen an den Vortrag des die Vaterschaft
leugnenden Mannes im Vaterschaftsfeststellungsverfahren, gerade im Hinblick auf die
Beurteilung der Erfolgsaussicht nach § 114 ZPO, nicht notwendig dieselben wie bei der
Vaterschaftsanfechtungsklage. Dem beklagten Mann kann im
Vaterschaftsfeststellungsverfahren jedenfalls dann Prozesskostenhilfe bewilligt werden,
wenn er bestreitet, mit der Mutter des Klägers in der gesetzlichen Empfängniszeit
Verkehr gehabt zu haben oder wenn er substanziiert Mehrverkehr einwendet
(FamVerf/Gutjahr, § 10, Rz. 71). Fraglich ist, ob darüber hinaus auch dann hinreichende
Erfolgsaussicht zu bejahen ist, wenn sich der beklagte Mann, obwohl er der Mutter des
Klägers in der Empfängniszeit beigewohnt hat, seiner Vaterschaft nicht sicher ist und
Mehrverkehr der Mutter lediglich für möglich hält (geringere Anforderungen werden
insoweit gestellt von OLG Hamburg, DAVorm 1986, 387; Musielak/Fischer, ZPO, 4. Aufl.,
§ 114, Rz. 28; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 114, Rz. 58; Kalthoener/Büttner/Wrobel-
Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rz. 430; Zimmermann,
Prozesskostenhilfe in Familiensachen, 2. Aufl., Rz. 183), oder ob es in jedem Fall der
Darlegung ernsthafter Zweifel an der Vaterschaft bedarf (so OLG Hamburg, FamRZ
2000, 1587; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl., § 114, Rz. 6;
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 114, Rz. 104; Zöller/Philippi, a.a.O., §
114, Rz. 50; vgl. auch OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 1228).
Nach Auffassung des Senats verspricht die Rechtsverteidigung des auf Feststellung der
Vaterschaft verklagten Mannes, der der Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit
beigewohnt hat, was vorliegend auch vom Beklagten eingeräumt wird, nur dann Aussicht
auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO, wenn er Tatsachen vorbringt, die bei verständiger
Würdigung ernstzunehmende Zweifel an einer Vaterschaft begründen können. Der
Umfang der Darlegungslast richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Von
einem Beklagten, der mit der Mutter des Kindes in einer festen Beziehung gelebt oder
gar mit ihr zusammen gewohnt hat, ist, was den Einwand des Mehrverkehrs angeht,
substanziierter Vortrag zu verlangen. Hingegen kann ein Beklagter, der mit der Mutter
des Kindes nur eine flüchtige Bekanntschaft gepflegt hat, mangels Einblicks in deren
Lebensverhältnisse nichts Näheres vortragen. Auch liegt im Falle einer nur flüchtigen
Beziehung die Annahme eher vielleicht weniger fern, dass die Mutter in der
Empfängniszeit anderweitige sexuelle Kontakte hatte (OLG Stuttgart, FamRZ 2005,
1266, 1267). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet die Rechtsverteidigung
des Beklagten vorliegend hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Beklagte hat eingeräumt, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit mit der Mutter
des Klägers Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Der Vaterschaftsvermutung nach §
1600 d Abs. 2 Satz 1 BGB steht nicht entgegen, dass der Beklagte behauptet hat, beim
Geschlechtsverkehr stets Kondome benutzt zu haben. Auch hat der Beklagte nicht
substanziiert Mehrverkehr der Mutter des Klägers eingewendet. Er hat lediglich
behauptet, seine Freundschaft mit der Mutter sei in der Zeit von Mitte Juni bis Anfang Juli
2004 unterbrochen worden; in dieser Zeit habe die Mutter enge Kontakte zu einem "N…"
aus B… bei M… gepflegt, den sie zu sich nach Hause eingeladen und auch in B…
besucht habe. Die Schlussfolgerung des Beklagten auf Grund dieses Sachvortrags, von
einem Mehrverkehr der Mutter sei auszugehen, ist nicht zwingend. Darauf kommt es
vorliegend aber nicht an. Sowohl die Mutter des Klägers als auch der Beklagte waren bei
der Geburt des Klägers 15 Jahre alt und minderjährig. Der Beklagte lebte und lebt im
Haushalt seiner Mutter. Damit ist eine gefestigte Beziehung, auf Grund deren der
Beklagte hinreichenden Einblick in die Lebensverhältnisse der Mutter des Klägers hätte
erlangen können, nicht gegeben. Sein Tatsachenvortrag reicht daher aus, um bei
verständiger Würdigung ernstzunehmende Zweifel an seiner Vaterschaft begründen zu
können. Eine weitergehende Substanziierung kann von ihm nicht verlangt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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