Urteil des OLG Brandenburg vom 29.05.2007

OLG Brandenburg: arglistige täuschung, ddr, behandlung, beweiskraft, akte, verspätung, fotokopie, vorspiegelung, brd, urkunde

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UF 161/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1314 Abs 1 Nr 3 BGB, § 1317
Abs 1 BGB, § 415 ZPO, § 416
ZPO, § 420 ZPO
Rückverweisung eines Rechtstreits über die Eheaufhebung bei
hilfsweisen Scheidungsantrag; Beweiskraft der Fotokopie einer
Stasi-Akte
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt
vom 29. Mai 2007 abgeändert. Der Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Ehe
wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die
Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 5.160 € festgesetzt.
Gründe
A.
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung seiner Ehe. Hilfsweise stellt er
Scheidungsantrag.
Der in 10/1940 geborene Antragsteller und die in 1/1945 geborene Antragsgegnerin, die
bis zur „Wende„ im Gebiet der ehemaligen DDR lebten, haben in 5/1990 geheiratet. Sie
leben getrennt. Für beide ist es die zweite Ehe.
Mit seinem Hauptantrag hat der Antragsteller in erster Instanz die Aufhebung der Ehe
beantragt, hilfsweise Scheidungsantrag gestellt. Zur Begründung hat er sich
insbesondere darauf berufen, er habe von 1980 bis 1988 mit seiner früheren
Lebensgefährtin, Frau E. W., in seinem Haus in M. zusammengelebt. Dieser sei auf ihren
Antrag hin in 6/1988 die Ausreise aus der DDR in die BRD genehmigt worden. Im Jahr
1988 habe er seine jetzige Ehefrau kennen gelernt. Aufgrund seiner Einsicht in die ihn
betreffenden Stasi-Unterlagen habe er in 4/2006 erfahren, dass seine Ehefrau seinerzeit
als Informantin für die Stasi gearbeitet habe. Sie habe insbesondere ihre von ihm
bezogenen Informationen über ein illegales Treffen zwischen ihm und seiner früheren
Lebensgefährtin W. am 16. und 17.10.1988 auf der Transitstrecke/Autoraststätte
Michendorf an die Stasi verraten. Das habe zu seiner (und Frau W.) vorläufiger
Inhaftierung geführt. Vor der Heirat habe er die Antragsgegnerin ausdrücklich gefragt, ob
sie die Stasi oder die Abteilung für Inneres der DDR über das Treffen im Oktober 1988
informiert habe. Die Antragsgegnerin habe diese Frage, von der er die Eheschließung
abhängig gemacht habe, wahrheitswidrig verneint.
Das Amtsgericht hat der Aufhebungsklage stattgegeben mit der Begründung, die
Antragsgegnerin habe dem für die Stasi tätigen IM „L.„ Informationen über den
Antragsteller weitergegeben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Sie bestreitet
insbesondere, dass sie als Informantin für die Stasi tätig gewesen sei. Es sei zwischen
den Parteien bei der Eheschließung im Jahr 1990 auch kein Thema gewesen, ob sie für
die Stasi gearbeitet habe. Im Übrigen sei die Antragsfrist nicht eingehalten worden, da
der Antragsteller bereits im Jahr 1995 Einsicht in die Stasi-Akten genommen habe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
das Urteil vom 29.05.2007 abzuändern und den Antrag auf Aufhebung der Ehe
abzuweisen sowie im Hinblick auf den hilfsweise gestellten Scheidungsantrag des
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abzuweisen sowie im Hinblick auf den hilfsweise gestellten Scheidungsantrag des
Antragstellers die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Berufung und hilfsweise Scheidung
der Ehe. Er hält die Berufung für unzulässig und aus den Gründen seines
erstinstanzlichen Sachvortrags i. V. m. den vorgelegten Auszügen aus der ihn
betreffenden Stasi-Akte für unbegründet.
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen
Feststellungen in dem angefochtenen Urteil sowie auf das schriftsätzliche Vorbringen der
Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist begründet. Sie führt zur Abänderung der
angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Dieses hat in die sachliche Behandlung des Scheidungsbegehrens beider Parteien
einzutreten.
I.
Die Ehe der Parteien ist nicht aufzuheben. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen
der §§ 1314 Abs. 1 Nr. 3, 1317 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
1.
BGB
Nach § 1317 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB kann der Antrag im Falle des vorliegend allein in
Betracht kommenden Aufhebungstatbestandes des § 1314 Abs. 1 Nr. 3 BGB nur binnen
eines Jahres beginnend mit der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung gestellt
werden. Insoweit handelt es sich um eine von Amts wegen zu beachtende
Ausschlussfrist. Auf ihre Einhaltung kann nicht verzichtet werden. Die Fristversäumung
führt zum Verlust des Aufhebungsrechts und damit zur Unbegründetheit des
Aufhebungsantrags.
Für den Fristbeginn des § 1317 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Kenntnis der Tatsachen
erforderlich, die das Aufhebungsrecht begründen. Der Antragsteller hat im Senatstermin
eingeräumt, dass ihm bereits im Jahr 1995 die volle Einsicht in die ihn betreffenden
Stasi-Akten gewährt worden ist. Schon damals waren in diesen Akten sämtliche
Unterlagen enthalten, aus denen der Antragsteller heute seine Täuschung durch die
Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Eheschließung herleitet.
Die vorstehenden Umstände sprechen gegen eine Fristwahrung. Insoweit bedarf es
jedoch keiner abschließenden Beurteilung. Für die Senatsentscheidung kommt es im
Ergebnis darauf nicht an.
2.
Aufhebung der Ehe der Parteien. Das Vorliegen der erforderlichen
Täuschungshandlung
a)
Nr. 3 BGB beruht darauf, dass gegenseitiges Vertrauen eine der wesentlichen
Grundlagen für den Bestand der Ehe bildet.
b)
wenn ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche
Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger
Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten.
Erforderlich ist also nach dem Gesetzeswortlaut
- in Täuschungsverhalten,
begangen werden kann,
eine objektiv unrichtige
Verschweigen von Umständen trotz bestehender Verpflichtung zur Offenbarung.
aa)
Betracht. Hierzu hat der Antragsteller in erster und zweiter Instanz Folgendes vortragen
lassen:
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„Da auch Frau W. nicht bereit war, ihren Wohnsitz in die DDR zurückzuverlegen,
fand eine Entfremdung zwischen beiden statt. Stattdessen beschloss der Antragsteller,
dem Drängen der Antragsgegnerin, mit ihm die Ehe einzugehen, nachzugeben. Bevor er
sich dann entschloss, die Antragsgegnerin zu heiraten, hat er immer wieder das
Gespräch auf die alten Geschichten gebracht und hat immer wieder gefragt, ob sie
diejenige gewesen sei, die bei den Vorgängen vom Oktober 1988 die Stasi oder die
Abteilung Inneres informiert habe. Wenn das der Fall sei, werde er sie nicht heiraten. Die
Antragsgegnerin hat das verneint. Wörtlich war die Fragestellung an die
Antragsgegnerin: ‚Hast Du mit dieser Scheiße etwas zu tun? Dann heirate ich Dich
nicht’.„
Die Antragsgegnerin hat diese Behauptung in der Berufungsinstanz in Abrede gestellt.
Es stimme nicht, dass der Antragsteller sie gefragt habe, ob sie für die Stasi arbeite.
Dies sei auch kein Thema zwischen ihnen zur Zeit der Eheschließung gewesen.
Beweis für die danach umstrittene Täuschungshandlung hat der Antragsteller weder
schriftsätzlich noch im Senatstermin angetreten. Das geht zu seinen Lasten.
bb)
Verspätungsrüge
In Ehesachen gilt die Vorschrift des § 615 ZPO. Danach können in der Berufungsinstanz
neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden. Zurückgewiesen werden
kann neuer Sachvortrag nur, wenn er nicht rechtzeitig vorgebracht wird, seine Zulassung
die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober
Nachlässigkeit beruht. Die §§ 530, 531 ZPO sind in der Berufungsinstanz nicht
anzuwenden (vgl. hierzu Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 615, Rdnr. 2).
Eine Verzögerung der Erledigung der Sache hinsichtlich des Aufhebungsbegehrens des
Antragstellers tritt durch das neue Bestreiten der Antragsgegnerin nicht ein.
Beweisanträge, die zu einem neuen Verhandlungstermin führen könnten, hat der
Antragsteller nicht gestellt. Er beruft sich nur ganz allgemein auf einen Ausschluss der
neuen Verteidigungsmittel der Antragsgegnerin im Berufungsrechtszug wegen
Verspätung. Durch das erstmalige Bestreiten einer Täuschungshandlung durch die
Antragsgegnerin, mit dem sich der Senat nunmehr zusätzlich zu befassen hat, erfährt
der Rechtsstreit aber keine Verzögerung hinsichtlich der Berufungsentscheidung.
3.
Vorspiegelung
falscher Tatsachen
nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht feststellen.
Der Antragsteller beruft sich auf die unrichtige Behauptung von Tatsachen durch die
Antragsgegnerin. Nach seiner Darstellung soll die Antragsgegnerin insbesondere in der
zweiten Jahreshälfte 1988 objektiv und subjektiv als Informantin für die Stasi tätig
gewesen sein. Sie soll gezielt Informationen über ein Treffen des Antragstellers mit
seiner früheren Lebensgefährtin Frau W. am 16. und 17.10.1988 auf der Transitstrecke
zwischen der BRD und Westberlin, und zwar auf der Autoraststätte Michendorf, an die
Stasi weitergegeben haben. Für diese von der Antragsgegnerin bereits erstinstanzlich
bestrittenen Behauptungen ist der Antragsteller beweisfällig geblieben. Es liegt auch kein
geeignetes Beweisangebot vor, das zu einer weiteren Aufklärung der Angelegenheit
führen könnte.
Beweiskraft
Auszüge aus der ihn betreffenden Stasi-Akte
Andere Beweismittel hat der Antragsteller nicht angeboten, insbesondere keinen
unmittelbaren Zeugenbeweis.
Es kann offen bleiben, ob es sich bei den vom Antragsteller in Kopie vorgelegten
Auszügen aus der Stasiakte um öffentliche oder private Urkunden im Sinne von §§ 415,
volle Beweis
Abgabe
Richtigkeit. Bewiesen wird somit lediglich, dass die in der Urkunde bezeichnete Person
eine Erklärung des in der Urkunde enthaltenen Inhalts abgegeben hat. Bei
Privaturkunden ist zudem gemäß § 420 ZPO die Urschrift vorzulegen. Nur für sie gilt die
Beweisregel des § 416 ZPO. Im Streitfall sind vom Antragsteller nur Ablichtungen aus der
Stasi-Akte vorgelegt worden. Ihre Beweiskraft erstreckt sich von vornherein nicht auf die
Richtigkeit des materiellen Inhalts
Privaturkunde, noch dazu von vorgelegten Fotokopien und lediglich Aktenauszügen, die
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Privaturkunde, noch dazu von vorgelegten Fotokopien und lediglich Aktenauszügen, die
in ihr enthaltenen Angaben und ggfls. in welchem Umfang zutreffen, unterliegt der
freien richterlichen Beweiswürdigung
RR 1993, 1379/1380).
Insoweit gewinnt vorliegend der Umstand im Streitfall Bedeutung, dass die Stasi-
Unterlagen sowohl einzeln als auch in der Gesamtschau an vielen Stellen keinen klaren
und eindeutigen Inhalt haben. Sie lassen nicht die für § 1314 Abs. 1 Nr. 3 BGB
erforderliche sichere Feststellung zu, dass die Antragsgegnerin in der zweiten
Jahreshälfte 1988
überhaupt
wissentlich und willentlich,
die Stasi bzw. einen Mitarbeiter der Abteilung Inneres der DDR weitergegeben hat.
Eine bloß tatsächliche Kenntnisgewinnung der Stasi aus Mitteilungen der
Antragsgegnerin gegenüber Dritten ohne das Hinzutreten eines konkreten
Informantenstatus reicht für den vom Antragsteller geltend gemachten
Aufhebungstatbestand nicht aus. Selbst wenn im Streitfall Zweifel und Unklarheiten
bestehen bleiben sollten, sind die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen allein nicht
erforderlichen Vollbeweis
Informantenstatus der Antragsgegnerin im Jahr 1988 zu erbringen. Andere geeignete
Beweisantritte des Antragstellers liegen auch in diesem Zusammenhang nicht vor. Das
geht zu seinen Lasten.
II.
Die Erfolglosigkeit des Aufhebungsantrags des Antragstellers führt im Hinblick auf das
Scheidungsbegehren
Amtsgericht
Mit dem Aufhebungsantrag kann - wie es auch vorliegend hilfsweise geschehen ist - ein
Antrag auf Scheidung der Ehe verbunden werden, § 610 Abs. 1 ZPO. Ein Verhandlungs-
und Entscheidungsverbund mit Folgesachen (§ 623 ZPO) findet im Aufhebungsverfahren
nicht statt. Auch bei hilfsweise gestelltem Scheidungsantrag kommt ein
Verfahrensverbund erst dann in Betracht, wenn nach sachlicher Behandlung des
erfolglosen Aufhebungsantrags in die sachliche Behandlung des Scheidungsantrags
einzutreten ist. Das bedeutet, dass nunmehr über die Scheidungs- und Folgesachen
gemäß § 629 ZPO einheitlich zu entscheiden ist (vgl. hierzu OLG Stuttgart, FamRZ 1981,
579; Bergerfurth/Rogner, Der Ehescheidungsprozess, 15. Aufl., S. 237). Da die
Folgesachen noch beim Amtsgericht anhängig sind, kann der Senat entgegen der
Auffassung des Antragstellers im Verhandlungstermin auch nicht über das
Scheidungsbegehren beider Parteien entscheiden. In entsprechender Anwendung des §
629 b ZPO ist die Sache daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. hierzu
Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 629 b ZPO, Rdnr. 1). Dieses
hat auch über die Kosten des vorliegenden Berufungsverfahrens mit zu entscheiden (vgl.
hierzu Zöller/Philippi, a.a.O., § 629 b, Rdnr. 7). Gemäß § 704 Abs. 2 ZPO ist das
vorliegende Urteil nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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