Urteil des OLG Brandenburg vom 13.08.2008

OLG Brandenburg: gehweg, zustand, sorgfalt, gemeinde, rechtshängigkeit, schmerzensgeld, vollstreckbarkeit, sanierung, link, sammlung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 U 29/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 839 BGB, Art 34 GG
Verkehrssicherungspflicht einer Gemeinde: Unebenheit von 3 cm
in einem Fußweg
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 13. August 2008 verkündete Urteil der 4.
Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 14 O 13/08, wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin macht Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Sturzes
geltend, der sich am 07.07.2007 im Stadtgebiet der Beklagten auf dem Gehweg der …-
Straße ereignete. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Beklagte habe die ihr obliegende Pflicht, für verkehrssichere Straßen zu sorgen, nicht
verletzt. Insbesondere in Anbetracht des insgesamt schlechten Zustandes des Gehwegs
handele es sich bei dem von der Klägerin behaupteten Niveauunterschied von 3 cm um
eine vom Fußgänger noch hinzunehmende Höhendifferenz. Auf die
Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 20. August 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. September
2008 eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie
anführt, das Landgericht habe eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung vorgenommen,
indem es davon ausgegangen sei, dass der Gehweg sich insgesamt in einem schlechten
Zustand befunden habe. Tatsächlich habe sich nur an dem Segment, an dem die
Klägerin gestürzt sei, eine 3 cm hohe Verwerfung durch das Wurzelwerk des
nachstehenden Baumes gebildet. Sie vertritt - unter Berufung auf obergerichtliche
Rechtsprechung - die Auffassung, die Toleranzgrenze für hinzunehmende Unebenheiten
liege bei 2 cm - 2,5 cm.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des am 13.08.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts
Frankfurt (Oder)
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes
Schmerzensgeld, jedoch nicht weniger als 13.200,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.814,72 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren
materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Sturz vom 07.07.2007 resultieren,
abzüglich Ansprüche, die auf Dritte übergegangen sind oder übergehen, zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen
Vortrag und das angefochtene Urteil.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Berufung ist
unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch unter
dem Gesichtspunkt der Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht zu. Zu
Recht hat das Landgericht erkannt, dass die Beklagte die ihr als Baulastträgerin der
streitgegenständlichen Straße zukommende Pflicht, für einen verkehrssicheren Zustand
der Straße zu sorgen, nicht verletzt hat.
Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Würdigung keine Veranlassung.
Nach den von dem Landgericht zutreffend angewandten - und auch von dem Senat in
ständiger Rechtsprechung vertretenen - Grundsätzen des
Straßenverkehrssicherungsrechts ist der Verkehrssicherungspflichtige - von besonders
einschneidenden Gefahrenlagen abgesehen - in der Regel gehalten, solche Gefahren zu
beseitigen, auf die sich ein die normale Sorgfalt beachtender Fußgänger selbst nicht
hinreichend einstellen und vor denen er sich nicht selbst hinreichend schützen kann,
insbesondere wenn die Gefahr nicht rechtzeitig erkennbar ist. Inhalt der
Verkehrssicherungspflicht kann nur sein, was im Interesse des Verkehrs nach objektivem
Maßstab billigerweise verlangt werden kann und zumutbar ist (so auch OLG Schleswig,
VersR 1989, 627; OLG Hamm, OLGZ 1994, 301, 303). Der allgemeine Grundsatz, dass
sich der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die
Straße so hinnehmen muss, wie sie sich ihm erkennbar darbietet, gilt auch für die
Nutzer eines Gehweges. Gehwege sind daher möglichst gefahrlos zu gestalten und in
einem gefahrlosen Zustand zu erhalten. In Anbetracht des ausgedehnten Straßen- und
Wegenetzes der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften und deren beschränkter
Mittel sind lückenlose Sicherungsvorkehrungen praktisch gar nicht möglich und daher
nur solche Maßnahmen zu treffen, für die ein wirkliches Sicherungsbedürfnis besteht.
Dieses richtet sich im Wesentlichen nach der objektiven Verkehrsbedeutung der
betreffenden Wegfläche und den vernünftigen Sicherungserwartungen des Verkehrs, die
maßgeblich durch das äußere Erscheinungsbild des Gefahrenbereichs bestimmt werden
(vgl. Urteil des Senats vom 21.12.2007, 2 U 9/07). Wie der Senat bereits in dieser
Entscheidung ausgeführt hat - und hieran auch im Streitfall festhält - stellt die
Höhendifferenz von 2 cm - 2,5 cm, die der Fußgänger nach überwiegender
obergerichtlicher Rechtsprechung (Urteil des OLG Celle vom 7. März 2001 - 9 U 218/00 -,
zitiert nach juris; Nds. Rpfl. 2000, 105, 106; MDR 1998, 1031; Zusammenstellung der
neueren Rechtsprechung in OLG Hamburg OLGR 2005, 469) hinzunehmen hat, keine
starre Grenze dar. Sie kann - wenn besondere Umstände vorliegen - nach unten, aber
auch nach oben abweichen. Aus den in der angefochtenen Entscheidung zutreffend
dargelegten Gründen begründet vorliegend die von der Klägerin behauptete
Höhendifferenz von 3 cm keine Pflichtverletzung der Beklagten.
Dies folgt zum einen aus der Verkehrsbedeutung des Fußweges. Es handelt sich um
einen wenig frequentierten und übersichtlichen Weg in einem Wohngebiet; anders als
etwa in Fußgängerzonen ist der Fußgänger nicht durch Geschäfte oder Schaufenster
abgelenkt. Aus diesem Grunde ist die Situation im Streitfall gerade nicht vergleichbar
mit den Gegebenheiten in den von der Klägerin zitierten Fällen, in denen die Unfallstelle
vor einem Schaufenster in einer Fußgängerzone bzw. auf einem Gehweg im
Stadtzentrum mit starker Verkehrsdichte und ablenkenden Schaufenstern lag und in
denen der Fußgänger zu Recht höhere Anforderungen an die verkehrssichere
Ausgestaltung des Gehweges stellen darf.
Hinzu kommt, dass sich - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - der Gehweg
insgesamt in einem eher schlechten Zustand befand. Diese dem angegriffenen Urteil zu
Grunde liegende Feststellung ist nicht zu beanstanden und mit der Berufung auch nicht
tauglich angegriffen. Die von der Klägerin zur Akte gereichten Fotografien lassen den
Zustand des Gehweges hinreichend deutlich erkennen und zeigen, dass es sich um
einen älteren Weg aus Betonplatten handelt, von denen etliche gerissen sind und
leichtere Verwerfungen aufweisen. Zwar trifft es zu, dass - soweit dies auf den Bildern
ersichtlich ist - weitere Verwerfungen in einer Größenordnung von ca. 3 cm nicht
erkennbar sind. Dies allein führt aber nicht zu der Annahme, die Beklagte habe die
Gefahrenstelle beseitigen müssen. Maßgeblich ist nämlich, worauf das Landgericht zu
Recht abgestellt hat, dass die Gefahrenstelle für Fußgänger und damit auch für die
Klägerin erkennbar war. In einem solchen Fall ist die jeweilige Gemeinde aber nicht
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Klägerin erkennbar war. In einem solchen Fall ist die jeweilige Gemeinde aber nicht
verpflichtet, vor der Gefahrenstelle zu warnen oder diese zu beseitigen (vgl. Urteil des
Senats, a.a.O.).
Die Behauptung der Klägerin, sie habe die Verwerfung nicht erkennen können, lässt sich
mit den Lichtbildern der Unfallstelle nicht in Einklang bringen. Die durch das Wurzelwerk
des unmittelbar neben dem Gehweg stehenden Baumes hervorgerufene Verwerfung ist
auf diesen deutlich erkennbar. Da der Senat sich aufgrund der Lichtbilder ein eigenes
Bild von der Unfallstelle und deren Erkennbarkeit machen kann, bedarf es auch der
Vernehmung des von der Klägerin angebotenen Zeugen nicht. Die Klägerin trägt nicht
etwa vor, dass und inwieweit die Bilder die Unfallstelle nicht zutreffend wiedergeben.
Es trifft auch nicht zu, dass die Klägerin keine Möglichkeit hatte, der Gefahrenquelle
auszuweichen, denn wie die Lichtbilder ebenfalls deutlich zeigen, wies nur die linke
Plattenhälfte eine relevante Verwerfung auf. Abgesehen davon hätte die Klägerin bei
Beachtung der erforderlichen Sorgfalt auch die Unfallstelle unproblematisch passieren
können.
Schließlich ändert auch die zwischenzeitlich auf Veranlassung der Beklagten erfolgte
Sanierung des Gehwegs nichts an der fehlenden Verpflichtung der Beklagten zu früheren
Maßnahmen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht
vorliegen. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Auch ist die
Zulassung nicht zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich. Die Entscheidung beruht allein auf der Würdigung der
Umstände des Einzelfalles.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.014,72 € festgesetzt.
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