Urteil des OLG Brandenburg vom 19.01.2005

OLG Brandenburg: treu und glauben, franchisevertrag, negatives interesse, nichtigkeit, aufklärungspflicht, franchisenehmer, aufrechnung, pauschal, gegenforderung, kündigung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 4.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 U 37/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 242 BGB
Franchisevertrag: Umfang der vorvertraglichen
Aufklärungspflichten des Franchisegebers
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Teilvorbehalts- und Schlussurteil der 2.
Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 19. Januar 2005 - 2 O 321/04 - aufgehoben;
die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die 2. Zivilkammer des Landgerichts
Potsdam zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Landgericht Potsdam vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung im Rahmen eines Franchisevertrages
gelieferter Waren in Anspruch. Der Beklagte wandte gegen seine Inanspruchnahme ein,
der Franchisevertrag sei gemäß § 138 BGB nichtig, weil die Klägerin das spezielle Know-
How nicht verfügbar gemacht habe; die Nichtigkeit erfasse auch die abgeschlossenen
Kaufverträge. Ferner machte er einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung
vorvertraglicher Aufklärungspflichten mit der Begründung geltend, die bei Abschluss des
Franchisevertrages abgegebenen Erklärungen zu den Rentabilitätserwartungen seien
falsch und unvollständig gewesen, die Klägerin habe die ihr obliegenden Informationen
für die Erfolgsaussichten des Franchise-Outlets nicht mitgeteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO).
Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs und unter
Vorbehalt der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung des Beklagten in
Höhe von 122.043,03 € stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte
habe sein Bestreiten der Aktivlegitimation der Klägerin, nachdem diese einen
Handelsregisterauszug vorgelegt habe, nicht aufrechterhalten. Sie habe die
Klageforderung durch Vorlage der Rechnungen schlüssig dargelegt, dagegen habe der
Beklagte nichts vorgebracht. Ob der Franchisevertrag, wie der Beklagte behaupte,
nichtig sei, sei unerheblich, denn eine eventuelle Nichtigkeit erfasse nicht die daraufhin
geschlossenen Kaufverträge. Die vom Beklagten für das Vorliegen eines einheitlichen
Rechtsgeschäfts im Sinne des § 139 BGB herangezogene Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 16. April 1986 (BGHZ 97, 351) stelle vielmehr das Gegenteil
fest. Die in BGHZ 112, 288 abgedruckte Entscheidung betreffe den Kaufvertrag über die
Warenerstausstattung und damit einen anderen, mit dem vorliegenden nicht
vergleichbaren Sachverhalt.
Das Beklagtenvorbringen, ihm sei durch die behauptete Pflichtverletzung ein Schaden
auch in Gestalt der streitgegenständlichen Kaufpreisforderungen entstanden, sei nicht
nachvollziehbar, denn der Beklagte sei ohnehin lediglich zur Abführung von 51 % des
durch Weiterveräußerung der Waren erzielten Erlöses verpflichtet. Der Zinsanspruch sei
mangels wirksamer Zinsvereinbarung lediglich in gesetzlicher Höhe und ab
Rechtshängigkeit begründet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er die Verletzung
formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Landgericht habe ein Teilvorbehalts- und Schlussurteil nicht erlassen dürfen. Es sei
unter Verkennung der Darlegungs- und Beweislast davon ausgegangen, dass der
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unter Verkennung der Darlegungs- und Beweislast davon ausgegangen, dass der
Gegenanspruch des Beklagten noch nicht entscheidungsreif sei; die Klägerin habe den
von ihm im einzelnen dargelegten Schaden nur pauschal und damit unzureichend
bestritten.
Die Kammer habe übersehen, dass der Beklagte im Wege des Schadensersatzes die
Befreiung von den geltend gemachten Kaufpreisforderungen verlangen könne.
Ersatzfähige Schadenspositionen seien sämtliche Zahlungen an den Franchisegeber,
also auch die klagegegenständlichen Warenlieferungen; die Einnahmen des
Franchisenehmers, die unmittelbar auf den Franchisebetrieb zurückzuführen seien, seien
lediglich im Wege der Vorteilsanrechnung in Abzug zu bringen. Die Klägerin habe die von
ihm im Einzelnen dargelegten Schadenspositionen nur unzureichend - nämlich pauschal
mit Nichtwissen - bestritten. Eine Berechnung des Gesamtschadens aus der
Franchisetätigkeit hätte nur bei einer Gegenüberstellung sämtlicher Einnahmen und
Ausgaben erfolgen können. Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die insoweit
darlegungs- und beweispflichtige Klägerin habe auch nicht dargetan, dass und wie sie
ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen sei.
Der Beklagte hält den Franchisevertrag weiterhin für nichtig gemäß § 138 BGB und
meint, auch die Kaufverträge würden von der Nichtigkeit erfasst. Entgegen den
Ausführungen der Kammer sei der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung (NJW
1991, 105) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Nichtigkeit des Franchisevertrages die
Verträge über die einzelnen Warenlieferungen miterfasse; dies entspreche auch der
überwiegenden Literaturmeinung. Wegen Nichtigkeit sämtlicher Kaufverträge bestehe
hier lediglich ein Anspruch aus Bereicherungsrecht; im Rahmen der
bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung seien indes alle Einnahmen und Ausgaben zu
berücksichtigen, weshalb im Ergebnis kein Anspruch der Klägerin verbleibe.
Der Beklagte beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Landgericht
zurückzuverweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin schließt sich dem Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung an und
beantragt hilfsweise,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt mit näheren Ausführungen die angefochtene Entscheidung.
II. Die zulässige Berufung führt gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils nebst dem zugrundeliegenden Verfahren und zur
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem schwerwiegenden Mangel. Das
Landgericht hat unter Verstoß gegen § 302 ZPO ein Vorbehaltsurteil erlassen.
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Landgerichts, hinsichtlich der
hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung fehle es an der
Entscheidungsreife. Diese Voraussetzung für den Erlass eines Vorbehaltsurteils gemäß §
302 ZPO - fehlende Entscheidungsreife der Gegenforderung - lag entgegen der
Auffassung des Beklagten vor.
a) Bis zum Verhandlungstermin vor der Kammer am 24. November 2004 hatte der
Beklagte seinen Schaden der Höhe nach nicht hinreichend dargetan.
In der als Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 29. April 2004 eingereichten "Spezifikation
Aufwendungen" war der Schaden lediglich nach Schadensgruppen aufgeschlüsselt und
weder diese Auflistung noch der schriftsätzliche Vortrag ließen auch nur ansatzweise
erkennen, dass und ob die Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Franchisevertrag
entstanden und erforderlich waren. Erstmals mit nachgelassenem Schriftsatz vom 22.
Dezember 2004 und den im Nachgang hierzu mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2004
eingereichten sechs Ordnern Unterlagen hat der Beklagte überhaupt einlassungsfähig
zu den bis dahin umfänglich lediglich pauschal behaupteten - und von der Klägerin
zulässig mit Nichtwissen bestrittenen - Schadenspositionen des zur Aufrechnung
gestellten Schadensersatzanspruchs vorgetragen.
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Da der Klägerin das Recht zur Einlassung auf diesen, nach der mündlichen Verhandlung
erfolgten Vortrag eingeräumt werden muß, lag schon aus diesem Grund hinsichtlich der
hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Forderung keine Entscheidungsreife vor.
Ob das Vorbringen des Beklagten hinsichtlich jeder Schadensposition nunmehr schlüssig
war - was etwa hinsichtlich der Kosten für die Anmietung einer Zweitwohnung in S...
angesichts des Ladengeschäfts in P. zweifelhaft erscheint - bedarf danach keiner
Entscheidung. Es kann auch offen bleiben, ob es - ungeachtet der grundsätzlich dem
Ersatzverpflichteten obliegenden Darlegungs- und Beweislast dafür, ob dem
behaupteten Schaden Vorteile gegenüberstehen, die ebenfalls durch das
schadenstiftende Ereignis verursacht wurden und auf den Schaden anzurechnen sind -
angesichts des naheliegenden Vermögensvorteils in Höhe des objektiven Wertes der zur
Geschäftseröffnung erworbenen Einrichtungsgegenstände nicht Sache des Beklagten ist
darzutun, dass derartige, offensichtliche Vorteile im konkreten Fall nicht entstanden
sind.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten stand zum Zeitpunkt der Entscheidung durch
die Kammer auch die Verletzung einer Aufklärungspflicht noch nicht fest.
Bei Vertragsverhandlungen trifft jeden Beteiligten die Pflicht, den anderen Teil über
sämtliche Umstände aufzuklären, die für dessen Vertragsschluß erkennbar von
besonderer Bedeutung sind. Zwar müssen sich die Parteien nicht gegenseitig das
gesamte Vertragsrisiko abnehmen; denn zunächst ist es Sache der Partei selbst, sich
über die allgemeinen Marktverhältnisse und die daraus resultierenden Risiken und
Chancen zu informieren. Ausnahmen von dieser Regel gelten aber dann, wenn im
Einzelfall besondere und zusätzliche Umstände hinzukommen, die allein der einen Partei
bekannt sind und von denen sie weiß oder doch wissen muss, dass die Entscheidung der
anderen Partei durch deren Kenntnis beeinflusst wird. Bestand und Ausmaß der
Aufklärungspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalls und von Treu und Glauben
(§ 242 BGB) ab. Die Reichweite der Aufklärungspflicht bestimmt sich danach
entscheidend auch nach dem Informationsbedarf und den Informationsmöglichkeiten
sowie der Funktion des zur Aufklärung Verpflichteten.
Gemessen an diesen Anforderungen ist zweifelhaft, ob der Beklagte, der seinen
Schadensersatzanspruch darauf stützt, dass eine Standortanalyse - unbestritten -
unterblieben sei, hiermit eine Verletzung der Aufklärungspflicht zu begründen vermag.
Falls damit gemeint ist, dass die Klägerin für ihren Franchisenehmer eine (zeit- und
kostenaufwändige) Wirtschaftlichkeitsberechnung hätte erstellen und vorlegen müssen,
stehen dem die vom Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem Urteil von 30. Juni 2004
(VI-U (Kart) 40/02) angeführten Erwägungen entgegen. Danach würden die sich aus dem
Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abzuleitenden allgemeinen Auskunfts- und
Beratungspflichten des Franchisegebers überspannt, wenn man annehmen wollte, er
müsse dem Franchisenehmer nicht nur das Datenmaterial für eine eigene
Wirtschaftlichkeitsprognose überlassen, sondern darüber hinaus von sich aus und auf
eigene Kosten eine ins Einzelne gehende Rentabilitätsuntersuchung durchführen und
dem Franchisenehmer sodann für deren Richtigkeit einstehen. Nach der
vertragstypischen Interessenlage im Franchisevertrag sei es vielmehr ausschließliche
Sache des Franchisenehmers, aus dem Datenmaterial des Franchisegebers
Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten des geplanten Franchisegeschäfts zu ziehen und
zu diesem Zweck eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen oder von dritter Seite
einzuholen. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an; der vorliegende Fall gibt
keinen Anlass, die gegenüber dem beklagten Franchisenehmer bestehende
Verpflichtung zur Aufklärung auszudehnen. Insbesondere lässt sich aufgrund der
konkreten Vertragsgestaltung die Notwendigkeit, der Klägerin als Franchisegeberin die
Verpflichtung aufzuerlegen, eine Analyse der Rentabilität des angestrebten
Unternehmens zu erstellen, nicht rechtfertigen. Unbestreitbar bewirkte der am 10. April
1997 geschlossene Franchisevertrag eine gewisse Beschränkung des Beklagten in
seinen unternehmerischen Entscheidungen im Hinblick auf Auswahl und Bezugsquelle
der Waren sowie Art und Gestaltung der Außen- und Innenausstattung des
Ladengeschäfts. Insbesondere in Anbetracht der seitens der Klägerin - anders als etwa
den Franchisenehmern von Mc Donalds - gewährten Möglichkeit zum Verkauf
nichtkonkurrierender Artikel anderer Firmen (§ 9 des Franchisevertrages), der freien
Preisgestaltung (§ 11), der fehlenden Erhebung von Franchisegebühren (§ 12) - die
Auffassung des Beklagten, diese seien in der Bestellung einer "überteuerten
Ladeneinrichtung" zu sehen, teilt der Senat nicht - und der im übrigen
eigenverantwortlich gestalteten Führung des Ladengeschäfts (§ 4) ist nicht erkennbar,
weshalb die Klägerin die ureigenste Entscheidung des Beklagten als künftigen
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weshalb die Klägerin die ureigenste Entscheidung des Beklagten als künftigen
Unternehmer, ob das Ladengeschäft an dem konkreten Ort und mit welchem konkreten
Umfang an Einsatz von Kapital sowie eigener und fremder Arbeitskraft rentabel sein wird,
durch Einholung einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung hätte abnehmen sollen.
Auch soweit nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag beider Parteien Gegenstand
eines der vor Abschluss des Franchisevertrages geführten Gespräche war, dass sich am
beabsichtigten Standort in P... ein jährlicher Umsatz in Höhe von 800.000,00 DM erzielen
lasse, fehlte die Entscheidungsreife. Die Klägerin, der nach der Rechtsprechung (siehe
nur OLG Hamburg, Urteil vom 30. Dezember 2002 - 5 U 220/01 -) der Entlastungsbeweis
obliegt, hat unter Beweisantritt dargetan, mit dem Beklagten sei über die Grundlagen
der Umsatzprognose, die Höhe der Investitionsmittel, Notwendigkeit der
Ladeneinrichtung, des Personals und der Höhe der voraussichtlichen laufenden Kosten
gesprochen worden. Diesem Vorbringen ist der Beklagte mit nachgelassenem
Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 zwar insoweit entgegengetreten, als er vorträgt, die
Gespräche seien nicht mit den angebotenen Zeugen, sondern mit anderen, namentlich
bezeichneten Personen geführt worden und ihm seien keinerlei Informationen zur
Wirkungsweise des Franchisesystems und Angaben über den erforderlichen Arbeits- und
Kapitaleinsatz erteilt worden. Auf das Fehlen dieser Informationen stützt er seinen
Schadensersatzanspruch indes nicht, insbesondere ist nicht dargelegt, dass das
Unterbleiben derartiger Informationen irgendeinen Einfluss auf seine Entscheidung zum
Vertragsschluss gehabt hat. Soweit es hingegen die Rentabilitätsaussage als solche
betrifft, standen sowohl deren konkreter Inhalt als auch die inhaltliche Richtigkeit in
Frage; Entscheidungsreife lag bei beiden Aspekten nicht vor. Die Kammer hätte zum
Zeitpunkt ihrer Entscheidung den Sachvortrag der Klägerin zum konkreten Inhalt der
dem Beklagten mitgeteilten Prognose als ausreichend substantiiert ansehen und den
Beweisantritten nachgehen oder aber durch Erteilung eines rechtlichen Hinweises der
Klägerin zunächst Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu substantiieren.
2. Das Vorbehaltsurteil hätte aber deshalb nicht erlassen werden dürfen, weil die
Klageforderung nicht entscheidungsreif war. Das Landgericht hätte über die
Klageforderung nicht entscheiden dürfen, ohne dem Einwand des Beklagten, der ihm
durch die Verletzung von Aufklärungspflichten entstandene Schaden bestehe bereits in
"der streitgegenständlichen Forderung selbst" und dieser sei im Rahmen einer
Gesamtsaldierung sämtlicher Ausgaben und Einnahmen aus der Franchisetätigkeit
festzustellen, nachzugehen.
Der Beklagte hat den Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei
Vertragsverhandlungen, soweit er auf Befreiung von der Klageforderung gerichtet war,
im Wege des dolo-agit-Einwandes geltend gemacht. Der dolo-agit-Einwand gründet auf
dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) mit der Folge, dass das
Gericht diesen Aspekt bei entsprechender Sachlage - als Verstoß gegen Treu und
Glauben - von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Das Landgericht hätte daher die
Beurteilung, ob der mit einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von
Aufklärungspflichten begründete dolo-agit-Einwand durchgreift, nicht vor abschließender
Klärung der hier dem Nachverfahren vorbehaltenen Fragen treffen dürfen, ob der
Klägerin überhaupt eine (Aufklärungs-)Pflichtverletzung vorzuwerfen ist und dem
Beklagten die geltend gemachten weiteren Schadenspositionen zustehen.
a) Bei einem Schadensersatzanspruch ist zwar der im Wege der Vorteilsausgleichung
anzurechnende Vorteil, ohne dass es einer Gestaltungserklärung des Schädigers bedarf,
ausschließlich bei der Schadensposition anzusetzen, der er sachlich entspricht. Die
Kammer hat daher insoweit zutreffend hinsichtlich desjenigen Schadens, der dem
Beklagten durch die Bestellung der Waren entstanden ist, wegen deren Bezahlung er mit
der Klage in Anspruch genommen wird, den durch die Weiterveräußerung erzielten Erlös
abgezogen und einen Schaden verneint.
b) Gleichwohl hätte das Landgericht dem Zahlungsbegehren der Klägerin nicht
stattgeben dürfen, denn der aufgrund der streitgegenständlichen Warenbestellungen
entstandene Schaden ist nur ein - unselbständiger - Rechenposten des geltend
gemachten und im übrigen von der Kammer selbst für noch nicht entscheidungsreif
erachteten Schadensersatzanspruchs, mit dem der Beklagte über den dolo-agit-
Einwand die Klage insgesamt zu Fall bringen könnte.
Die vom Beklagten behauptete Verletzung von Aufklärungspflichten bei Abschluss des
Franchisevertrages als richtig unterstellt, hätte die Klägerin den Beklagten so zu stellen,
wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Richtigkeit der Aufklärung bei Abschluss des
Franchisevertrages vertraut hätte (negatives Interesse). Ihm ist dann die Wertdifferenz
zwischen der Vermögenslage, die sich ohne das Vertrauen auf die Richtigkeit der
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zwischen der Vermögenslage, die sich ohne das Vertrauen auf die Richtigkeit der
Aufklärung ergibt, und derjenigen, die durch die Verletzung der Aufklärungspflichten
geschaffen wurde, im Wege des Schadensersatzes zu erstatten. Dass in diesen
Vermögensvergleich die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Franchisevertrag
eingegangenen Zahlungsverpflichtungen wie etwa der Warenerstausstattung oder der
Kosten für Umbau und Ausstattung des Verkaufsraums jedenfalls dem Grunde nach
einzustellen sind, liegt nahe. Bei der Bemessung des erstattungsfähigen Schadens wird
jedoch sowohl bei den bereits vor oder bei Vertragsschluss eingegangenen
Zahlungsverpflichtungen, als auch den im späteren Verlauf entstandenen
Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sein, in welchem Umfang diese tatsächlich darauf
zurückzuführen sind, dass der Beklagte nach den §§ 3, 9 des Franchisevertrages für ein
festgelegtes Erscheinungsbild sowie eine bestimmte Büroausstattung zu sorgen hatte
und zum Bezug von Waren der Klägerin verpflichtet war; der Schaden könnte dann
gegebenenfalls lediglich in den Mehraufwendungen liegen, die dem Beklagten dadurch
entstanden sind, dass er das Bekleidungsgeschäft als Franchisenehmer - und nicht als
auch hinsichtlich Warenauswahl und -bezug freier Unternehmer - betrieben hat (vgl. OLG
München - 5 U 218/00 -).
Es wird darüber hinaus - unabhängig von eventuellen Einwänden der Klägerin gegen die
Höhe der konkreten Schadensposten - zu beurteilen sein, ob und in welchem Umfang
die innerhalb des Zeitraums von etwa sechs Jahren getätigten Aufwendungen überhaupt
noch auf die Verletzung der Aufklärungspflicht bei Abschluss des Franchisevertrages im
Frühjahr 1997 zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang könnte etwa von
Bedeutung sein, ob sich die Aufwendungen, die der Beklagte nach dem 30. Oktober
2001 und damit zu einem Zeitpunkt getätigt hat, zu dem er nach dem unbestritten
gebliebenen Klägervortrag bereits einen Verlust von 47.657,42 € erwirtschaftet hatte,
überhaupt als ein von der unterlassenen Aufklärung über die Rentabilität und
Erfolgsaussichten des Franchisesystems verursachter Schaden darstellen; nach seinem
eigenen Vortrag in der Klageerwiderung vom 10. Juni 2004 (Seite 2, Bl. 29 d.A.) will der
Beklagte selbst sogar „bis zur Geschäftsaufgabe im Mai 2003 nur Verluste“
erwirtschaftet haben. Auch steht zur Klärung offen, wie der Umstand - etwa im Rahmen
des § 254 BGB - zu bewerten ist, dass der Beklagte von der ihm in § 15 Ziffer 3 Abs. 3
Satz 1 des Franchisevertrages eingeräumten Möglichkeit zur außerordentlichen
Kündigung nicht Gebrauch gemacht hat - obgleich der bereits erwähnte Sachvortrag das
Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung
nahelegt.
Da die Kammer hinsichtlich des Haftungsgrundes - Verletzung einer Aufklärungspflicht -
und der in die Differenzbetrachtung einzustellenden Schadenspositionen zutreffend eine
Entscheidungsreife verneint hat - lediglich die rechtliche Bedeutsamkeit für den
Klageanspruch hat sie fehlerhaft eingeschätzt -, durfte dieser nicht als entscheidungsreif
angesehen werden.
3. Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler.
Die Klage auf Zahlung des vereinbarten Kaufpreises für die von der Klägerin bezogenen
Waren ist nicht schon deshalb unbegründet, weil die zugrundeliegenden Kaufverträge
gemäß § 139 BGB als mit dem vermeintlich sittenwidrigen Franchisevertrag einheitliche
Rechtsgeschäfte nichtig sind.
Gesamtnichtigkeit setzt nach dieser Vorschrift voraus, dass die Einzelverträge und der
Rahmenvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft bilden, das heißt nach dem Willen der
Parteien miteinander stehen und fallen sollten (BGHZ 50, 8, 13; NJW 1983, 2027; BGHZ
112, 288). Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt die Würdigung des
Landgerichts, eine eventuelle Nichtigkeit des vorliegenden Franchisevertrages habe
keinen Einfluss auf die auf seiner Grundlage geschlossenen und bereits erfüllten
Einzelverträge, keinen Rechtsfehler erkennen. Sie entspricht der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs und der des Senats.
Zutreffend hat das Landgericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16. April
1986 (NJW 1986, 1988) herangezogen. Darin hatte der Bundesgerichtshof - unter II 4 b) -
die Anwendung des § 139 BGB auf Kaufverträge über Warennachlieferungen, die in
Erfüllung einer in einem Franchise-Vertrag enthaltenen - wirksam widerrufenen -
Bezugsverpflichtung abgeschlossen wurden, verneint und ausgeführt, dass die einzelnen
Kaufverträge trotz des wirtschaftlichen Zusammenhangs selbst bei weiter Auslegung
des Begriffs des einheitlichen Rechtsgeschäfts nicht mehr im rechtlichen Sinne als Teil
der Franchise-Vereinbarung angesehen werden konnten.
Von dieser Rechtsauffassung ist der Bundesgerichtshof auch nicht, wie der Beklagte
meint, in seinem Urteil vom 8. Oktober 1990 - VIII ZR 176/89 - abgerückt. Ausweislich der
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meint, in seinem Urteil vom 8. Oktober 1990 - VIII ZR 176/89 - abgerückt. Ausweislich der
Sachverhaltsdarstellung sowie der Entscheidungsgründe wurde das Berufungsurteil mit
der Revision lediglich insoweit angegriffen, als darin die Wirksamkeit des Vertrages über
die Ladeneinrichtung und der Warenerstausstattung unter dem Gesichtspunkt des § 139
BGB geprüft und bejaht worden war; hingegen stand „rechtskräftig fest, dass die
Verträge über die Warennachlieferungen wirksam“ waren. Zur Frage der Nichtigkeit jener
Verträge über Warennachlieferungen wegen Vorliegens eines mit dem - unwirksamen -
Franchisevertrages einheitlichen Rechtsgeschäfts verhielt sich der Bundesgerichtshof in
diesem Urteil daher nicht.
Seine Rechtsauffassung zur fehlenden Einheitlichkeit von Franchisevertrag und
nachfolgenden Warenlieferungsverträgen im Sinne von § 139 BGB hat der
Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 4. Dezember 1996 (NJW 1997, 933) und vom
23. Juli 1997 (NJW 1997, 3304) nochmals bekräftigt.
Der Senat sieht sich weder durch die Berufungsbegründung noch die Erörterungen im
Verhandlungstermin vom 17. August 2005 veranlasst, von dieser höchstrichterlichen
Rechtsprechung abzuweichen.
4. Schließlich liegt die weitere Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung
gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - das Erfordernis einer umfangreichen oder aufwändigen
Beweisaufnahme - vor.
Wie oben unter Ziffern 1. und 2. dargelegt, bedarf der Rechtsstreit einer umfangreicher
Sachaufklärung, die - nach derzeitiger Beurteilung - auch eine aufwändige
Beweisaufnahme durch Vernehmung mehrerer Zeugen und ggf. anschließende
Einholung eines Sachverständigengutachtens einschließt.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) und die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß den §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 72
Nr. 1 GKG n.F. auf 161.691,19 € festgesetzt.
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