Urteil des OLG Brandenburg vom 21.09.2006

OLG Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, falsche auskunft, bewährung, zustellung, widerruf, rechtsmittelfrist, schriftstück, inhaftierung, haftentlassung, gespräch

1
2
3
4
5
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 242/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 37 StPO, § 45 StPO, § 44 StPO,
§ 300 StPO, § 311 StPO
Bewährungswiderruf: Versäumung der Anfechtungsfrist durch
unter Betreuung stehenden Verurteilten
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin vom 6. November 2008 wird als
unzulässig verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine in diesem
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 StPO).
Gründe
1.
rechtskräftig seit dem 29. September 2006, wurde der Beschwerdeführer wegen
Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu
einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von 3
Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Neuruppin hat mit Beschluss vom 6. November 2008 die dem
Beschwerdeführer gewährte Strafaussetzung widerrufen, weil er am 23. Februar 2008 im
Zustand eines schuldausschließenden Alkoholrausches in einem Supermarkt in
Wittstock eine Flasche Schnaps im Wert von 4,00 € entwendet hatte. Hierfür wurde er
durch Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 17. Juni 2008, rechtskräftig seit dem 25.
Juni 2008, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Monaten verurteilt, die er
zwischenzeitlich voll verbüßt hat.
Eine Ausfertigung des Beschlusses mit einer schriftlichen Rechtsmittelbelehrung ist dem
Beschwerdeführer am 6. November 2008 förmlich zugestellt worden. Mit Schreiben vom
18. November 2008, bei Gericht per Telefax eingegangen am selben Tag, legte der
Beschwerdeführer gegen den Widerrufbeschluss der Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Neuruppin „Beschwerde“ ein, mit der er vorträgt, seine Straftaten zu
bereuen und in Zukunft nicht mehr straffällig zu werden.
2.
§ 453 Abs. 1 StPO statthaft, sie ist jedoch unzulässig da sie nicht innerhalb der
Wochenfrist des § 353 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 StPO iVm. § 311 StPO eingelegt worden ist.
Die Entscheidung ist auf richterliche Verfügung vom 6. November 2008 dem
Beschwerdeführer ausweislich der Zustellungsurkunde am 6. November 2008 förmlich
zugestellt worden.
Gegen die Wirksamkeit der Zustellung bestehen keine Bedenken. Der Wirksamkeit steht
insbesondere nicht entgegen, dass der Verurteilte zur Zeit der Zustellung für die
Aufgabenkreise der Wahrnehmung von Vermögensangelegenheiten und der Vertretung
vor Behörden und Gerichten unter Betreuung (§§ 1896 ff BGB) stand, denn Zustellungen
im Strafverfahren erfordern allein die Verhandlungsfähigkeit des Empfängers (vgl. KG
StV 2003, 343; OLG Düsseldorf MDR 1993, 70). Dafür, dass diese nicht gegeben
gewesen sein könnte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Die Frist zur Anbringung der
sofortigen Beschwerde endete somit mit Ablauf des 13. November 2008, so dass die bei
Gericht am 18. November 2008 eingegangene, sofortige Beschwerde verfristet ist.
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht gestellt worden. Dem
Beschwerdeführer war auch nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren. Die Tatsache, dass der
Beschwerdeführer wegen einer intellektuellen Minderbegabung von leicht bis mäßigem
Ausmaß in Kombination mit einer erheblich verzögerten Persönlichkeitsreifung unter
Betreuung steht, rechtfertigt jedenfalls vorliegend eine Wiedereinsetzung nicht. Zwar
6
7
Betreuung steht, rechtfertigt jedenfalls vorliegend eine Wiedereinsetzung nicht. Zwar
trägt der Beschwerdeführer vor, ihm sei der Inhalt der angefochtenen Entscheidung, die
er nach seinen Angaben weder eindeutig lesen noch habe verstehen können, von
Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt dahingehend erläutert worden, dass er
Arbeitsstunden abzuleisten habe. Erst in einem Gespräch mit seiner Bewährungshelferin
am 17. November 2008 habe er erfahren, dass seine Strafaussetzung widerrufen
worden sei. Dass der Beschwerdeführer den angefochtenen Beschluss nicht als Widerruf
der ihm gewährten Bewährung verstanden haben will, wird auch durch eine vom Senat
eingeholte Stellungnahme der Bewährungshelferin bestätigt. Gleichwohl rechtfertigt dies
keine Wiedereinsetzung. Das Betreuungsrecht intendiert nämlich im Grundsatz, dass
dem Betreuten die verbliebenen Fähigkeiten und Rechte weitestgehend bewahrt bleiben.
Dass er am Rechtsverkehr weiterhin teilnehmen kann, bedeutet in diesem Sinne zwar
nicht, dass an ihn – namentlich zur Vermeidung von Rechtsnachteilen – in diesem
Rechtsverkehr die gleichen Sorgfaltsanforderungen gestellt werden dürfen, wie an einen
nicht unter Betreuung stehenden gesunden Bürger.Es war vom Beschwerdeführer, der
durch seine Bewährungshelferin bereits vor seiner erneuten Inhaftierung auf den
drohenden Widerruf der Bewährung vorbereitet war, aber zu erwarten, unmittelbar nach
seiner Haftentlassung mit seinem Betreuer oder seiner Bewährungshelferin über das
ihm zugestellte Schriftstück Rücksprache zu nehmen. Dass er seine Bewährungshelferin
erst auf deren Veranlassung und erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist aufsuchte und
dadurch die Rechtsmittelfrist versäumt hat, hat er mithin selbst verschuldet. Deshalb
kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob die fehlerhafte Interpretation des
Widerrufsbeschlusses durch den unter Betreuung stehenden Beschwerdeführers auf eine
vermeintlich falsche Auskunft von Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt zurückzuführen
ist oder ob der Beschwerdeführer beeinflusst von seiner Interessenlage den
Widerrufsbeschlusses zu seinen Gunsten missverstanden hat.
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die sofortige Beschwerde im Falle ihrer
Zulässigkeit aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auch in der
Sache keinen Erfolg gehabt hätte. Die Strafaussetzung zur Bewährung ist angesichts der
erneuten Straffälligkeit des Verurteilten zurecht widerrufen worden.
3.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum