Urteil des OLG Brandenburg vom 26.07.2010

OLG Brandenburg: örtliche zuständigkeit, anspruch auf rechtliches gehör, erlass, bindungswirkung, anhörung, wahlrecht, bezirk, abgabe, beleidigung, körperverletzung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 AR 4/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 FamFG, § 3 Abs 3 S 1
FamFG, § 5 Abs 1 Nr 4 FamFG, §
211 Nr 1 FamFG, § 211 Nr 3
FamFG
Tenor
Zum zuständigen Gericht wird das Amtsgericht – Familiengericht – Königs Wusterhausen
bestimmt.
Gründe
1.
Der Antragsteller begehrt gegen den Antragsgegner, einen Geschäftspartner, den Erlass
einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, wobei er die begehrten
Maßnahmen u. a. an einen behaupteten Vorfall vom 26. Juli 2010 – Beleidigung,
Körperverletzung, Sachbeschädigung - in der …-Straße in R… anknüpft. Der
Antragsteller hat sich zum Zwecke der Rechtsverfolgung am 3. August 2010 zum
Amtsgericht Strausberg begeben, dort seinen Antrag nebst Begründung zu Protokoll der
Rechtsantragsstelle gegeben und dies mit dem Antrag auf „sofortige Abgabe an das
zuständige Amtsgericht in Königs Wusterhausen“ geschlossen.
Die Antragsschrift wurde sodann am 4. August 2010 dem Amtsgericht Königs
Wusterhausen übermittelt, das mit Beschluss vom selben Tage die Übernahme mit
näherer Begründung abgelehnt hat.
Das Amtsgericht Strausberg hat sich daraufhin seinerseits mit Beschluss vom 4. August
2010 mit näherer Darlegung für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren gemäß § 3
Abs. 2 FamFG an das Amtsgericht Königs Wusterhausen verwiesen.
Beide Beschlüsse sind nach Aktenlage dem Antragsteller zur Kenntnis gegeben worden.
Unter dem 5. August 2010 hat das Amtsgericht Königs Wusterhausen dem vorzitierten
Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Strausberg die Bindungswirkung abgesprochen
und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des
zuständigen Gerichts nach § 5 FamFG vorgelegt.
2.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht – Familiensenat – ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4
FamFG zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, weil dieses das nächst
höhere gemeinsame Gericht ist und es sich bei der hier streitbefangenen
Gewaltschutzsache um eine Familiensache handelt (§§ 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG in
Verbindung mit §§ 111 Nr. 6, 210 FamFG).
Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG
liegen vor. Beide Amtsgerichte – Familiengerichte – haben sich „rechtskräftig“ für
unzuständig erklärt, das Amtsgericht Strausberg durch den nach § 3 Abs. 3 Satz 1
FamFG unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 4. August 2010 und das Amtsgericht
Königs Wusterhausen durch den die Übernahme ablehnenden Beschluss vom selben
Tage in Verbindung mit der erneut die Zuständigkeit verneinenden (Vorlage-)Verfügung
vom 5. August 2010. Dies genügt den Anforderungen an das Merkmal „rechtskräftig“ im
Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den
Beteiligten bekannt gemachte ausdrückliche Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. Schulte-
Bunert/Weinreich – Schöpflin, FamFG, § 5 Rdnr. 11 sowie zum insoweit gleichlautenden §
36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO: BGHZ 102, 338; BGH NJW 2002, 3634; OLG Brandenburg OLGR
2005, 2004; Zöller-Vollkommer, 27. Aufl., § 36 Rdnr. 25). Die im Streitfall vorliegende
alleinige Bekanntgabe an den Antragsteller ist mit Rücksicht darauf unschädlich, dass
der Antragsgegner in dem zugrunde liegenden (Eil-)Antrag auf Erlass einer einstweiligen
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der Antragsgegner in dem zugrunde liegenden (Eil-)Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung selbst nicht notwendig anzuhören ist (§ 51 Abs. 2 Satz 2 FamFG).
Zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – Königs Wusterhausen aufgrund § 211
Nr. 1 FamFG und aufgrund bindender Verweisung nach § 3 Abs. 1, 3 FamFG.
a)
Nach Auffassung des Senates hat der Antragsteller im Zuge der Protokollierung seines
Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz die
ihm nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt – Tatort im Bezirk des Amtsgerichts
Königs Wusterhausen (§ 211 Nr. 1 FamFG); Wohnort des Antragsgegners im Bezirk des
Amtsgerichts Strausberg (§ 211 Nr. 3 FamFG) – zustehende Wahl des dann örtlich
zuständigen Gerichts dahin getroffen, dass dieses das Amtsgericht Königs
Wusterhausen sein soll. Entgegen der vom Familiengericht des Amtsgerichts Königs
Wusterhausen vertretenen Auffassung liegt deshalb kein Fall des § 2 Abs. 1 FamFG vor.
Nach der hier unmittelbar im Zusammenhang mit der Antragstellung ausdrücklich
getroffenen Wahl des Antragstellers gab es nicht mehr zwei örtlich zuständige Gerichte,
sondern war das Amtsgericht Königs Wusterhausen von vornherein ausschließlich
zuständig.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Königs Wusterhausen hat der Antragsteller
nicht bereits dadurch das ihm nach § 211 FamFG zustehende Wahlrecht auch nicht
deshalb zunächst und dann bindend zugunsten des Amtsgerichts Strausberg ausgeübt,
weil er die dortige Rechtsantragsstelle aufgesucht hat, um sein Begehren aufnehmen zu
lassen. Insoweit liegt – dies ergibt eine interessengerechte Auslegung seiner
Antragsschrift vom 4. August 2010 - tatsächlich ein Fall des § 25 Abs. 3 FamFG vor.
Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz unterliegen als Familiensachen generell nicht
dem Anwaltszwang nach § 114 FamFG, so dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung nach § 214 FamFG gemäß § 25 Abs. 1 und 2 FamFG auch zu Protokoll der
Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts gestellt werden kann. Bei dieser Sachlage
kann entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Königs Wusterhausen allein aus dem
Umstand, dass der Antragsteller Amtsgericht Strausberg vorstellig geworden
ist, nicht der sichere Rückschluss gezogen werden, dass der Antrag auch an dieses
Gericht gerichtet werden sollte. Tatsächlich findet sich in der gesamten Niederschrift
vom 4. August 2010 keinerlei Hinweis darauf, dass der Antragsteller seinen Antrag durch
das Amtsgericht Strausberg beschieden wissen wollte. Vielmehr ergibt sich aus dem
besonders hervorgehobenen Satz „Ich beantrage die sofortige Abgabe an das
zuständige Amtsgericht in Königs Wusterhausen“, dass der Antragsteller eine
Entscheidung durch dieses letztgenannte Gericht erstrebt und insoweit von vornherein
und nicht etwa erst nachträglich, also nachdem er inhaltlich das Amtsgericht –
Familiengericht - Strausberg mit der Angelegenheit befasst hätte, sein Wahlrecht
ausgeübt hat.
Danach war das Amtsgericht Königs Wusterhausen als das Gericht der Wahl des
Antragstellers von vornherein das örtlich ausschließlich zuständige Gericht.
b)
Spätestens allerdings mit dem – durchaus Bindungswirkung entfaltenden -
Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 4. August 2010 wäre die
örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Königs Wusterhausen begründet worden.
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen nämlich stellt sich der Verweisungsbeschluss
gerade nicht als willkürlicher Akt dar. Allein der Umstand, dass sich das verweisende
Gericht über zuvor von dem anderen Gericht erhobene Bedenken gegen dessen
Zuständigkeit hinweggesetzt hat, begründet keine Willkür. Dies gilt umso mehr für den
hier vorliegenden Fall, dass die Bedenken des zur Übernahme aufgerufenen Gerichtes
nicht stichhaltig sind.
Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfällt vorliegend auch nicht, weil
den Verfahrensbeteiligten vor Erlass des Verweisungsbeschlusses rechtliches Gehör
nicht gewährt wurde. Die unterbliebene Anhörung dessen, der auch vor der begehrten
Sachentscheidung nicht gehört werden muss, ist nämlich unschädlich. Zu denjenigen,
deren Anspruch auf rechtliches Gehör kraft Gesetzes in zulässiger Weise eingeschränkt
ist, gehört auch der Antragsgegner im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung (vgl. dazu Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rdnr. 17a; MüKo-Prütting,
ZPO, 3. Aufl., § 281 Rdnr. 57; Schulte-Bunert/Weinreich – Schöpflin, a.a.O., § 3 Rdnr. 7).
Hier wäre eine vorherige Anhörung des Gegners über die örtliche Zuständigkeit des
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Hier wäre eine vorherige Anhörung des Gegners über die örtliche Zuständigkeit des
angerufenen Gerichts ohne erhebliche Nachteile für das Verfahren schlicht nicht
möglich; die bereits jetzt allein durch den – immerhin dem Antragsteller bekannt
gegebenen - Kompetenzstreit der Gerichte zu verzeichnenden Verzögerungen für die
dringlich erbetene Sachentscheidung zeigen dies eindrücklich. Eine wiederholte
Anhörung des Antragstellers wiederum war darüber hinaus wegen dessen eindeutiger
Positionierung im Zuge der Antragstellung entbehrlich.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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