Urteil des OLG Brandenburg vom 27.06.2006

OLG Brandenburg: einstweilige verfügung, verbraucher, rechtsberatung, irreführende werbung, kontaktaufnahme, insolvenz, schuldenbereinigung, verein, irreführung, internet

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 89/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 305 Abs 1 Nr 1 InsO, Art 1 § 1
Abs 1 S 1 RBerG, § 3 UWG, § 4
Nr 11 UWG, § 5 UWG
Anwendung des Rechtsberatungsgesetzes im
Verbraucherinsolvenzverfahren/Schuldenbereinigungsverfahren
Tenor
Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das am 27.06.2006 verkündete Urteil der
1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 31 O 18/06 - teilweise
abgeändert und neu gefasst:
Im Wege der einstweiligen Verfügung wird wie folgt angeordnet:
Der Verfügungsbeklagte hat es bei Vermeidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise
Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, letztere zu vollziehen an den vorsitzenden Vorständen,
künftig zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
den Vereinsnamen mit den Zusätzen „Insolvenz Schuldner Hilfe“ zu führen
und/oder für Rechtsberatung und Rechtsbesorgung in Angelegenheiten von
Schuldnern wie aus der Anlage zum Urteilstenor ersichtlich zu werben
und/oder Rechtsberatung und Rechtsbesorgung in Angelegenheiten von
Schuldnern zu betreiben, insbesondere diese in amtsgerichtlichen
Zwangsversteigerungsverfahren zu vertreten.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat der Verfügungsbeklagte zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Es wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat mit dem am 27.06.2006 verkündeten Urteil die
Beschlussverfügung vom 18.04.2006 unter Aufrechterhaltung im Übrigen aufgehoben,
soweit der Vereinsname und die Werbung im Internet betroffen waren.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, hinsichtlich der Aufhebung fehle es an
einem Verfügungsanspruch. Zwar sei im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens
auch die Kenntnis und Anwendung des geltenden Rechts erforderlich. Im
Insolvenzverfahren würden jedoch auch Fähigkeiten und Kenntnisse im rein
wirtschaftlichen Bereich in einem Umfang vorausgesetzt, bezüglich dessen auch ein
Rechtsanwalt besondere außerjuristische Qualifikationen erwerben müsse. Der Name
des Beklagten und dessen Werbung im Internet seien nicht irreführend. Der Begriff der
Beratung oder gar der Rechtsberatung werde nicht verwendet.
Gegen dieses ihm am 12.07.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.08.2006 bei
Gericht eingegangene Berufung des Verfügungsklägers, welche er mit dem am
11.09.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Der Verfügungskläger meint, das angefochtene Urteil setze sich rechtsfehlerhaft nicht
mit der Frage der Irreführung im Sinne der Vorschriften des UWG auseinander. Für die
Bewertung einer Irreführung sei entscheidend, welchen Eindruck der verschuldete
Verbraucher gewinne, wenn er den Namen und die Werbung des Verfügungsbeklagten
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Verbraucher gewinne, wenn er den Namen und die Werbung des Verfügungsbeklagten
zur Kenntnis nehme. Es kom-me nicht auf die Verwendung des Begriffes
„Beratung/Rechtsberatung“ an. Der betroffene Verbraucher erwarte sich Hilfe,
insbesondere solche, die zum Schuldenabbau und zur Schuldenbefreiung führe. Dazu
gehöre begriffsnotwendig eine Kontaktaufnahme zwischen Schuldner und Gläubiger. Die
Kontaktaufnahme zum Gläubiger mit dem Ziel des Schuldenabbaus oder der
Durchführung eines Insolvenzverfahrens stelle eine erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung
dar. Die geschäftsmäßige Schuldenregulierung bedürfe der Erlaubnis nach Art. 1 § 1
Abs. 1 S. 1 RBerG. Diese sei ihrer Natur nach darauf gerichtet, konkrete fremde
Rechtsverhältnisse zu gestalten und zu verändern. Soweit die Internetwerbung des
Verfügungsbeklagten den Hinweis enthalte, es werde keine Rechtsberatung angeboten,
sei dies für den umworbenen Verbraucher belanglos. Dieser könne nicht einschätzen,
wann eine Beratung durch den Verfügungsbeklagten zur Rechtsberatung und wann
dessen Tätigkeit zur Rechtsbesorgung werde.
Der Verfügungskläger beantragt,
das angefochtene Urteil mit der Maßgabe abzuändern, dass die einstweilige
Verfügung vom 18.04.2006, soweit sie aufgehoben worden ist, neu erlassen werde.
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Verfügungsbeklagte behauptet, seine Tätigkeit beziehe sich nicht auf den
Kernbereich der Rechtsberatung, sondern auf Beratung in wirtschaftlicher und
psychologischer Hinsicht. Er biete dem verschuldeten Verbraucher nicht nur praktische,
sondern auch moralische Unterstützung an. Eine Kontaktaufnahme zu Gläubigern des
verschuldeten Verbrauchers und eine Durchführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens
durch den Verfügungsbeklagten selbst erfolge nicht. Diese Tätigkeit wurde durch
Rechtsanwälte, mit welchen er zusammenarbeite, erledigt werden, eben weil das
Bestehen von Gläubigerforderungen geprüft und/oder eine genaue Aufstellung der
Forderungen und Zinsen vorgenommen werden müsse, um durch Errechnung der
richtigen Ratenhöhe einen effektiven Schuldenabbau gewährleisten zu können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers hat auch in der Sache Erfolg.
Der Verfügungsbeklagte besitzt keine Erlaubnis nach dem RBerG. Er ist auch keine
zugelassene Stelle für Verbraucherinsolvenz nach § 305 InsO.
Soweit er mit seinem Namen und seinem Angebot wirbt mit „Schuldner Hilfe“ und
„Schuldenbereinigung“, liegt eine irreführende Werbung vor (§§ 5, 3 UWG).
Weiter liegt ein Verstoß gegen §§ 4 Nr. 11 UWG vor.
Sowohl die Namensbezeichnung als auch die Werbung des Verfügungsbeklagten
verstoßen gegen die gesetzliche Vorschrift des Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 RBerG.
1. Der Verfügungsbeklagte erweckt durch die Namenszusätze und die Werbung bei
betroffenen Verbraucherkreisen den Eindruck, für diese bei der Regulierung,
insbesondere dem Abbau von Schulden tätig werden zu können.
Er wendet sich an Verbraucher, die von Insolvenz bedroht bzw. bereits betroffen sind.
Dies ergibt sich aus dem Namenszusatz „Insolvenz Schuldner Hilfe“ und im
Einleitungssatz der Werbung: „Sie haben Schulden und keine persönliche Lösung mit
ihren Gläubigern gefunden und Sie wissen nicht mehr, was Sie noch machen sollen?
Dann helfen wir …“
Sodann erfolgt eine Information zum Ablauf des Insolvenzverfahrens bzw. des
Verbraucherinsolvenzverfahrens.
Sodann bietet der Verfügungsbeklagte u. a. folgende Maßnahmen an:
- Hilfe und Betreuung im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren
- Unterstützung bei der Erarbeitung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes
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- Betreuung der Mitglieder bei der Antragstellung zum Verbraucherinsolvenz- bzw.
Regelinsolvenzverfahren
Die genannten Tätigkeiten bedingen eine Kontaktaufnahme mit den Gläubigern des
jeweiligen Verbrauchers. Ein von der Insolvenz bedrohter Verbraucher kann in
Ermangelung finanzieller Mittel einen Schuldenabbau in der Regel nämlich nur dadurch
herbeiführen, wie beide Parteien auch übereinstimmend vortragen, dass mit den
jeweiligen Gläubigern Regelungen zu Ratenzahlungen, Stundungen, evtl. auch Teilerlasse
getroffen werden. Insbesondere mehrere parallel laufende Ratenzahlungspläne erfordern
eine Feinabstimmung, anderenfalls eine einzige ausbleibende Zahlung das ganze
Ratenzahlungsgebilde ins Wanken bringen könnte.
Ein Schuldenabbau ohne Kontaktaufnahme zu den Gläubigern kann in der Regel nur von
denjenigen Verbrauchern bewerkstelligt werden, welche über genügend finanzielle Mittel
verfügen. Diese sind aber nicht von der Insolvenz bedroht.
Was die angebotene Maßnahme „Betreuung der Mitglieder bei der Antragstellung zum
Insolvenzverfahren“ anbelangt, so muss der Schuldner gegenüber der maßgeblichen
Stelle ohnehin dartun, dass er eine außergerichtliche Einigung mit seinen Gläubigern
gesucht hat und diese gescheitert ist (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
Gespräche mit Gläubigern zwecks Regulierung von Schulden stellen bei
geschäftsmäßigem Tätigwerden eine erlaubnispflichtige Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten dar, Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG. Eine solche Tätigkeit ist ihrer Natur
nach darauf gerichtet und geeignet, konkrete fremde Rechtsverhältnisse gestalten und
zu verändern (BGH; GRUR 1987, 714). Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um
rechtliche Tätigkeiten schwierigerer oder einfacherer Art handelt.
Soweit der Verfügungsbeklagte sich darauf beruft, er gewähre neben praktischer
hauptsächlich moralische Unterstützung, insofern sei weder seine Namensgebung noch
Werbung rechtswidrig, ist dies rechtlich nicht erheblich.
Die beanstandete Werbeaussage und der Name des Verfügungsbeklagten müssen im
Gesamtzusammenhang und vor dem Verständnishorizont eines durchschnittlichen
Verbrauchers der angesprochenen Verkehrkreise, zu denen auch die Senatsmitglieder
gehören können, bewertet werden.
Der betroffene Verbraucher erwartet sich bei einer „Insolvenz Schuldner Hilfe“ mit dem
hier gegebenen Angebot Unterstützung beim Schuldenabbau und bei der
Schuldenbereinigung. Alle anderen unterstützenden Maßnahmen sind zwar für den
Verbraucher wichtig, stellen letztlich aber nur Beiwerk zur Schuldenbereinigung dar.
Hinzu kommt, dass die betroffenen Verbraucher ihre Aufnahmegebühr und ihre
Mitgliederbeiträge bei dem Verfügungsbeklagten kaum für diese begleitenden
Maßnahmen werden bezahlen wollen. Verschuldete Personen, an die sich die Werbung
richtet, haben nicht den finanziellen Spielraum, Beratungsleistungen in Anspruch zu
nehmen, die ihnen letztlich nicht entscheidend weiterhelfen.
Aus diesem Grunde ist es zum Schutz der angesprochenen Verbraucher dringend
geboten, dass der Verfügungsbeklagte seinen inhaltlich begrenzten Beratungs- und
Tätigkeitsbereich klar und eindeutig darstellt, so dass bei den Adressaten keinerlei
Zweifel auftreten und Fehlvorstellungen ausgeschlossen sind (OLG Oldenburg, GRUR
2006, 605).
Soweit der Verfügungsbeklagte wirbt mit Hilfe in Schuldenbereinigungsverfahren und
Erstellen von Schuldenbereinigungsplänen, erwartet der angesprochene Verbraucher
eine Kontaktaufnahme im Außenverhältnis zu den Gläubigern, stellt doch die
Vereinbarung mit den Gläubigern einen wesentlichen Teil der „Bereinigung“ dar. Wird
aber der Verfügungsbeklagte in dieser Hinsicht gar nicht tätig bzw. ist ihm diese Tätigkeit
durch das Rechtsberatungsgesetz verboten, werden Fehlvorstellungen über diese
Leistungen beim Verbraucher hervorgerufen.
Gleiches gilt für die Werbung, der Verfügungsbeklagte unterstütze bzw betreue seine
Mitglieder bei der Antragstellung im Insolvenzverfahren. Rechtliche Beratung und
Vertretung seiner Mitglieder im Insolvenzverfahren ist dem Verfügungsbeklagten nicht
gestattet.
Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Urteil ausgeführt hat, im
Insolvenzverfahren seien Fähigkeiten und Kenntnisse im rein wirtschaftlichen Bereich
vorauszusetzen, über welche ein Anwalt nicht ohne weiteres verfüge, hinsichtlich derer er
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vorauszusetzen, über welche ein Anwalt nicht ohne weiteres verfüge, hinsichtlich derer er
selbst eine außerjuristische Qualifikation erwerben müsse, um eine optimale
Geschäftsversorgung zu gewährleisten, trifft dies nicht den Kern des vorliegenden
Rechtsstreits.
Der Verfügungsbeklagte will nicht als Insolvenzverwalter tätig werden, ein Gebiet, das in
der Tat nicht die Domäne der Rechtsanwälte darstellt, sondern als Schuldenregulierer.
Auch soweit das Landgericht das Urteil des Senates (OLG Brandenburg, NJW-RR 2005,
1004) für seine Argumentation verwenden will, geht dies an dem hier zur Entscheidung
vorliegenden Sachverhalt, welcher von demjenigen des zitierten Urteils abweicht, vorbei.
2. Es hilft dem Verfügungsbeklagten auch nicht weiter, dass er in seiner Werbung den
Hinweis erteilt: „Der Verein handelt für seine Mitglieder und erteilt keine
Rechtsberatung“.
Wie bereits eingangs ausgeführt, kann ein durchschnittlich interessierter und informierter
Verbraucher nicht beurteilen, wo die Grenze zwischen Beratung im wirtschaftlichen
Bereich und Rechtsberatung verläuft. Insbesondere muss sich für einen solchen
Verbraucher nicht unbedingt der Eindruck aufdrängen, die
Schuldenregulierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Kontaktaufnahme mit dem
Gläubiger stellten sich als Rechtsberatung/Rechtsbesorgung dar.
Soweit es in der Werbung des Verfügungsbeklagten heißt: „Die jeweilige Antragstellung
erfolgt über unseren Rechtsbeistand“, kann bei Verbrauchern der Eindruck entstehen,
der Rechtsbeistand und der Verfügungsbeklagte seien als Einheit anzusehen. Der vom
Verfügungsbeklagten heranzuziehende Rechtsanwalt sei sozusagen in den Verein
integriert und stelle dessen Erfüllungsgehilfen dar. Er, der Verbraucher, werde nicht
genötigt, einen Rechtsanwalt gesondert mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu
beauftragen. Auch würden neben den Mitgliedsbeiträgen, die an den
Verfügungsbeklagten zu entrichten seien, keine ihn belastenden anwaltlichen Gebühren
entstehen.
Es war daher das angefochtene Urteil insoweit abzuändern, als die vom Landgericht
aufgehobene einstweilige Verfügung vom 18.04.2006 ihrem Inhalt nach erneut zu
erlassen war (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 925 Rn. 12).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO (in der Fassung des
2. Justizmodernisierungsgesetzes).
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