Urteil des OLG Brandenburg vom 25.05.2009

OLG Brandenburg: medikamentöse behandlung, beweisverfahren, verjährung, dosierung, form, aufwand, therapie, behandlungsfehler, arzneimittel, einzelrichter

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 W 33/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 485 Abs 2 Nr 2 ZPO
Selbständiges Beweisverfahren: (Un-)Zulässigkeit in einer die
Dosierung eines Medikaments betreffenden Arzthaftungssache
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 4. Zivilkammer -
Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. Mai 2009, Az.: 14 OH 1/09,
abgeändert:
Es soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens eines -
noch zu benennenden - medizinischen Sachverständigen über folgende Fragen:
1. Ist das Arzneimittel Prednisolon ® zur Behandlung einer Neurosarkoidose
grundsätzlich zugelassen?
2. a) Entspricht es - nach dem medizinischen Standard im September des Jahres
2002 - einer ordnungsgemäßen Medikation, wenn nach der Diagnose einer
Neurosarkoidose vier Wochen lang das Arzneimittel Prednisolon ® mit einer täglichen
Dosis von 100 mg verordnet wird, anschließend die Tagesdosis für drei Wochen auf 75
mg reduziert wird, danach vier Wochen lang auf 60 mg täglich, und im weiteren Verlauf
im 4-Wochen-Rhythmus jeweils um weitere 20 mg bis auf 20 mg täglich reduziert wird.
b) Entspricht es - nach dem medizinischen Standard im September des Jahres 2002
- einer ordnungsgemäßen Medikation, wenn nach dem Abschluss einer Cortison-
Hochdosistherapie, wie sie unter Ziffer 6 beschrieben wurde, täglich weiterhin 20 mg
Prednisolon ® verordnet werden.
3. Sofern es sich bei der Gabe des Arzneimittels Prednisolon ® in der in Ziffer 2
genannten Dosierung für die Antragstellerin um eine Fehldosierung des Medikaments
handelte, ist in diesem Fall anzunehmen, dass aufgrund dessen bei der Antragstellerin
eine schubhafte Verschlechterung des Krankheitsbildes einsetzte, und dass es
insbesondere zu einem vorzeitigen Mobilitätsverlust kam?
4. Unterstellt, die unter Ziffer 2 dargestellte medikamentöse Behandlung der
Antragstellerin mit Prednisolon ® sei fehlerhaft gewesen: Wie lange hätte nach ärztlicher
Erfahrung der vollständige Mobilitätsverlust der Antragstellerin bei ordnungsgemäßer
Therapie herausgezögert werden können?
Die Ärztekammer Berlin soll um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen
ersucht werden.
Die Beauftragung des Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Antragstellerin
binnen 2 Wochen einen Auslagenvorschuss für den Sachverständigen in Höhe von
2.000,00 € einzahlt.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache weitgehend Erfolg.
Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist mit den im Tenor
dargestellten Beweisfragen gem. § 485 Abs. 2 ZPO zulässig. Nach den Angaben der
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dargestellten Beweisfragen gem. § 485 Abs. 2 ZPO zulässig. Nach den Angaben der
Antragstellerin dient das angestrebte Verfahren der Vermeidung eines weiteren
Rechtsstreits und die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist
grundsätzlich auch in einer Arzthaftungssache zulässig (BGH NJW 2003, 1741, 1742),
wovon auch das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgeht. Die von der Antragstellerin
aufgeworfenen Fragen sind durchaus geeignet, sie – je nach dem Ergebnis der
Beantwortung – zur Abstandnahme einer Klageerhebung zu veranlassen oder aber eine
außergerichtliche Regelung in Bezug auf mögliche Schadensersatzforderungen
herbeizuführen. Der Umstand, dass sich die Antragsgegnerin auf Verjährung beruft,
steht der Eignung der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht
entgegen. Der Verjährungseinwand kann zwar im Einzelfall ein Hinweis darauf sein, dass
das selbständige Beweisverfahren eine außergerichtliche Einigung selbst bei Vorliegen
eines Behandlungsfehlers nicht herbeiführen kann; gleichwohl vermag der
Antragsgegner nicht bereits allein durch den Einwand der Verjährung einer Durchführung
eines selbständigen Beweisverfahrens den Boden zu entziehen. Es bleibt dem
Antragsgegner grundsätzlich unbenommen, einen solchen Einwand - vorsorglich - zu
erheben. Für die Voraussetzungen der Verjährung ist er jedoch darlegungs- und
beweisbelastet, so dass ein Bestreiten mit Nichtwissen in Bezug auf eine etwaige
Kenntnis der Antragstellerin vom Vorliegen eines möglichen Behandlungsfehlers nicht
ausreichen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die
Antragsgegnerin nicht allein deshalb sich einer einvernehmlichen Regelung verschließen
wird, weil sie den Einwand der Verjährung für Erfolg versprechend erachtet.
Die in der Beschlussformel näher bezeichneten Fragen stehen auch im Zusammenhang
mit der Feststellung der Ursache eines Personenschadens i.S.v. § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Die Antragstellerin macht hinreichend deutlich, dass sie einen Behandlungsfehler in
Form einer fehlerhaften Medikation für möglich hält und ihr dadurch insoweit ein
Schaden entstanden ist, als sich der Zustand ihrer Erkrankung - vorzeitig -
verschlechtert hat. Richtig ist, dass es sich bei der Wertung einer möglichen
Pflichtverletzung in Bezug auf die Wahl und Dosierung der Medikation (auch) um
Rechtsfragen handelt, die ein medizinischer Sachverständiger nicht allein anstelle des
Gerichts beantworten kann. Gleichwohl kann eine gerichtliche Entscheidung nicht ohne
entsprechende sachverständige Feststellungen getroffen werden, da sie maßgeblich
vom medizinischen Standard, der einen objektiven Charakter aufweist, bestimmt wird
(vgl. OLG Oldenburg, MDR 2008, 1059). Hält man auch in Fällen der Arzthaftung ein
selbständiges Beweisverfahren grundsätzlich für zulässig, so steht jedenfalls im
Hintergrund dieses Vorgehens in der Regel die Frage, inwieweit das Vorliegen eines
Behandlungsfehlers in Betracht kommt. Stellt sich im selbständigen Beweisverfahren
heraus, dass eine bestimmte Medikation Ursache für eine körperliche Beeinträchtigung
war und entspricht die Medikation nicht dem medizinischen Standard, so können
dahingehende von § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfasste Feststellungen maßgebliche
Erkenntnisse für den Hauptsacheprozess in Bezug auf das Vorliegen eines
Behandlungsfehlers liefern, ohne dass die Frage des Vorliegens eines
Behandlungsfehlers als Rechtsfrage sowie des Verschuldens des Arztes und der
Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden bereits abschließend
festgestellt werden können. Dies hindert aber, so auch der BGH in seiner Entscheidung
vom 21.01.2003, die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gerade nicht.
Vielmehr können beide Parteien nach Vorlage des Gutachtens in gewissem Umfang
etwaige Prozessrisiken, die auch nach Durchführung des selbständigen
Beweisverfahrens verbleiben, abschätzen und die gewonnenen Erkenntnisse können so
Grundlage einer Einigung ohne Durchführung eines streitigen Verfahrens sein.
Die Beantwortung der Beweisfragen stellt sich - mit einer Ausnahme (dazu sogleich) -
auch nicht als reine Ausforschung dar, die im selbständigen Beweisverfahren
grundsätzlich unzulässig ist. Die Antragstellerin hat unter Angabe gewisser
Anhaltspunkte dargelegt, dass die von ihr dargestellte schubhafte Verschlechterung der
Beweglichkeit ihrer Beine durch die Verordnung einer Überdosis eines bestimmten
Medikamentes beschleunigt wurde. Damit hat sie hinreichend aufgezeigt, dass das
selbständige Beweisverfahren der Klärung dieses behaupteten Behandlungsfehlers dient
(vgl. dazu auch Thüringer OLG MedR 2006, 211). Anders als in der vorgenannten
Entscheidung ist die Antragstellerin vorliegend nicht auf der Suche nach einem
Verursacher für die Beschwerden und stellt auch nicht ihre von mehreren Ärzten
durchgeführte und über Jahre hinweg erfolgte Behandlung in allen Einzelheiten in Frage,
sondern es geht um eine konkret dargestellte Behandlung in Form der Verabreichung
einer bestimmten Medikation in einer bestimmten Dosis, hinsichtlich derer sie davon
ausgeht, dass diese nicht sachgerecht war. Eine reine Ausforschung ist damit nicht
verbunden.
Schließlich ergibt sich eine Unzulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens auch
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Schließlich ergibt sich eine Unzulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens auch
nicht aus dem vom Landgericht zusätzlich angeführten Gesichtspunkt der Komplexität
der Fragestellungen. Es handelt sich um einige wenige zu klärende Fragen, für deren
Beantwortung möglicherweise eine Auswertung von Behandlungsunterlagen über einen
längeren Zeitraum hinweg erforderlich wird. Der Senat vermag aber nicht zu erkennen,
dass damit ein Aufwand verbunden ist, der sich für die Durchführung eines selbständigen
Beweisverfahrens als nicht mehr tragbar erweist. Anders als in der vom Landgericht
angeführten Entscheidung des OLG Köln (GesR 2004, 235) geht es vorliegend nicht um
eine Klärung einer möglicherweise erfolgten jahrelangen fehlerhaften psychiatrischen
Behandlung, sondern um eine in einem bestimmten Zeitraum erfolgte Medikation, mit
der keine komplexen Fragestellungen verbunden sind, sondern hinsichtlich derer es
lediglich erforderlich werden kann, zur Klärung des konkreten Zustandes der
Antragstellerin im fraglichen Zeitpunkt bis dahin vorhandene Behandlungsunterlagen
hinzuziehen. Darin sieht der Senat keinen unverhältnismäßigen Aufwand.
Allerdings hat die Antragstellung nicht in vollem Umfang Erfolg. Für die Beantwortung der
mit der Antragsschrift unter Ziffer 2. gestellte Frage einerseits und der mit Schriftsatz
vom 24.04.2009 gestellten Beweisfragen zu Ziffer 6. und 7. andererseits, ist -
nebeneinander - kein Raum. Soweit sich die Antragstellerin das Vorbringen des
Antragsgegners zur tatsächlich erfolgten Medikation zu Eigen macht, kann sich auch nur
hieraus ein Behandlungsfehler ergeben und nicht aus einer möglicherweise gar nicht
erfolgten Medikation, wie sie unter Ziffer 2. der Antragsschrift dargestellt ist. Die Fragen
zu Ziffer 6. und 7. stellen sich letztlich als eine Präzisierung der Ziffer 2. dar, so dass sie
an deren Stelle zu setzen sind.
Nicht zulässig ist die Beweisfrage zu Ziffer 3. der Antragsschrift. Diese Frage dient in der
Tat der reinen Ausforschung, denn der Sachverständige soll ohne jeden konkreten
Anhaltspunkt herausfinden, ob auch bei indizierter Medikation irgendwelche nicht näher
dargestellten Aspekte gegen die Therapie sprachen. Konkrete Anhaltspunkte gibt die
Antragstellerin hierfür nicht an.
Da die sofortige Beschwerde nur in geringem Umfang unbegründet war, hat der Senat
von einer Auferlegung von Gerichtskosten zulasten der Antragstellerin abgesehen. Aus
diesem Grunde ist auch eine Kostenteilung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten
nicht veranlasst, zumal sich die Antragsgegnerin am Beschwerdeverfahren ohnehin nicht
beteiligt hat.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1, 2 ZPO liegen nicht
vor. Die grundsätzliche Frage, inwieweit in Arzthaftungssachen überhaupt die
Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens zulässig ist, ist höchstrichterlich
geklärt. Ob die Voraussetzungen zur Durchführung eines selbständigen
Beweisverfahrens im Übrigen vorliegen, bleibt stets einer Bewertung des Einzelfalles
vorbehalten.
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