Urteil des OLG Brandenburg vom 04.05.2006

OLG Brandenburg: venire contra factum proprium, treu und glauben, zgb, einstellung der zahlungen, schutz der familie, ddr, alleinstehende person, gebundene ausgabe, anschlussberufung, versicherung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 90/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 230 BGBEG, Art 231 § 6
BGBEG, Art 232 § 10 BGBEG, Art
233 § 10 BGBEG, § 212 BGB
Schadensersatz wegen entgangenem Unterhalt: Umfang des
Anspruchs des Hinterbliebenen bei Tötung eines Menschen;
Inkrafttreten des BGB im Beitrittsgebiet
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04.05.2006 verkündete Urteil der 2.
Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 2 O 26/06, teilweise
abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.149,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.956,28 EUR seit dem 18.02.2006 sowie
aus 1.193,26 EUR seit dem 22.03.2006 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin beginnend mit dem 31.03.2006 und endend
mit dem 22.08.2026 eine monatliche Geldrente in Höhe von 1.096,63 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin 3/10 und die Beklagte 7/10 zu
tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte
zu 3/4 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen entgangenen Unterhalts in
Anspruch. Sie ist die Witwe des Herrn R. S., der im Juli 1983 als Fahrgast bei einem
Zugunglück zu Tode kam. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der D. …. In den Jahren
1983 bis Februar 2006 zahlten die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgänger einen
Unterhaltsschadensersatz an die Klägerin in Form einer monatlichen Rente. Nachdem
zwischen den Parteien Differenzen über die Höhe des der Klägerin entgangenen
Unterhalts entstanden waren, die Klägerin neben laufender Rente Nachzahlung von
Differenzbeträgen seit Januar 2005 eingefordert hatte, und die entsprechende Klage der
Beklagten im Februar 2006 zugestellt worden ist, stellte die Beklagte im März 2006 die
Zahlungen zunächst ein. Seit April 2006 zahlt die Beklagte aufgrund einer vom LG
Potsdam erlassenen einstweiligen Verfügung monatlich 776,94 EUR an die Klägerin.
Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Ergänzend ist
auszuführen:
Herr R. S. hinterließ neben der Klägerin eine im März 1982 geborene Tochter, Frau J. S..
Im Verfahren 2 O 7/03 des Landgerichts Potsdam nahm Frau J. S. die Beklagte auf
Zahlung entgangenen Unterhalts für die Zeit bis einschließlich November 2004 in
Anspruch. Am 06.12.2004 verglichen sich Frau J. S. und die Beklagte auf einen
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Anspruch. Am 06.12.2004 verglichen sich Frau J. S. und die Beklagte auf einen
Zahlbetrag von 10.000,00 EUR zur Abgeltung rückständigen und zukünftigen
entgangenen Unterhalts. Frau J. S. hatte im Wintersemester 2003 erstmals ein Studium
aufgenommen. Sie studierte jedenfalls bis Mai 2006.
Die Klägerin hat gemeint, aufgrund des Vergleichs zwischen Frau J. S. und der Beklagten
sei eine Leistungspflicht der Beklagten gegenüber Frau J. S. entfallen, weshalb der ihr
zustehende entgangene Unterhalt ab Januar 2005 neu berechnet werden müsse und
richtiger Weise für die Zeit seit Januar 2005 monatlich 1.522,89 EUR betrage.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsschadens
von 1.157,51 EUR verpflichtet gesehen und auf dieser Grundlage rückständige und
laufende Unterhaltsforderungen der Klägerin zuerkannt. Es hat dabei unter anderem
ausgeführt:
Die Einwendung der Beklagten, der Klägerin habe kein Unterhaltsanspruch gegen Herrn
R. S. zugestanden, sei mangels Darlegung einer Tatsachengrundlage unzureichend.
Angesichts der von der Klägerin in Kopie vorgelegten Eheurkunde und der jahrelangen
Zahlungen könne die Beklagte nicht mit Nichtwissen bestreiten, dass die Klägerin mit
Herrn S. verheiratet gewesen sei. Infolge der über fast 23 Jahre vorgenommenen
Zahlungen könne sich die Beklagte ebenso wenig darauf berufen, dass die
Lebenserwartung des Herrn S. aufgrund seiner Krebserkrankung niedriger gewesen sei
als die eines gesunden Erwachsenen seines Alters, Herr S. wegen der Krebserkrankung
zumindest heute berufsunfähig wäre, und es nicht nachgewiesen sei, dass Herr S. in den
öffentlichen Dienst übernommen worden wäre, weil eine Negativ-Bescheinigung des
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR nicht
vorliegt.
Die geltend gemachte Schadensersatzforderung sei schon infolge der bis einschließlich
Februar 2006 erfolgten kontinuierlichen Rentenzahlungen der Beklagten nicht verjährt,
denn die Zahlungen seien als Anerkenntnis zu werten.
Ebenso müsse sich die Beklagte an den Berechnungsgrundlagen des
Unterhaltsanspruchs, wie sie über Jahre der gezahlten Rente zu Grunde gelegt wurden,
festhalten lassen. Es sei deshalb von einem Arbeitseinkommen des Herrn S. bei der
Charité in Höhe von 2.549,36 EUR auszugehen. Hiervon seien Aufwendungen für die
Vermögensbildung abzuziehen. Diese hat das Landgericht auf der Grundlage der für das
Einfamilienhaus anfallenden Darlehensraten abzüglich eines hälftigen ersparten fiktiven
Mietanteils berechnet.
In die Fixkostenberechnung müsse angesichts der von der Beklagten vorgenommenen
früheren Berechnungsweise u.a. eine fiktive Miete für das von der Klägerin bewohnte
Einfamilienhaus von 766,94 EUR (1.500,- DM) eingestellt werden.
Das errechnete für den Haushalt verfügbare fiktive Nettoeinkommen abzüglich Fixkosten
hat das Landgericht auf der Grundlage einer Alleinverdienerehe ohne
unterhaltsberechtigte Kinder nach einer Quote von 52,5 % (Herr S.) zu 47,5 % (Klägerin)
verteilt. Eine Unterhaltsverpflichtung für J. S. sei wegen des Abfindungsvergleichs in die
Quote nicht einzubeziehen. Dass die Klägerin im Jahr 1989 ihre Arbeitsstelle aufgab,
könne die Beklagte ihr nicht entgegenhalten, nachdem sie dies vor 2005 niemals
berücksichtigt hatte.
Gegen das ihr am 08.05.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 15.05.2006
beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung
eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum
08.08.2006 - mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie rügt
im Wesentlichen, das Landgericht habe die mutmaßliche Lebenserwartung sowie die
erzielbaren Einkünfte des Herrn S. unzutreffend bemessen, ein etwaiger Anspruch sei
verjährt, der Klägerin falle eine Erwerbsobliegenheit zur Last, die Abzüge für
Vermögensbildung seien unzutreffend bemessen und das Landgericht habe diverse
Fixkostenpositionen nicht ansetzen dürfen. Im Übrigen wiederholt und vertieft die
Beklagte ihren erstinstanzlichen Sachvortrag.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Im Wege der nach Fristsetzung zur Berufungserwiderung bis zum 21.09.2006 an diesem
Tag eingegangenen Anschlussberufung rügt sie, das Landgericht habe ihr monatlich
204,04 EUR zu wenig zugesprochen. Der Abzug der fiktiven Vorsorgeaufwendungen für
Herrn S. sei zu hoch, es dürften lediglich die Tilgungsleistungen für den zwecks Hausbau
in E. aufgenommenen Kredit von rund 200,00 EUR berücksichtigt werden. Bei
verschiedenen Fixkostenpositionen seien vom Landgericht vorgenommene Kürzungen
nicht gerechtfertigt.
Sie beantragt insoweit,
die Beklagte zu verurteilen, ihr über die vom Landgericht zuerkannten Beträge
hinaus weitere 2.448,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit
dem 18.02.2006 zu zahlen, sowie weitere 408,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %
über dem Basiszinssatz seit dem 22.03.2006, sowie eine weitere monatliche Geldrente
in Höhe von 204,04 EUR, beginnend mit dem 31.03.2006 und endend mit dem
22.08.2026.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Soweit das Landgericht die Klage abgewiesen hat, verteidigt die Beklagte das
angefochtene Urteil.
II.
Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO statthafte und zulässige Berufung hat
teilweise Erfolg; dementsprechend hat die gemäß § 524 ZPO ebenfalls zulässige
Anschlussberufung keinen Erfolg.
Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ist, da es seine Grundlage in einer im
Jahr 1983 im Gebiet der ehemaligen DDR erfolgten unerlaubten Handlung findet, das
ZGB anzuwenden, Art. 230, 232 § 10 EGBGB.
1) Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Rechtsvorgängerin der Beklagten
ist infolge der Tötung des Ehemanns der Klägerin beim Zugunglück vom 05.07.1983
gemäß § 345 Abs. 1, Abs. 2 ZGB entstanden. Da diese Rechtsnorm eine
Gefährdungshaftung für den Betrieb von Bahnen regelt, kommt es auf den Hergang des
Zugunglücks im Einzelnen und ein Verschulden des Zugführers nicht an. Näherer
Darlegungen der Klägerin zum Unfallgeschehen bedurfte es dementsprechend nicht.
Der Schadensersatz ist bei Tötung eines Menschen gemäß § 339 Abs. 2 ZGB gegenüber
unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen durch Ausgleich des durch den Verlust des
Unterhaltsanspruchs entstandenen Schadens zu leisten. Zu Recht ist das Landgericht
von einer Unterhaltspflicht des Herrn R. S. gegenüber der Klägerin gemäß § 12 FGB der
DDR ausgegangen. Soweit die Beklagte das Bestehen einer Ehe zwischen Herrn S. und
der Klägerin bestreiten will, ist dieser Vortrag widersprüchlich und damit unbeachtlich. Es
ist schon nicht von der Beklagten dargetan, dass oder weshalb die von der Klägerin in
Kopie zur Akte gereichte Eheurkunde unrichtig sein sollte. Darüber hinaus gab bereits
die D. durch ihr an die Klägerin gerichtetes Schreiben vom 05.07.1983 zu erkennen, für
die finanziellen Folgen des Unfalls gegenüber der Klägerin einstehen zu wollen. Sodann
erbrachte sowohl die D. als auch in der Folgezeit die Beklagte selbst
Schadensersatzleistungen gegenüber der Klägerin, wobei sie die Zahlbeträge nach dem
entgangenen (Ehegatten-) Unterhalt berechneten. Waren somit sowohl die Beklagte als
auch zuvor ihre Rechtsvorgängerin vorprozessual stets von einer bestehenden Ehe
zwischen Herrn S. und der Klägerin ausgegangen, so hätte die Beklagte für ein
erhebliches Bestreiten zumindest darzulegen gehabt, weshalb die Eheurkunde inhaltlich
unzutreffend sein und weshalb ihr eigenes früheres Verhalten nicht den tatsächlichen
Gegebenheiten entsprochen haben sollte.
2) Der von der Beklagten erhobene Einwand der Verjährung greift nicht durch.
Die Verjährung des Anspruchs der Klägerin begann gemäß § 475 Nr. 2 ZGB in dem
Zeitpunkt, in dem diese vom Entstehen des Anspruchs und von der Person des
Verpflichteten Kenntnis erlangte, was spätestens mit Erhalt des Schreibens der
Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 05.07.1983 der Fall war. Die Verjährungsfrist für
den Anspruch aus §§ 345, 339 Abs. 2 ZGB betrug zunächst 4 Jahre, § 474 Abs. 1 Nr. 3
ZGB. Dabei wurde der Fristenlauf allerdings jeweils monatlich durch die von der
Rechtsvorgängerin der Beklagten vorbehaltslos geleisteten Zahlungen unterbrochen, §
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Rechtsvorgängerin der Beklagten vorbehaltslos geleisteten Zahlungen unterbrochen, §
476 Abs. 1 Nr. 3 ZGB, so dass bis zum Inkrafttreten des BGB im Beitrittsgebiet keine
Verjährung eintreten konnte.
Mit Inkrafttreten des BGB im Beitrittsgebiet unterlag der Anspruch aus § 339 Abs. 2 ZGB
gemäß Art. 231 § 6 EGBGB, der insoweit als speziellere Vorschrift der Regelung des Art.
232 § 10 EGBGB vorgeht, der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB. Der
Fristenlauf wurde wiederum durch die monatlichen Zahlungen jeweils unterbrochen, §
208 BGB a. F., bzw. begann - nach Inkrafttreten des Gesetztes zur
Schuldrechtsmodernisierung - die Verjährung jeweils nach erbrachter Zahlung neu, §
212 BGB.
Der verjährungsunterbrechenden Wirkung der von der Beklagten bzw. von ihrer
Rechtsvorgängerin geleisteten Zahlungen standen keine bei Zahlung erklärten
Vorbehalte in dem Sinne, dass die Zahlungen ohne Anerkennung einer entsprechenden
Verpflichtung erfolgt wären, entgegen. Zunächst wurden sämtliche Zahlungen bis in das
Jahr 1999 hinein ohne jeden Vorbehalt erbracht. Soweit die Beklagte seit 1999 im
Schriftverkehr die von ihr vorgenommenen Zahlungen als Abschlagszahlungen
bezeichnete, lag darin ebenfalls kein der verjährungsunterbrechenden Wirkung der
Zahlungen entgegenstehender Vorbehalt. Der seit diesem Zeitpunkt vorgenommenen
Bezeichnung der Zahlungen als Abschlagszahlung ging nämlich voraus, dass die
Beklagte im Jahr 1999 Unterlagen und Nachweise von der Klägerin verlangt hatte,
ausweislich des ausdrücklichen Inhalts z.B. des Schreibens vom 17.06.1999 „zwecks
Neuberechnung Ihrer Haftpflichtausgleichsrente“. Nachdem die Klägerin die begehrten
Nachweise und Unterlagen vorgelegt hatte, schrieb die Beklagte unter dem 17.12.1999
„ist es nicht möglich, eine allumfassende, kurzfristige Prüfung dieser Unterlagen …
durchzuführen“ und kam in der Folgezeit auf die von ihr beabsichtigte Neuberechnung
insoweit nicht mehr zurück, als dass eine abschließende Neuberechnung eben nicht
erfolgte. Die gleichwohl erbrachten weiteren Zahlungen stellten damit ein Verhalten dar,
aus dem sich das Bewusstsein der Beklagten vom Bestehen des Anspruchs
unzweideutig ergab; dies genügt für eine verjährungsunterbrechende Wirkung einer
Zahlung (Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Auflage, § 212 Rn. 2).
3) Der Geltendmachung des Unterhaltsschadens für die Zeit ab 2005 kann die Beklagte
nicht entgegenhalten, dass Herr S. aufgrund seiner in 1983 diagnostizierten und
behandelten Krebserkrankung ohnehin bereits gestorben wäre, er - ebenfalls in Folge
dieser Erkrankung - berufsunfähig geworden wäre, oder er aufgrund einer
hypothetischen Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR gehindert wäre,
Arbeitseinkommen aus einer Tätigkeit in der Charité zu erzielen. Bei allen diesen zum
Einwand der überholenden Kausalität gehörenden Erwägungen obliegt die
Darlegungslast für diejenigen Umstände, aus denen die Beklagte das zwischenzeitliche
Erlöschen der Schadensersatzverpflichtung herleiten will, der Beklagten (vgl. BGH NJW
1972, 1515 für den Einwand des Versterbens des Unterhaltspflichtigen aufgrund einer
akuten Erkrankung; Palandt/Sprau, a.a.O., § 844 Rn. 12). Deren Tatsachenvortrag lassen
sich jedoch keine Fakten entnehmen, weshalb Herr S. nicht, wenn er nicht bei dem Unfall
gestorben wäre, auch heute noch bei der Charité sein Einkommen erzielen würde.
Anhaltspunkte für eine Tätigkeit des Herrn S. für die Staatssicherheit der DDR hat die
Beklagte nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass für Herrn S. keine Negativ-
Bescheinigung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der DDR ausgestellt wurde, lässt auch nicht auf dessen
Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR schließen.
Ebenso führt der Einwand der Beklagten, Herr S. wäre infolge seiner Krebserkrankung als
Röntgentechniker zumindest berufsunfähig geworden, nicht zu einem Ausschluss oder
einer Kürzung der Ansprüche der Klägerin. Wie die Charité in ihrem Schreiben vom
01.12.2004 bestätigt hat - dieses Schreiben hat Frau J. S. als Anlage zum Schriftsatz
vom 05.12.2004 in der vom Senat beigezogenen Verfahrensakte 2 O 7/03 des
Landgerichts Potsdam vorgelegt - wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge Herr S.
heutzutage als Klinikingenieur bei der Charité tätig. Weshalb eine Person, die früher
einmal an einer Krebserkrankung litt, zu einer Tätigkeit als Klinikingenieur nicht in der
Lage sein sollte, erschließt sich nicht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso Herr S. bei
einer solchen Tätigkeit zwingend Röntgenstrahlung ausgesetzt wäre.
Soweit die Beklagte mit ihrem Vorbringen geltend machen will, die bei Herrn S. im Jahr
1983 diagnostizierte und behandelte Krebserkrankung wäre nicht folgenlos ausgeheilt,
sondern Herr S. wäre an dieser Erkrankung alsbald verstorben, ist sie mit diesem
Vortrag nach den Grundsätzen des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum
proprium) ausgeschlossen. Der aus § 242 BGB hergeleitete Grundsatz des Verbots
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proprium) ausgeschlossen. Der aus § 242 BGB hergeleitete Grundsatz des Verbots
widersprüchlichen Verhaltens ist auch auf Schuldverhältnisse, die nach ZGB zu
beurteilen sind, anzuwenden (Palandt/Weidenkaff, a.a.O., Art. 232 § 1 Rn. 10). Danach ist
eine Rechtsausübung dann unzulässig, wenn sich die Person, die Rechte - hier den
Einwand überholender Kausalität - geltend machen will, damit in Widerspruch zu ihrem
früheren Verhalten setzt, obgleich sie ein berechtigtes und schutzwürdiges Vertrauen
der Gegenpartei hervorgerufen hat. Ein solches schutzwürdiges Vertrauen der
Gegenpartei besteht insbesondere dann, wenn die Gegenpartei im Vertrauen auf das
Verhalten des Gegners Vermögensdispositionen getroffen hat (vgl.
Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, Bearbeitung 2005, § 242 Rn. 286 ff.). Ein solcher
Fall liegt hier vor.
Charakteristisches Merkmal einer Krebserkrankung ist, dass die Krankheit - sofern sie
tödlich verläuft - innerhalb einiger Jahre zum Tod führt, hingegen - wenn sie erfolgreich
behandelt wird - bei einem Fehlen von Metastasen über einen Zeitraum von zumeist fünf
Jahren nach Behandlung der Patient als geheilt gilt. Die Beklagte handelte über einen
Zeitraum von fast 23 Jahren so, als wäre die Krebserkrankung des Herrn S. seinerzeit -
ohne seinen Unfalltod - folgenlos ausgeheilt, indem sie der Klägerin den entgangenen
Unterhalt als Schadensersatz zahlte. Obwohl sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin von der
Erkrankung Kenntnis hatte, zog sie ihre Unterhaltspflicht wegen der Krebserkrankung
des Herrn S. niemals in Zweifel. Sie hat vielmehr diesen Einwand erstmalig im Verlauf
dieses Prozesses geltend gemacht. Deshalb durfte die Klägerin annehmen, die Beklagte
werde einen Einwand, Herr S. wäre ohnehin alsbald an der Krebserkrankung gestorben,
nicht geltend machen. Ihr darauf gerichtetes Vertrauen ist umso mehr schutzwürdig, als
dass die Klägerin unter Einbeziehung des ihr zustehenden Schadensersatzanspruchs im
Jahr 2001, also nach einer über rund 18 Jahre dauernden Schadensersatzleistung, mit
dem Bau ihres Wohnhauses in E. eine Vermögensdispositionen vornahm, die sie in
Anbetracht ihrer sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht hätte tätigen können, und
für die sie in erheblichem Maße Kredite aufnahm, aus denen sie nunmehr gegenüber
den Banken verpflichtet ist.
Sollte das Vorbringen der Beklagten dahin aufzufassen sein, dass Herr S., wenn er nicht
schon wenige Jahre nach Vorliegen seiner Krebserkrankung gestorben wäre, zumindest
jetzt oder zeitnah zur Einstellung der Zahlungen seitens der Beklagten im Jahr 2006
verstorben wäre, so fehlt diesem Vorbringen jede Tatsachengrundlage. Ist ausgehend
von den langjährigen Schadensersatzleistungen der Beklagten die Klägerin so zu stellen,
als wäre die Krebserkrankung seinerzeit folgenlos ausgeheilt, so fehlt es an
Anhaltspunkten für eine erneute Krebserkrankung.
4) Der Höhe nach beläuft sich der monatliche Unterhaltsschaden der Klägerin auf
1.096,63 EUR. Obgleich wegen der vor dem 03.10.1990 erfolgten Tötung des Herrn S.
auch hinsichtlich der Rechtsfolgen der zum Schadensersatz verpflichtenden Norm auf
die Regelungen des ZGB abzustellen ist (vgl. Palandt/Weidenkaff, a.a.O., § 232 § 10 Rn.
2), kann, da die Regelungen der § 339 Abs. 2 ZGB und § 844 Abs. 2 BGB nach
Voraussetzungen und Rechtsfolge inhaltsgleich sind, auf die zu § 844 Abs. 2 BGB
entwickelte Rechtsprechung zurückgegriffen werden, zumal - wie bereits ausgeführt -
auch in diesen Altfällen die Wertungen des § 242 BGB einzubeziehen sind.
a) Bei der Berechnung des entgangenen Unterhalts ist somit als Ausgangspunkt
anzusetzen das tatsächliche Einkommen des Getöteten, das dieser wahrscheinlich ohne
den Tod erzielt hätte (Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Auflage,
Rn. 329). Das somit maßgebliche „Hätte-Netto-Einkommen“ des R. S. hat das
Landgericht zu Recht auf der Grundlage des mutmaßlichen Verdienstes bei der Charité
als Klinikingenieur bemessen. Bei Anwendung des dem Gericht durch § 287 ZPO
eingeräumten Schätzungsermessen sind Tatsachengrundlagen erforderlich, die eine
einigermaßen sichere Prognose ermöglichen, wie sich der Verdienst des Getöteten
mutmaßlich entwickelt hätte (BGH VersR 1986, 264 (265)). Derartige
Tatsachengrundlagen hat die Klägerin durch Vorlage des Schreibens der Charité vom
15.09.2004 (Anlage K7/8) vorgetragen. In diesem Schreiben hatte die Charité bestätigt,
dass Herr S. im Jahr 2004 unter Zugrundelegung des im Schreiben benannten Tarifs
netto 30.750,66 EUR jährliches Einkommen erzielt hätte. Darüber hinaus ergibt sich aus
dem in der beigezogenen Akte Landgericht Potsdam 2 O 7/03 vorliegenden weiteren
Schreiben der Charité vom 01.12.2004 (Anlage zum Schriftsatz vom 05.12.2004), dass
Herr S. bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge in der Charité weiterhin als Klinikingenieur
seine Beschäftigung gefunden hätte, und er mit dem im Schreiben vom 15.09.2004
benannten Tarif vergütet worden wäre.
Rechnerisch ergibt sich bei einem jährlichen Nettoeinkommen von 30.750,66 EUR ein
monatliches Einkommen von 2.562,56 EUR. Entgegen der Angabe der Klägerin, der
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monatliches Einkommen von 2.562,56 EUR. Entgegen der Angabe der Klägerin, der
monatliche entgangene Verdienst belaufe sich auf 2.549,36 EUR, ist das sich bei
richtiger Berechnung ergebende monatliche Einkommen zu berücksichtigen. Bei einem
Schadensersatzanspruch handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, in dessen
Berechnung verschiedene Rechnungspositionen einzustellen sind; in einem solchen Fall
darf das Gericht die Einzelposten verschieben, solange nur die Endsumme nicht
überschritten wird (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Auflage, § 308 Rn. 4).
b) Von dem Hätte-Netto-Einkommen sind vorab Vorsorgeaufwendungen des
Verpflichteten abzuziehen, da dem Unterhaltsverpflichteten die Berechtigung zusteht,
von seinem Einkommen Rücklagen für seine Altersvorsorge zu bilden (BGH NJW 2004,
2894 m.w.N; Küppersbusch aaO Rn. 332). Im hier vorliegenden Ausnahmefall kann nicht,
wie es regelmäßig erfolgt, ausschließlich auf die tatsächlichen, konkret vom
Verstorbenen erbrachten Vorsorgeaufwendungen abgestellt werden (vgl. dazu BGH
VersR 1987, 156), denn Herr S. verstarb zu einer Zeit, in der es nach der
Gesellschaftsordnung der DDR nicht von Bedeutung war, Rücklagen für die
Altersvorsorge zu bilden. Dementsprechend sind auch beide Parteien einverständlich der
Auffassung, dass Herr S., wäre er nicht verstorben, zum heutigen Zeitpunkt derartige
Vorsorge nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge innerhalb eines bestimmten
Umfangs treffen würde; der Streit der Parteien betrifft lediglich die Höhe der
angemessenen Vorsorgeaufwendungen.
Der Höhe nach ist gemäß § 287 ZPO lediglich der von der Klägerin zugestandene Betrag
von 200,00 EUR anzusetzen. Zum einen steht dieser Betrag in einem angemessenen
Verhältnis zum Hätte-Netto-Einkommen von 2.562,56 EUR und dem hypothetischen
Bedürfnis des Herrn S., neben der gesetzlichen Rentenversicherung heute private
Altersvorsorge zu betreiben. Zum anderen steht der Betrag in einer realistischen
Beziehung zu den Möglichkeiten, die Herr S. unter Zugrundelegung der Gegebenheiten
im Todeszeitpunkt - seinerzeit bewohnte die Familie eine Neubauwohnung von ca. 102 m
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- hypothetisch zum heutigen Zeitpunkt hätte. Ausgehend von dem damals von Herrn
S. zugrunde gelegten Komfort- und Wohnbedarf erscheint es auch für die heutige Zeit
als nicht unwahrscheinlich, dass Herr S. eine Vermögensvorsorge durch Erwerb eines
Einfamilienhauses vorgenommen hätte. In einem solchen Fall wäre die monatliche
Tilgung als Vorsorgeaufwendung vom Einkommen abzuziehen (vgl. BGH VersR 1986,
264 (265)), die ebenfalls auf durchschnittlich 200,00 EUR geschätzt werden kann.
Soweit die Beklagte weitere Vorsorgeaufwendungen etwa für Lebens- private Renten-,
Haftpflicht- und Berufungsunfähigkeitsversicherungen angesetzt sehen will, erscheint
dies in Anbetracht des verfügbaren Hätte-Netto-Einkommens weder als angemessen,
noch bestehen Anhaltspunkte, dass Herr S. in dieser Form Vermögensbildung betrieben
hätte.
c) Die berücksichtigungsfähigen Fixkosten belaufen sich auf insgesamt 842,06 EUR. Es
sind folgende Positionen einzustellen:
aa) Mietbedarf
Der durch Eigentum an einem Einfamilienhaus abgedeckte Wohnbedarf der Klägerin
kann nicht, wie die Parteien von den zumeist vorliegenden Fällen mehrerer
Hinterbliebener ausgehend (vgl. BGHZ 137, 237 (240); BGH NJW-RR 1990, 221; BGH
VersR 1986, 264 (265)) übereinstimmend annehmen, mit dem angemessenen Mietwert
des Hauses berücksichtigt werden. Der Bedarf eines Hinterbliebenen für die
Wohnraumbeschaffung findet vielmehr eine Obergrenze im unterhaltsrechtlich
geschuldeten Standard (BGH NJW-RR 1990, 221). Nachdem Frau J. S. nicht mehr bei der
Klägerin wohnt, ist die Klägerin im Verhältnis zum Verstorbenen wie eine alleinstehende
Witwe zu behandeln. Für eine alleinstehende Person übersteigt die Nutzung eines
Einfamilienhauses indessen den unterhaltsrechtlichen Bedarf (BGH NJW-RR 1987, 538 für
den Unterhaltsanspruch der seit dem Auszug des Sohnes alleinstehenden im
Einfamilienhaus lebenden Witwe; Brandenburgisches OLG ZfS 1999, 330 (332) zum
Auszug der unterhaltsberechtigten Kinder aus dem Haushalt). In einer solchen
Konstellation hat der überlebende alleinstehende Ehegatte lediglich einen Anspruch auf
Einstellung des Mietwerts für eine nach Zuschnitt und Bequemlichkeit vergleichbare
Wohnung angemessener Größe. Angemessen erscheint, da ein besonderes
Raumbedürfnis der Klägerin nicht dargetan ist, für ihren Ein-Personenhaushalt eine
Wohnungsgröße von ca. 50 m
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(vgl. BGH NJW-RR 1987, 539; BGH, Urteil vom
03.07.1984, VI ZR 42/83). Näherer Vortrag zu einem höheren Raumbedürfnis ist auch
nicht dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 08.11.2006 zu entnehmen, so dass es
der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO nicht bedarf.
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Die fiktive Miete einer derartigen Wohnung kann gemäß § 287 ZPO unter
Zugrundelegung der einschlägigen Mietspiegel bemessen werden (BGH VersR 1988, 954
(956); BGH NJW-RR 1987, 538 (539)). Ausweislich des seit dem 01.08.2005 geltenden
Mietspiegels der Stadt E. ist für eine Neubauwohnung in E. in der Größe zwischen 49 und
75,99 m
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eine Miete in einer Spanne von 4,90 - 7,00 EUR/m
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angemessen. Da die
Klägerin aufgrund der Wohnsituation während ihres Zusammenlebens mit ihrem Mann
eine komfortable Wohnung beanspruchen kann, erscheint ein Ansatz oberhalb des
Mittelwertes von 6,50 EUR als angemessen. Dies ergibt eine fiktive Miete von 325,00
EUR.
Der von der Klägerin angenommene Betrag von 766,94 EUR ist auch nicht deshalb
einzustellen, weil sich die Parteien im Jahr 2001 anlässlich geführter Verhandlungen über
die Höhe des Anspruchs dahingehend gebunden hätten. Eine derartige Vereinbarung
mit Bindungswirkung für die Zukunft lässt sich weder dem Vorbringen der Klägerin noch
dem von ihr vorgelegten Schriftwechsel entnehmen. Ebenso ist die Beklagte nicht nach
den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, die über lange Jahre gezahlte Rente
weiterhin unter Festschreibung seinerzeit angesetzter Fixkostenpositionen zu zahlen,
weil sich die Klägerin auf eine Rentenzahlung in bestimmter Höhe eingerichtet hat.
Soweit die Klägerin insoweit auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 94,
56) zurückgreift, verkennt sie, dass es in dem dort vorliegenden Fall um eine dem
öffentlichen Recht angenäherte Rentenzahlungspflicht ging, hier dagegen der
hypothetische Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren verstorbenen Ehemann die
Grundlage des Anspruchs bildet. Ein Unterhaltsanspruch ist jedoch seiner Natur nach
Veränderungen und Anpassungen an die Entwicklung der Lebensverhältnisse
unterworfen.
bb) Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Schornsteinfeger
Neben den Kosten der fiktiven Miete kann die Klägerin einen Ansatz für solche auf den
Wohnbedarf entfallenden Fixkosten beanspruchen, die nicht schon in der angesetzten
Miete enthalten sind. Da Mietspiegel regelmäßig Nettokaltmieten ausweisen
(Palandt/Weidenkaff, a.a.O., § 558 c Rn. 2), sind die im Rahmen einer Bruttomiete
regelmäßig von einem Mieter zu zahlenden anteiligen Kosten für Grundsteuer,
Gebäudeversicherung und Schornsteinfeger berücksichtigungsfähig. Entgegen der Rüge
der Beklagten handelt es sich bei diesen Positionen auch um Fixkosten, da Beträge
hierfür ebenfalls erbracht werden müssten, wenn Herr S. nicht verstorben wäre; es geht
gerade um Kosten, die nach dem Versterben des Unterhaltsverpflichteten
„weiterlaufen“. Da die von der Klägerin dargelegten Kosten in ihrer Höhe aber an ihre
Wohnfläche von 104 m
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anknüpfen, der Klägerin jedoch nur ein Wohnbedarf von ca. 50
m
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zusteht, können jeweils nur die Hälfte der nachgewiesenen Kosten angesetzt
werden. Deshalb ergibt sich für Grundsteuer ein Betrag von 6,56 EUR, für
Gebäudeversicherung ein Betrag von 3,85 EUR und für den Schornsteinfeger ein Betrag
von 1,55 EUR.
cc) Wasser, Abwasser, Strom
Auch die Kosten für Wasser, Abwasser und Strom sind als typische Fixkosten
anzusetzen. Bei ihrer Bemessung sind die von der Klägerin in der Berufungsinstanz
erstmals eingereichten neuen Belege zu berücksichtigen. Da die Klägerin durch das
Landgericht nicht auf die Unstimmigkeiten in ihren Rechenansätzen im Verhältnis zu den
erstinstanzlich eingereichten Belegen hingewiesen wurde, ist ihr die Möglichkeit neuen
Vorbringens eröffnet, § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Unter Zugrundelegung der
Gebührenbescheide für Wasser und Abwasser vom 17.10.2005 und vom 21.10.2005
ergeben sich monatliche Zahlbeträge von jeweils gerundet 60,00 EUR, und aus der
Rechnung für Strom vom 17.10.2005 ergibt sich ein monatlich einzustellender Betrag
von 60,00 EUR. Diese Beträge unterliegen, da es vorrangig um Verbrauchskosten geht,
keiner Kürzung wegen des verringerten Wohnbedarfs.
dd) Gas
Von dem sich ebenfalls aus der zu berücksichtigenden Rechnung für Gas vom
17.10.2005 ergebenden monatlichen Zahlbetrag von 75,52 EUR können hingegen nur
2/3 der Kosten angesetzt werden. Kann nämlich die Klägerin angesichts ihres
angemessenen Unterhaltsbedarfs nur die Kosten einer kleineren Wohnung als fiktive
Miete in die Fixkosten einstellen, so beschränkt sich auch der von der Wohnungsgröße
abhängige Bedarf für Heizkosten auf den entsprechenden Teil der ihr tatsächlich
entstandenen Kosten. Dieser ist angesichts der bei Gas üblicherweise von den
Versorgern berechneten Grund- und Verbrauchskosten auf 2/3 der derzeitigen Kosten
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Versorgern berechneten Grund- und Verbrauchskosten auf 2/3 der derzeitigen Kosten
der Klägerin zu schätzen. Anzusetzen sind mithin monatlich 50,35 EUR.
ee) Tageszeitung und Internetzugang
Die Kosten für eine Tageszeitung (monatlich 17,20 EUR) sind berücksichtigungsfähig.
Anerkanntermaßen gehört zum angemessenen Unterhalt auch die Eröffnung von
Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten durch Zeitung und Rundfunk
(BGH VersR 1988, 954 (955)). Der Berücksichtigung des Zeitungsabonnements steht
auch nicht entgegen, dass die Klägerin das Abonnement zwischenzeitlich gekündigt
hatte. Lag der Grund der Kündigung im Bestreben nach Kosteneinsparung angesichts
der Einstellung der Rentenzahlung der Beklagten, so lässt die Kündigung des
Zeitungsabonnements nicht auf eine Verringerung des Informationsbedürfnisses der
Klägerin schließen.
Nicht berücksichtigungsfähig ist der Internetzugang über T-DSL. Zwar soll nicht verkannt
werden, dass ein Informationsbedürfnis über einen Internetzugang abgedeckt werden
kann, und nach entsprechenden statistischen Erhebungen mittlerweile rund 57 % der
Frauen in Deutschland einen privaten Internetzugang nutzen (VG Stuttgart, Urteil vom
16.02.2006, 12 K 5442/04 unter Bezugnahme auf eine Presseinformation der
Forschungsgruppe Wahlen vom 11.01.2006). Daraus ergibt sich aber nicht schon, dass
die Nutzung eines Internetzugangs zum allgemeinen Standard gehört. Ebenso wenig
sind besondere, in der Person der Klägerin oder ihrer Lebensführung liegende Umstände
erkennbar, aufgrund derer die Klägerin auf einen Internetzugang angewiesen wäre. Nur
in einem solchen Fall könnte angenommen werden, dass der private Internetzugang
zum unterhaltsrechtlichen Bedarf der Klägerin gehörte (vgl. Schleswig-Holsteinisches
Verwaltungsgericht, Urteil vom 03.09.2004, 7 B 127/04 und VG Stuttgart a.a.O.: Kosten
des Internetzugangs gehören nur bei besonderen, personenabhängigen Gründen zum
Lebensunterhalt nach dem BSHG).
ff) Neuanschaffungen im Haushalt
Auch Kosten für Neuanschaffungen für den Haushalt können als Fixkosten berücksichtigt
werden (OLG Brandenburg NZV 2001, 213 (214)). Ihre Höhe kann gemäß § 287 ZPO
geschätzt werden, wobei Anschaffungskosten und Lebensdauer von Möbeln und
Hausratsgegenständen in ein angemessenes Verhältnis zum zu berücksichtigenden
Nettoeinkommen des Verstorbenen gestellt werden müssen. Hier erscheint ein Ansatz
von monatlich 100,00 EUR als angemessen und ausreichend. Dies entspricht auch in
etwa der seinerzeit von der Beklagten angesetzten Rechengröße von 200,- DM.
gg) Hausratsversicherung und Privathaftpflicht
Die Hausratsversicherung (monatlich 9,18 EUR) und die Privathaftpflicht (4,57 EUR) sind
zu berücksichtigen, obwohl sie nicht schon vor dem Tod des Herrn S. abgeschlossen
worden waren, ihre Kosten mithin nicht „weiterliefen“, wie es regelmäßig für den
Fixkostenansatz zu fordern ist. Insoweit ist wiederum die Besonderheit einer noch zu
Zeiten vor dem Beitritt der neuen Bundesländer begründeten Schadensersatzpflicht zu
berücksichtigen. Die durch die Wiedervereinigung veränderten Lebensverhältnisse
brachten es mit sich, dass nunmehr Risiken abzusichern sind, an welche die Einwohner
der DDR seinerzeit nicht denken mussten. Maßgeblich ist in dem hier vorliegenden
Ausnahmefall deshalb, ob eine derartige Versicherung vom Maß des angemessenen
Unterhalts abgedeckt ist und ob angenommen werden kann, dass auch der Getötete
nach der Wiedervereinigung eine derartige Versicherung abgeschlossen hätte. Das ist
angesichts der Üblichkeit derartiger Versicherungsverträge der Fall.
Hinsichtlich der Privathaftpflicht ist das Versicherungsbedürfnis auch nicht durch den Tod
des Herrn S. ausgeschlossen. Prämien zu Versicherungen sind als fixe Kosten
anzuerkennen, soweit sie den Schutz der Familie sicherstellen (OLG Brandenburg NZV
2001, 213 (215)). Privathaftpflichtversicherungen decken üblicher Weise das Risiko einer
Schadenshaftung beider Ehegatten ab, es handelt sich mithin gerade nicht um eine an
die Person eines der Ehegatten gebundene Ausgabe.
hh) Kfz-Steuer, -Versicherung, -Instandsetzung; ADAC- Mitgliedschaft und -Rechtsschutz
Die Fixkosten für Kfz-Steuer, Kfz-Versicherung, ADAC-Mitgliedschaft und ADAC-
Rechtsschutz hat das Landgericht zu Recht angesetzt. Ob Herr S. seinerzeit über ein
Kraftfahrzeug verfügte oder nicht, ist dabei nicht streitentscheidend. Selbst wenn
unterstellt würde, er hätte seinerzeit über keinen PKW verfügt, wäre das nach den
Lebensverhältnissen der DDR nicht unüblich gewesen. Es entspricht aber nicht mehr
dem heutigen Standard, in dem ein in der Familie vorhandener PKW regelmäßig ein
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dem heutigen Standard, in dem ein in der Familie vorhandener PKW regelmäßig ein
bestimmender Faktor für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung in der Familie ist (BGH
VersR 1988, 954 (956)). Deshalb gehören zum angemessenen Unterhalt der Klägerin
auch in Anbetracht des hypothetisch verfügbaren Nettoeinkommens des Herrn S. die
Nutzungsmöglichkeit über ein Kfz und somit die hierdurch üblicherweise verursachten
Kosten.
Die Kfz-Steuer ist in Anlehnung an den bereits erstinstanzlich zum Prozesskostenhilfe-
Beiheft gelangten Bescheid des Finanzamtes E. vom 30.06.2005 auf monatlich 25,17
EUR zu schätzen. Zwar fällt die Steuer ausweislich des Belegs in dieser Höhe erst seit
dem 28.07.2005 an; zuvor war sie geringfügig niedriger. Angesichts des in die Zukunft
gerichteten Ausspruchs der Unterhaltsrente und des Schätzungsermessens des
Gerichts können die betreffenden Kosten jedoch einheitlich mit 25,17 EUR angesetzt
werden. Für die Kfz-Versicherung sind in Anbetracht der eingereichten Belege 22,57 EUR,
für die ADAC-Mitgliedschaft 3,66 EUR und für den ADAC-Rechtsschutz 3,14 EUR
einzustellen. Die Kosten für Kfz-Instandsetzung können mit den vom Landgericht
angenommenen 50,00 EUR berücksichtigt werden, nachdem weder Berufung noch
Anschlussberufung den Rechenansatz der Höhe nach angreifen.
ii) Telefon, Rundfunk
In die Berechnung einzustellen sind ferner die von der Berufung nicht angegriffenen
Kosten Grundgebühr Telefon (19,94 EUR) und Rundfunkgebühren (16,15 EUR).
jj) Abfall/Straßenreinigung
Auch ohne entsprechenden Angriff in der Berufung sind die angesetzten Kosten für
Abfall/Straßenreinigung (9,50 EUR) um 2/3 zu kürzen, da der Kostenansatz der Klägerin
in Anbetracht des von ihr eingereichten Abgabenbescheids vom 06.01.2005 nicht
schlüssig ist. Aus ihm ergibt sich nämlich, dass der Versorgungsträger für drei Personen
personenbezogene Gebühren berechnet. Da die Klägerin jedoch im Verhältnis zum
verstorbenen Herrn S. wie eine alleinlebende Witwe zu stellen ist, verbleibt ein
Kostenansatz für Abfall/Straßenreinigung von 3,17 EUR.
d) Zu Recht hat das Landgericht seiner Unterhaltsberechnung eine Alleinverdienerehe
ohne unterhaltsberechtigte Kinder zu Grunde gelegt und das nach Abzug der
Vorsorgeaufwendungen und der Fixkosten verfügbare Einkommen im Verhältnis 52,5 %
zu 47,5 % verteilt.
Eine Einbeziehung der Kinder M. und N. kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil
diese angesichts ihrer Geburtsdaten (1972 und 1975) inzwischen ein Alter erreicht
haben, in dem Kinder üblicher Weise keine Unterhaltszahlungen mehr von ihren Eltern
beanspruchen, und für einen Ausnahmefall von den Parteien nichts dargetan ist. Dass
die weitere Tochter der Klägerin L. angesichts ihres Geburtsdatums (1986) keine Tochter
des Herrn S. sein kann, liegt ebenfalls auf der Hand.
Frau J. S. als Tochter des Verstorbenen ist bei der Unterhaltsberechnung ebenfalls nicht
zu berücksichtigen. Zwar käme bei Frau J. S., die nach den Behauptungen der Klägerin
ihr Studium im Mai 2006 abbrach, dem Grunde nach eine gesetzliche
Unterhaltsverpflichtung jedenfalls noch bis zum 30.05.2006 in Betracht. Auch vor diesem
Zeitpunkt war indessen eine Schadensersatzpflicht der Beklagten gegenüber Frau J. S.
aufgrund des im Verfahren Landgericht Potsdam 2 O 7/03 geschlossenen Vergleichs
vom 06.12.2004 mit Wirkung ab dem 01.01.2005 ausgeschlossen. Die
Schadensersatzpflicht der Beklagten war aber an die Stelle des Unterhaltsanspruchs
getreten, den Frau J. S. gegen ihren Vater hatte. Damit ist die Beklagte für die Zeit ab
Wegfall ihrer Schadensersatzpflicht gegenüber Frau J. S. so zu stellen, wie sie stünde, als
wäre die Unterhaltsverpflichtung des Herrn R. S. gegenüber Frau J. S. weggefallen. Die
Beendigung der Leistungspflicht der Beklagten gegenüber Frau J. S. zum 01.01.2005
führte mithin zur Veränderung ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin
dahingehend, als dass das verfügbare Nettoeinkommen im Sinne einer
Alleinverdienerehe ohne Kinder aufzuteilen ist.
Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte mit dem Zahlbetrag auch den
Unterhaltsschaden für die Zukunft abgefunden hat. Welcher Teil rechnerisch auf den
Zukunftsschaden entfiel und dass unter Zugrundelegung des tatsächlich geschuldeten
Betrags überhaupt ein Unterhalt auf die Zukunft gezahlt worden ist, lässt sich dem
Parteivortrag der Beklagten schon nicht entnehmen. Darüber hinaus war es die
Entscheidung der Beklagten, ggf. vorweg Ansprüche der Frau J. S. zu bezahlen, oder
vielleicht auch nur die Auseinandersetzungen über den Zahlbetrag zu beenden. Die
Beklagte ist deshalb nicht besser zu stellen, als wenn feststünde, dass Herr S. seit
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Beklagte ist deshalb nicht besser zu stellen, als wenn feststünde, dass Herr S. seit
Januar 2005 keinen Unterhalt mehr für seine Tochter schuldete.
Die Verteilung nach einer Quote von 52,5 % zu 47,5 % bei einer Alleinverdienerehe ohne
unterhaltspflichtige Kinder ist nicht unüblich und wird von den Parteien auch nicht
angegriffen.
e) Ein fiktives Einkommen der Klägerin ist nicht zu berücksichtigen. Auch wenn die
Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls ihres Ehemanns berufstätig war, so verstößt sie nicht
gegen eine Erwerbsobliegenheit, wenn sie heute nicht berufstätig ist. Angesichts der
Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und der Vielzahl der von der Klägerin vorgelegten
Bewerbungs- nebst Ablehnungsschreiben begegnet die Angabe der Klägerin, sie finde
keine Arbeit, keinen Bedenken. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin im
Jahr 1989 ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hat. Dass die Klägerin bis heute beim VEB E.
T. oder dessen evt. vorhandenen Rechtsnachfolger arbeiten könnte, behauptet die
Beklagte selbst nicht.
Der Unterhaltsschaden der Klägerin ergibt sich somit für die Zeit ab 01.01.2005 aus der
folgenden Berechnung:
Hätte-Netto-Verdienst
abzüglich Aufwendungen Vermögensbildung
abzüglich Fixkosten
verbleibt einzusetzendes Einkommen
Davon stehen der Klägerin 47,5 % zu, mithin
Zuzüglich Fixkosten
ergibt einen Unterhaltsschaden von monatlich
abzüglich Witwenrente
verbleibt ein laufender monatlicher Unterhaltsschaden von
Für das Jahr 2005, in dem die Beklagte monatlich 766,94 EUR gezahlt hat, ergibt sich
eine Nachforderung der Klägerin von 3.956,28 EUR. Für die Monate Januar und Februar
2006, in denen die Beklagte monatlich 500,00 EUR gezahlt hat, ergibt sich ein
Nachzahlungsanspruch der Klägerin von 1.193,26 EUR.
Den von der Beklagten ab April 2006 erbrachten Zahlungen kommt - jedenfalls zum
gegenwärtigen Zeitpunkt - keine Tilgungswirkung zu. Zahlungen aufgrund eines im
einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Titels führen wegen der Vorläufigkeit derartiger
Titel nicht schon zum teilweisen Erlöschen einer Forderung (Erman/H.P.Westermann,
BGB, 10. Auflage, § 362 Rn. 14). Insoweit wird es vielmehr der Beklagten obliegen, Sorge
zu tragen, dass die erbrachten Zahlungen Erfüllungswirkung erhalten.
Die Schadensersatzpflicht der Beklagten endet, wie die Parteien nicht angreifen, unter
Rückgriff auf eine mutmaßliche Lebenserwartung des Herrn S. von 74 Jahren, wie sie sich
aus der im Jahr 1983 geltenden Sterbetafel ergibt, und somit am 22.08.2026.
Der jeweilige Zinsanspruch hinsichtlich der Rückstände ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291
BGB. Insoweit sind die Vorschriften des BGB auf das unter der Geltung des ZGB
begründete Dauerschuldverhältnis über Art. 229 § 5 EGBGB anwendbar.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe für die Zulassung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO
nicht vorliegen. Im Hinblick darauf, dass die vorliegende Entscheidung einen Einzelfall
betrifft, hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Revisionsgericht.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 90.551,43 EUR festgesetzt.
Es entfallen auf die Berufung 75.452,47 EUR (Rückstände bis Februar 2006: 6.001,87
EUR, Leistungen ab 31.03.2006 gemäß § 42 Abs. 2 GKG: 69.450,06 EUR). Auf die
Anschlussberufung entfallen 15.098,96 EUR (Zahlung 2.856,56 EUR, Rente 12.242,40
EUR).
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