Urteil des OLG Brandenburg vom 10.07.2008

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 10/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 46 StGB, § 47 StGB, § 261
StPO, § 267 Abs 3 S 2 StPO
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Erforderlichkeit von
Strafzumessungserwägungen; fehlende Ermittlung des
Wirkstoffgehalts der Betäubungsmittel bei Handeltreiben in
geringer Menge
Tenor
Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Königs
Wusterhausen vom 10. Juli 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Königs
Wusterhausen - Jugendschöffengericht - zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als
offensichtlich unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Königs Wusterhausen hat den Angeklagten mit Urteil vom 10. Juli 2008
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung
verurteilt und vom Vorwurf weiterer sechs Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln freigesprochen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, die mit näheren
Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom
27. Januar 2009 die Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt.
II.
Die (Sprung-) Revision des Angeklagten ist nach §§ 333, 335 StPO statthaft und auch im
Übrigen zulässig (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO). Die Revision hat in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Soweit sich die Sachrüge gegen den Schuldspruch richtet, ergibt die Überprüfung des
Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, weshalb die Revision insoweit
auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gemäß § 349 Abs. 2
StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist.
a) Insbesondere ist gegen die folgende Feststellung des Amtsgerichts nichts zu erinnern:
„…
Die Individualisierung und Konkretisierung einzelner Straftaten nach genauer Tatzeit und
exaktem Geschehensablauf unterliegen in Fällen wie den vorliegenden sich mehrfach
wiederholender, gleichförmiger Geschehensabläufe häufig Feststellungsschwierigkeiten.
In diesen Fallgestaltungen dürfen an die Ausführungen in den Urteilsgründen zu den
einzelnen Taten keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Notwendig ist
allerdings die Feststellung einer Mindestzahl ihrer Begehung nach konkretisierten
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allerdings die Feststellung einer Mindestzahl ihrer Begehung nach konkretisierten
Einzeltaten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (vgl. BGH St 42, 107).
Diesen Anforderungen genügen die Feststellungen des Amtsgerichts zur Begehung
mindestens zwei weiterer Verkäufe des Angeklagten an den Zeugen F. von zirka 16g
Marihuana zum Preis von jeweils 45,-- € in der Zeit vom 01. November 2005 bis zum 05.
Juli 2006 (Fälle 3 und 4).
b) Auch soweit die Revision ausdrücklich die Beweiswürdigung des Tatgerichts angreift,
bleibt ihr der Erfolg versagt.
Die Revision vermisst hinsichtlich der Anzahl der Betäubungsmittelverkäufe an den
Zeugen F. vor dem 05. Juli 2007 die Erörterung der (abweichenden) Aussagen des
Belastungszeugen …. im Ermittlungsverfahren und in der ausgesetzten
Hauptverhandlung vom 06. März 2008 in den Urteilsgründen. Der Senat sieht hierin
keinen Verstoß gegen § 261 StPO.
Die Revision kann grundsätzlich nicht mit der Behauptung gehört werden, das Tatgericht
habe sich mit einer bestimmten Aussage einer Beweisperson nicht auseinandergesetzt,
wenn diese Aussage sich nicht aus dem Urteil selbst ergibt. Denn es ist allein Sache des
Tatgerichts, die Ergebnisse der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen; der
dafür bestimmte Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur
Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht (vgl. BGH in StV
1992, 549f. m.w.N.) Hier ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass und wie sich
der Zeuge …. im Ermittlungsverfahren bzw. in einer vorangegangenen, aber
ausgesetzten Hauptverhandlung zur Anzahl der Betäubungsmittelankäufe vom
Angeklagten in einer Weise geäußert hat, die zu seiner Aussage in der
Hauptverhandlung in einem (nicht lösbaren) Widerspruch steht.
Die Revision kann auch nicht mit dem Vortrag Erfolg haben, das Tatgericht habe es
entweder unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht unterlassen, die frühere Aussage in
die Hauptverhandlung einzuführen oder aber es habe sich fehlerhaft mit einer in die
Hauptverhandlung eingeführten wesentlichen Tatsache in den Urteilsgründen nicht
auseinandergesetzt. Diese Argumentation läuft auf die unzulässige Rüge der
"Aktenwidrigkeit" der Urteilsgründe hinaus.
Es ist festzuhalten, dass die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erfolgt und
danach die Feststellungen zu treffen und die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen
sind. Das geschieht unter Berücksichtigung entgegenstehender oder
übereinstimmender Umstände, die sich aus den Akten ergeben und die durch
Verlesung, Vorhalt oder Aussagen von Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung
eingeführt werden können. Maßgebend ist dann aber der Eindruck in der
Hauptverhandlung. Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind,
wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen ergeben, für sich allein revisionsrechtlich
unerheblich. Sie können eine solche Erklärung gefunden haben, dass für das Tatgericht,
dem die Entscheidung hierüber zusteht, kein Anlass bestand, sie als wesentliche Punkte
in der Beweiswürdigung zu erörtern. Ein Erörterungsmangel im Sinne des § 261 StPO
liegt daher nur dann vor, wenn sich ein Widerspruch aus dem Urteil selbst ergibt und in
den Urteilsgründen nicht ausgeräumt wird (vgl. BGH a.a.O.).
Das Herausgreifen und Beurteilen eines Aktendetails, das im Urteil keine Stütze findet,
kann ohne Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts und ohne Kenntnis dessen, was
in der Hauptverhandlung im Einzelnen geschehen ist, zu falschen Ergebnissen führen.
Die Überprüfung dieses Revisionsangriffs müsste deswegen regelmäßig den gesamten
Akteninhalt und den Inhalt der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung
berücksichtigen und rekonstruieren. Solches widerspricht der Ordnung des
Revisionsverfahrens (vgl. BGHSt 17, 351, 352; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess,
7. Aufl., Rn. 247 m.w.N.).
c) Zudem gefährdet das Fehlen von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht den
Schuldspruch, sofern – wie hier – das Vorliegen einer nicht geringen Menge nach den
Urteilsfeststellungen nicht in Betracht kommt (vgl. Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29, Rn. 717,
726).
2. Jedoch ergibt die durch die erhobene Sachrüge veranlasste Überprüfung, dass der
Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils keinen Bestand haben kann.
Die Urteilsfeststellungen zur Strafzumessung (§ 46 StGB) sind lückenhaft. Sie bieten
keine tragfähige Grundlage für die Prüfung des Revisionsgerichts, ob das Recht richtig
angewendet worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 337, Rn. 21; OLG
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angewendet worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 337, Rn. 21; OLG
Düsseldorf, in NStZ 1988, 325).
Zwar ist es grundsätzlich Sache des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden
Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit
gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen,
sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in
der Regel nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das
Tatgericht einen falschen Strafrahmen wählt oder die ihm nach § 46 StGB obliegende
Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände verletzt,
insbesondere rechtlich anerkannte Strafzwecke nicht beachtet, sich von
Gesichtspunkten leiten lässt, die der Strafzumessung nicht zugrunde gelegt werden
dürfen, oder wenn sich die Strafe so weit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung
löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums
liegt, der dem Tatgericht bei der Strafzumessung eingeräumt ist (vgl. Meyer-Goßner,
a.a.O., Rn. 34f.; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 46 Rn. 146ff.; Dahs/Dahs, a.a.O., Rn. 440). Im
Hinblick auf diesen Spielraum ist eine exakte Richtigkeitskontrolle der Strafzumessung
des Tatgerichts ausgeschlossen; in Zweifelsfällen muss danach dessen Strafzumessung
von dem Revisionsgericht hingenommen werden (vgl. BGHSt 29, 319, 320 m.w.N.).
Vorliegend ist indes selbst eine so eingeschränkte Überprüfung der Strafzumessung
nicht möglich, weil das Amtsgericht seine Zumessungserwägungen nicht in einem eine
Nachprüfung ermöglichenden Umfang dargelegt hat.
Das Amtsgericht hat sich darauf beschränkt, die festgesetzten Einzelstrafen und die
Gesamtstrafe mitzuteilen. Den Ausführungen zur Strafzumessung ist lediglich zu
entnehmen, dass das Gericht gemäß seiner vorgenommenen Nummerierung für die 1.
Tat eine Einzelgeldstrafe von 40 Tagessätzen, für die zweite Tat von 50 Tagessätzen, für
die 3. Tat dann eine kurze Einzelfreiheitsstrafe von zwei und für die 4. Tat schließlich von
drei Monaten festgesetzt hat. Eine Strafzumessung – ein Abwägen der bestimmenden
mildernden und belastenden Gründe für die gewählten Strafmaße – enthalten die
Urteilsgründe indes nicht.
Der aus dem Darlegungsmangel resultierende Konflikt des Senats im Rahmen der
Prüfung der Strafzumessung auf mögliche Rechtsfehler zeigt sich augenscheinlich daran,
soweit das Amtsgericht nicht ausgeführt hat, weshalb es für die vier Verkaufsfälle eine
derartige Differenzierung im Strafmaß (von einer noch geringen Geldstrafe bis zu einer
kurzen Freiheitsstrafe) vorgenommen hat, obwohl sich die Betäubungsmittelverkäufe
nach den getroffenen Feststellungen nicht in signifikanter Weise unterscheiden. Es bleibt
daher nur zu vermuten, dass hierfür der Zeitpunkt der Tatbegehung eine Rolle gespielt
und das Amtsgericht entsprechend seiner Aufzählung die Einzelstrafen jeweils verschärft
hat. Eine solche Vorgehensweise wäre indes schon deshalb rechtlich bedenklich, weil die
vom Amtsgericht fortlaufende Fallaufzählung nicht der chronologischen Reihenfolge der
Straftaten entspricht. Denn tatsächlich folgte die 1. Tat, deren Tatzeit der 17. Juli 2006
und nicht der 17. Juni 2006 war - insoweit handelt es sich um eine offensichtliche
Unrichtigkeit in den Tatsachenfeststellungen, wie sich zwanglos aus den Ausführungen
zur Beweis- und rechtlichen Würdigung ergibt – zeitlich der 2. Tat vom 05. Juli 2007.
Darüber hinaus konnten die Tatzeiten für die Fälle 3 und 4 nur auf einen Tatzeitraum
ohne Festlegung auf eine Reihenfolge ihrer Begehung eingegrenzt werden.
Auch ist, wenn wie vorliegend der Angeklagte mehrere rechtlich selbständige Straftaten
begangen hat, für jede Einzelstrafe eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen
des § 47 StGB vorzunehmen und gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO eingehend und
nachprüfbar zu begründen, weshalb bei den Einzelfreiheitsstrafen (hier die Fälle 3 und 4
betreffend) keine Geldstrafe verhängt worden ist (vgl. Fischer, a.a.O., § 47 Rn. 4 m.w.N,
BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 3). Dabei kommt es nicht darauf an, dass aus diesen
Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Insbesondere spielt es keine Rolle,
ob die Gesamtstrafe - wie hier - sechs Monate beträgt (Schäfer/Sander/van Gemmeren,
Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 116 m.w.N.; Thüringer OLG, Beschluss vom 02.
Januar 2006, 1 Ss 36/05, zitiert in juris).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es lässt mangels hierzu
getroffener Erwägungen eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Amtsgericht von
einer zutreffenden Rechtsauslegung der maßgeblichen Begriffe des materiellen Rechts
(Verteidigung der Rechtsordnung und Unerlässlichkeit) ausgegangen ist, schlicht nicht
zu.
Zudem ist die Gesamtstrafenbildung mangels einer Begründung rechtlich nicht
nachprüfbar. Insbesondere dürfte angesichts des engen zeitlichen, sachlichen und
situativen Zusammenhangs der Tatserie eine im Vergleich zum angefochtenen Urteil
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situativen Zusammenhangs der Tatserie eine im Vergleich zum angefochtenen Urteil
straffere Zusammenziehung der Einzelstrafen nahe liegen (vgl. dazu BGHR StGB § 54
Serienstraftaten 1, 3, 4, 5; Strafhöhe 1; § 54 Abs. 1 Bemessung 12).
Das angefochtene Urteil ist demnach im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufzuheben. Eine Entscheidung des Senats gemäß § 354 Abs.
1a) StPO kommt nicht in Betracht, weil es hierzu eines zutreffend ermittelten,
vollständigen und aktuellen Strafzumessungssachverhalts bedarf (vgl. BVerfGE 118,
212ff.), welcher nicht zur Verfügung steht. Hierzu bemerkt der Senat, dass das neue
Tatgericht in die vorzunehmende Rechtsfolgenentscheidung auch Feststellungen oder
Schätzungen zum Wirkstoffgehalt einzustellen hat. Die fehlenden näheren
Feststellungen zum Wirkstoffgehalt gefährdeten vorliegend – wie bereits ausgeführt -
zwar nicht den Bestand des Schuldspruches. Für den Strafausspruch sind dahingehende
Feststellungen jedoch regelmäßig von maßgeblicher Bedeutung. Da in zwei Fällen das
Marihuana sichergestellt worden ist, könnte auch eine Untersuchung des
Wirkstoffgehalts noch möglich sein.
Die Sache wird daher im Umfang der Aufhebung an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Königs Wusterhausen – Jugendschöffengericht – gemäß § 354 Abs. 2 S. 1
StPO zurückverwiesen.
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