Urteil des OLG Brandenburg vom 17.09.2009
OLG Brandenburg: eintritt des versicherungsfalles, versicherungsnehmer, geringes verschulden, kopie, versicherer, versicherungsleistung, wagen, fahrzeug, reparatur, anfang
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 142/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 Nr I Abs 2 S 4 AKB, § 6 Abs 3
S 1 VVG
Kfz-Kaskoversicherung: Falschangaben eines
Versicherungsnehmers bei der Anzeige eines Kfz-Diebstahls
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. September 2009 verkündete
Urteil des Landgerichts Potsdam - 2 O 25/09 - abgeändert und die Klage insgesamt
abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Prozessparteien streiten darüber, ob die beklagte Versicherungsgesellschaft dem
klagenden Versicherungsnehmer aus einer zwischen beiden laut Versicherungsschein
vom 17. Januar 2007 (Kopie GA I 36 f.) bestehenden Kaskoversicherung mit Euro 500,00
Selbstbehalt, der die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die
Kraftfahrtversicherung (AKB) vom Stand August 2006 (Kopie GA I 75 ff.) zugrunde liegen,
den Ersatz von Vermögensschäden schuldet, die er nach seinem Vorbringen deswegen
erlitten hat, weil das versicherte Fahrzeug – ein erstmals im Jahre 2004 zugelassener
Pkw VW Sharan Van TDI mit dem amtlichen Kennzeichen … – in der Nacht vom 22. zum
23. April 2008 gegen 3:00 Uhr morgens, als der Kläger und seine Ehefrau bei den
Schwiegereltern in B…/Republik Polen zu Besuch waren und durch Geräusche aus dem
Schlaf geweckt wurden, durch unbekannt gebliebene Täter vom umzäunten Hof des
Anwesens gestohlen worden ist. Zur näheren Darstellung des Tatbestandes und der
erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die
angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Vom Landgericht Potsdam, das in der Vorinstanz entschieden hat, wurde der Klage im
Umfange von Euro 11.150,58 stattgegeben und das klägerische Rechtsschutzbegehren
im Übrigen abgewiesen. Die Zivilkammer hat den Kläger als redlich angesehen, seinen
Darlegungen zum Eintritt des behaupteten Versicherungsfalles ohne Beweisaufnahme
Glauben geschenkt, relevante Obliegenheitsverletzungen verneint und die geschuldete
Versicherungsleistung auf Grundlage des Bruttobetrages bestimmt, der in der durch die
Beklagte selbst eingeholten Fahrzeugbewertung des Kfz-Sachverständigen Ma… H…
vom 26. März 2009 (Kopie GA I 69) als Wiederbeschaffungswert ausgewiesen wird. Das
angefochtene Urteil, auf das auch wegen der Entscheidungsgründe im Einzelnen Bezug
genommen wird, ist der Beklagten – zu Händen ihrer erstinstanzlichen
Prozessbevollmächtigten – am 24. September 2009 (GA I 199) zugestellt worden. Sie
hat am 14. Oktober 2009 (GA I 200) mit anwaltlichem Schriftsatz Berufung eingelegt und
ihr Rechtsmittel mit einem am 04. November 2009 bei dem Brandenburgischen
Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet (GA I 206 ff.).
Die Beklagte ficht das landgerichtliche Urteil – unter Wiederholung und Vertiefung ihres
bisherigen Vorbringens – in vollem Umfange ihrer Beschwer an. Dazu trägt sie
insbesondere Folgendes vor:
Die gewöhnlich mit versicherungsrechtlichen Streitfällen der vorliegenden Art befasste
Zivilkammer habe ihre Entscheidung überraschend auf einen Anscheinsbeweis für die
Fahrzeugentwendung gestützt, den es in Wirklichkeit nicht gebe. Auf die in der
Rechtsprechung anerkannten Beweiserleichterungen könnten sich nur redliche
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Rechtsprechung anerkannten Beweiserleichterungen könnten sich nur redliche
Versicherungsnehmer berufen, zu denen der Kläger aus mehreren Gründen nicht
gehöre. Unter anderem habe er vorsätzlich falsche Angaben zur prognostizierten
jährlichen Fahrleistung gemacht. Das Erschleichen eines Prämienrabatts, der hier nach
aktuellem Stand Euro 7,60 p.a. betragen würde, spreche anerkanntermaßen gegen die
Glaubwürdigkeit des jeweiligen Versicherungsnehmers. Den deshalb notwendigen
Vollbeweis hätte das Landgericht nicht als erbracht ansehen dürfen, ohne die benannten
Zeugen zur Frage des Diebstahls zu vernehmen. Im Streitfall sei sie – die Beklagte –
allerdings schon wegen klägerischer Obliegenheitsverletzungen im Rahmen der
Schadensregulierung leistungsfrei. Insbesondere habe der Kläger einen Vorschaden
verschwiegen, dessen Reparatur zirka Euro 275,00 kostete. Diesen als Bagatelle
einzustufen, sei unter Berücksichtigung der von ihr, der Beklagten, zitierten
Rechtsprechung unzutreffend. Ferner habe der Kläger die – personenbezogene – Frage
im Schadensmeldeformular zu seiner Vorsteuerabzugsberechtigung falsch beantwortet;
die rein private Nutzung des Fahrzeuges durch seine Ehefrau sei streitig.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt
abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
a) die gegnerische Berufung zurückzuweisen,
die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Er verteidigt – seine bisherigen Darlegungen wiederholend und vertiefend – das Urteil
des Landgerichts, soweit es ihm günstig ist; im Übrigen nimmt er es hin. Er trägt
insbesondere Folgendes vor:
Die Zivilkammer habe zu Recht angenommen, dass im Streitfall das äußere Bild eines
Diebstahls vorliege; soweit in der angefochtenen Entscheidung vom Anscheinsbeweis die
Rede sei, werde dieser Begriff offensichtlich nicht im technischen Sinne verwendet. Da es
keines Vollbeweises bedürfe, müsse nun die Beklagte, konkrete Tatsachen vortragen
und nachweisen, die die Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles mit
erheblicher Wahrscheinlichkeit nahelegten. Das sei ihr jedoch nicht gelungen. Sie wolle
sich lediglich um Begriffsbestimmungen streiten und mit dieser Förmelei ihre
Eintrittspflicht verneinen. Obliegenheitsverletzungen habe er, der Kläger, nicht
begangen. Falsch sei insbesondere, dass er unstreitig Vorschäden verschwiegen habe.
Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung lasse sich auf den Streitfall nicht
übertragen. Zu der höheren Jahresfahrleistung sei es deshalb gekommen, weil seine –
des Klägers – Ehefrau wegen der Erkrankung von Familienmitgliedern unerwartet
mehrfach habe nach Polen fahren müssen; die Überschreitung der prognostizierten
Laufleistung von 30.000 km, die in den Vorjahren auskömmlich gewesen sei, habe er
zunächst nicht bemerkt. Ohnedies hätte sich keinerlei Prämiendifferenz ergeben. Dass
der Wagen privat – und nicht geschäftlich – genutzt werde, sei bereits in dem
Versicherungsschein vom 17. Januar 2007 (Kopie GA I 36) festgehalten worden.
Im Termin der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz ist die Sach- und Rechtslage mit
den Prozessbevollmächtigten beider Seiten eingehend erörtert worden. Der Senat hat
im Rahmen von § 139 ZPO auf alle entscheidungserheblichen Punkte hingewiesen.
Erstmals in der Berufungsverhandlung wurde vom Kläger geltend gemacht, beim
Ausfüllen des Schadensformulars (Kopie GA I 14 f. = 41 f.) am 27. Mai 2008 habe ihm
der Regulierungsbeauftragte erklärt, die Frage Nr. 13 beschränke sich auf
Verkehrsunfallschäden; dies hat die Beklagte in dem ihr antragsgemäß nachgelassenen
Anwaltsschriftsatz vom 10. Mai 2010 bestritten (GA II 271 ff.). Ergänzend wird zur
Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der bisherigen Prozessgeschichte auf die
anwaltlichen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, auf sämtliche Terminsprotokolle
sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
A. Das Rechtsmittel der Beklagten ist zulässig; es wurde von ihr insbesondere form- und
fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517 ff. ZPO). Auch in der Sache selbst hat die
Berufung Erfolg. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur
vollständigen Klageabweisung. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch
auf Versicherungsleistung aus § 1 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. I lit. b)
und § 13 Abs. 1 AKB sowie Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG. Zwar wurde zwischen den
Parteien betreffend den streitgegenständlichen Pkw – laut Versicherungsschein (Kopie
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Parteien betreffend den streitgegenständlichen Pkw – laut Versicherungsschein (Kopie
GA I 36 f.) – eine Vollkaskoversicherung mit Euro 500,00 Selbstbehalt vereinbart, die –
ebenso wie eine Teilkaskoversicherung (arg. § 12 Abs. 1 Nr. II AKB) – das Risiko der
Entwendung des versicherten Fahrzeugs abdeckt. Im Streitfall kann sich die Beklagte
aber – nach dem hier noch einschlägigen alten Versicherungsrecht (Art. 1 Abs. 1 und 2
EGVVG) – mit Erfolg auf ihre vollständige Leistungsfreiheit wegen der vorsätzlichen
Verletzung einer Obliegenheit berufen, die der Kläger absprachegemäß nach dem
Eintritt des Versicherungsfalles der Beklagten gegenüber zu erfüllen hatte (§ 6 Abs. 3
Satz 1 i.V.m. § 7 Nr. I Abs. 2 Satz 4 und Nr. V Abs. 4 AKB). Angesichts dessen kommt es
für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht maßgeblich darauf an, dass die Vorinstanz –
ohne eine vorherige förmliche Beweisaufnahme – den Eintritt des Versicherungsfalles
nicht hätte bejahen dürfen. Ebenso wenig wirkt sich im Ergebnis aus, dass der
Zivilkammer beim Abzug des vereinbarten Selbstbehalts von dem zugrunde gelegten
Bruttowiederbeschaffungswert des Kraftfahrzeuges zu Lasten der Beklagten ein
Rechenfehler unterlaufen ist. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Für eine instanzabschließende Entscheidung zu Lasten der Beklagten war die Sache –
ausgehend von der eigenen Rechtsauffassung des Landgerichts – ohne weitere
Sachaufklärung nicht reif. Die bisher vorhandene Tatsachengrundlage trägt die
Annahme eines Versicherungsfalles in Gestalt der Fahrzeugentwendung trotz
fortbestehender Redlichkeitsvermutung nicht.
a) Mit der Zivilkammer geht der Senat davon aus, dass die Redlichkeitsvermutung, die
dem Kläger – wie grundsätzlich jedem Versicherungsnehmer – nach der gefestigten
höchstrichterlichen Rechtsprechung zugutekommt (vgl. dazu insb. BGHZ 132, 79, 82 ff.),
im Streitfall durch die Einwendungen der Beklagten nicht erschüttert ist. Insbesondere
gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger durch falsche
Angaben zur voraussichtlichen Jahresfahrleistung einen Prämienrabatt erschlichen hat.
Die Beklagte selbst vermag nach eigenem Vorbringen – bezogen auf den Zeitpunkt des
Versicherungsvertragsabschlusses – nicht mehr darzulegen, welche Prämie vom Kläger
zu entrichten gewesen wäre, wenn man von Anfang an die später tatsächlich gefahrene
Kilometerzahl zugrunde gelegt hätte. Berechnet nach den heutigen Tarifen ergäbe sich –
schon gemäß dem Vortrag der Beklagten – lediglich eine Differenz von Euro 7,60 p.a.
Der Kläger bestreitet jedoch, dass es damals zu einem Prämienunterschied gekommen
wäre. Unabhängig davon hat er plausibel erklärt, worauf die dann deutlich höhere
Fahrleistung zurückzuführen ist. Erkrankungen der Eltern seiner Ehefrau, die häufigere
Reisen nach Polen veranlasst haben, sind im Voraus nicht abzusehen gewesen. Insoweit
unterscheidet sich der Streitfall – anders als die Beklagte meint – deutlich von
Konstellationen, in denen sich ein Versicherungsnehmer unberechtigt einen
Garagenrabatt anrechnen lässt; ob der kaskoversicherte Wagen regelmäßig am
Straßenrand parkt oder es für ihn eine Unterstellmöglichkeit gibt, weiß der
Versicherungsnehmer im Allgemeinen von Anfang an. Umstände, die gegen dessen
Glaubwürdigkeit sprechen, hat der Versicherer darzulegen und gegebenenfalls zu
beweisen. Es gibt keine Vermutung dergestalt, dass sich der Kläger einen Rabatt habe
erschleichen wollen; er muss sich – anders als bei einer Obliegenheitsverletzung – nicht
entlasten.
b) Allein das Fortbestehen der Redlichkeitsvermutung rechtfertigt allerdings – entgegen
der Auffassung des Landgerichts – unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht
das gänzliche Absehen von einer förmlichen Beweisaufnahme. Denn diese Vermutung
führt lediglich dazu, dass sich der Kläger auf die einem Versicherungsnehmer nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig
zukommenden Beweiserleichterungen berufen kann. Er muss allein das so genannte
äußere Bild eines Diebstahls dartun und nachweisen; insoweit bedarf es allerdings des
(vgl. dazu Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 49 Rdn. 23, m.w.N.).
Mit einer persönlichen Anhörung des klagenden Versicherungsnehmers nach § 141 ZPO
darf sich das Gericht nur dann begnügen, wenn keine anderen Beweismittel zur
Verfügung stehen (vgl. aaO Rdn. 24). So verhält es sich hier jedoch keineswegs. Der
Kläger hat sich zum Nachweis des Diebstahls auf das Zeugnis seiner Ehefrau G… B…,
seiner Schwiegermutter B… D…, des Nachbarn R… Mu… und des Polizisten A… K…
berufen. Sollten diese Zeugen – insbesondere die Ehefrau, die Schwiegermutter oder
der Nachbar – bekunden können, dass fremde Personen in der Nacht mit dem
versicherten Wagen vom umzäunten Hof der Schwiegereltern des Klägers geflüchtet
sind, ließe sich damit nicht nur das äußere Bild einer Fahrzeugentwendung, sondern
diese selbst nachweisen. Gelingt einem Versicherungsnehmer aufgrund besonderer
Umstände ausnahmsweise der Vollbeweis des Diebstahls, wie er hier möglich erscheint,
kommt es – darauf sei an dieser Stelle lediglich ergänzend hingewiesen – auf die Frage,
ob die Redlichkeitsvermutung fortbesteht, nicht einmal an. Denn selbst einem
unredlichen Versicherungsnehmer bleibt es unbenommen, den Vollbeweis für den
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unredlichen Versicherungsnehmer bleibt es unbenommen, den Vollbeweis für den
Eintritt des Versicherungsfalles zu führen.
2. Einer förmlichen Beweisaufnahme zu der zwischen den Parteien streitigen Kfz-
Entwendung bedarf es hier im Ergebnis allerdings nicht, weil die Klage – entgegen der
Auffassung des Landgerichts – schon wegen vorsätzlicher
Aufklärungsobliegenheitsverletzungen des Klägers erfolglos bleiben muss. Gemäß § 7
Nr. I Abs. 2 Satz 4 AKB ist der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall verpflichtet,
alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens
dienlich sein kann. Dazu gehört es unter anderem, dem Versicherer – zumindest auf
entsprechende Nachfrage – alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die erforderlich
sind, um eigenständig die Höhe des Vermögensschadens bestimmen zu können, der
durch das versicherte Ereignis verursacht wurde. Gegen diese Verpflichtung hat der
Kläger verstoßen, indem er – wovon bereits die Zivilkammer im angefochtenen Urteil
ausgegangen ist (LGU 7) – in dem am 27. Mai 2008 ausgefüllten Schadensformular
(Kopie GA I 11 ff. = 38 ff.) objektiv unrichtige Angaben gemacht hat. Die gesetzliche
Vorsatzvermutung, die sich aus dem § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F. ergibt (vgl. dazu Römer
in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rdn. 121, m.w.N.), zu widerlegen, ist dem Kläger,
wie das Landgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat (LGU 7), nicht gelungen. Die
Relevanz der klägerischen Obliegenheitsverstöße lässt sich dagegen keineswegs
verneinen.
a) Objektiv unrichtig hat der Kläger im Schadensformular jedenfalls die Frage Nr. 25 des
ersten Teils nach seiner Berechtigung zum Vorsteuerabzug und die Frage Nr. 13 des
zweiten Teils beantwortet, die auf Beschädigungen und Mängel – auch geringfügiger Art
– abzielt, die das Fahrzeug während der Besitzzeit des Versicherungsnehmers erlitten
hat. Charakteristisch für falsche Angaben ist der Widerspruch zwischen Wort und
Wirklichkeit (zu §§ 153 ff. StGB vgl. Joecks, StudKommStGB, 8. Aufl., Vor § 153 Rdn. 5,
m.w.N.). Ein solcher besteht im Streitfall hinsichtlich beider Fragen.
aa) Als selbstständiger Kaufmann, der nach eigenem Vorbringen in der Bundesrepublik
Deutschland und in der Republik Polen geschäftlich tätig ist (GA I 102), hätte der Kläger
die Frage nach seiner Vorsteuerabzugsberechtigung nicht mit Nein beantworten dürfen.
Denn sie zielt auf seine Person ab und ist, anders als der Kläger einwendet, davon zu
unterscheiden, ob das versicherte Fahrzeug geschäftlich genutzt wurde oder – wie er
geltend macht – faktisch ein Privatauto seiner Ehefrau war. Erst wenn der Versicherer
weiß, ob sein Vertragspartner an sich zum Vorsteuerabzug befugt ist, kann er prüfen, ob
sich daraus Folgen für die Höhe der Versicherungsleistung ergeben. Solche können in
Abhängigkeit von der tatsächlichen Nutzungsart auch dann eintreten, wenn – wie hier
laut Versicherungsschein – eine private Fahrzeugnutzung als Tarifmerkmal
berücksichtigt wurde.
bb) Verschwiegen hat der Kläger ferner den Vorschaden, der Anfang 2008 – also lediglich
wenige Wochen vor dem behaupteten Diebstahl des Wagens – an dessen Türschloss
entstanden ist, als es in Polen einen ersten Einbruchversuch in das versicherte Fahrzeug
gab. Für die Reparatur musste, was nach den tatbestandlichen Feststellungen im
angefochtenen Urteil unstreitig ist (LGU 3), ein Betrag von – umgerechnet – Euro 275,47
aufgewendet werden. Die Frage Nr. 13 im zweiten Teil des Schadensformulars ist
objektiv eindeutig; sie beschränkt sich weder auf Verkehrsunfallschäden noch auf
bedeutende Beschädigungen beziehungsweise Mängel. Dass auch nach Letzteren an
sich gefragt wird, unterstreicht die fehlende Eingrenzung auf unfallbedingte Ereignisse.
Mängel, die sich während der Besitzzeit des Versicherungsnehmers am Wagen gezeigt
haben, können dessen Wert ohne Weiteres auch dann mindern, wenn sie beispielsweise
nur verschleißbedingt sind. Der Klammerzusatz in der Frage weist den
Versicherungsnehmer ausdrücklich auf die Beschädigungen und Mängel geringfügiger
Art hin. Ob diese bereits vor dem Eintritt des Versicherungsfalles behoben waren, spielt
schon nach dem Wortlaut der Frage keine Rolle. Dies wird durch die Frage Nr. 14
bekräftigt, mit der die Beklagte wissen möchte, wo die Reparatur stattgefunden hat, und
worin sie um die Beifügung entsprechender Belege bittet. Dahinter steht offensichtlich
die Erwägung, dass sich selbst reparierte Vorschäden negativ auf den Wert des
versicherten Kraftfahrzeugs auswirken können.
b) Um die gesetzliche Vorsatzvermutung zu widerlegen, muss der Versicherungsnehmer
zunächst plausibel dartun, dass es in entschuldbarer Weise zu den objektiv unrichtigen
Angaben gekommen ist und gegebenenfalls dafür Beweis antreten. Beides hat der
Kläger im Streitfall nicht getan.
aa) Ein Irrtum über die Relevanz von unterlassenen Mitteilungen vermag den
Versicherungsnehmer schon deshalb nicht zu entlasten, weil ein solcher notwendig die
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Versicherungsnehmer schon deshalb nicht zu entlasten, weil ein solcher notwendig die
bewusste und gewollte Nichtangabe von Tatsachen voraussetzt, die eigentlich vom
Auskunftsbegehren des Versicherers umfasst werden. Da Letzterer durch die
zutreffende Beantwortung der Fragen im Schadensmeldebogen offensichtlich in die Lage
versetzt werden soll, den Grund und die Höhe seiner Eintrittspflicht eigenständig zu
prüfen, verbietet sich jede Vorentscheidung des Versicherungsnehmers über die
Relevanz der von ihm erbetenen Informationen für die Bearbeitung des Schadensfalles
durch den Versicherer.
bb) Auch ein allgemeiner Hinweis auf Sprachschwierigkeiten vermag die
Vorsatzvermutung betreffend Aufklärungsobliegenheitsverletzungen nicht zu entkräften.
Nach der Rechtsprechung hat ein Versicherungsnehmer prinzipiell dafür zu sorgen, dass
er – trotz unzureichender eigener Kenntnisse der deutschen Sprache – richtige Angaben
machen kann (vgl. hierzu OLG Köln, Urt. v. 24.10.2000 - 9 U 27/00, NVersZ 2001, 516 =
OLG-Rp 2001, 235). Der hiesige Kläger mag zwar Deutsch nicht in vollem Umfange
beherrschen. Er hatte aber schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages einen
Wohnsitz in Berlin und ist nach eigenem Vorbringen in der Bundesrepublik Deutschland
und in der Republik Polen als selbstständiger Kaufmann geschäftlich tätig. Gegenüber
der polnischen Polizei hat er – ausweislich der Übersetzung des entsprechenden
Protokolls (GA I 49, 51) – bei der Erstattung seiner Diebstahlsanzeige am 23. April 2008
erklärt, sowohl die polnische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen und
zwar einen deutschen, aber keinen polnischen Personalausweis zu haben. Der Umstand,
dass die Ehefrau des Klägers mehrfach unerwartet nach Polen reisen musste, um sich
um ihre erkrankten Eltern zu kümmern, wodurch es zu einer Überschreitung der
prognostizierten Jahresgesamtfahrleistung des versicherten Wagens um ein Vielfaches
gekommen ist, spricht dafür, dass sich die Eheleute regelmäßig in Berlin aufgehalten
haben. Die Antworten auf die übrigen Fragen des Schadensformulars, das der Kläger –
nach eigenem Bekunden (GA I 102) – bei einem kurzen Aufenthalt in Berlin, als er unter
erheblichen Zeitdruck stand, selbst ausgefüllt hat, zeigen, dass er die Fragen der
Beklagten grundsätzlich verstanden hat. Einen generell höheren Schwierigkeitsgrad
weisen die Frage Nr. 25 des ersten Teils und die Frage Nr. 13 des zweiten Teils nicht auf.
Konkreter Vortrag, inwieweit sich seine Sprachprobleme, die von der Beklagten
bestritten werden, auf das Verständnis dieser beiden Fragen ausgewirkt haben, ist vom
Kläger nicht gehalten worden.
cc) Soweit der Kläger ferner im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
erstmals geltend gemacht hat, er sei von einem Regulierungsbeauftragten der
Beklagten beim Ausfüllen des Schadensmeldebogens dahin informiert worden, dass sich
die Frage Nr. 13 des zweiten Teils auf Verkehrsunfallschäden beschränke, ist sein
Vorbringen in der Berufungsinstanz neu, wird ausweislich des nachgelassenen
Anwaltsschriftsatzes vom 10. Mai 2010 durch die Beklagte bestritten und kann deshalb
schon aus novenrechtlichen Gründen nicht mehr zugelassen werden, weil es an den
Voraussetzungen gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO fehlt. Ob dem Kläger eine Verletzung
von Aufklärungsobliegenheiten zur Last fällt, die zur Leistungsfreiheit der Beklagten
führt, war bereits im ersten Rechtszug Gegenstand eingehender Erörterungen. Der
Kläger hatte bereits dort Anlass und Gelegenheit, sich darauf zu berufen, dass die Frage
Nr. 13 infolge ihrer einschränkenden Interpretation durch einen Beauftragten der
Beklagten von ihm unzutreffend verstanden worden sei. Unabhängig davon ist das neue
klägerische Vorbringen ohne Beweisantritt geblieben, obwohl der Senat in der
Berufungsverhandlung darauf aufmerksam gemacht hat. Lediglich ergänzend sei an
dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es ohnedies nicht genügen würde, wenn sich der
Kläger allein mit Blick auf die Beantwortung der Frage Nr. 13 des zweiten Teils von der
gesetzlichen Vorsatzmutung entlasten könnte, weil ihm – wie bereits oben erörtert –
auch hinsichtlich der Frage Nr. 25 des ersten Teils eine
Aufklärungsobliegenheitsverletzung zur Last fällt.
c) Die Relevanz der klägerischen Obliegenheitsverstöße ist – entgegen der Auffassung
der Zivilkammer – zu bejahen. Sie können nicht als bloße Bagatelle angesehen werden
und unberücksichtigt bleiben, selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt,
daraus hätten sich im Streitfall keine Nachteile für die Beklagte als Versicherer ergeben.
aa) Die Aufklärungsobliegenheitsverletzungen des Klägers sind, wie es die so genannte
Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofes voraussetzt (vgl. hierzu Römer in
Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rdn. 51, m.w.N.), objektiv geeignet, die Interessen
des beklagten Versicherers ernsthaft zu gefährden, und auch subjektiv von einigem
Gewicht. Nach der höchstrichterlichen Judikatur, der sich der Senat angeschlossen hat,
ist das Verschweigen von Vorschäden des versicherten Fahrzeugs generell – also
unabhängig vom konkreten Einzelfall – geeignet, die berechtigten Interessen des
Versicherers in ernster Weise zu gefährden (vgl. hierzu Römer aaO, § 6 Rdn. 58, m.w.N.).
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Versicherers in ernster Weise zu gefährden (vgl. hierzu Römer aaO, § 6 Rdn. 58, m.w.N.).
Denn solche Schäden können unmittelbaren Einfluss auf die Höhe der
Versicherungsleistung haben. Entsprechendes gilt für die unzutreffende Verneinung der
Vorsteuerabzugsberechtigung des Versicherungsnehmers. Die eigenen
Prüfungsmöglichkeiten des Versicherers sind deutlich eingeschränkt, wenn der
Versicherungsnehmer hinsichtlich der offenbarungspflichtigen anspruchserheblichen
Tatsachen – unter Zugrundelegung seiner Ansichten – eine Vorauswahl trifft. Ein nur
geringes Verschulden, für das unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vermutung
gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F. der Versicherungsnehmer beweisbelastet ist, setzt ein
Fehlverhalten voraus, dass auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht
unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis
aufzubringen vermag, wobei neben einem geringen Schaden, der nach teilweise in der
oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht schon bei DM 219,60 nicht
mehr anzunehmen ist, dem Sachaufklärungsbestreben des Versicherungsnehmers eine
bedeutende Rolle zukommen kann (vgl. dazu Römer aaO, § 6 Rdn. 82, m.w.N.). Im
Streitfall lässt sich ein lediglich geringes Verschulden des Klägers nicht feststellen. Mit
etwas mehr als Euro 275,00 an Türschlossreparaturkosten und einer
umsatzsteuerbedingten Differenz von Euro 408,42 ist die so genannte Bagatellgrenze
deutlich überschritten. Der Kläger hat seine Aufklärungsobliegenheiten auch nicht etwa
nachträglich aus eigenem Antrieb erfüllt, sondern noch im Termin der mündlichen
Verhandlung erster Instanz am 13. Juli 2009 (GA I 148, 149), vertreten durch seinen
Prozessbevollmächtigten, zunächst nur auf Einzelpositionen der Rechnung des
polnischen Autohauses vom 06. Februar 2008 (Übersetzung GA I 159) abgestellt und
daraus unzutreffend Reparaturaufwendungen von – umgerechnet – lediglich zirka Euro
30,00 abgeleitet.
bb) Die Belehrung des Versicherungsnehmers über die möglichen Folgen von vorsätzlich
unwahren beziehungsweise unvollständigen Angaben, die sich – drucktechnisch
hervorgehoben – auf beiden Teilen des Schadensmeldebogens der Beklagten
unmittelbar über der Unterschriftenzeile befindet, begegnet keinen Bedenken. Nach
wohl ganz herrschender Auffassung, der sich der Senat anschließt, genügt – auch bei
Ausländern – eine Belehrung in deutscher Sprache (vgl. dazu OLG Celle, Urt. v.
26.04.2007 - 8 U 233/06, ZfSch 2007, 571 = RuS 2008, 100, juris-Rdn. 11; OLG
Düsseldorf, Urt. v. 09.05.2006 - 4 U 138/05, VersR 2007, 686, juris-Rdn. 41; jeweils
m.w.N.). Soweit – speziell in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. dazu OLG
Hamm, Urt. v. 28.01.1981 - 20 U 225/80, VersR 1981, 970 = RuS 1981, 222; OLG
Karlsruhe, Urt. v. 01.04.1999 - 12 U 284/98, VersR 2000, 176 = NVersZ 2000, 337; OLG
München, Urt. v. 12.06.1975 - 24 U 982/74, VersR 1976, 674; OLG Oldenburg, Urt. v.
13.11. 1996 - 2 U 159/96, OLG-Rp 1997, 128; abgrenzend OLG Düsseldorf, Urt. v.
09.05.2006 - 4 U 138/05, VersR 2007, 686) – angenommen wurde, es bedürfe,
insbesondere bei Personen, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind,
einer zusätzlichen Belehrung in mündlicher Form durch den anwesenden Agenten des
Versicherers, handelte es sich sämtlich um Konstellationen, in denen dieser dem
Versicherungsnehmer die Formularfragen gestellt, dessen Antworten in das Formular
eingetragen und der Versicherungsnehmer das Formular nur noch unterschrieben hatte.
So verhielt es sich im Streitfall jedoch nicht. Der Kläger hat schon nach eigenem
Vorbringen – wenn auch im Beisein eines Regulierungsbeauftragten der Beklagten – die
Formulare selbst ausgefüllt.
B. Der nachgelassene Anwaltsschriftsatz der Beklagten vom 10. Mai 2010 (GA II 271 ff.)
gibt dem Senat keinen Anlass, die schon geschlossene mündliche Verhandlung
wiederzueröffnen (§ 156 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist – wie sich bereits aus den obigen
Ausführungen ergibt – entscheidungsreif, nachdem feststeht, dass das neue Vorbringen
des Klägers im Termin der Berufungsverhandlung am 21. April 2010 beklagtenseits
bestritten wird. Gründe, die gemäß § 156 Abs. 2 ZPO zur Wiederöffnung zwingen, liegen
im Streitfall nicht vor.
C. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO. Danach hat der Kläger als unterliegende Partei die gesamten Verfahrenskosten zu
tragen.
D. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des vorliegenden Urteils folgt aus
§ 708 Nr. 10 ZPO. Von Schuldnerschutzanordnungen sieht der Senat gemäß § 713 ZPO
ab, weil die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen die
Berufungsentscheidung stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen (§ 543 Abs. 1 i.V.m. §
544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
E. Die Revision wird vom Senat nicht zugelassen, weil es an den gesetzlichen
Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG fehlt. Die Rechtssache
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Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG fehlt. Die Rechtssache
hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Das Berufungsurteil beruht im Wesentlichen
auf der Rechtsanwendung im vorliegenden Einzelfall und auf der Würdigung von dessen
tatsächlichen Umständen. Eine Divergenz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung oder
zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte ist nicht ersichtlich.
F. Der für den beträgt bis (§ 3
ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG).
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