Urteil des OLG Brandenburg vom 15.08.2007

OLG Brandenburg: freiheit der person, aus wichtigen gründen, bundesamt für migration, sicherungshaft, abschiebungshaft, fortdauer, meinung, sammlung, ausweisung, aufzählung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
11. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Wx 50/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 25 FGG, Art 2 Abs 2 S 2 GG,
Art 104 Abs 1 Nr 1 GG, § 14 Abs
3 AsylVfG, § 57 AufenthG
Aufenthaltsrecht: Zulässigkeit der Anordnung bzw.
Aufrechterhaltung der Zurückschiebungshaft bei einem
Asylantrag des Betroffenen
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen. Eine
Erstattung außergerichtlicher Kosten erfolgt nicht.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Cottbus ordnete mit Beschluss vom 15.08.2007 - Az.: 92 XIV 31/07 -
gemäß §§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 57 AufenthG Haft zur Sicherung der Zurückschiebung
für die Dauer von 60 Tagen an. Nach Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht
Eisenhüttenstadt stützte dieses mit Beschluss vom 17.08.2007 die Haft zur Sicherung
der Zurückschiebung auch auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Gründe der vorgenannten Beschlüsse Bezug genommen.
Nach Einlieferung in die Abschiebehafteinrichtung der Zentralen Ausländerbehörde des
Landes Brandenburg stellte der Betroffene einen schriftlichen Asylantrag, der am
11.08.2007 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einging. Dieses lehnte den
Asylantrag mit Bescheid vom 04.09.2007 als offensichtlich unbegründet ab.
Auf Antrag der Antragstellerin vom 09.10.2007 verlängerte das Amtsgericht
Eisenhüttenstadt mit Beschluss vom 11.10.2007 - Az.: 23 XIV 136/07 die angeordnete
Haft zu Sicherung der Abschiebung bis zum 14.12.2007.
Gegen diesen Beschluss hat die vom Betroffenen als Vertrauensperson benannte Frau
L… am 15.10.2007 sofortige Beschwerde eingelegt, die der Betroffene genehmigt hat.
Zudem hat sein Verfahrensbevollmächtigter die sofortige Beschwere insbesondere
damit begründet, dass die Fortdauer der Freiheitsentziehung schon deshalb rechtswidrig
sei, da § 14 Abs. 3 Satz 3 Asylverfahrensgesetz die weitere Inhaftierung eines
Ausländers trotz Asylantragstellung nur bei Abschiebehaft ermögliche, nicht aber dann,
wenn sich der Betroffene - wie vorliegend - in Zurückschiebungshaft befinde. Der
Betroffene hätte mithin unmittelbar nach Eingang seines Asylantrags beim Bundesamt
am 21.08.2007 aus der Haft entlassen werden müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten
der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 18.10.20007 (Bl. 71 f d. A.)
Bezug genommen.
Das Landgericht hat nach Anhörung des Betroffenen am 18. Oktober 2007 einen
Beschluss gefasst, der die sofortige Beschwerde zurückweist und keine Gründe enthält.
(Bl. 80/81 d. A.). Unter demselben Datum hat das Landgericht mit wortgleichem Tenor
eine begründete Beschlussfassung erlassen (Bl 87 ff d. A.).
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen
zur Verlängerung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für die Dauer bis zum
14.12.2007 seien nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen jedenfalls
derzeit gegeben. Unter anderem hat die Kammer ausgeführt wegen der durch § 57 Abs.
3 AufenthG angeordneten entsprechenden Anwendung der Vorschriften über die
Abschiebehaft auf die Zurückschiebungshaft sei auch § 14 Abs. 3 S.3
Asylverfahrensgesetz auf den Fall der Zurückschiebungshaft anwendbar. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des landgerichtlichen Beschlusses Bezug
genommen.
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Hiergegen hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 19.10.2007, eingegangen bei der
gemeinsamen Briefannahmestelle des Land- und Amtsgerichts Frankfurt/Oder am
selben Tag (vgl. Bl. 98) sofortige weitere Beschwerde eingelegt und auf seine bisherigen
Rechtsausführungen Bezug genommen, mit denen sich das Landgericht nicht
auseinander gesetzt habe.
Zudem genüge die Entscheidung in formeller Hinsicht nicht den Anforderungen des § 25
FGG.
Die Antragstellerin verteidigt demgegenüber die angefochtene Entscheidung nach
Maßgabe ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 2.11.2007, auf die verwiesen wird.
II.
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache
keinen Erfolg.
Die angefochtene Beschwerdeentscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer
Verletzung des Gesetzes (§ 27 Abs. 1 FGG).
Ohne Erfolg beanstandet die weitere sofortige Beschwerde, der vom Landgericht
„zunächst“ erlassene Beschluss enthalte keine Gründe; da in
Freiheitsentziehungssachen keine Abhilfemöglichkeit bestehe, sei es dem Landgericht
auch im Hinblick auf den Devolutiveffekt eines Rechtsmittels verwehrt gewesen, danach
einen „weiteren“, nunmehr begründeten Beschluss zu erlassen.
Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Betroffenen: Eine
Entscheidung des Beschwerdegerichts, bei der Gründe überhaupt oder zu den für die
Entscheidung wesentlichen Punkten vollständig fehlen, beruht auf einer Verletzung des
Gesetzes und unterliegt der Aufhebung nach § 27 Abs. 1 S. 2 FGG in Verbindung mit §
547 Nr. 6 ZPO; es muss in diesem Fall grundsätzlich eine Zurückverweisung erfolgen
(vgl. Keidel/Kuntze/Winkler - Sternal, FGG, 15. Aufl., § 25 Rdn 30; § 27 Rn. 40).
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung kann der Senat vorliegend jedoch keinen Verstoß
gegen den von § 25 FGG normierten Begründungszwang feststellen. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers ist im Ergebnis nicht von zwei selbständigen
Beschlüssen auszugehen. Vielmehr handelt es sich um einen einheitlichen Beschluss,
dessen Tenor zunächst vorab von den beteiligten Richtern unterzeichnet wurde. Dabei
bedarf es keiner Klärung durch den Senat, weshalb diese Verfahrensweise im Fall einer
nicht erfolgreichen sofortigen Beschwerde von der Kammer gewählt wurde.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei.
Der Senat hat bereits in der Entscheidung 11 Wx 19/05/11 Wx 20/05 vom 17. März 2005,
auf die Bezug genommen wird, ausgeführt, das Landgericht habe in jenem Fall
rechtsfehlerfrei die Auffassung vertreten, die Anordnung und Aufrechterhaltung der
Zurückschiebungshaft sei auch dann zulässig, wenn der Betroffene aus der Haft einen
Asylantrag beim BAMF stelle. An dieser Rechtsprechung hält der Senat - auch im
Hinblick auf die seit dem 28.08.2007 gültige Neuregelung des § 14 Asylverfahrens - fest,
obwohl inzwischen in der Kommentarliteratur teilweise eine andere Auffassung vertreten
wird (so Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 14 AsylVerfG Rn 16 ff und Melchior,
Abschiebungshaft Onlinekommentar Nr. 417) und das Oberlandesgericht Köln (Az.: 16
Wx 130/07, Beschluss vom 11.06.2007) es als zweifelhaft angesehen hat, ob die
Vorschrift des § 14 Abs. 3 S. 3 AsylVfG auch die Fortdauer von Zurückschiebungshaft
ermöglicht (im Ergebnis vom OLG Köln offen gelassen).
Ausgangspunkt aller Überlegungen in diesem Zusammenhang muss sein, dass die
Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ein besonders hohes Rechtsgut ist, in das
nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Geschützt wird die im Rahmen der
geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche
Bewegungsfreiheit vor Eingriffen wie Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen
des unmittelbaren Zwangs. Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz
2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes
beschränkt werden. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen sich dabei unmittelbar und
hinreichend bestimmt aus dem Gesetz selbst ergeben. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG steht
vor allem einer analogen Heranziehung materiell-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen
für Freiheitsentziehungen entgegen (BVerfG, 2 BvR 2106/05, Beschluss vom
16.05.2007).
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Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze verletzt die angefochtene Entscheidung nicht.
§ 14 Abs. 3 AsylVfG lautet in der aktuellen Fassung:
Mit dem zum 1.11.1997 in § 14 AsylVfG eingefügten Abs. 3 (früher Abs. 4) sollte
verhindert werden, dass der Ausländer, der um Asyl nachsucht, während er sich in
öffentlichem Gewahrsam befindet, wegen des dann ausgelösten Bleiberechts entlassen
werden muss und untertauchen und (erneut) Straftaten begehen kann (BT-Drs 13/4948
S.10). Dieses Ziel ist im Gesetzestext nicht ausdrücklich zum Ausdruck gelangt. Daher
hängt die Anwendung nicht vom Nachweis einer Missbrauchsabsicht ab, diese wird
vielmehr generell ohne Möglichkeit der Widerlegung unterstellt. Die danach im Hinblick
auf die aufgezeigten Vorgaben der Verfassung notwendige Begrenzung des
Anwendungsbereichs soll durch eine abschließende Aufzählung der Gewahrsamsarten
und strikte Befristung erreicht werden (vgl. Renner a.a.O., Rdnr. 16). Das Asylgesuch und
das damit verbundene gesetzliche Aufenthaltsrecht der Aufenthaltsgestattung beenden
die Ausreisepflicht und führen damit grundsätzlich zur Beendigung von Vorbereitungs-
und Sicherungshaft. § 14 Abs. 3 AsylVfG verhindert diese regulären Folgen des
Asylgesuchs und ermöglicht Abschiebehaft trotz Aufenthaltsgestattung und Aufhebung
der Ausreisepflicht (vgl. Renner, a.a.O.).
Mit der von Renner und Melchior vertretenen Auffassung (jeweils a.a.O.) geht auch der
Senat davon aus, dass die Regelungen des § 14 Abs. 3 AsylVfG angesichts des
Ausnahmecharakters und des gesetzlichen Zwecks der Missbrauchabwehr sorgfältig und
möglichst wortlautgetreu auszulegen sind.
Anders als die genannten Kommentatoren meinen, stellt die Anordnung bzw.
Aufrechterhaltung der Zurückschiebungshaft in Fällen, in denen der Betroffene aus der
Haft heraus einen Asylantrag stellt, nach Meinung des Senates aber gerade keine
unzulässige erweiternde Auslegung über den Wortlaut des § 14 Abs. 3 AsylVfG hinaus
oder analoge Anwendung dar:
Im Hinblick auf die Zurückschiebungshaft ist in §§ 15 Abs. 4, 57 Abs. 3 und in § 33 Abs. 3
AufenthG auf § 62 AufenthG Bezug genommen worden. Soweit § 14 Abs. 3 AsylVfG in
diesen Vorschriften nicht erwähnt ist, kann daraus aber nicht gefolgert werden, dass die
Zurückschiebungshaft von § 14 Abs. 3 AsylVfG nicht umfasst wird.
Vielmehr ergibt sich aus dieser Norm - unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Vorgaben - hinreichend deutlich, dass sie die „Abschiebehaft“ im
Sinne des Aufenthaltsgesetzes insgesamt in ihren Regelungsbereich einbezieht. Unter
diesen Begriff fallen gerade auch die Zurückweisungs- bzw. Zurückschiebungshaft.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber des AufenthG diese
von der Rechtsprechung und Kommentarliteratur verwendeten differenzierenden
Bezeichnungen für die verschiedenen Haftarten nicht gewählt, sondern alle Haftarten
mit dem Oberbegriff „Abschiebehaft“ bezeichnet hat. Konsequenterweise hat der
Gesetzgeber diese, dem AufenthG fremde Terminologie nicht im AsylVfG aufgegriffen.
Daher vermag der Senat der Auffassung, es fehle an einer Verknüpfung der genannten
Regelungen des AufenthG mit § 14 Abs. 3 AsylVfG, nicht beizutreten. Wenn der
Gesetzgeber der Auffassung gewesen wäre, seine dargelegte Motivation (Verhinderung
von Missbrauch und Untertauchen) passe nicht ohne Weiteres auf Zurückweisung und
Zurückschiebung (letzteres meint Renner, a.a.O.), hätte er diese Bereiche angesichts
der dargelegten Gesetzessystematik gerade ausdrücklich ausnehmen müssen.
Da nach dem hinreichend erkennbaren Willen des Gesetzgebers auch der Fall der
(sogen.) Zurückschiebungshaft von § 14 Abs. 3 AsylVfG umfasst wird, kommt es auf das
weitere, zur Unterstützung seiner Meinung von Renner betonte Argument,
Zurückweisung und Zurückschiebung unterschieden sich so sehr von der Ausweisung
und Abschiebung, dass sich auch ihr Verhältnis zu einem Asylgesuch anders darstelle,
nicht mehr an. Allerdings könnten dieser Auffassung im Hinblick auf die jeweils
durchzuführenden Verwaltungs- und Rechtsschutzverfahren Bedenken begegnen, ohne
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durchzuführenden Verwaltungs- und Rechtsschutzverfahren Bedenken begegnen, ohne
dass dies hier näher untersucht werden müsste.
Den übrigen Ausführungen des Landgerichts schließt sich der Senat an. Insbesondere
hat die Kammer die erforderlichen Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit der Haft
in der angefochtenen Entscheidung rechtsfehlerfrei bejaht.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes ist nicht veranlasst.
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