Urteil des OLG Brandenburg vom 02.11.2005

OLG Brandenburg: versicherer, fahrzeug, datenbank, verdacht, anweisung, verfügung, versicherungsnehmer, anfang, beweislast, link

1
2
3
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 188/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 1 UAbs 2 Buchst e
AKB, § 7 Abs 1 UAbs 2 S 3 AKB,
§ 7 Abs 5 UAbs 4 AKB, § 6 Abs 3
VVG
Kfz-Kaskoversicherung: Darlegungs- und Beweislast für eine
Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des
Versicherungsnehmers
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2. November 2005 verkündete Urteil der 2.
Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 2 O 319/05, abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.796,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. August 2005 zu zahlen, wobei ein
zweitstelliger Teilbetrag in Höhe von 5.796,78 € an die Fa. E zu zahlen ist.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von sämtlichen darüber hinausgehenden
Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Reparaturkostenrechnung des Autohauses
E aufgrund deren nicht pünktlichen Zahlung (Gerichtskosten, Anwaltskosten,
Gerichtsvollzieherkosten und sonstige Vollstreckungskosten) freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt materiellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom
06.04.2005. Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob die Beklagte, bei der das
Fahrzeug der Klägerin kaskoversichert ist, aufgrund einer Obliegenheitsverletzung der
Klägerin leistungsfrei geworden ist, weil die Klägerin die in der Schadensanzeige
aufgeführte Frage nach Vorschäden den Tatsachen widersprechend verneint hat, da die
Klägerin gegenüber der Beklagten bereits im Januar 2005 einen Schaden an dem
Fahrzeug angezeigt hatte. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hat gemeint,
es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte Kenntnis von dem
Vorschaden gehabt habe. Für ihre Behauptung, bei der Beklagten erfolge ein üblicher
und standardisierter EDV-Abgleich, habe die Klägerin keinen Beweis angetreten. Mit der
Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter und behauptet
unter Zeugenbeweisantritt, die Beklagte überprüfe standardisiert in ihrer EDV-
Datenbank die Angaben der Versicherungsnehmer hinsichtlich etwaig vorhandener
Vorschäden. Die Beklagte hält den unter Beweisantritt erfolgten Vortrag der Klägerin für
verspätet und bestreitet ihn im Übrigen.
II.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Versicherungsleistungen gem. § 1 Abs. 1 VVG, §§ 12 Nr. 1 II e), 13 AKB. Entgegen der
Ansicht des Landgerichts ist die Beklagte von ihrer Leistungsverpflichtung nicht gem. §§
7 V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG frei geworden. Grundsätzlich führt zwar die Verletzung von
Aufklärungsobliegenheiten, wie z. B. die unzutreffende Verneinung der Frage nach
Vorschäden (vgl. § 7 I Nr. 2 S. 3 AKB) zur Leistungsfreiheit des Versicherers, so er sich
darauf beruft, denn die Aufklärungsobliegenheiten sollen den Versicherer in die Lage
versetzen, sachgemäße Entschlüsse zu fassen. Fehlt aber das entsprechende
Aufklärungsbedürfnis des Versicherers deshalb, weil er einen maßgeblichen Umstand
4
5
Aufklärungsbedürfnis des Versicherers deshalb, weil er einen maßgeblichen Umstand
bereits kennt, verletzen unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers keine
schutzwürdigen Interessen des Versicherers und rechtfertigen deshalb auch nicht
dessen Leistungsfreiheit (BGH NJW 2005, 1185, 1186). Allerdings kann sich der
Versicherungsnehmer nicht darauf berufen, der Versicherer habe den wahren
Sachverhalt von dritter Seite rechtzeitig erfahren oder sich die erforderlichen Kenntnisse
anderweitig beschaffen können (BGH a.a.O.). Entscheidend ist, ob der Versicherer eine
sichere und aktuelle Kenntnis von den aufklärungsbedürftigen Tatsachen hat, wobei er
grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die ihm zur Verfügung stehenden technischen
Möglichkeiten (hauseigenen EDV- oder Informationssysteme Dritter) abzurufen, um die
Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers z. B. zur Frage des Vorliegens von
Vorschäden zu überprüfen (OLG Köln Schaden-Praxis 2005, 170, 171; OLG Düsseldorf
Schaden-Praxis 2003, 179; KG NVersZ 1999, 329; OLG Hamm VersR 1990, 195).
Grundsätzlich sind dem Versicherer die Daten, die in Datenbanken gesammelt werden,
nur dann als bekannt zuzurechnen, wenn Anlass bestand, diese Daten abzurufen. Dieser
Ausgangslage steht der Fall gleich, in dem der Versicherer seine
Schadenssachbearbeiter anweist, im Rahmen der Erstbearbeitung des Schadensfalles
stets anhand der Datenbestände zu überprüfen, ob bezüglich des versicherten
Fahrzeugs Vorschäden verzeichnet sind, denn dann ist ein Aufklärungsinteresse des
Versicherers hinsichtlich der Vorschäden nicht ersichtlich (OLG Oldenburg VersR 2005,
782, 783; KG VersR 2002, 703). Der Anlass der Nachprüfung besteht in einem solchen
Fall durch die allgemeine Anweisung des Versicherers. Besteht eine solche Anweisung
oder werden Daten zu etwaigen bei demselben Versicherer abgewickelten
Schadensfällen automatisch bei der Bearbeitung des Schadensvorganges angezeigt, ist
die Frage in dem Schadensformular nach Vorschäden dahin zu verstehen, dass damit
jedenfalls nicht diejenigen Vorschäden gemeint sind, die zuvor über denselben
Versicherer abgewickelt wurden, da der Versicherer diese Kenntnis stets über seine
eigenen Datenbestände erlangt (vgl. KG a.a.O.). So liegt der Fall nach dem Ergebnis der
vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme auch hier.
Grundsätzlich ist der Versicherer für die Frage des Vorliegens einer
Obliegenheitspflichtverletzung des Versicherungsnehmers darlegungs- und
beweispflichtig. Steht aber, wie hier, eine Falschangabe im Schadensanzeigeformular
fest, ist es Sache des Versicherungsnehmers, darzulegen und zu beweisen, dass es an
einem Aufklärungsbedürfnis beim Versicherer fehlt. Ein dahingehender Beweisantritt
durch Vernehmung zweier Mitarbeiter der Beklagten ist mit der Berufungsbegründung
erfolgt. Der erstmalige Beweisantritt im Berufungsverfahren ist gem. § 531 Abs. 2 Nr. 2
ZPO zuzulassen, da es das Landgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, die
Klägerin rechtzeitig auf das Fehlen eines geeigneten Beweisantrittes hinzuweisen (§ 139
Abs. 1 ZPO). Aus dem Sitzungsprotokoll zur mündlichen Verhandlung ergibt sich vor
dem Hintergrund der protokollierten Hinweise eine Tendenz des Landgerichts, eine
Obliegenheitsverletzung zu verneinen, und zwar sowohl wegen fehlender
Aufklärungsbedürftigkeit der Beklagten als auch wegen Fehlen eines erheblichen
Verschuldens der Klägerin. Bevor das Landgericht dann letztlich doch in beiden Punkten
anders entschied, hätte es die Klägerin auf den fehlenden Beweisantritt hinweisen
müssen, wenn es genau diesen nicht unter Beweis gestellten Tatsachenvortrag für
entscheidungserheblich hielt.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt,
dass jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art standardisiert mit den sich aus der zur
Verfügung stehenden Datenbank ergebenden Mitteln stets überprüft wird, ob die
Verneinung der Frage nach Vorschäden den Tatsachen entspricht. In diesem
Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass bereits der Beklagtenvortrag dazu, dass es
nicht zu einer routinemäßigen Überprüfung im Hause der Beklagten komme, wenig
plausibel erscheint. Soweit sie in ihrem Schriftsatz vom 17.10.2005 ausgeführt hat, eine
Überprüfung erfolge nur, wenn ein bestimmter Verdacht bestehe, der hier aber nicht
bestanden habe, und lediglich aufgrund einer Anfrage bei U.. festgestellt worden sei,
dass für das klägerische Fahrzeug ein Vorschaden registriert gewesen sei, erscheint dies
bereits in sich widersprüchlich, denn wenn ein bestimmter Verdacht nicht bestanden hat,
ist unverständlich, weshalb hier eine Anfrage bei U., also bei einem externen
Datenerfassungssystem erfolgte. Unabhängig davon hat aber auch die Vernehmung der
Zeugen I. und S. ergeben, dass eine Überprüfung der Angaben zu den Vorschäden
automatisch erfolgt. So haben beide Zeugen übereinstimmend angegeben, dass bereits
mit der Anlegung des Schadensfalles, der häufig - so auch hier - telefonisch gemeldet
wird, eine automatische Mitteilung aus der Datenbank darüber erfolgt, dass der Kunde
bereits einen Schaden gemeldet hat. Daraus soll sich zwar nach den Bekundungen der
Zeugen nicht ergeben, dass sich die Schadensmeldung auch auf dasselbe Fahrzeug
bezog; gleichwohl wird der Schadenssachbearbeiter aber von Anfang an darauf
aufmerksam gemacht, dass der Kunde bereits einen Schaden gemeldet hat, wobei
6
7
8
9
aufmerksam gemacht, dass der Kunde bereits einen Schaden gemeldet hat, wobei
diese automatische Schadensanzeige nur dann einen Sinn macht, wenn dem seitens
des Sachbearbeiters nachgegangen wird, insbesondere, wenn die Frage nach
Vorschäden verneint wird. Darüber hinaus hat die Zeugin S. angegeben, dass je nach
Schadenshöhe eine Anfrage bei U. erfolgt, wobei der Schadenssachbearbeiter die
Möglichkeit hat, auf die U.-Datei direkt Zugriff zu nehmen. Dahingehende Ermittlungen
werden nach den glaubhaften Angaben der Zeugin S. bei einer Schadenshöhe von etwa
4.000,00 € bis 5.000,00 € angestellt. Der Zeuge I. hat ebenfalls glaubhaft bestätigt, dass
bei erheblichen Schäden, die er bereits in einer Größenordnung von 2.000,00 € bis
2.500,00 € angesiedelt hat, eine Überprüfung der Angaben zu den Vorschäden erfolgt.
Da der von der Klägerin bezifferte Schaden bei etwa 6.800,00 € liegt, handelte es sich
um einen erheblichen Schaden, der mithin stets eine Überprüfung der Angaben zu den
Vorschäden zur Folge hat, weshalb der erst kurze Zeit zuvor bei der Beklagten
abgewickelte Schadensfall in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug als bekannt
vorausgesetzt werden kann und es damit an einem Aufklärungsbedürfnis der Beklagten
fehlte.
Dem schlüssigen Vortrag der Klägerin zur Höhe des geltend gemachten Schadens ist
die Beklagte nicht entgegengetreten.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Es
handelt sich um eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
Falles, die sich an der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert,
ohne von ihr in einem gleich gelagerten Fall abzuweichen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.296,78 €
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum