Urteil des OLG Brandenburg vom 30.07.2009
OLG Brandenburg: elterliche sorge, wohl des kindes, jugendamt, sorgerecht, persönliche anhörung, bad, kindeswohl, haushalt, eltern, alter
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 115/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 BGB, § 1696 BGB
Abänderung einer Sorgerechtsregelung: Anzuwendende
Maßstäbe; Wille eines Kindes im Alter von 13 Jahren
Tenor
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad
Liebenwerda vom 30.7.2009 – Az.: 20 F 80/08 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kindeseltern streiten über das Sorgerecht für ihre Tochter J… K…. Diese ist aus einer
nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Kindeseltern hervorgegangen. Die Kindeseltern
hatten am 21.7.1995 eine gemeinsame Sorgeerklärung gemäß § 1626 a BGB
abgegeben und die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt. Seit 1998 leben die
Kindeseltern getrennt. Durch Beschluss vom 08.06.2004 des Amtsgerichts Dresden (Az.
305 F 01976/02)wurde die elterliche Sorge auf die Kindesmutter allein übertragen. Die
Kindeseltern haben eine weitere Tochter, die am ….12.1997 geborene F… Ko…. Die
Geschwister lebten zunächst bei der Kindesmutter.
Im Einverständnis mit der Kindesmutter lebt J… seit Ende des Jahres 2006 beim
Kindesvater, der zusammen mit seiner Mutter ein Hausgrundstück in W… bewohnt. Die
Kindesmutter hat mit Schreiben vom 08.12.2006 den Kindesvater bevollmächtigt, Teile
der elterlichen Sorge auszuüben (Bl. 16 GA). Sie hat sich vorbehalten, die Übertragung
jederzeit, insbesondere bei der Geltendmachung von Unterhaltsforderungen für J… zu
widerrufen.
Nachdem der Kindesvater außergerichtlich Unterhaltsforderungen für J… gegenüber der
Kindesmutter erhoben hatte, kündigte die Kindesmutter an, die teilweise Übertragung
der elterlichen Sorge zu widerrufen, sofern von den Unterhaltsforderungen nicht Abstand
genommen würde. Auf das außergerichtliche Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten
der Kindesmutter vom 28.2.2008 (Bl. 14 f. GA) wird Bezug genommen.
Der Kindesvater hat daraufhin beantragt, ihm die elterliche Sorge allein zu übertragen.
Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass J… den Kontakt zu ihrer Mutter ablehne
und auf jeden Fall bei ihm wohnen bleiben wolle.
Die Kindesmutter hat die Ansicht vertreten, das Amtsgericht Bad Liebenwerda sei örtlich
unzuständig, die entscheidende Richterin befangen. Im Übrigen sei der Kindesvater
wegen seines Übergewichts nicht zur Ausübung der elterlichen Sorge in der Lage. Auch
eine dauerhafte Geschwistertrennung müsse vermieden werden.
Das Amtsgericht Bad Liebenwerda hat die Beteiligten am 22.01.2009 angehört. J… hat
sich dahin geäußert, sie wolle auf keinen Fall zu ihrer Mutter zurückkehren. Falls sie
zurück müsse, würde sie „abhauen“ oder es bevorzugen, ins Heim zu gehen. Eine
Beziehung zu ihrer Mutter lehne sie strikt ab.
Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrenspflegerin haben sich dafür
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Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrenspflegerin haben sich dafür
ausgesprochen, das Sorgerecht dem Kindesvater zu übertragen. Dem Antrag der
Kindesmutter, die J… der Lügen bezichtigt und auf der Einholung eines
Glaubwürdigkeitsgutachtens bestanden hat, sind sowohl die Verfahrenspflegerin als auch
das Jugendamt entgegen getreten.
Das Amtsgericht Bad Liebenwerda hat sodann mit Beschluss vom 30.7.2009 den
Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 08.06.2004 dahin abgeändert, dass die
elterliche Sorge für J… der Kindesmutter entzogen und auf den Kindesvater übertragen
werde. Gegen die ihr am 05.08.2009 zugestellte Entscheidung wendet sich die
Kindesmutter mit ihrer am Montag, dem 07.09.2009, eingegangenen Beschwerde.
Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Kindesmutter die Aufhebung des angegriffenen
Beschlusses. Sie rügt, das Amtsgericht Bad Liebenwerda sei örtlich unzuständig und die
entscheidende Richterin befangen gewesen. Außerdem habe J… im Verfahren
nachweislich gelogen. Sie meint, deshalb müsse ein Glaubwürdigkeitsgutachten
eingeholt werden. Weiter macht die Kindesmutter geltend, der Kindesvater sei
„bankrott“ und deshalb jedenfalls nicht geeignet, die Vermögenssorge auszuüben.
Außerdem sei er schwer krank. Schließlich sei das Jugendamt in H… – dem Wohnort der
Kindesmutter – nicht in das Verfahren einbezogen worden. Das Amtsgericht habe es
schließlich versäumt, das gemeinsame Sorgerecht der Parteien in Erwägung zu ziehen.
Der Kindesvater, der die Zurückweisung der Beschwerde beantragt, hält den
angegriffenen Beschluss für zutreffend. Außerdem meint er, sei nicht zu erkennen,
welches Ziel die Kindesmutter eigentlich verfolge, da J… im gegenseitigen Einverständnis
seit langem bei ihm lebe. Er meint, das Interesse der Kindesmutter gehe nur dahin, ihre
eigenen (finanziellen) Interessen zu wahren.
Das Jugendamt des Landkreises … hat mit Bericht vom 6.November 2009 mitgeteilt, ein
Hausbesuch beim Kindesvater am 15.1.2009 habe ergeben, dass sich J… dort wohlfühle.
Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung hätten sich nicht ergeben. Die getroffene
Regelung werde uneingeschränkt befürwortet, eines Glaubwürdigkeitsgutachtens bedürfe
es nicht; es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Wohl von J… bereits belastet
sei. Aus Sicht des Jugendamtes stelle ein Glaubwürdigkeitsgutachten eine
unverhältnismäßige weitere Belastung dar.
Die Verfahrenspflegerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die befristete Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß §§ 621 e; 621 Abs. 1 Nr. 1; 517;
520 ZPO zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat mit
zutreffender Begründung den Kindesvater in Abänderung der früheren Entscheidung des
Amtsgerichts Dresden das alleinige Sorgerecht für J… K… übertragen.
Der Einwand, das Amtsgericht Bad Liebenwerda sei für die Entscheidung nicht zuständig
gewesen, ist gemäß § 621 e Abs. 4 S. 1 ZPO im Beschwerdeverfahren unzulässig.
Die Kindesmutter kann sich auch nicht darauf berufen, die entscheidende Richterin am
Amtsgericht sei befangen gewesen. Über das erste Ablehnungsgesuch ist
verfahrensrechtlich abschließend entschieden worden. Auf den Beschluss des Senats
vom 8.6.2009 – Az: 9 WF 103/09 – wird Bezug genommen. Ein weiteres
Ablehnungsgesuch hat die Kindesmutter im Hinblick auf die beabsichtigte Berichtigung
des Beschlusses vom 30.7.2009 mit Schriftsatz vom 17.8.2009 erhoben. Hierüber ist
durch Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 28.9.2009 entschieden
worden, ohne dass gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt worden wäre. Auch
insoweit liegt damit eine abschließende Entscheidung vor.
Soweit die Kindesmutter zusätzlich darauf abgestellt hat, Befangenheitsgründe ergäben
sich aus dem Inhalt des angefochtenen Beschlusses, können solche im
Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht werden. Ablehnungsgründe, die nach
Abschluss der Instanz aufgegriffen worden sind, können nicht Gegenstand eines
Ablehnungsgesuchs sein. Nach Entscheidung der Hauptsache in der Instanz fehlt dem
Beteiligten das Rechtschutzbedürfnis. Die Sache wird auf das Rechtsmittel in der
Hauptsache in einer neuen Instanz inhaltlich überprüft, ohne dass an dieser
Entscheidung der erstinstanzliche Richter, der wegen Besorgnis der Befangenheit
abgelehnt wird, mitwirkt. Damit ist dem Rechtsschutzbedürfnis in vollem Umfang
Rechnung getragen (vgl.: BGH, NJW 2001, 1503; Baumbach/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., §
42 Rz. 6).
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Auch in der Sache ist die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung richtig:
Nach § 1671 Abs. 1; Abs. 2 Nr. 2 BGB kann einem Elternteil die elterliche Sorge allein
übertragen werden, wenn die Kindeseltern nicht nur vorübergehend getrennt
voneinander leben und zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge
und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.
Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist ein
Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten zwischen den Kindeseltern (BGH, FamRZ
1982, 1179; 2008, 592). Angesichts der bereits seit Jahren offen zutage getretenen
Streitigkeiten der Kindeseltern hat bereits das Amtsgericht Dresden im Jahr 2004
beschlossen, das bis dahin bestehende gemeinschaftliche Sorgerecht aufzuheben und
dieses der Kindesmutter zu übertragen. Für das nun vorliegende Verfahren auf
Abänderung dieses Beschlusses nach § 1696 Abs. 1 BGB kommt es darauf an, ob aus
triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen eine Abänderung
angezeigt ist. Als Abänderungsmöglichkeiten kommen sowohl die ersatzlose Aufhebung
– und damit die Wiederherstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge – als auch die
Übertragung des Sorgerechts insgesamt oder von dessen Bestandteilen auf den
anderen Elternteil in Betracht.
Anhaltspunkte dafür, dass hier die Wiederherstellung der gemeinschaftlichen elterlichen
Sorge aus Gründen des Kindeswohls angezeigt wäre, bestehen nicht. Die Kindesmutter
hat ihr Begehren im Verlauf des gesamten Verfahrens zunächst darauf gerichtet, allein
Inhaberin der elterlichen Sorge zu bleiben, während der Kindesvater seinerseits das
gesamte Sorgerecht für sich beansprucht hat. Erst in der Beschwerdeschrift lässt die
Kindesmutter ansatzweise erkennen, dass sie auch eine Wiederherstellung der
gemeinsamen elterlichen Sorge für denkbar hält. Auf welche Tatsachen sie diese
Vorstellung gründet, erschließt sich jedoch nicht. Sie hat lediglich gerügt, das
Amtsgericht habe sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt. Dass angesichts der
anhaltenden Kommunikationsprobleme zwischen den Kindeseltern, die insbesondere J…
betreffen, irgendeine gefestigte Basis tatsächlicher Art dafür vorhanden sein könnte, die
Kindeseltern wären in der Lage, nunmehr die Belange des Kindes J… miteinander
einverständlich zu lösen, ergeben sich nicht. Insbesondere ist die Tatsache, dass J… sich
seit geraumer Zeit im Einverständnis beider Kindeseltern beim Kindesvater aufhält, nicht
als Beleg für eine hinreichende Kommunikationsfähigkeit der Kindeseltern betreffend das
Kindeswohl anzusehen. Wie sich aus der Erklärung vom 08.12.2006 ergibt, hat sich die
Kindesmutter einen jederzeitigen Widerruf ihrer Einverständniserklärung ohne die
Notwendigkeit einer Begründung vorbehalten. Damit hat sie nicht nur ihre Tochter und
den Kindesvater der stetigen Belastung ausgesetzt, im Ungewissen über den
Fortbestand der Regelung zu leben, sondern damit auch klar gestellt, dass sie gerade
nicht in Absprache mit dem Kindesvater, sondern auf Grund alleiniger Entscheidung
auch künftig betreffend J… handeln wollte. Überdies hat der Kindesvater diese
Entscheidung dadurch „erkauft“, dass er auf Unterhaltsforderungen für J… verzichtet
hat, denn im Forderungsfall hat sich die Kindesmutter vorbehalten, ihre Zustimmung
sofort zu widerrufen. Dass es der Kindesmutter mit der Androhung des Widerrufs auch
ernst gewesen ist, zeigt sich an dem anwaltlichen Schreiben vom 28.02.2008, in dem als
Reaktion auf eine Unterhaltsforderung ultimativ zur Rücknahme derselben aufgefordert
wurde. Es wurde ein sofortiger Widerruf angedroht und die Rücknahme der
Unterhaltsforderung als Voraussetzung für jegliches Gespräch betreffend das
Sorgerecht bezeichnet (Bl. 15 GA). Auch hierin zeigt sich eindeutig, dass die
Kindesmutter nicht gewillt ist, mit dem Kindesvater zum Wohle ihrer Tochter J… auch nur
zu sprechen, geschweige denn gemeinsame Abreden zu treffen. Die Wiederherstellung
des gemeinsamen Sorgerechts der Kindeseltern verbietet sich daher zum jetzigen
Zeitpunkt.
Eine Abänderung der am 8.6.2004 vom Amtsgericht Dresden getroffenen Entscheidung,
der Kindesmutter das Sorgerecht zu übertragen, ist auf Grund veränderter Tatsachen
geboten, wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat. Die Ablehnung des Kindes J…
gegenüber ihrer Mutter, die schon früher bestanden hat, hat sich noch erheblich
verfestigt. Sowohl J…s Schreiben, das mit der Antragsschrift eingereicht worden ist, als
auch ihre Äußerungen gegenüber der Verfahrenspflegerin und dem Jugendamt sowie
ihre Anhörung beim Amtsgericht haben ergeben, dass J… derzeit nicht bereit ist, eine
Beziehung zu ihrer Mutter aufzunehmen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass
diese Äußerungen J…s nicht ihrer inneren Überzeugung entsprechen. Die bei ihrer
Anhörung im Amtsgericht bereits 13½jährige J… hat ihren Standpunkt deutlich gemacht
und nachvollziehbar erläutert, wie sie zu ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der
Kindesmutter gekommen ist. Es gibt keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass
diese Ablehnung nicht besteht. Hieran äußert auch die Kindesmutter, die ihrerseits
wenig bis keine Anstalten macht, mit ihrer Tochter in Kontakt zu kommen, keine
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wenig bis keine Anstalten macht, mit ihrer Tochter in Kontakt zu kommen, keine
Bedenken. Soweit sie ihrer Tochter vorwirft, diese lüge, bezieht sich dies auf
Schilderungen von Übergriffen seitens eines früheren Lebensgefährten der Kindesmutter
und der Schilderung des Alltags im Haushalt der Kindesmutter. Ob diese Vorwürfe bzw.
Schilderungen den Tatsachen genau entsprechen, ist jedoch für die Entscheidung
gänzlich unerheblich, worauf auch das Amtsgericht zu Recht hingewiesen hat.
Entscheidend ist die Tatsache, dass bei J… eine komplette Ablehnung der Kindesmutter
vorliegt. Wer diese Ablehnung verursacht hat und inwieweit sich bei J… möglicherweise
verzerrte Wahrnehmungen ergeben haben, ist unerheblich. Der Kindeswille, auf den auch
das Amtsgericht bei seiner Entscheidung maßgeblich abgestellt hat, ist zum einen der
verbale Ausdruck für die relativ stärkste Personenbindung, zum anderen von einem
gewissen Alter ab ein Akt der Selbstbestimmung des Kindes, der verfassungsrechtlich
geschützt ist (Artikel 1 Abs. 1; 2 Abs. 1 GG). Die Berücksichtigung des Kindeswillens
setzt voraus, dass das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen
Sinne in der Lage ist. Der Gesichtspunkt der Selbstbestimmung tritt auf Grund des
Alters des Kindes mit zunehmender Reife in den Vordergrund. Eine verstandesmäßige
und seelische Reife für eine tragfähige, selbstbestimmte und vernunftgeleitete
Entscheidung müssen festgestellt werden, wobei auch das Problem einer etwaigen
Beeinflussung beachtet werden muss. Hier ist zu berücksichtigen, dass ein Mädchen im
Alter J…s von 13 ½ Jahren, bereits über eine durchaus entwickelte eigenständige
Persönlichkeit verfügt und grundsätzlich in der Lage ist, selbst bestimmte
Entscheidungen zu treffen. J… wird von der Verfahrenspflegerin als intelligentes,
selbstbewusstes Mädchen geschildert, das ihren Willen sehr deutlich zum Ausdruck
bringen konnte. Anhaltspunkte für eine Fremdbestimmung bzw. Beeinflussung der
Willensbildung hat die Verfahrenspflegerin nicht festgestellt. Ihre Beurteilung deckt sich
mit der Einschätzung des Jugendamtes sowie der Einschätzung der Amtsrichterin, die J…
persönlich angehört hat. Auch die Kindesmutter hat keine tragfähigen Anhaltspunkte
dafür genannt, warum sie an den Aussagen J…s zweifelt. Angegriffen hat sie – wie bereits
ausgeführt – im Einzelnen lediglich Vorwürfe zu Gewalttätigkeiten eines früheren
Partners, wobei sie lediglich zu ihrem jetzigen Lebenspartner Stellung genommen hat,
während sich J…s Ausführungen ersichtlich auf einen anderen Mann, nämlich „R…“
bezogen haben. Außerdem hat sie die geschilderte Beanspruchung ihrer Tochter in
ihrem Haushalt in Frage gestellt. Dass eine ausgesprochen schlechte Beziehung
zwischen J… und der Kindesmutter besteht, hat allerdings auch die Kindesmutter nicht in
Abrede gestellt. Warum sie anzweifelt, dass J… sie ablehnt, ist nicht ersichtlich. Dass ein
13 jähriges Mädchen das Wort „versetzungsgefährdet“ angeblich nicht von sich aus
verwenden könne, ist jedenfalls an den Haaren herbeigezogen. Selbst wenn man davon
ausgehen würde, dass J… den „Lebenslauf meiner letzten zwei Jahre“ nicht selbst,
sondern quasi auf Diktat, geschrieben hätte, würde sich nichts daran ändern, dass sie
sich gegenüber dem Jugendamt, der Verfahrenspflegerin, dem Amtsgericht und auch
den Eltern dahin geäußert hat, auf keinen Fall bei der Mutter leben zu wollen. Dies ist der
entscheidende Grund, der dafür spricht, das Sorgerecht in Person der Kindesmutter
aufzuheben und auf den Kindesvater zu übertragen, bei dem J… seit nunmehr gut zwei
Jahren lebt.
Bei der Frage, welchem Elternteil das Sorgerecht zu übertragen ist, ist derjenigen
Regelung der Vorzug zu geben, von der zu erwarten ist, dass sie im Sinne des
Kindeswohls die bessere Lösung darstellt (BVerfGE 31, 194; BVerfG, FamRZ 2009, 189).
Bei der Entscheidung sind die folgenden Gesichtspunkte bedeutsam, wobei die
Gewichtung im konkreten Fall dem Gericht überlassen ist: Förderungsgrundsatz und
Erziehungseignung, Bindungstoleranz der Eltern, Bindungen des Kindes,
Kontinuitätsgrundsatz und Kindeswille (BGH, FamRZ 1985, 169; Palandt/Diederichsen,
BGB, 68. Aufl., § 1671 Rz. 26 ff.).
Die Bindungen J…s sowie ihr Wille und der Kontinuitätsgrundsatz sprechen dafür, dem
Kindesvater nunmehr das gesamte elterliche Sorgerecht zuzusprechen, das er de facto
mit Einverständnis der Kindesmutter bereits seit zwei Jahren zu wesentlichen Teilen
ausübt. Hinsichtlich des Förderungsgrundsatzes liegen nur geringe Erkenntnisse vor. Es
kann jedoch festgestellt werden, dass J… seit einiger Zeit mit Erfolg das Gymnasium
besucht, so dass davon ausgegangen werden kann, dass auf Seiten des Kindesvaters
eine ausreichende Förderungskompetenz besteht. Auch gegen seine Erziehungseignung
sprechen keine tatsächlichen Gründe. Soweit die Kindesmutter geltend macht, der
Kindesvater sei „schwer krank“ und der Kindesvater dem nur in Nuancen widerspricht, ist
nicht ersichtlich, dass der Kindesvater durch seine Erkrankung gehindert wäre, J…
ausreichend zu erziehen und zu fördern. Tatsächliche Anhaltspunkte für
Einschränkungen sind auch von der Kindesmutter nicht benannt worden. Dass es J…
offensichtlich gut geht und sie sich schulisch gut entwickelt, spricht für den Kindesvater.
Auch das Jugendamt hat bei seinen Besuchen im Haushalt des Kindesvaters keine
Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Erziehungseignung oder sonstige Kindeswohl
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Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Erziehungseignung oder sonstige Kindeswohl
gefährdende Umstände gefunden. Im Übrigen wird der Kindesvater offenbar durch seine
Mutter, die im selben Haus wohnt, bei der Erziehung unterstützt.
Soweit in einem durch das Amtsgericht Dresden vor dessen Entscheidung eingeholten
Gutachten (der Sachverständigen Dr. D. S… vom 26.1.2004) Anhaltspunkte dafür
bestanden haben, dass dem Kindesvater damals die elterliche Sorge nicht übertragen
werden konnte, bestehen diese Bedenken derzeit nicht mehr. Damals war festgestellt
worden, dass der Vater dem Kind durch Wohnortwechsel harte Kontakt- und
Beziehungsabbrüche und bedenkliche Wohn- und Lebensbedingungen zugemutet hatte
sowie J… durch wechselnde Bezugspersonen betreut wurde und Umgangskontakte
unterlaufen wurden. Nunmehr sind die Wohnverhältnisse bereits seit einigen Jahren
gesichert, ebenso die Betreuung J…s, die durch den Kindesvater selbst und dessen
Mutter geschieht. Dass keine bedenklichen Wohn- und Lebensbedingungen herrschen,
hat das Jugendamt durch Hausbesuche festgestellt. Insoweit war es auch nicht
notwendig, das Jugendamt H… als für den Wohnsitz der Kindesmutter zuständiges
Jugendamt einzuschalten. Da J… ihren Lebensmittelpunkt beim Kindesvater hat, war
ausschließlich das für dessen Wohnort zuständige Jugendamt in der Lage, Aussagen
über die Lebensumstände J…s zu treffen. Ob auch bei der Kindesmutter solche
Umstände vorliegen, dass dort ein Kind ohne weiteres groß gezogen werden kann, kann
unterstellt werden. Hierauf kam es aber für die Entscheidung nicht an, weil die
Grundsätze der Bindungen und des Kindeswillens sowie des Kontinuitätsgrundsatzes
eindeutig für eine Entscheidung zugunsten des Kindesvaters sprechen und im Übrigen
nur zu überprüfen war, ob sonstige Gründe dieser Entscheidung entgegenstehen.
Schließlich ist auch völlig unklar geblieben, ob die Kindesmutter tatsächlich den Wunsch
hat, J… in ihren Haushalt aufzunehmen. Nachdem seit Jahren keine Kontakte mehr
zwischen Mutter und Tochter bestehen und auch nicht ersichtlich ist, dass die
Kindesmutter Anstalten unternommen hätte, um das gestörte Verhältnis zu verbessern,
wäre eine Anordnung des Aufenthaltes von J… bei ihrer Mutter dem Kindeswohl auch
abträglich. Inwieweit sich die Kindesmutter hierüber Gedanken gemacht hat, wird aus
ihrem Vorbringen nicht deutlich.
Was die Geschwisterbindung zwischen J… und F… angeht, so wird diese durch die
getroffene Entscheidung nicht nennenswert beeinflusst. Auch bisher lebt J… beim
Kindesvater und F… bei der Kindesmutter, wobei es wohl zu Kontakten kommt. Die
Kindeseltern haben sich nicht die Mühe gemacht, hierzu Stellung zu nehmen. Jedenfalls
aber führt die getroffene Entscheidung des Amtsgerichts zur Aufrechterhaltung des
gegenwärtigen Zustandes, so dass sich an der Geschwisterbindung nichts ändert. Im
Übrigen wiegt eine Geschwisterbindung für die Entscheidung über das Sorgerecht nicht
so schwer, dass sie gegen den Willen des älteren Kindes, den Kontinuitätsgrundsatz und
die Bindungen des Kindes zu einer abweichenden Entscheidung führen könnte.
Schließlich hat die Kindesmutter dem Kindesvater noch vorgeworfen, er sei „bankrott“.
Der Kindesvater hat insoweit eingeräumt, ein geordnetes Insolvenzverfahren durchlaufen
zu haben, wobei im Juli 2009 eine Restschuldbefreiung erfolgt sei. Fest steht allerdings
auch, dass der Kindesvater im Gegensatz zur Kindesmutter nicht beruflich tätig ist und
von Transferleistungen lebt. Die Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens
bedeutet die Inanspruchnahme gesetzlicher Regelungen, wobei eine geordnete
(anteilige) Schuldentilgung Voraussetzung der Restschuldbefreiung ist. Dass dieses
Verfahren durchgeführt worden ist, lässt zwar erkennen, dass der Kindesvater jedenfalls
in der Vergangenheit seine finanzielle Situation nicht vollständig unter Kontrolle gehabt
hat, ebenso ist jedoch erkennbar, dass er nunmehr nach Restschuldbefreiung zumindest
in geordneten Verhältnissen leben kann, wenn auch auf niedrigem Niveau. Die
feststellbaren Tatsachen begründen jedenfalls nach derzeitigen Erkenntnissen nicht die
Besorgnis, dass der Kindesvater zur Förderung und Erziehung J…s ungeeignet sei.
Bedenken im Hinblick auf die Ausübung der Vermögenssorge für J… ergeben sich allein
aus der Durchführung eines Insolvenzverfahrens nicht. Weder ist vorgetragen worden,
dass J… derzeit über Vermögen verfügt, noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der
Kindesvater insoweit die Interessen seiner Tochter missachtet hat oder missachten wird.
Eine Vermögensgefährdung ist nicht ersichtlich. Es spricht deshalb nichts dagegen, dem
Kindesvater neben der Personensorge auch die Vermögenssorge für J… zu übertragen.
Ein Belassen der Vermögenssorge bei der Kindesmutter erscheint nicht im Sinne des
Kindeswohls. Zum einen ist es hier angesichts der massiven Ablehnung der
Kindesmutter durch J… und dem fast vollständigen Kontaktabbruch dem Kindeswohl
günstiger, wenn die gesamte Personensorge in der Hand des Kindesvaters liegt, zu dem
ein Vertrauensverhältnis besteht.
Zum anderen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Kindesmutter die Vermögenssorge
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Zum anderen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Kindesmutter die Vermögenssorge
für J… bereits verletzt haben könnte. So hat sie möglicherweise bestehende
Barunterhaltsansprüche dadurch rein tatsächlich vereitelt, dass sie ihre Zustimmung zur
Ausübung des teilweisen Sorgerechts durch den Kindesvater von der Unterlassung der
Geltendmachung solcher Unterhaltsansprüche abhängig gemacht hat. Es mag zwar
Gründe für dieses Verhalten geben (die Kindesmutter bezieht auch keinen Barunterhalt
für F…, die von ihr versorgt wird), aus dem gesamten Verfahren und der Art der
Einlassungen der Kindesmutter ergeben sich jedoch erhebliche Bedenken dahin, dass
sie ihre eigenen finanziellen Interessen über das Wohl ihrer Tochter J… stellen könnte.
Der Senat hat ohne erneute mündliche Anhörung der Beteiligten und J…s entschieden,
weil er sich davon keine weitere Aufklärung versprochen hat. Zwar sind gemäß §§ 50 a
Abs. 1 S. 1; 50 b Abs. 1, 2 FGG grundsätzlich das Kind und die Eltern auch im
Beschwerdeverfahren persönlich anzuhören. Eine erneute persönliche Anhörung durch
das Beschwerdegericht kann jedoch dann unterbleiben, wenn weder neue Tatsachen
vorgetragen worden sind, noch sich rechtliche Gesichtspunkte geändert haben und die
Anhörung durch das Amtsgericht noch nicht lange zurückliegt (Keidel/Kuntze/Engelhardt,
FGG, 15. Aufl., § 50 a Rz.17 ff.; Bayerisches Oberstes Landesgericht, FamRZ 1997, 685;).
Hier hat das Amtsgericht das Kind und die Kindeseltern am 22.1.2009 angehört und die
Anhörungen jeweils protokolliert. Keiner der Beteiligten hat geltend gemacht, dass sich
im Hinblick auf die Einstellung des Kindes oder der Eltern Änderungen ergeben hätten.
Die Kindeseltern haben sich im Beschwerdeverfahren über ihre
Verfahrensbevollmächtigten ausführlich zur Sache geäußert. Dasselbe gilt für das
Jugendamt. Auch die Verfahrenspflegerin hatte Gelegenheit, erneut Stellung zu nehmen.
Hinzu kommt, dass der Kindesvater offenbar auf Grund gesundheitlicher
Einschränkungen und die Kindesmutter wegen ihres Wohnorts nur mit erheblichem
Aufwand Termine in B… wahrnehmen könnten. Die nochmalige Befragung des Kindes J…
würde darüber hinaus eine erhebliche Belastung des nach Angaben des Jugendamtes
ohnehin bereits belasteten Kindes darstellen. Es liegt deshalb nach der Überzeugung
des Senats im Interesse aller Beteiligten, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG; die Festsetzung des
Beschwerdewertes auf § 30 Abs.2 KostO.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 621 e Abs. 2; 543 Abs.2 ZPO) liegen
nicht vor.
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