Urteil des OLG Brandenburg vom 12.01.2009
OLG Brandenburg: anspruch auf rechtliches gehör, versuch, täterschaft, rücktritt, verkehrsverhältnisse, unfreiwilligkeit, wohnung, thüringen, rüge, gefahr
1
2
3
4
5
6
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 60/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 261 StPO, § 344 Abs 2 StPO,
Art 103 Abs 1 GG
Strafverfahren: Behandlung gerichtsbekannter Tatsachen
Leitsatz
Es besteht die Notwendigkeit, dass die im Urteil als gerichtsbekannt behandelten Tatsachen
zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden sind und den Verfahrensbeteiligten
rechtliches Gehör zu diesen Tatsachen und auch zur Annahme der Gerichtskundigkeit
gewährt worden ist.
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Potsdam vom 12. Januar 2009 mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam
zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Potsdam hat den Angeklagten mit Urteil vom 29. Mai 2008 vom
Vorwurf des versuchten Betruges aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen
dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Potsdam am 02. Juni 2008 Berufung eingelegt.
Mit Urteil vom 12. Januar 2009 hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam
- unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung - gegen den Angeklagten wegen
versuchten Betruges eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 40,-- € verhängt.
Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte über seine Verteidigerin Revision
eingelegt, mit welcher er mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hält die
Revision für unbegründet.
II.
1. Die Revision des Angeklagten ist statthaft (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässig
(§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO).
2. Das Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg.
a) Der Angeklagte macht mit der erhobenen Verfahrensrüge die Verletzung des § 261
StPO geltend. Die Strafkammer habe Tatsachen - die am vermeintlichen Tattag
herrschenden Straßen- und Verkehrsverhältnisse zwischen dem Fundbüro und der
Wohnung des Angeklagten – als gerichtskundig in den Urteilsgründen verwertet, ohne
diese Erkenntnisse in der Hauptverhandlung erörtert und den Verfahrensbeteiligten
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.
b) Die Rüge ist in noch zulässiger Form erhoben worden, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil
und soweit die Revision vorträgt, die im Urteil als gerichtskundig behandelten Straßen-
und Verkehrsverhältnisse seien nicht – weder durch die in der Hauptverhandlung
benutzten Beweismittel, noch sonst - eingeführt worden. Der Rügevortrag erweist sich
auch nicht deshalb als unzureichend, weil der Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls
nicht mitgeteilt worden ist, aus dem etwaige Erörterungen oder Unterlassungen folgen
könnten. Denn die Einführung gerichtskundiger Tatsachen in die Hauptverhandlung
gehört nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten, deren Beachtung das Protokoll
7
8
9
10
11
12
13
14
gehört nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten, deren Beachtung das Protokoll
ersichtlich machen muss. Danach kann dem Erfordernis, gerichtskundige Tatsachen in
der Hauptverhandlung zur Sprache zu bringen, auch auf informelle Weise (etwa im Wege
des Vorhalts) Genüge getan werden (vgl. BGH St 36, 354), so dass es auf das
Schweigen der Sitzungsniederschrift nicht ankommt.
c) Die Rüge ist auch begründet. Die Strafkammer hat gegen § 261 StPO verstoßen,
indem sie im Urteil verwertete Erkenntnisse nicht in der Hauptverhandlung erörtert und
damit auch den Verfahrensbeteiligten ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art.
103 Abs. 1 GG verwehrt hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 261, Rn. 7 m.w.N.;
BGH in StV 1988, 514; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Auflage, Rn. 243;
OLG Frankfurt, StV 1999, 138; OLG Thüringen, StV 2007, 26).
Dies betrifft jedenfalls die Erkenntnis, „dass der Berufsverkehr, der sonst die Innenstadt
von Potsdam lahm zu legen vermag, gerade in Zeiten der Sommerferien deutlich
reduziert ist und die sonst üblichen Verkehrsstockungen ausbleiben“. Die
baustellenbedingten Verkehrsbehinderungen sind nach dem eigenen Rügevortrag des
Angeklagten Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen. Über den Beginn der
Sommerferien am vermeintlichen Tattag ist ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe
durch Verlesung des Dienst-/Schichtplanes Beweis erhoben worden.
Zwar brauchte auch über die Wegstrecke, die „nicht länger als fünf Kilometer (ist) und
über fünf Ampelkreuzungen führte“, aufgrund ihrer Allgemeinkundigkeit kein Beweis
erhoben werden. Zweifelhaft ist aber insoweit, ob die Strafkammer die deutliche
Reduzierung des Berufsverkehrs am ersten Tag der Sommerferien als gerichtsbekannt
behandeln durfte. Dies bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung, denn
jedenfalls besteht die Notwendigkeit, die als gerichtsbekannt behandelten Tatsachen
zum Gegenstand der Verhandlung zu machen und den Verfahrensbeteiligten rechtliches
Gehör zu diesen Tatsachen und auch zur Annahme der Gerichtskundigkeit zu gewähren.
Dies hat die Strafkammer jedoch nicht getan, was auch einen Verstoß gegen das Gebot
des fairen Verfahrens beinhaltet (vgl. OLG Thüringen a.a.O.). Aufgrund der Urteilsgründe
und des Rügevortrags, dem der Kammervorsitzende nach Kenntnisnahme nicht
entgegen getreten ist, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Gericht seine
Erkenntnisse über den die Wegstrecke betreffenden reduzierten Berufsverkehr in den
Sommerferien ohne vorherigen Hinweis erstmals und folglich für den Angeklagten
überraschend in den schriftlichen Urteilsgründen verwertet hat.
d) Auf diesem Mangel kann das Urteil auch beruhen. Es lässt sich nämlich nicht
zuverlässig ausschließen, dass der Angeklagte - wie die Revision ebenfalls zutreffend
vorträgt - Beweis dafür angetreten hätte, dass am vermeintlichen Tattag der Weg
zwischen dem Fundbüro und der Wohnung des Angeklagten nicht bis spätestens 14.31
Uhr zu schaffen gewesen sei, was gewichtig gegen die Täterschaft des Angeklagten
gesprochen hätte.
Auf die Revision des Angeklagten ist damit das angefochtene Urteil aufzuheben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Potsdam
zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
3. Diese Strafkammer wird in der erneuten Hauptverhandlung, sollte sie zur
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gelangen, ergänzende
Feststellungen zur Unfreiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB zu treffen
haben. Anzumerken ist zunächst mit Blick auf die Ausführungen im angefochtenen
Urteil, der Angeklagte habe nicht vom Versuch zurücktreten können, weil ihm die
Täuschung der Mitarbeiter des Fundbüros nicht gelungen sei, dass § 24 Abs. 1 Satz 2
StGB auch nicht kausale Rettungsbemühungen des Täters honoriert, mithin wenn der
Erfolg auch ohne dessen Zutun nicht eingetreten ist.
Dies setzt allerdings voraus, dass der Täter den endgültigen Nichteintritt des Erfolgs
nicht kennt (vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 24, 36), anderenfalls wäre der Versuch
fehlgeschlagen. Vorliegend ist aber den Urteilsausführungen gerade nicht zu
entnehmen, dass sich dem Angeklagten – unterstellt, er sei der Täter gewesen – in
seiner Anwesenheit ein dahingehendes Misstrauen der Zeugin Lötzsch offenbart hätte.
Vielmehr sollen nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil die Mitarbeiterinnen
des Fundbüros erst später, nämlich nach der Rückkehr der kommissarischen Leiterin des
Fundbüros, der Zeugin T., die den Angeklagten gekannt habe, Verdacht geschöpft
haben.
Gleichwohl setzt auch der Rücktritt von einem unerkannt untauglichen Versuch ein
freiwilliges Ablassen von den Vollendungsbemühungen voraus (vgl. Fischer a.a.O.). Zu
freiwilliges Ablassen von den Vollendungsbemühungen voraus (vgl. Fischer a.a.O.). Zu
den Fallgestaltungen, bei denen ein Rücktritt vom Versuch nicht freiwillig ist, zählt auch
die, dass sich durch vom Täter nicht vorhersehbare Umstände das mit der Tatbegehung
verbundene Risiko für ihn beträchtlich erhöht (vgl. BGH in NStZ 1993, 76; vgl. Fischer,
a.a.O.,§ 24, 19a). Allerdings trüge der Urteilssachverhalt auch im Falle seiner erneuten
Feststellung insoweit nicht die Unfreiwilligkeit des Rücktritts. Denn die nahe liegende
Gefahr der Aufdeckung hätte sich für den Angeklagten als Täter nicht schon aus der
„erforderliche(n) weitere(n) Unterschrift für die Auszahlungsanordnung“ ergeben,
sondern vielmehr aus dem Umstand, dass die Auszahlung des Geldbetrages – für den
Angeklagten erkennbar - von der etwaigen Mitwirkung der ihm bekannten Zeugin T.
abhängig gewesen wäre. Dahingehende Feststellungen lässt das angefochtene Urteil
jedoch gerade vermissen, wenn es in der Beweiswürdigung (UA Seite 8 oben) mitteilt,
die Zeugin Lötzsch habe sich an das von ihr früher geschilderte Erschrecken des
Angeklagten, als der Name T. gefallen sei, nicht mehr erinnern können.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum