Urteil des OLG Brandenburg vom 13.03.2017
OLG Brandenburg: örtliche zuständigkeit, wichtiger grund, kompetenzkonflikt, verfügung, abgabe, vormundschaft, jugendamt, einfluss, sorgerecht, fortdauer
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 AR 6/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 FGG, § 43 Abs 1 FGG,
§ 64 Abs 3 FGG, § 621a Abs 1
ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO
Bestimmung des zuständigen Gerichts im Sorgerechtsstreit:
Zulässigkeit einer Vorlage an das OLG im negativen
Kompetenzkonflikt bei unterbliebener Anhörung der
Verfahrensbeteiligten und fehlende Zustellung des
Verweisungsbeschlusses im Ausgangsverfahren vor den
Amtsgerichten; Wohnsitz des Kindes bei Vormundschaft des
Jugendamtes
Tenor
Die Entscheidung über den Kompetenzkonflikt wird abgelehnt.
Gründe
I.
Mit dem am 26. März 2009 beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt eingegangenen
Schreiben vom 12. März 2009 hat die Mutter des E… We…, die in L…, …straße 4,
wohnhafte Frau M… We…-S… auf (Rück-)Übertragung des (alleinigen) Sorgerechts für
ihren Sohn angetragen. Aus diesem Schreiben lässt sich erahnen, dass der Junge unter
Mitwirkung des Jugendamtes bei Pflegeeltern untergebracht war und seitens des
Jugendamtes beabsichtigt gewesen sein könnte, den Jungen nunmehr im Rahmen eines
so genannten „Betreuten Wohnens“ unterzubringen. Näheres lässt sich der
Antragsschrift, insbesondere zum Aufenthalt des Jungen zunächst nicht entnehmen.
Mit Verfügung vom 27. März 2009 (Bl. 3 d.A.) hat das Amtsgericht Fürstenwalde die
Sache mit Abgabenachricht an die Kindesmutter unter Hinweis auf §§ 621 a Abs. 1 ZPO,
§§ 64 Abs. 3, 43 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 1 FGG an das Amtsgerichts Fürstenwalde
abgegeben. Dieses hat die Übernahme unter dem 3. April 2009 (Bl. 7 d.A.) abgelehnt,
weil eine dortige Zuständigkeit mit Blick auf den Wohnsitz der Kindesmutter und den
bislang nicht erkennbarer Wohn-/Aufenthaltsort des betroffenen Kindes nicht festgestellt
werden konnte.
Mit Schreiben vom 9. April 2009 (Bl. 8 d.A.) hat das Jugendamt E… mitgeteilt, dass E…
am 10. April 2009 „von der Pflegefamilie P… in der Einrichtung der pe… in F…, T…straße
25 verlegt“ und dort dann seinen Hauptwohnsitz haben werde. Diese Verlagerung des
Lebensmittelpunktes wurde mit Schreiben des Jugendamtes E… vom 21. April 2009
bestätigt (Bl. 10 d.A.).
Daraufhin hat das Amtsgericht Eisenhüttenstadt mit Verfügung vom 23. April 2009 unter
Hinweis auf den dortigen Hauptwohnsitz des Kindes die Sache dem Amtsgericht
Frankfurt (Oder) mit der Bitte um Übernahme vorgelegt. Das Amtsgericht Frankfurt
(Oder) hat bei der Vormundschaftsabteilung des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt
telefonisch ermittelt, dass dort mit Beschluss vom 25. Juni 1999 – Az. 4 VII 16/99 – die
Vormundschaft über sämtliche Angelegenheiten der elterlichen Sorge angeordnet
worden sei und deshalb mit Verfügung vom 28. April 2009 die Übernahme unter
Bezugnahme auf § 43 Abs. 2 FGG abgelehnt. Es hat vorsorglich ferner darauf
hingewiesen, dass dort ein Grund zur Übernahme nach § 46 Abs. 1 FGG nicht gesehen
werde.
Mit Verfügung vom 5. Mai 2009 hat das Amtsgericht Eisenhüttenstadt „vermerkt“, dass
es sich vorliegend um ein – von der vorangegangenen vormundschaftsrechtlichen
Entscheidung unabhängiges - selbständiges sorgerechtliches Verfahren nach § 1696
BGB handele, für das sich die Zuständigkeit nach dem jeweiligen Wohnsitz des Kindes
zum Zeitpunkt der Antragstellung – nach dortiger Auffassung F… – richte. Die Sache
wurde zugleich dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung der
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wurde zugleich dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung der
örtlichen Zuständigkeit übersandt (Bl. 16 d.A.).
II.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist zur Entscheidung über den
Kompetenzstreit der beteiligten Gerichte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
berufen.
a)
Vorschrift die Anrufung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts erfolgt, ist
vorsorglich festzustellen, dass eine Entscheidung des erkennenden Senates nach § 46
Abs. 2 FGG nicht veranlasst ist.
Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 FGG kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen ein
Gericht seine Zuständigkeit bejaht, das Verfahren jedoch aus
Zweckmäßigkeitserwägungen an ein anderes, die Übernahme ablehnendes Gericht
abgeben möchte (vgl. Keidel/Kuntze/ Winkler-Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 46 Rdnr. 38).
Daran fehlt es hier. Im Streitfall hält sich ausweislich der Gründe der jeweiligen
Beschlüsse keines der an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte für örtlich
zuständig. Es liegt daher vielmehr ein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG vor, nämlich ein
Streit zwischen Gerichten über die zur Zeit der Einleitung des Verfahrens gesetzlich
begründete örtliche Zuständigkeit, die das beteiligte Amtsgericht Eisenhüttenstadt
wegen des bei Verfahrenseinleitung bestehenden Wohnsitzes des Kindes im Bezirk des
Amtsgerichts Frankfurt(Oder) dort als gegeben ansieht und das Amtsgericht Frankfurt
(Oder) wegen der beim Jugendamt des Landkreises O… bestehenden Vormundschaft
jedenfalls E… angesiedelt wissen will.
b)
Nr. 6 ZPO zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen. Auch die dort
genannten Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
(1)
(Sorgerechtsverfahren) gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handeln, wobei dies in Ansehung
der recht unkonkreten Antragsschrift und ohne Kenntnis des offenbar beim Amtsgericht
Eisenhüttenstadt ergangenen vormundschaftsrechtlichen und ggf. auch
familiengerichtlichen Beschlusses, nicht sicher festgestellt werden kann. Für ein
(mutmaßlich) auf § 1696 BGB gestütztes Sorgerechtsverfahren richtet sich das
Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 621 a Abs. 1 ZPO nicht
nach § 5 FGG, sondern nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.
Intern ist der Familiensenat des Oberlandesgerichts für den bestehenden
Kompetenzkonflikt zweier Familiengerichte zuständig. Zu den von den Familiengerichten
entschiedenen Sachen im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 a GVG zählen auch solche die
Hauptsacheentscheidung vorbereitenden Nebenentscheidungen der Amtsgerichte. Eine
solche Nebenentscheidung stellt auch der Streit zweier Familiengerichte um die örtliche
Zuständigkeit in Verbindung mit den nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erforderlichen
Erklärungen über die eigene Unzuständigkeit dar (vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ
1977, 725; Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rdnr. 8).
(2)
sich die in Betracht kommenden Gerichte wirksam und “rechtskräftig” für unzuständig
erklärt haben. Im Streitfall liegt keine wirksame Zuständigkeitsleugnung der beteiligten
Amtsgerichts vor.
Die Abgabe- bzw. Nichtübernahmeentscheidungen sind jeweils verfahrensfehlerhaft,
nämlich unter Verletzung des Gebotes des rechtlichen Gehörs ergangen: Weder das
Amtsgericht Eisenhüttenstadt noch das Amtsgericht Fürstenwalde noch das Amtsgericht
Frankfurt (Oder) haben jemals die Beteiligten zu dem Kompetenzkonflikt angehört. Dann
aber bietet die jeweilige Zuständigkeitsleugnung keine hinreichende Grundlage für einen
Kompetenzkonflikt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Mai 2000, Az. 2 AR 30/00 -
zitiert nach juris; erkennender Senat, Beschluss vom 6. August 2008, Az. 9 AR 6/08 –
veröffentlicht in juris).
Darüber hinaus ist nach Aktenlage abgesehen von der – inzwischen „unstreitig“
überholten – Nachricht an die Antragstellerin über die Abgabe an das Amtsgericht
Fürstenwalde weder die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts Fürstenwalde noch
diejenige des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) noch die Abgabeentscheidung vom 23. April
2009 oder die Vorlageentscheidung vom 5. Mai 2009 des Amtsgerichts Frankfurt (Oder),
also keine der hier noch erheblichen „Entscheidungen“ über den Zuständigkeitsstreit
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also keine der hier noch erheblichen „Entscheidungen“ über den Zuständigkeitsstreit
der Gerichte den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht worden. Die Wirksamkeit
gerichtlicher Verfügungen hängt aber von ihrer Bekanntmachung an alle ab, für die sie
nach ihrem Inhalt bestimmt sind (§ 621 a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 16 Abs. 1
FGG). Sämtliche Entscheidungen der Gerichte sind daher mangels Bekanntgabe ein
akteninterner Vorgang geblieben, so dass es auch aus diesem Grund an einer -
wirksamen - Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fehlt (vgl.
BGH FamRZ 1998, 609; BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 1999, Az. 1Z AR 40/99 - zitiert
nach juris; erkennender Senat, a.a.O.; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 36 Rdnr. 25).
c)
Senat darauf hin, dass die die Abgabe an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) tragenden
Gründe nach Aktenlage nicht überzeugen können.
(1)
Sorgerechtsverfahren nach §§ 64 Abs. 3 Satz 2; 43 Abs. 1; 36 Abs. 1 Satz 1 FGG richten
dürfte. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FGG in Verbindung mit § 11 Satz 1 BGB teilt das
minderjährige Kind den Wohnsitz der Eltern, soweit diese sorgeberechtigt sind. Im
konkreten Fall steht allerdings den Eltern oder auch nur der hier antragstellenden
Kindesmutter das Sorgerecht für E… W… (oder We…) wohl gerade nicht zu. Offenbar
besteht vielmehr eine Vormundschaft des Jugendamtes des Landkreises O… nach §§
1773 ff BGB. In diesen Fällen teilt das Kind nach § 11 Satz 2 BGB den Wohnsitz des
Vormundes (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, 67. Aufl., § 11 Rdnr. 5). Zwar ist
diese Regelung des sog. gesetzlichen Wohnsitzes nicht zwingend. Neben oder statt
diesem gesetzlichen Wohnsitz kann ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden (vgl.
Palandt-Heinrichs/Ellenberger, a.a.O., § 11 Rdnr. 5, 1). Die hier erfolgte Verlagerung des
Lebensmittelpunktes des Kindes von dem – bislang unbekannt gebliebenen – Wohnsitz
der Pflegefamilie P… in das Wohnprojekt in F… muss schon deshalb ohne Einfluss auf die
örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bleiben, weil diese erst nach
Antragstellung erfolgt ist. Wird der Wohnsitz während der Anhängigkeit eines Verfahrens
verlegt, so ändert das die einmal begründete örtliche Zuständigkeit des angerufenen
Gerichts nach dem Grundsatz der Fortdauer des Gerichtsstandes nicht
(Brandenburgisches Oberlandesgericht – 2. Familiensenat, Beschluss vom 12. Februar
2004, Az. 10 WF 5/04 – zitiert nach juris). Entgegen der Darstellung in dem
Vorlagevermerk des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt gibt es derzeit jedenfalls keinerlei
belastbare Anhaltspunkte dafür, dass „zum Zeitpunkt der Antragstellung“ das
Amtsgerichts Frankfurt (Oder) örtlich zuständig gewesen sein könnte.
(2)
Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. April 2009 (Bl. 14 d.A.), die der
Senat nach Aktenlage ausdrücklich teilt, auch kein wichtiger Grund vorliegen dürfte für
eine Abgabe an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) nach § 46 Abs. 2 FGG, der auch in
Sorgerechtsverfahren nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anwendbar ist (vgl.
Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Familiensenat, a.a.O.; Keidel/Kuntze/Winkler-
Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 46 Rdnr. 51).
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