Urteil des OLG Brandenburg vom 23.10.2009

OLG Brandenburg: zeugnisverweigerungsrecht, ermittlungsverfahren, eltern, staatsanwalt, minderjähriger, vertreter, verzicht, bestrafung, beeinflussung, sammlung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UF 154/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1626 Abs 1 BGB, § 1629 Abs 1
BGB, § 1909 Abs 1 S 1 BGB, §
52 Abs 1 Nr 3 StPO, § 52 Abs 3
S 2 StPO
Ergänzungspflegschaft: Bestellung eines Ergänzungspflegers
für die Kinder einer Kindesmutter, gegen die ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts
anhängig ist
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Amtsgerichts Bernau
vom 23. Oktober 2009 aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt
(Oder) auf Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Beteiligten zu 1. und 2.
zurückgewiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Gegen die Mutter der minderjährigen Beteiligten zu 1. und 2. - K… B… (geboren am
….1.1993) und S… B… (geboren am ….12.1995) - ist ein Ermittlungsverfahren wegen
des Verdachts eines Tötungsdelikts (§ 212 StGB) anhängig. Die Polizei hat beide
Jugendliche am 6.10.2009 nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht
vernommen. Am 7.10.2009 regte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) zur Sicherung
des Beweises die richterliche Vernehmung von K… und S… an. Bei ihrer Vernehmung
am 8.10.2009 durch die Ermittlungsrichterin am Amtsgericht Bernau machte K… nach
Belehrung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und erklärte, nicht aussagen
zu wollen. Auf den von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) gestellten Antrag hin hat
das Amtsgericht im schriftlichen Verfahren und nach Anhörung des Jugendamts am
23.10.2009 die Bestellung eines Ergänzungspflegers für K… und S… beschlossen mit
dem Aufgabenkreis „Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts,
Einwilligung in die Vernehmung und Ausübung eines beschränkten
Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Zuführung zur Vernehmung und zu
Untersuchungen“. Gegen diese Entscheidung hat die Mutter Beschwerde eingelegt.
II.
Im Hinblick auf den verfahrenseinleitenden Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt
(Oder) vom 7.10.2009 ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers als Kindschaftssache
dem Familiengericht zugewiesen (§ 151 Nr. 5 FamFG) und verfahrensrechtlich nach
neuem Recht zu beurteilen. Die Beschwerde der Mutter gemäß §§ 58 ff. FamFG ist
statthaft und zulässig. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ergibt sich bereits daraus,
dass es sich bei der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 Abs. 1 Satz
1 BGB um einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht handelt, das beiden Eltern nach §§
1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB gemeinsam zusteht. Das Rechtsmittel der danach
beschwerdebefugten Mutter (vgl. hierzu auch OLG Naumburg, OLGR 2006, 392) hat in
der Sache Erfolg.
1.
Schreiben der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) der Antrag ergibt, eine
Ergänzungspflegschaft nicht nur für die jüngere S…, sondern auch für die kurz vor
Vollendung des 17. Lebensjahres stehende K… einzurichten. Entgegen der Auffassung
des Amtsgerichts liegen jedenfalls die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung
K…
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Besitzt ein minderjähriger Zeuge nicht die Verstandesreife, um die Bedeutung und
Tragweite eines ihm wegen seiner Verwandtschaft nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO
zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu begreifen, so darf er gemäß § 52 Abs. 2
StPO nur mit Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter aussagen. Hier sind die Eltern
jedoch von der Vertretung bei der Zustimmung gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO
ausgeschlossen, weil sich das Ermittlungsverfahren gegen die Mutter richtet. Fehlt die
Einsicht des minderjährigen Zeugen in die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts,
so bedarf es bei einer Ausübung dieses Rechts eines Ergänzungspflegers.
aussagebereit
selbst, nicht aussagen zu wollen, so bleibt es dabei. Denn auch ein zur
Zeugnisverweigerung berechtigter Minderjähriger darf nicht gegen seinen (natürlichen)
Willen zu einer Aussage gezwungen werden (vgl. hierzu BGH, NJW 1960, 1396; OLG
Stuttgart, FamRZ 1985, 1154/1155).
Vorliegend hat K… am 8.10.2009 gegenüber der Ermittlungsrichterin nach Belehrung
nicht aussagen zu wollen.
Aussagebereitschaft ist kein Raum für eine Ergänzungspflegschaftsbestellung für K…. Im
Übrigen kann nach den zur Akte gereichten polizeilichen Vernehmungsprotokollen vom
6.10.2009 ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die vor der Vollendung ihres
17. Lebensjahres stehende K… angesichts ihres Alters die für eine selbstverantwortliche
Entscheidung erforderliche Verstandesreife besitzt (vgl. hierzu BGHSt 20, 234/235;
BayOLG, FamRZ 1998, 257/258). Es bedarf deshalb hier von vornherein keiner
Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter/eines Ergänzungspflegers für einen etwaigen
Verzicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.
2.
S…
Aus den Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ergibt sich nicht, dass
beabsichtigt ist, S… im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren von einem
Staatsanwalt als Zeugin vernehmen zu lassen (§ 161 a Abs. 1 StPO). Die Schreiben der
Staatsanwaltschaft vom 7.10. und 16.10.2009 lassen auch nicht erkennen, dass der
zuständige Staatsanwalt überhaupt die Frage geprüft hat, ob S… die erforderliche Reife
besitzt, die Bedeutung ihres Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO
und im Falle ihrer Aussagewilligkeit deren Tragweite für das Schicksal der Mutter zu
begreifen. Zu dieser Verstandesreife gehört gerade auch die Fähigkeit zu erkennen,
dass die Mutter gegebenenfalls etwas Unrechtes getan hat, dass ihr dafür eine Strafe
droht und dass die eigene Aussage möglicherweise zur Bestrafung der Mutter beitragen
wird (vgl. hierzu BGH, NJW 1960, 1396/1397). Außerdem rechtfertigt das Schreiben der
Staatsanwaltschaft vom 16.10.2009 die Annahme, dass es ihr in erster Linie darum
geht, mittels der Ergänzungspflegerbestellung eine Beeinflussung von S… bzw. eine
Einflussnahme auf ihr Aussageverhalten durch die Eltern bzw. einen Elternteil im
Rahmen ihrer beabsichtigten Vernehmung durch den Ermittlungsrichter zu verhindern.
Vor allem soll verhindert werden, dass S… - anders als am 6.10.2009 - im Rahmen ihrer
richterlichen Vernehmung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht und
nicht mehr aussagen will. Diese Zielsetzung der Staatsanwaltschaft ist jedoch nicht die
Aufgabe der Bestellung eines Ergänzungspflegers im Rahmen des § 52 Abs. 1 Nr. 3
StPO.
Bislang ist offen, ob S… - anders als K… - bei einer richterlichen Vernehmung
aussagebereit ist. Die Staatsanwaltschaft selbst geht eher vom Gegenteil aus. Da S… in
drei Wochen 14 Jahre alt wird, spricht auch die Vermutung dafür, dass sie die für eine
selbstverantwortliche Entscheidung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht in dem oben
beschriebenen Sinne erforderliche Verstandesreife besitzt (vgl. hierzu BGHSt 20,
234/235; BayOLG, FamRZ 1998, 257/258). Es besteht dann von vornherein kein
Zustimmungserfordernis, so dass auch kein Ergänzungspfleger nach § 1909 Abs. 1 BGB
zu bestellen ist. Im Übrigen lässt sich die Frage der Verstandesreife hinsichtlich eines
etwaigen Verzichts auf das Zeugnisverweigerungsrecht erst bei der richterlichen
Vernehmung des minderjährigen Zeugen abschließend klären (vgl. hierzu BayOLG,
FamRZ 1998, 257/258). Zu einer konkreten Prüfung und Beurteilung der Verstandesreife
von S… durch einen vernehmenden Richter oder Staatsanwalt ist es jedoch bislang nicht
gekommen.
Letztlich ist für die Bestellung eines Ergänzungspflegers unter den vorliegenden
Umständen so lange kein Bedürfnis gegeben, wie nicht feststeht, dass S… auch im
Rahmen ihrer beabsichtigten richterlichen Vernehmung zu einer Aussage bereit ist (vgl.
hierzu OLG Stuttgart, FamRZ 1985, 1154/1155). Sofern sich S… dazu entschließt, nicht
aussagen zu wollen, ist dies - ebenso wie bei K… - hinzunehmen, ohne dass es dann
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aussagen zu wollen, ist dies - ebenso wie bei K… - hinzunehmen, ohne dass es dann
noch auf die Frage ihrer Verstandesreife ankommt.
Nach alledem führt das Rechtsmittel der Mutter im vollen Umfang zum Erfolg, sodass
der angefochtene Beschluss aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.
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