Urteil des OLG Brandenburg vom 14.08.2007

OLG Brandenburg: botschaft, bundesamt für migration, indien, ausländer, behörde, rückführung, auskunft, datum, republik, haftgrund

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
11. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Wx 55/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 62 Abs 2 S 4 AufenthG, § 12
FGG
Zurückschiebungshaft: Aufrechterhaltung bei Asylantrag aus
der Haft; Vertretenmüssen der Verzögerung der Abschiebung
bei schuldhafter Weggabe des Nationalpasses; Prüfung des
Zeitraums einer möglichen Abschiebung
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten erfolgt nicht.
Gründe
I.
Der Betroffene wurde am 14.08.2007 gegen 6.35 Uhr von der Landespolizei im
grenznahen Raum in Höhe der Ortschaft B. aufgegriffen. Es war zunächst beabsichtigt,
den Betroffenen in die Republik Polen als sicheren Drittstaat zurückzuschieben.
Das Amtsgericht Cottbus ordnete mit Beschluss vom 15.08.2007 - Az.: 92 XIV 31 - 33/07
- gem. §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG Haft zur Sicherung der
Zurückschiebung für die Dauer von 60 Tagen an. Nach Abgabe des Verfahrens an das
Amtsgericht Eisenhüttenstadt stützte dieses mit Beschluss vom 17.08.2007 i.V.m. dem
wegen offensichtlicher Unrichtigkeit (es wurde irrtümlich eine unzutreffende
Staatsangehörigkeit angegeben) erlassenen Berichtigungsbeschluss vom 22.08.2007
die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung auch auf § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der vorgenannten Beschlüsse
Bezug genommen.
Nach Einlieferung in die Abschiebehafteinrichtung der Zentralen Ausländerbehörde des
Landes Brandenburg stellte der Betroffene einen schriftlichen Asylantrag, der am
20.08.2007 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einging.
Im Hinblick auf diesen Antrag wurde das an die Republik Polen gerichtete formlose
Rücknahmeersuchen zurückgenommen, da die Voraussetzungen einer Rückführung
wegen des Asylantrags nicht länger vorlagen.
Das BAMF lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 04.09.2007 (vgl. Bl. 84 a ff) als
offensichtlich unbegründet ab. Am 14.09.2007 erhob der Betroffene gegen diesen
Bescheid Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) (Az.: 7 K 1319/07).
Mit Schreiben vom 10.09.2007 verfügte die Zentrale Rückführungsstelle des
Bundespolizeiamts F. die Zurückschiebung des Betroffenen nach Indien.
Zwischenzeitlich war dem Betroffenen ein Passersatzantrag vorgelegt worden, den er in
der Abschiebehafteinrichtung ausfüllte. Die Unterlagen wurden der
Bundespolizeiinspektion (BPOLI) Polizeiliche Sonderdienste (PSD) in B. zur Vorlage bei
der Botschaft übersandt. Die Unterlagen konnten allerdings nicht an die Botschaft
weitergeleitet werden, da sie unvollständig ausgefüllt waren. Mit Hilfe eines
Dolmetschers wurden am 31.08.2007 erneut Passersatzanträge ausgefüllt und der
BPOLI PSD übersandt. Die Anträge wurden der indischen Botschaft am 04.09.2007
übergeben und gleichfalls der deutschen Botschaft in Neu Dehli übersandt.
Mit Antrag vom 09.10.2007 (Bl. 40/41) beantragte die Antragstellerin, die seit dem
14.08.2007 bestehende Haft bis zum 14.12.2007 zu verlängern. In der
Antragsbegründung hieß es u. a., die weitere Haft sei bis zu diesem Datum notwendig,
um das eingeleitete Passersatzbeschaffungsverfahren abzuschließen und die Person
nach Indien zurückzuschieben. Da die Person bei der Befragung falsche bzw.
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nach Indien zurückzuschieben. Da die Person bei der Befragung falsche bzw.
unvollständige Angaben gemacht habe, verzögere sich die Überprüfung im Heimatland
und dadurch das gesamte Verfahren. Erfahrungsgemäß könne mit einer Entscheidung
der Botschaft innerhalb von 4 - 6 Wochen gerechnet werden. Die Haft sei weiterhin
erforderlich, um zu verhindern, dass die Person im Schengengebiet untertauche und
sich der Zurückschiebung entziehe.
Daraufhin verlängerte das Amtsgericht Eisenhüttenstadt mit Beschluss vom 11.10.2007
- Az.: 23 XIV 137/07 - die angeordnete Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum
14.12.2007. In den Gründen führte das Amtsgericht u. a. auf, im Hinblick auf die
Erklärung der zuständigen Behörde über den gegenwärtig bestehenden Verfahresstand,
sei davon auszugehen, dass die Zurückschiebung innerhalb der von § 62 As. 2 S. 4
AufenthG geforderten Frist erfolgen könne.
Gegen diesen Beschluss hat die vom Betroffenen als Vertrauensperson benannte Frau
L. am 15.10.2007 sofortige Beschwerde eingelegt, die der Betroffene genehmigt hat. Mit
seinem Rechtsmittel hat der Betroffene im Wesentlichen geltend gemacht:
Die Haftanordnung sei aufgrund des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG aufzuheben. Hiernach sei
die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststehe, dass aus Gründen, die der Ausländer
nicht zu vertreten habe, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten 3 Monate
durchgeführt werden könne. Dies sei hier der Fall. Es sei bekannt, dass in den Fällen
indischer Staatsangehöriger, in denen keine Identitätsnachweise vorlägen, die indischen
Behörden in der Regel keine Heimreisedokumente ausstellten oder zumindest mehr als
6 Monate für das entsprechende Verfahren benötigten. Bisher habe noch nicht einmal
eine Vorführung bei der indischen Botschaft stattgefunden. Es sei daher von vornherein
abzusehen, dass die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten 3 Monate seit der
Erstanordnung stattfinden könne.
Demgegenüber hat die Antragstellerin ausgeführt, die Passersatzanträge würden von
der indischen und deutschen Botschaft derzeit geprüft. Die Überprüfung benötige lt.
Auskunft der BPOLI PSD in der Regel 6 - 8 Wochen. Im Anhörungstermin vor dem
Landgericht am 18.10.2007 haben die Vertreter der Antragstellerin erklärt, dass diese
innerhalb der nächsten 14 Tage - spätestens - mit der Identitätsfeststellung des
Betroffenen rechne und davon ausgehe, dass nach längstens weiteren 5 - 6 Wochen die
Passersatzpapiere vorliegen würden. Diese Zeitabläufe entsprächen den allgemeinen
Erfahrungswerten.
Das Landgericht hat nach Anhörung des Betroffenen am 18.10.2007 einen Beschluss
gefasst, der die sofortige Beschwerde zurückweist und keine Gründe enthält (Bl. 88/89 d.
A.). Unter demselben Datum hat das Landgericht mit wortgleichem Tenor eine
begründete Beschlussfassung erlassen (Bl. 99 ff d. A.).
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen
zur Verlängerung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für die Dauer bis zum
14.12.2007 seien nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen jedenfalls
derzeit gegeben. Die Anordnung der Haft sei auch nicht unverhältnismäßig i.S.d. § 62
Abs. 2 S. 4 AufenthG. Der betroffene habe die Verzögerung der Zurückschiebung
jedenfalls zu vertreten. Im Sinne des § 62 Abs. 2 S.4 AufenthG habe der Betroffene alle
Umstände zu vertreten, die von ihm zurechenbar veranlasst seien und dazu geführt
hätten, dass ein Abschiebehindernis eingetreten sei. Ein Ausländer habe nach
gefestigter Rechtsprechung Verzögerungen seiner Abschiebung jedenfalls dann zu
vertreten, wenn er seine Passpapiere schuldhaft weggegeben habe - etwa an einen
Schleuser - und hierdurch einen ihm zurechenbaren Umstand geschaffen habe, der
seine Abschiebung verzögere, weil nunmehr Passersatzpapiere beschafft werden
müssten. So liege der Fall hier. Die Antragstellerin habe alle erforderlichen
Anstrengungen zur alsbaldigen Beschaffung von Passersatzpapieren unternommen.
Zwar sei die Identität des Betroffenen gegenwärtig noch nicht von der Deutschen
Botschaft in Neu Dehli festgestellt und bestätigt worden. Hiermit sei nach Angaben der
Antragstellerin - auf Grund der vorliegenden allgemeinen Erfahrungswerte - aber in den
nächsten 10 bis 14 Tagen und innerhalb der nächsten 5 bis 6 Wochen dann mit der
Ausstellung von Passersatzpapieren zu rechnen, so dass die Zurückschiebung danach
unverzüglich vollzogen werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Gründe des landgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen.
Hiergegen hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 30.10.2007, eingegangen bei dem
Landgericht Frankfurt (Oder) am selben Tag (vgl. Bl. 118) sofortige weitere Beschwerde
eingelegt. Mit dieser macht er im Wesentlichen geltend:
Der Beschluss des Landgerichts sei zunächst in verfahrenswidriger Weise ohne
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Der Beschluss des Landgerichts sei zunächst in verfahrenswidriger Weise ohne
Entscheidungsgründe ergangen. Sodann sei er am 24.10., allerdings rückdatiert auf den
18.10.2007, erneut mit Gründen gefasst worden. Der zurückweisende Beschluss sei in
mehrfacher Hinsicht fehlerhaft:
Am 22.08.2007 sei ihm ein Passersatzantrag vorgelegt worden, den er nicht habe
vollständig ausfüllen können, da ihm die notwendige Übersetzung vorenthalten worden
sei. Daher sei erst am 31.08.2007, mithin 17 Tage nach Beginn der Freiheitsentziehung,
mit der Passbeschaffung begonnen worden. Damit sei das Beschleunigungsgebot
verletzt gewesen, was weder das Amtsgericht noch das Landgericht hinreichend
berücksichtigt hätten. Der Haftantragsteller, der auch für die Rückführung verantwortlich
sei, müsse die Abschiebung bzw. Rückschiebung zügig vorbereiten und durchführen.
Dazu habe er dem Betroffenen konkret und nachweisbar die notwendigen Schritte in
Abstimmung mit der Botschaft des betroffenen Heimatlandes aufzuzeigen und
sicherzustellen, dass diese auch unternommen würden. Dies bedeute, dass er hätte in
Kenntnis gesetzt werden müssen, wie er einen Passantrag auszufüllen habe, damit
dieser an die zuständige Botschaft weitergeleitet werden könne. Bereits aus diesem
Grund stelle sich die Aufrechterhaltung der Haft als rechtswidrig dar, da sie einen
Fortgang des Verstoßes gegen die Beschleunigungsmaxime bedeute.
Soweit die Antragstellerin geltend mache, eine Überprüfung seiner Identität durch die
deutsche Botschaft in Indien betrage 6 - 8 Wochen, ebenso lange dauere die
Überprüfung durch die indische Botschaft, entbehre dies jeglicher Grundlage. Tatsächlich
würden sei Jahren im Raum Berlin-Brandenburg keine indischen Staatsangehörigen in
Abschiebungshaft genommen, wenn keinerlei Identitätspapiere oder andere Belege für
die Identität vorlägen. Dies beruhe darauf, dass eine Identitätsüberprüfung durch die
indischen Behörden strukturell bedingt länger als 3 Monate dauere. Völlig unklar sei die
Auskunft der Antragstellerin, seine Identität werde durch die deutsche Botschaft geprüft.
Da dieses Verfahren überraschend sei, müsse sich die Antragstellerin unter Beibringung
entsprechender Unterlagen erklären. Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung
verschiedener Gerichte führt der Betroffene weiter aus, dass sich nach den Erfahrungen
dieser Spruchkörper die Beschaffung von Passersatzpapieren bei indischen
Staatsangehörigen innerhalb von 3 Monaten als undurchführbar herausgestellt habe.
Dies mache es erforderlich, dass das Haftgericht die Möglichkeit der Beschaffung der
Papiere innerhalb von 3 Monaten konkret überprüfe. Daher hätte das Landgericht zu
ermitteln gehabt, ob in den vergangenen Monaten Inder in ihr Heimatland hätten
abgeschoben werden können, die nicht über Nationalpässe oder andere
Identitätspapiere verfügten. Hierzu hätte die Kammer Informationen der Antragstellerin
oder der Haftanstalten einholen müssen. Im Übrigen sei zu beachten, dass die 3-
Monats-Frist mit seiner Festnahme zu laufen begonnen habe. Wenn zunächst, wie die
Antragstellerin ausführe, die Überprüfung durch die deutsche Botschaft 6 - 8 Wochen
dauere, müsse die indische Botschaft Ersatzpapiere innerhalb von 4 - 6 Wochen
ausstellen, um innerhalb dieser Frist zu bleiben. Die Antragstellerin trage jedoch selbst
vor, die indische Botschaft benötige mindestens 6 - 8 Wochen für die Erteilung eines
Ersatzreisepapiers, was im Übrigen bestritten werde. Dies erscheine ungewöhnlich
schnell angesichts der bekannten Praxis der indischen Botschaft in B.. Ergänzend
verweist der Beschwerdeführer auf Verfahren indischer Staatsangehöriger, in denen es
der Antragstellerin nicht gelungen sei, Passersatzpapiere innerhalb von 3 Monaten zu
beschaffen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechtsbeschwerdeschrift Bezug
genommen.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 12.11.2007, auf den verwiesen wird, zur
Rechtsbeschwerde Stellung genommen und deren Zurückweisung beantragt.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 106 Abs. 2 S.1 AufenthG, 7 Abs. 1, 3 S.
2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die
Beschwerdebefugnis des Betroffenen ergibt sich bereits daraus, dass seine
Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
In der Sache hat die sofortige weitere Beschwerde keinen Erfolg. Die Entscheidung des
Landgerichts hält der dem Senat allein möglichen Überprüfung auf Rechtsfehler (§§ 27
Abs. 1 Satz 1 FGG, 546 ZPO) stand, da sie nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht,
§ 27 FGG.
Ohne Erfolg beanstandet die weitere sofortige Beschwerde, der vom Landgericht
„zunächst„ erlassene Beschluss enthalte in verfahrenswidriger Weise keine Gründe und
sei am 24.10.2007 - rückdatiert - erneut gefasst worden.
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Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Betroffenen:
Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts, bei der Gründe überhaupt oder zu den für
die Entscheidung wesentlichen Punkten vollständig fehlen, beruht auf einer Verletzung
des Gesetzes und unterliegt der Aufhebung nach § 27 Abs. 1 S. 2 FGG i.V.m. § 547 Nr. 6
ZPO; es muss in diesem Fall grundsätzlich eine Zurückverweisung erfolgen (vgl.
Keidel/Kuntze/Winkler - Sternal, FGG, 15. Aufl., § 25 Rn. 30; § 27 Rn. 40).
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung kann der Senat vorliegend jedoch keinen Verstoß
gegen den von § 25 FGG normierten Begründungszwang feststellen. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers ist im Ergebnis nicht von zwei selbständigen
Beschlüssen auszugehen. Vielmehr handelt es sich um einen einheitlichen Beschluss,
dessen Tenor zunächst vorab von den beteiligten Richtern unterzeichnet wurde. Dabei
bedarf es keiner Klärung durch den Senat, weshalb diese Verfahrensweise im Fall einer
nicht erfolgreichen sofortigen Beschwerde von der Kammer gewählt wurde.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei.
Der Senat hat bereits in seinen Entscheidungen 11 Wx 19/05/11 Wx 20/05 vom 17. März
2005 und 11 Wx 50/07 vom 8. November 2007, auf die Bezug genommen wird,
ausgeführt, das Landgericht habe in jenen Fällen rechtsfehlerfrei die Auffassung
vertreten, die Anordnung und Aufrechterhaltung der Zurückschiebungshaft sei auch
dann zulässig, wenn der Betroffene aus der Haft einen Asylantrag beim BAMF stelle.
Hieran hält der Senat fest (zum Meinungsstand vgl. Senat 11 Wx 50/07 m.w. Nachw.).
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Haftgrund des § 62 Abs. 2 S.1 Nr. 1, Nr. 5
AufenthG bejaht. Da die sofortige weitere Beschwerde hiergegen keine Einwendungen
erhebt, verweist der Senat auf die rechtsfehlerfreien Ausführungen des Landgerichts in
dem angefochtenen Beschluss.
Ferner erweist sich die Annahme des Landgerichts, dass § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG der
Haftverlängerung nicht entgegenstehe, da der Betroffene die Verzögerung seiner
Abschiebung zu vertreten habe und sich vorausschauend nicht feststellen lasse, dass
die Abschiebung innerhalb des gesamten Haftzeitraums nicht möglich sein werde, als
frei von Rechtsfehlern.
Im Sinne des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG hat der Betroffene alle Umstände zu vertreten,
die von ihm zurechenbar veranlasst sind und dazu geführt haben, dass ein
Abschiebehindernis eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom
11.07.1996, Az.: V ZB 14/96, NJW 1996, 2796) zu der gleichlautenden
Vorgängerregelung in § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG muss bei der Anwendung der Vorschrift
deren Zweck Rechnung getragen werden, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten
Haft nicht überschritten werden soll und eine Haftdauer von sechs Monaten nicht ohne
weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf. Daraus ist zu folgern, dass auch
die Verlängerung einer Haftanordnung über drei Monate des insgesamt angeordneten
Haftzeitraumes hinaus unzulässig ist, wenn die Abschiebung während der ersten drei
Monate aus Gründen unterblieben ist, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind.
Dementsprechend darf die Haft für einen Zeitraum von insgesamt sechs Monaten nur
verlängert werden, wenn die Verzögerung der Abschiebung von dem Betroffenen im
Sinne des § 62 Abs.2 S. 4 AufenthG zu vertreten ist. Es handelt sich um eine Frage der
Zurechnung, die nicht generell-abstrakt beantwortet werden kann, sondern unter
Würdigung der gesamten Umstände zu entscheiden ist (BGH NJW a.a.O.; OLG Hamm,
Beschluss vom 02.01.2007, Az.: 15 W 22/06).
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob bereits der Umstand allein, dass der
Betroffene sich ohne Nationalpass im Bundesgebiet aufgehalten hat, als
Zurechnungsgrund in diesem Sinne ausreicht (so OLG Hamm, Beschluss vom
25.11.1996, Az.: 15 W 465/96). Teilweise wird insoweit bezogen auf die Verhältnisse
abgelehnter Asylbewerber die Auffassung vertreten, nur wenn festgestellt werden könne,
dass der Betroffene seinen vorhandenen Nationalpass bei seiner Einreise schuldhaft
(etwa an einen Schlepper) weggegeben habe, liege ein zurechenbares Verhalten vor
(vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.11.2003, Az.: I-3 Wx 275/03; OLG Köln, Beschl. v.
13.10.2004, Az.: 16 Wx 194/04). Auch nach dieser einschränkenden Auffassung hat der
Betroffene die Verzögerung infolge der Notwendigkeit der Passersatzbeschaffung jedoch
zu vertreten, da er, wie das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, eben dies nach
seinen eigenen Angaben getan hat.
Das Vertretenmüssen im Sinne des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG erstreckt sich auf die
Verzögerung der Abschiebung, die dadurch entsteht, dass die Behörden des
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Verzögerung der Abschiebung, die dadurch entsteht, dass die Behörden des
Heimatstaates des Betroffenen um die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht
werden müssen. In den dem Betroffenen zuzurechnenden und von ihm daher
hinzunehmenden Zeitraum fällt deshalb in den Grenzen der gesetzlichen Vorschrift auch
das Prüfungsverfahren, das die Heimatbehörden des Betroffenen bis zur positiven
Bescheidung des Antrags auf Erteilung eines Passersatzpapiers für sich in Anspruch
nehmen (OLG Hamm a.a.O.).
Auch der Umstand, dass das Landgericht seine Prognoseentscheidung, es stehe nicht
vorausschauend fest, dass eine Abschiebung nicht innerhalb des verlängerten
Haftzeitraums möglich sein werde, ohne weitere Ermittlungen auf die Auskünfte der
Antragstellerin gestützt hat, hält der allein möglichen rechtlichen Prüfung stand. Im
Verfahren der Rechtsbeschwerde ist die Tatsachenwürdigung des Beschwerdegerichts
nur darauf nachprüfbar, ob der Tatrichter den maßgebenden Sachverhalt ausreichend
ermittelt, sich mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt und hierbei nicht
gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften sowie gegen Denkgesetze,
zwingende Erfahrungssätze oder den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen hat
(Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl. § 27 FGG Rdn. 4).
Nicht zu beanstanden ist danach zunächst, dass das Landgericht davon abgesehen hat
- wie von dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen für erforderlich gehalten - zu
ermitteln, ob in den vergangenen Monaten Inder in ihr Heimatland hätten abgeschoben
werden können, die nicht über Nationalpässe oder andere Identitätspapiere verfügten.
Der Senat folgt der vom Oberlandesgericht Hamm in der bereits zitierten Entscheidung
vertretenen Auffassung, dass die Kammer sich insoweit nicht etwa eine Gesamtstatistik
von der Antragstellerin vorlegen lassen musste. Auch war das Landgericht nicht
gehalten, Informationen von Haftanstalten einzuholen.
Der Tatrichter kann seine Überzeugung, die Undurchführbarkeit der Abschiebung
(Zurückschiebung) innerhalb des maßgebenden Zeitraums könne nicht festgestellt
werden, rechtsfehlerfrei darauf stützen, dass in Einzelfällen eine solche Abschiebung hat
durchgeführt werden können. Diese Sichtweise entspricht der insoweit eindeutigen
gesetzlichen Regelung, nach der die Haftanordnung nur zu unterbleiben hat, wenn
feststeht , dass die Abschiebung nicht möglich sein wird (so auch OLG Hamm a.a.O.).
Dies steht nach dem hier zu Beurteilung stehenden Sachverhalt gerade nicht fest, wobei
darauf hinzuweisen ist, dass neue Tatsachen und Beweismittel in Bezug auf die Sache
weder durch die Beteiligten noch durch das Gericht der weiteren Beschwerde eingeführt
werden können; das gilt sowohl für Tatsachen, die bei Erlass der
Beschwerdeentscheidung schon bestanden haben, aber nicht vorgebracht wurden, als
auch für erst nachträglich eingetretene (vgl. hierzu im einzelnen: Keidel/Kuntze/Winkler,
FGG, 15. Aufl., § 27 Rdrn. 45 ff. m.w.Nachw.).
Auch der Umstand, dass die Kammer - wie sich aus den Gründen des angefochtenen
Beschlusses ergibt - die Auskünfte der Mitarbeiter der Antragstellerin ohne weitere
Ermittlungen als glaubhaft erachtet hat, begründet keinen Verstoß gegen § 12 FGG. Es
besteht Einigkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass bei der Prüfung,
innerhalb welchen Zeitraums eine Abschiebung möglich erscheint, zuvörderst auf die
Erfahrungen der (zentralen) Ausländerbehörden zurückzugreifen ist (OLG Hamm, a.a.O.;
OLG Düsseldorf, Beschluss. vom 05.06.2002, Az.: 3 Wx 152/02; OLG Köln, Beschluss vom
23.11.2001, Az.: 16 Wx 253/01). Dabei teilt auch der Senat allerdings die Auffassung,
dass der Haftrichter den Angaben einer antragstellenden Behörde nicht blind vertrauen
darf, sondern diese aus gegebenem Anlass auch überprüfen muss. Ein solcher Anlass
bestand vorliegend bei der gebotenen Gesamtwürdigung jedoch nicht. Zudem deckten
sich die Angaben der Behörde durchaus mit den Feststellungen anderer Gerichte,
wonach eine Abschiebung (Zurückschiebung) innerhalb des maßgebenden Zeitraums
nach Indien - vorbehaltlich der Richtigkeit der Angaben des Betroffene zu seiner Person -
möglich war (vgl. z.B. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.01.2007, Az.: 20 W 466/06).
Insoweit beruft sich der Beschwerdeführer ohne Erfolg auf frühere Rechtsprechung. Im
Übrigen lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass die entsprechenden Angaben des Betroffenen falsch gewesen sein könnten,
nicht vor. Diesen Sachverhalt hat - wie ausgeführt - auch der Senat seiner Entscheidung
über die Rechtsbeschwerde zu Grunde zu legen.
Auch eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist angesichts der dargestellten
Abläufe nicht feststellbar.
Da die Anordnung der Haft somit zu Recht erfolgt ist, ist der Tatbestand des § 16 FEVG
ersichtlich nicht erfüllt, so dass eine Kostenerstattung ausscheidet.
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