Urteil des OLG Brandenburg vom 09.05.2006
OLG Brandenburg: abberufung, wirksame vertretung, einspruch, urkunde, zustellung, verspätung, unterzeichnung, entschuldigung, vertretungsmacht, handelsregister
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 112/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 15 HGB, § 107 Abs 2 AktG
Aktiengesellschaft: Einspruch gegen Versäumnisurteil durch
ausgeschiedenen Vorstand
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Potsdam vom 9.5.2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von 12.522,27 € nebst 8 % Zinsen über
dem Basiszinssatz ab 28.7.2005 und 21,34 € Bankrücklastkosten sowie auf den Ersatz
vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 414,50 € nebst 5 % über dem
Basiszinssatz ab 14.9.2005 und 36 € vorgerichtlicher Auskunftskosten in Anspruch.
Das Landgericht hat durch Versäumnisurteil vom 6.10.2005 die Beklagte - mit
Ausnahme der Auskunftskosten - antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist dem Vorstand
P. F. zugestellt worden. Jener hat für die Beklagte Einspruch eingelegt; zu dessen
Begründung hat er vorgetragen, dass er aus deren Vorstand ausgeschieden sei.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 9.5.2006 den Einspruch als unzulässig verworfen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, das Versäumnisurteil sei der Beklagten nach §§ 170
Abs. 1, 178 Abs. 1 Nr. 1, 180 Satz 1 ZPO wirksam zugestellt worden, da die Abberufung
des Vorstands P. F. nicht in das Handelsregister eingetragen gewesen sei und die
negative Publizität des Handelsregisters nach § 15 Abs. 1 HGB auch im Prozessverkehr
gelte; Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Klägerin von der Abberufung bestünden nicht.
Infolge der Abberufung habe der Vorstand P. F. jedoch nicht das Einspruchsverfahren für
die Beklagte betreiben können. Die Abberufung sei mit Zustellung des entsprechenden
Aufsichtsratsbeschlusses wirksam geworden. Die Beklagte habe die Einlegung des
Einspruchs auch nicht genehmigt.
Gegen dieses Urteil, dessen Zustellung am 23.5.2006 stattgefunden hat, hat die
Beklagte, vertreten durch den Vorstand P. F., am 16.6.2006 Berufung eingelegt und
diese am 17.7.2006 begründet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 9.5.2006 aufzuheben und den Rechts
streit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht
zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1
ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
11
12
13
14
15
16
17
18
19
1. Die in erster Instanz vorgetragene Abberufung des Vorstands P. F. führt nicht zur
Unzulässigkeit der Berufung. Dazu wird nun vorgetragen, dass eine Abberufung nicht
stattgefunden habe; nach dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung am
10.1.2007 ist eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats in einem schriftlichen
Umlaufverfahren zwar in Gang gesetzt worden, aber nicht zustande gekommen. Der
Berücksichtigung dieses Vortrags steht im Hinblick auf die Zulässigkeit der Berufung §
529 Abs. 1 ZPO nicht entgegen. Denn nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Zulässigkeit
der Berufung und damit insbesondere die Berechtigung zu ihrer Einlegung
(Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 522, Rn. 2, und § 511, Rn. 4) vom
Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen. Zudem hat in erster Instanz ein Anlass zu
Vortrag zur Zulässigkeit einer noch einzulegenden Berufung nach § 282 ZPO nicht
bestanden, weshalb das Vorbringen - jedenfalls in diesem Zusammenhang - auch nach
§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen ist.
Demgegenüber kann die Klägerin - allerdings, wie noch auszuführen sein wird, ebenfalls
nur in diesem Zusammenhang - mit ihrem Bestreiten nicht gehört werden. Denn eine
Abberufung des Vorstands P. F. ist bis jetzt unstreitig nicht in das Handelsregister
eingetragen worden. Das muss die Klägerin nach § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB gegen sich
gelten lassen; denn § 15 HGB gilt, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auch
im Prozessverkehr (Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 15, Rn. 8, 13).
Demgemäß ist für die Zulässigkeit der Berufung der Vorstand P. F. als zur Vertretung
der Beklagten berechtigt anzusehen.
2. Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht den
Einspruch gegen das Versäumnisurteil nach § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig
verworfen. Dabei hat es auch im Lichte des Berufungsvorbringens zu verbleiben.
a) Das Landgericht hat auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien
richtig entschieden. Für die Beklagte ist mit Schriftsatz vom 13.2.2006 (Bl. 87 d.A.) unter
Beifügung einer entsprechenden Prozessvollmacht vorgetragen worden, dass der
Vorstand P. F. für sie handele. Jener hat indes nach dem Vortrag im Einspruchsverfahren
die Beklagte nicht mehr vertreten können. Im Schriftsatz vom 12.1.2006 (Bl. 76 d.A.) ist
ausgeführt, dass bereits die Zustellung des Versäumnisurteils an den aus dem Vorstand
ausgeschiedenen P. F. erfolgt sei. Im Schriftsatz vom 21.3.2006 (Bl. 119 d.A.) wird
erneut das Ausscheiden des P. F. aus dem Vorstand vorgetragen und hinzugefügt, dass
somit der Einspruch gegen das Versäumnisurteil rechtlich unwirksam sei, da es an einer
Vertretungsmacht für die Beklagte fehle; insoweit sei auch die Mandatierung des
Prozessbevollmächtigten für die Beklagte nicht wirksam erfolgt. Der so vorgetragenen
Beendigung der Zugehörigkeit des P. F. zum Vorstand der Beklagten, die zum Entfallen
seiner Vertretungsmacht bereits vor der Einlegung des Einspruchs gegen das
Versäumnisurteil geführt hat, steht der - gegenteilige - Inhalt des Handelsregisters nicht
entgegen; denn die Eintragung des Ausscheidens eines Vorstands nach § 81 AktG hat
nur deklaratorische Bedeutung (Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 81, Rn. 10). Eine wirksame
Vertretung der Beklagten folgt auch nicht aus § 15 Abs. 1 HGB, da sich danach die
anmeldepflichtige Person selbst nicht auf die fehlende Eintragung einer Tatsache
berufen kann (Baumbach/Hopt, a.a.O., § 15, Rn. 6).
b) Mit dem in der Berufung demgegenüber neuen Vorbringen, dass eine
Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Abberufung des Vorstands P. F. nicht
stattgefunden habe, kann die Beklagte zur Begründetheit der Berufung nach § 529 Abs.
1 ZPO nicht gehört werden. Nachdem die Klägerin diesen Vortrag sowohl schriftsätzlich
(Bl. 157 d.A.) als auch in der mündlichen Verhandlung am 10.1.2007 bestritten hat,
kommt eine Zulassung des neuen Vortrags nur nach § 531 Abs. 2 ZPO in Betracht,
dessen Voraussetzungen indes nicht vorliegen.
aa) Ein Fall des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, nachdem das Landgericht
die Frage der Abberufung des Vorstands P. F. geprüft und für entscheidungserheblich
befunden hat.
bb) Auch § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist nicht einschlägig, da ein Verfahrensmangel
im ersten Rechtszug nicht stattgefunden hat. Nach dem klaren und
unmissverständlichen erstinstanzlichen Vortrag zum Ausscheiden des Vorstands P. F.
hat es insbesondere eines Hinweises nach § 139 ZPO nicht bedurft.
cc) Eine Zulassung nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO kommt nicht in Betracht, da
nicht erkannt werden kann, dass die Beklagte an einem rechtzeitigen erstinstanzlichen
Vortrag gehindert gewesen ist. Die Beklagte hat die Verspätung ihres Vorbringens nicht
hinreichend entschuldigt. Die Ausführungen in der Berufungsbegründung (Bl. 147 d.A.),
20
21
22
23
hinreichend entschuldigt. Die Ausführungen in der Berufungsbegründung (Bl. 147 d.A.),
der Vorstand P. F. sei von seiner wirksamen Abberufung ausgegangen und habe erst in
der Zwischenzeit von dem Zeugen und Notar M. Gegenteiliges erfahren, reicht dazu
nicht aus. Sie lassen schon nicht erkennen, welche Umstände den Vorstand P. F. bei
gehöriger Prüfung gemäß § 282 ZPO zu seiner ursprünglichen Annahme bewogen haben
mögen. Die vorgelegte Niederschrift einer Aufsichtsratssitzung am 16.11.2004 (Bl. 149 f.
d.A.) ist dazu schon deshalb nicht geeignet, weil sie von keinem der
Aufsichtsratsmitglieder unterzeichnet ist. Ob dem Vorstand P. F. die - von der Klägerin
vorgelegte - Urkunde des Zeugen und Notars M. vom 20.1.2005 (Bl. 103 ff. d.A.)
vorgelegen hat, erschließt sich aus dem Berufungsvorbringen nicht; es ergibt sich auch
nicht aus der Urkunde selbst, auf der zwar handschriftlich “z. Hd. Hr. F. zur Info”
vermerkt, nicht aber der Zeitpunkt der Übermittlung an ihn angegeben ist. Auch ist es
nicht nachvollziehbar, welche Umstände der Zeuge und Notar M. nachträglich mitgeteilt
haben soll. Eine Beteiligung des Zeugen und Notars M. an den maßgeblichen
Geschehnissen ist nicht ersichtlich. Die - bereits erwähnte - Urkunde vom 20.1.2005 hat
lediglich die Beglaubigung von Erklärungen des B. H. zum Gegenstand; soweit dort auf
der zweiten Seite von einem Beschluss des Aufsichtsrates vom 16.11.2004 über die
Abberufung des Vorstands P. F. die Rede ist, ergeben sich Anhaltspunkte für die
Unrichtigkeit dieser Erklärung, die der Zeuge und Notar M. hätte mitteilen können, aus
der Urkunde nicht. Woher der Zeuge die Erkenntnis gewonnen haben soll, dass eine
Beschlussfassung des Aufsichtsrats nicht stattgefunden habe, bleibt nach alledem
ebenso im Dunkeln wie der genaue Inhalt und der Zeitpunkt seiner Erklärung; seine
Vernehmung durch den Senat ist vor diesem Hintergrund nicht angezeigt. Auf die
unzureichende Entschuldigung der Verspätung ist die Beklagte in der mündlichen
Verhandlung durch den Senat hingewiesen worden. Ein Schriftsatznachlass ist ihr nicht
zu gewähren gewesen, da nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO bereits die
Berufungsbegründung die Tatsachen enthalten muss, die zu einer Zulassung neuer
Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO führen; etwas anderes kommt
hier umso weniger in Betracht, als schon die Ausführungen in der Berufungsbegründung
zeigen, dass die Beklagte das Erfordernis einer Entschuldigung der Verspätung erkannt
hatte und demzufolge auch dazu rechtzeitig hätte vortragen können und müssen.
c) Der Wirksamkeit der nach alledem anzunehmenden Abberufung des Vorstands P. F.
steht die von der Beklagten erwähnte (Bl. 147 d.A.) fehlende Dokumentierung einer
Beschlussfassung und Unterzeichnung einer Niederschrift nicht entgegen. Zwar ist nach
§ 107 Abs. 2 Satz 1 AktG über die Sitzungen des Aufsichtsrats eine Niederschrift
anzufertigen, die der Vorsitzende zu unterzeichnen hat und in der nach § 107 Abs. 2
Satz 2 AktG die Beschlüsse des Aufsichtsrats anzugeben sind. Jedoch führt ein Verstoß
dagegen gemäß § 107 Abs. 2 Satz 3 AktG nicht zur Unwirksamkeit betroffener
Aufsichtsratsbeschlüsse. Demzufolge kommt es auf eine ordnungsgemäße
Dokumentation einer Abberufung des Vorstands P. F. und deren Unterzeichnung hier im
Ergebnis nicht an; das gilt nicht nur für die Frage, ob ein Aufsichtsratsbeschluss wirksam
gefasst worden ist, sondern auch für dessen Inhalt, da die Niederschrift auch dafür keine
konstitutive Bedeutung hat (Hüffer, a.a.O., § 107, Rn. 13).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da weder die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543
Abs. 2 ZPO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum