Urteil des OLG Brandenburg vom 19.01.2005

OLG Brandenburg: auflösende bedingung, treu und glauben, zwangsvollstreckung, neues vorbringen, beendigung, geschäftsführer, erfüllung, zugang, klageänderung, kopie

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 4.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 U 34/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts
Potsdam vom 19.01.2005 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Ihrem Anerkenntnis gemäß wird die Beklagte dazu verurteilt, den vollstreckbaren
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Potsdam vom 31.01.2001 - 11 O 251/97
- an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte wird zudem verurteilt, an die Klägerin 7.274,78 € nebst Zinsen in Höhe von
8 % über dem Basiszinssatz - höchstens jedoch 11,25 % - seit dem 22.04.2005 zu
zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten, die Zwangsvollstreckung
aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Potsdam vom 31.01.2001 zu
betreiben. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO).
Darin hat das Landgericht Potsdam die Vollstreckungsgegenklage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte betreibe
berechtigtermaßen die Zwangsvollstreckung aus dem Titel. Der zwischen den Parteien
am 16.07.2001 abgeschlossene Vergleich enthalte einen auflösend bedingten Erlass des
über 4.000,00 DM hinausgehenden Restbetrages aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss. Auflösende Bedingung sei der nicht rechtzeitige Eingang
der Zahlung bei der Klägerin. Da der Zahlungseingang unstreitig erst nach dem
20.07.2001 erfolgt sei, sei die auflösende Bedingung eingetreten und der Erlass des
Restbetrages entfallen. Die Klägerin habe nicht schlüssig dargelegt, dass die Beklagte
gleichwohl auf die Zahlung des Restbetrages verzichtet hätte oder ihr
Zahlungsverlangen gegen § 242 BGB verstoße. Die Behauptungen der Klägerin zu dem
Inhalt eines Telefonats vom 20.07.2001 mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten
seien für einen Verzicht nicht ausreichend. Die Tatsache, dass die Beklagte zunächst
Pfändungsmaßnahmen zurückgenommen habe und danach etwa 1 ¾ Jahre zuwartete,
bevor sie mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 01.04.2003 ihre
Ansprüche auf Zahlung des Restbetrages aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss
weiterverfolgte, reiche für die Annahme des im Rahmen der Verwirkung erforderlichen
Zeitmoments noch nicht aus.
Mit der Berufung rügt die in der ersten Instanz unterlegene Klägerin die materielle
Rechtsanwendung, verfolgt den erstinstanzlich abgewiesenen Antrag auf Herausgabe
des Titels uneingeschränkt weiter und stellt im übrigen die Vollstreckungsabwehrklage -
nach einem unstreitigen vollständigen Ausgleich der Forderung durch Zahlungen vom
21.02.2005 und 23.02.2005 - auf einen Zahlungsantrag um. Das Landgericht sei zu
Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Voraussetzungen für den
aufschiebend bedingten Teilerlass nicht erfüllt habe. Es komme hier auf die rechtzeitige
Leistungshandlung der Klägerin und nicht auf den Zahlungseingang beim Gläubiger an.
Im übrigen habe der Beklagtenvertreter in dem Telefonat vom 20.07.2001 wenigstens
konkludent auf die Einrede der Verfristung des Zahlungseingangs verzichtet. Anders
könne auch die Kontenfreigabe nicht ausgelegt werden. Die Wiederaufnahme der
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könne auch die Kontenfreigabe nicht ausgelegt werden. Die Wiederaufnahme der
Zwangsvollstreckung habe zudem Treu und Glauben widersprochen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 26.01.2005 - 2
O 439/04 - zu verurteilen,
1. den vollstreckbaren Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Potsdam vom
31.01.2001 - 11 O 251/97 - an die Klägerin herauszugeben und
2. an die Klägerin 7.274,78 € nebst 11,25 % Zinsen auf 1.000,00 € seit dem 27.10.2003,
auf 2.000,00 € seit dem 21.11.2003, auf 5.900,51 € seit dem 21.02.2005 sowie auf
7.274,78 € seit dem 23.02.2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat den Antrag zu Ziffer 1) in der mündlichen Verhandlung anerkannt und
beantragt im übrigen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, hält die Anwendung des materiellen Rechts
durch das Landgericht für fehlerfrei und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
II. Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Der als Antrag zu Ziffer 1) verfolgte Herausgabeantrag der Klägerin hinsichtlich der
vollstreckbaren Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts
Potsdam vom 31.01.2001 ist durch das Teilanerkenntnis der Beklagten gemäß § 307
Abs. 1 ZPO erledigt.
2. Die weitergehende Klage ist mit dem in der Berufungsbegründung neu eingeführten
Antrag zu Ziffer 2) zulässig und überwiegend begründet.
a) Die mit der Berufungsbegründung erfolgte Klageänderung ist gemäß § 533 ZPO
zulässig.
Die Umstellung der erstinstanzlich erhobenen Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) in
einen Zahlungsantrag gegen die Beklagte (sogenannte „verlängerte
Vollstreckungsabwehrklage“) ist im Sinne des § 533 Nr. 1 ZPO sachdienlich und zudem
mit Einwilligung der Beklagten gemäß §§ 525 Satz 1, 267 ZPO erfolgt. Soweit die Klägerin
ihren Zahlungsantrag auch auf neue Tatsachen zu durch weitere
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen veranlassten Zahlungen an die Beklagte am
21.02.2005 und 23.02.2005 - also jeweils nach der Verkündung des erstinstanzlichen
Urteils - stützt, sind diese zwischen den Parteien unstreitig. Zudem wären diese
Tatsachen, die im ersten Rechtszug von der Klägerin naturgemäß nicht geltend gemacht
werden konnten, auch im Rahmen der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO
zulassungsfähig. Damit liegt für eine zulässige Klageänderung auch die weitere
Voraussetzung des § 533 Nr. 2 ZPO vor.
b) Der Zahlungsantrag der Klägerin ist auch - bis auf einen Teil der Zinsforderung -
begründet.
aa) Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 BGB
Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe von 7.274,78 € zu.
Einen Geldbetrag in dieser Gesamthöhe hat sie aufgrund der im Jahr 2003 fortgesetzten
Zwangsvollstreckung an die Beklagte als Gläubigerin geleistet, obwohl diese Summe von
ihr nicht gefordert werden durfte. Da die Leistungen an die Beklagte damit die Forderung
überstiegen haben, hat die Klägerin insoweit ohne Rechtsgrund geleistet (vgl. auch BGH,
Urteil vom 06.03.1987, BGHZ 100, 211 ff. = NJW 1987, 3266).
(1) Die Klägerin kann sich für das Fehlen eines Rechtsgrundes für die weitere
Zwangsvollstreckung allerdings nicht mit Erfolg auf eine Erfüllung der Vereinbarung der
Parteien vom 16.07.2001 berufen, durch die ein Erlass der Restforderung aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss nur unter der auflösenden Bedingung einer nicht
rechtzeitigen Zahlung von 4.000,00 DM (§ 158 Abs. 2 BGB) durch die Klägerin vereinbart
worden war.
(a) Die Klägerin hat mit der Überweisung des Vergleichsbetrages in Höhe von 4.000,00
DM die in der Vereinbarung vorgesehene Zahlungsfrist bis zum 20.07.2001 nicht
eingehalten.
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(aa) Nach dem nicht auslegungsbedürftigen Text der zwischen den Parteien getroffenen
Vereinbarung sollte die Zahlung von 4.000,00 DM bis zum 20.07.2001 auf dem
Geschäftskonto des Rechtsanwalts ... bei der ...bank eingehen. Durch das Abstellen auf
den Geldeingang ist eine von § 270 Abs. 1 BGB abweichende Vereinbarung für die
Rechtzeitigkeit der Leistung dahin getroffen worden, dass der Eintritt des
Leistungserfolges, also der Eingang des Geldes auf dem Konto des Bevollmächtigten der
Beklagten, und nicht - wie bei der am gleichen Tag zwischen der Klägerin und
Rechtsanwalt ... in eigener Sache getroffenen Vereinbarung - der Zeitpunkt der
Leistungshandlung maßgeblich sein sollte (vgl. hierzu auch: BGH, Urteil vom 24.06.1998,
BGHZ 139, 123 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 13.10.1992, NJW-RR 1993, 583).
(bb) Die Anforderungen dieser vertraglichen Vereinbarung über die Rechtzeitigkeit der
Leistung hat die Klägerin nicht erfüllt. Es genügte für die Klägerin nicht, den
Überweisungsauftrag am 19.07.2001 bei der ...bank abzugeben; durch die erst am
23.07.2001 erfolgte Abbuchung des Betrages von dem Konto der Klägerin (Wertstellung:
20.07.2001) und den erst nach dem 23.07.2001 bei der Beklagten erfolgten Geldeingang
- der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nennt hierzu in seinem Schreiben vom
13.10.2004 (Anlage K 14) das Zahlungsdatum 24.07.2001 - war die vereinbarte
Zahlungsfrist versäumt. Damit kam die in der Vereinbarung vom 16.07.2001 enthaltene
auflösende Bedingung mit dem Ergebnis zur Geltung, dass der zunächst gewährte
teilweise Forderungsverzicht durch das Eintreten des alten Rechtszustandes zum
21.07.2001 wieder entfallen war.
(b) Dem Entfallen des teilweisen Verzichts steht nicht das von der Klägerin behauptete
Telefongespräch zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und dem
Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 20.07.2001 entgegen.
Für die Behauptung der Klägerin, Rechtsanwalt ... habe in diesem von der Beklagten
bestrittenen Telefonat lediglich auf den Nachweis der rechtzeitigen Leistungshandlung
Wert gelegt und hierzu um die Übersendung des Überweisungsauftrags per Telefax
gebeten - jedoch keinen Vorbehalt für den Fall eines Zahlungseingangs auf seinem
Geschäftskonto nach dem 20.07.2001 gemacht -, hat sie trotz des zulässigen
Bestreitens der Beklagten keinen Beweis angetreten. Bereits aus diesem Grund können
die Ausführungen der Klägerin zu dem Inhalt des Telefongesprächs bei der Entscheidung
des Rechtsstreits nicht berücksichtigt werden.
Zudem ist dem Landgericht darin beizutreten, dass sich aus dem vorgetragenen Inhalt
des Gesprächs keine schlüssige Erklärung der Beklagten dahin ergibt, dass sie nun -
entgegen der schriftlichen Vereinbarung - nicht mehr an der Rechtzeitigkeitsklausel
festhalten wolle. Unklar bleibt auch, ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in
einem etwaigen Telefonat überhaupt für diese tätig geworden ist oder ob seine -
bestrittenen - Äußerungen nicht im Zusammenhang mit der zweiten Vereinbarung vom
16.07.2001 in eigener Sache gemacht worden sein könnten. Immerhin enthielt die
weitere Vereinbarung vom 16.07.2001 - wie bereits erwähnt - keine
Rechtzeitigkeitsklausel, so dass für die Zahlung der 5.000,00 DM an Rechtsanwalt ...
persönlich nicht auf den Zahlungseingang, sondern nur entsprechend § 270 Abs. 1 BGB
auf die rechtzeitige Absendung des Geldes abzustellen war. Schließlich hat die Beklagte
auch zu Recht darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den Nachweis der
Leistungshandlung das Vorbringen der Klägerin unlogisch sei, da von der Klägerin bereits
am 19.07.2001 eine Kopie des Überweisungsauftrags per Telefax an die Kanzlei des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt worden sein soll.
(2) Die Beklagte hat jedoch mit der von ihr am 25.07.2001 - unverzüglich nach dem
Eingang des Überweisungsbetrages - kommentarlos veranlassten Aufhebung aller
eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch die Freigabe der Kontenpfändung
einen konkludenten Verzicht auf die den Betrag von 4.000,00 DM übersteigende
Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Potsdam erklärt.
(a) Es ist grundsätzlich anerkannt, dass der durch eine Bedingung Begünstigte - hier: die
Beklagte - einseitig auf die mit dem Eintritt der auflösenden Bedingung verbundenen
Rechtsfolgen verzichten kann (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.03.1998, BGHZ 138, 195 ff.
= NJW 1998, 2360). Für die Eindeutigkeit des für einen Verzicht notwendigen
rechtsgeschäftlichen Erklärungswillens gelten hierbei - wegen der gleichgerichteten
Wirkung - im Wege der Auslegung keine geringeren Anforderungen als für eine
entsprechende Erklärung zur Begründung eines Erlassvertrages im Sinne des § 397 Abs.
1 BGB. Dabei sind an die Feststellung eines Erlasswillens strenge Anforderungen zu
stellen, da es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der
Senat in vollem Umfang anschließt, einem Erfahrungssatz entspricht, dass ein Erlass
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Senat in vollem Umfang anschließt, einem Erfahrungssatz entspricht, dass ein Erlass
nicht zu vermuten und eine entsprechende Erklärung im Zweifel eng auszulegen ist. Die
in § 157 BGB bestimmte Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben hat bei der
Auslegung vertraglicher Vereinbarungen zur Folge, dass stets davon auszugehen ist,
dass beide Parteien mit der getroffenen Vereinbarung ihren Interessen gerecht werden
wollen. Bei der Bestimmung dieser Interessen kann die Lebenserfahrung nicht
unberücksichtigt bleiben. Hiernach ist es lebensfremd, anzunehmen, dass eine Partei
ohne einen besonderen Grund auf eine offensichtlich begründete Forderung verzichtet
(so auch BGH, Urteil vom 09.07.1999, NJW-RR 2000, 130 m. w. N.). Für einen durchaus
möglichen konkludenten Erlass ist daher ein unzweideutiges Verhalten erforderlich, das
von dem Erklärungsgegner als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann (vgl. BGH,
Urteil vom 20.05.1981, FamRZ 1981, 763).
(b) Nach den Feststellungen des Senats liegt in dem zu entscheidenden Einzelfall bei
einer Gesamtschau der vorgetragenen, unstreitigen Begleitumstände im Ergebnis ein
solches unzweideutiges Verhalten der Beklagten nach dem Eingang des Geldbetrages
vor.
(aa) Es sind ausnahmsweise besondere Umstände gegeben, die der Klägerin trotz des
Bestehens einer titulierten Forderung die berechtigte Annahme erlaubt haben, die
Beklagte habe ihre weitergehenden Rechte nach dem Erhalt der Teilzahlung aufgegeben:
(aaa) Bereits die nach dem Eingang der verspäteten Zahlung am 25.07.2001 erfolgte
vorbehaltlose Rücknahme der auf der Grundlage des Kostenfestsetzungsbeschlusses
eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen deutete aus der maßgeblichen Sicht
der Klägerin darauf hin, dass die Beklagte an ihren weiteren Rechten aus dem Titel nicht
länger festhalten wollte.
(bbb) Zudem hat die Beklagte die sofortige Beendigung der
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auch gegenüber der Klägerin kundgetan, indem sie
der Klägerin - ohne ein erläuterndes Begleitschreiben - per Telefax vom 25.07.2001 um
9.26 Uhr ihr Anschreiben vom gleichen Tag an das Amtsgericht ... (Anlage K 6 a), mit
dem sie ihren Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom
28.04.2001 zurückgenommen und um die Rücksendung der Vollstreckungsunterlagen
gebeten hat, zur Verfügung gestellt hat. Auf die gleiche Weise hat die Beklagte der
Klägerin auch ihr Anschreiben an die ...bank T... (Anlage K 6 b), in dem ausdrücklich für
den Fall der schon durchgeführten Pfändung die Freigabe der gepfändeten
Kontoverbindung erklärt worden ist, kommentarlos übermittelt.
Soweit die Beklagte in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.08.2005 unter
Hinweis auf Seite 6 der erstinstanzlichen Klageerwiderung vom 02.11.2004 bestreitet,
dass die Klägerin die insoweit vorgelegten Unterlagen von ihr oder ihrem
Prozessbevollmächtigten erhalten habe, ergibt sich ein derartiges Bestreiten der
Beklagten aus ihren erstinstanzlichen Schriftsätzen nicht. Auf der angegebenen Seite
der Klageerwiderung äußert sich die Beklagte nicht zu den beiden Schreiben vom
25.07.2001, sondern vertritt nur die Rechtsauffassung, kein Erlassangebot abgegeben
zu haben. Somit handelt es sich bei dem aufgezeigten Bestreiten um ein neues
Vorbringen der Beklagten nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung. Dieses neue
Vorbringen, das gemäß §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO ohnehin im
Berufungsverfahren nicht zulassungsfähig sein dürfte, gibt dem Senat keine
Veranlassung, die ordnungsgemäß geschlossene mündliche Verhandlung gemäß §§ 525
Satz 1, 156 ZPO wiederzueröffnen.
(ccc) Schließlich kommt hinzu, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor dem
Eingang des Überweisungsbetrages auf seinem Geschäftskonto ein Telefax des
Geschäftsführers der Klägerin erhalten hatte (Anlage K 4 und B 4), in dem dieser die
Kopie des Überweisungsträgers vom 19.07.2001 mit dem Kommentar verbunden hatte,
dass damit „die Vergleiche gültig“ seien. Diese Anmerkung des Geschäftsführers der
Klägerin verdeutlicht, dass er den oben aufgezeigten inhaltlichen Unterschied der beiden
am 16.07.2001 getroffenen Vereinbarungen nicht richtig verstanden hatte und daher
irrtümlich davon ausging, dass die von ihm veranlasste Zahlung ausreichend sei, um die
Wirkungen des jeweiligen Verzichts zugunsten der Klägerin erhalten zu können. Die von
ihm in diesem Zusammenhang benutzte Formulierung einer „Gültigkeit der Vergleiche“
zielt sprachlich laienhaft, aber gleichwohl gut erkennbar ausschließlich darauf ab, dass
wegen der aus seiner Sicht rechtzeitigen Zahlung der am 16.07.2001 vereinbarte Erlass
der jeweiligen Restbeträge - hierin lag der einzige Regelungsgegenstand und der für die
Klägerin wesentliche Vorteil der Vereinbarungen - wirksam bleiben soll.
Soweit die Beklagte in dem Schriftsatz vom 15.08.2005 die Auffassung vertritt, der
Zugang des Telefaxes bei ihren Bevollmächtigten am 19.07.2001 sei nicht unstreitig, da
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Zugang des Telefaxes bei ihren Bevollmächtigten am 19.07.2001 sei nicht unstreitig, da
die Klägerin schriftsätzlich darauf bestanden habe, dass das Telefax erst nach dem
behaupteten Telefongespräch am 20.07.2001 versandt worden sei, bedarf dieser
Unterschied im tatsächlichen Vorbringen der Parteien keiner weiteren Aufklärung. Da
keine der Parteien den Zugang des Telefaxes vor dem 25.07.2001 in Abrede gestellt hat,
kann es aus rechtlichen Erwägungen dahinstehen, ob die Übertragung dieses
Schreibens schon am 19.07.2001 - so die Faxkennung, die als Uhrzeit 18.57 Uhr
ausweist - oder erst am 20.07.2001 erfolgt ist.
Im übrigen ist der Senat - entgegen der von dem Beklagten in dem Schriftsatz vom
15.08.2005 geäußerten Rechtsauffassung - dazu berechtigt, dass Telefax vom
19.07.2001 in seine Gesamtschau der vorgetragenen Begleitumstände einzubeziehen
und hieraus die rechtlich gebotenen Schlüsse zu ziehen. Dieses Telefax, das seinem
Inhalt nach unstreitig ist, wurde von beiden Parteien als Anlage zu ihren erstinstanzlichen
Schriftsätzen vorgelegt und ist damit auch im Berufungsverfahren ein Teil des zu
berücksichtigenden Prozessstoffes. Zudem hat sich der Geschäftsführer der Klägerin im
Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage am 10.08.2005 ausdrücklich auf den
unstreitigen Inhalt des Telefaxes zum Beleg dafür bezogen, dass er davon ausgegangen
sei, mit der rechtzeitigen Veranlassung der Überweisung alles zur Bewirkung des
vereinbarten Erlasses Erforderliche getan zu haben. Der Umstand, dass die Klägerin in
ihrem schriftsätzlichen Vorbringen dem Telefax keinen gesteigerten Wert beigemessen
hat, bindet den Senat in seiner rechtlichen Würdigung nicht. Schließlich greift auch die
von der Beklagten in dem Schriftsatz vom 15.08.2005 zu dem Vorbringen des
Geschäftsführers der Klägerin erhobene Verspätungsrüge (§ 530 ZPO) nicht, da die
Bezugnahme auf unstreitiges Tatsachenvorbringen zu keiner Verzögerung des
Rechtsstreits führen kann.
(ddd) Da die Beklagte, die sich die Kenntnisse ihres mit der Zwangsvollstreckung aus
dem Kostenfestsetzungsbeschluss beauftragten Bevollmächtigten gemäß § 166 Abs. 1
BGB als eigene Kenntnisse zurechnen lassen muss, in Kenntnis der offen gelegten
Fehlvorstellung der Klägerin über die Rechtzeitigkeit ihrer Zahlung gleichwohl ohne jede
einschränkende Erklärung gegenüber der Klägerin nach dem Eingang des Geldbetrages
die Zwangsvollstreckung beendet und dies der Klägerin auch mitgeteilt hatte, konnte die
Klägerin dieses Verhalten der Beklagten nur dahin verstehen, dass sie ihr tatsächlich -
wie vereinbart - den Rest der titulierten Forderung erlassen wollte. Angesichts der
aufgezeigten Abläufe im Juli 2001 gab es für die Klägerin keinen Anlass, an der
uneingeschränkten Wirksamkeit der Zahlung und dem damit verbundenen Erlassvertrag
zu zweifeln. Es hätte in dieser Situation vielmehr der Beklagten oblegen, die Klägerin -
etwa durch ein begleitendes Anschreiben am 25.07.2001 - auf ihren ersichtlichen Irrtum
hinzuweisen und sich dabei künftige Vollstreckungsmaßnahmen aus dem Titel
vorzubehalten. In Ermangelung eines solchen - mündlichen oder schriftlichen - Hinweises
genügen die festzustellenden Umstände für die Annahme eines konkludenten
Forderungsverzichts durch die Beklagte. Da aus Sicht der Klägerin an der vollständigen
Erfüllung der titulierten Forderung bis zu der Fortsetzung der
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Frühjahr 2003 keine Zweifel mehr bestehen
konnten, kommt es nicht darauf an, dass sie vorprozessual von der Beklagten nicht die
Herausgabe des aus ihrer Sicht wertlosen Titels oder die Erstellung einer
Ausgleichsquittung verlangt hat.
(bb) Soweit die Beklagte demgegenüber die Auffassung vertritt, ihr Verhalten sei nicht
so unzweideutig, dass es von der Klägerin als Aufgabe der weiteren Rechte aus dem Titel
habe verstanden werden können, da das vorübergehende Absehen von
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unterschiedliche Gründe haben könne -
insbesondere komme neben einer „Deeskalation“ in Betracht, dass der Klägerin durch
die Freigabe des Geschäftskontos eine Fortführung ihres Betriebes ermöglicht werden
sollte, um ihr die Gelegenheit zu geben, die Geldbeträge zu verdienen, die von ihr in
Zukunft freiwillig gezahlt werden können -, übersieht sie den aufgezeigten
Zusammenhang zwischen der Erklärung der Klägerin in dem Telefax und den hiermit
übereinstimmenden Erklärungen der Beklagten gegenüber der ...bank und dem
Amtsgericht vom 25.07.2001, die der Klägerin noch am gleichen Tag zugänglich
gemacht worden sind. In den damaligen Erklärungen findet sich kein Anhaltspunkt dafür,
dass die Beendigung der Zwangsvollstreckung nur vorübergehender Natur sein könnte.
Eine solche Erläuterung hätte jedoch angesichts des Inhalts des Telefaxes gegenüber
der Klägerin zwingend erfolgen müssen.
(3) Die von der Klägerin an die Beklagte aufgrund der gegen sie ergriffenen
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zwischen dem 27.10.2003 und dem 23.02.2005
geleisteten Zahlungen belaufen sich unstreitig jedenfalls auf die von der Klägerin
geforderte Gesamtsumme von 7.274,78 €. Ihr liegen Teilzahlungen vom 22.10.2003
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geforderte Gesamtsumme von 7.274,78 €. Ihr liegen Teilzahlungen vom 22.10.2003
(1.000,00 €), 21.11.2003 (1.000,00 €), 21.02.2005 (3.900,51 €) und 23.02.2005
(1.374,39 €) zu Grunde. Der Gesamtbetrag ist der Klägerin von der Beklagten gemäß §
818 Abs. 2 BGB zu ersetzen. Auf einen etwaigen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3
BGB) hat sich die Beklagte nicht berufen.
Soweit die Beklagte erstinstanzlich gegen den Rückzahlungsanspruch der Klägerin
hilfsweise die Aufrechnung mit einem noch nicht titulierten Kostenerstattungsanspruch
in Höhe von 1.024,40 € aus dem Verfahren 51 O 46/04, Landgericht Potsdam, erklärt
hatte, hat sie dieses Verteidigungsvorbringen in der Berufung nicht wieder aufgegriffen.
bb) Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß §§ 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 2 BGB
ein Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 8 % über dem
Basiszinssatz - höchstens jedoch die geforderten 11,25 % - ab dem Tag nach der
Zustellung der Berufungsbegründung (21.04.2005) zu.
Der weitergehende Zinsanspruch ist unbegründet. Insbesondere besteht kein Anspruch
der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von Zinsen als gezogene Nutzungen im
Sinne des § 818 Abs. 1 BGB ab dem Zeitpunkt der Bereicherung. Dem Vorbringen der
Klägerin lässt sich nicht entnehmen, ob und welche Nutzungen die Beklagte aus den
erhaltenen Geldbeträgen tatsächlich gezogen haben soll. Soweit sich die Klägerin zur
Begründung einer Zinshöhe von 11,25 % auf einen Rechnungsabschluss ihrer Bank
bezogen hat, ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin ab dem 22.04.2005 Sollzinsen für
einen Kontokorrentkredit zumindest in Höhe der Klageforderung in Anspruch
genommenen hat.
3. a) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Hinsichtlich
der Zinsen ist die Mehrforderung der Klägerin im Sinne des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch
verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten veranlasst.
Soweit die Beklagte in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10.08.2005 den
Antrag der Klägerin auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung anerkannt hat,
fallen ihr auch für diesen Teil des Verfahrens die Kosten des Rechtsstreits zur Last. Eine
Anwendung des § 93 ZPO kommt nicht in Betracht, da die Beklagte hinsichtlich der
vollstreckbaren Ausfertigung durch ihr Verhalten zur Erhebung der Herausgabeklage
Anlass gegeben hat. Die Beklagte hat insbesondere - trotz des oben aufgezeigten
Verzichts auf einen Teil der titulierten Forderung - bis in den Februar 2005 mit Hilfe der
vollstreckbaren Ausfertigung die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin betrieben und
auch nach der Beendigung der Zwangsvollstreckung - trotz des bereits erstinstanzlich
gestellten Herausgabeantrags - den Titel nicht freiwillig an die Klägerin herausgegeben.
b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10,
711, 713 ZPO.
c) Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und auch die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 7.374,78 € festgesetzt.
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