Urteil des OLG Brandenburg vom 31.01.2007
OLG Brandenburg: mitverschulden, fahrspur, fahrzeug, betriebsgefahr, form, bus, haushalt, schmerzensgeld, klagerücknahme, halter
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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 38/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 842 BGB, § 286 ZPO, § 287
ZPO
Haushaltsführungsschaden: Umfang der Darlegungs- und
Beweislast des Verletzten
Tenor
Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das am 31. Januar 2007
verkündete Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 5 O
20/03, aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung -
auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz
in Bezug auf einen Verkehrsunfall vom 10.10.2002 auf der Autobahn A 9. Wegen der
weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird Bezug genommen auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 75.000,00
€ und zur Zahlung eines weiteren Betrages von 16.366,16 € verurteilt und hat dem
Feststellungsantrag in vollem Umfang stattgegeben. Es hat gemeint, nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Verschulden des Beklagten zu 1. nachgewiesen.
Zwar stünden Einzelheiten zum Unfallgeschehen nicht fest, es könne jedoch nach den
Angaben der Parteien sowie des Zeugen K. davon ausgegangen werden, dass das
Fahrzeug des Beklagten zu 1. den linken Blinker gesetzt und nach links herüber gezogen
sei, was zu einer Ausweichbewegung der Klägerin geführt habe, die adäquat kausal
durch das Fahrmanöver des Beklagten zu 1. verursacht worden sei. Dieses Verhalten
habe in der hier zu bewertenden Gefahrensituation eine normale und übliche Reaktion
dargestellt. Der Beklagte zu 1. habe bei dem Spurwechsel die erforderliche Sorgfalt
außer Acht gelassen, während der Klägerin kein Mitverschulden zur Last falle. Es sei
nicht belegt, dass das Ausweichmanöver mit der Einleitung der Notbremsung nicht
gerechtfertigt gewesen sei. Ein Unfallrekonstruktionsgutachten habe nicht eingeholt
werden müssen, da wegen der fehlenden Berührung der Fahrzeuge ausreichende
Anknüpfungstatsachen für weitere Erkenntnisse nicht erkennbar seien. Unter
Berücksichtigung der von der Klägerin erlittenen Verletzungen sei ein Schmerzensgeld in
Höhe von 75.000,00 DM (gemeint wohl Euro) angemessen. Aufgrund der
Sachverständigenfeststellungen sei davon auszugehen, dass jedenfalls ein Teil der
Beschwerden, an denen die Klägerin bis heute leidet, unfallursächlich seien; dies sei bei
der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Darüber hinaus hätten die
Beklagten 20.000,00 € zu leisten, wobei davon ausgegangen werde, dass jedenfalls bis
zum Abschluss der Rehabilitationsmaßnahmen für 15 Monate ein
Erwerbsminderungsschaden und ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von 15.354,45
€ eingetreten sei. Wegen des Haushaltsführungsschadens sei die Schadenshöhe nach §
287 ZPO zu ermitteln. Dass die Erwerbsunfähigkeit auch heute noch auf die Unfallfolgen
zurückzuführen sei, stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest. Ein
Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen des Ehemannes der Klägerin für Besuche
bestehe nicht, da die Klägerin keinen Beweis dafür angetreten habe, dass die Besuche
für die Heilerfolge notwendig gewesen seien. Der Anspruch auf Feststellung, dass die
Beklagten verpflichtet sind, sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen
Schaden zu ersetzen, sei ebenfalls begründet.
Gegen das der Klägerin am 08.02.2007 und den Beklagten am 05.02.2007 zugestellte
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Gegen das der Klägerin am 08.02.2007 und den Beklagten am 05.02.2007 zugestellte
Urteil haben die Klägerin am 20.02.2007 und die Beklagten am 06.03.2007 Berufung
eingelegt und diese mit einem am 22.03.2007 (Klägerin) bzw. am 10.04.2007
(Beklagten), dem Dienstag nach Ostern eingegangenen Schriftsatz, begründet.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es ihr günstig ist, rügt aber mit
ihrer Berufung, das Landgericht habe fehlerhaft hinsichtlich der Zinsentscheidung jeweils
5 % über dem Basiszinssatz tenoriert, anstatt richtigerweise Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten. Ausweislich der Entscheidungsgründe habe es hinsichtlich des Antrages
zu 2. den Schaden der Klägerin auf 20.000,00 € geschätzt, jedoch lediglich 16.366,16 €
tenoriert. Schließlich sei auch die Kostenentscheidung des Landgerichts nicht
nachvollziehbar.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 31.01.2007, Az.: 5 O 20/03,
dahingehend abzuändern, dass
1. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
29.10.2003 zu zahlen sind,
2. die Beklagten zu 1. und 3. verurteilt werden, gesamtschuldnerisch an die
Klägerin 20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 29.10.2003 zu zahlen und
3. die Klägerin von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. und 3. 6 %
zu zahlen hat und die Beklagten zu 1. und 3. 74 % der außergerichtlichen Kosten der
Klägerin zu erstatten haben. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. trägt die
Klägerin voll. Von den gerichtlichen Kosten haben die Klägerin 38 % und die Beklagten zu
1. und 3. 62 % zu tragen sowie
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen
und hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht
zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen,
unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen
sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen
und hilfsweise
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht
zurückzuverweisen.
Sie rügen, das Landgericht habe bereits zu Unrecht im Tatbestand als unstreitig
dargestellt, dass der Fahrstreifenwechsel des Beklagten zu 1. in einem zeitlichen
Zusammenhang zum Fahrmanöver der Klägerin stehe. Hierbei handele es sich um eine
Wertung des Gerichts, und nicht um eine unstreitige Tatsache. Im Übrigen ergebe sich
die vom Gericht unterstellte unmittelbare Nähe des Beklagtenfahrzeuges zu dem
klägerischen Fahrzeug zum Zeitpunkt des (beabsichtigten) Fahrstreifenwechsels nicht
sicher aus den Zeugenaussagen und Parteiangaben, sondern es handele sich um
Spekulationen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Ehemann der Klägerin bereits
nach seinen eigenen Angaben von dem Unfallgeschehen nicht viel mitbekommen habe.
Der Beklagte zu 1. habe im Rahmen seiner Anhörung auch nicht angegeben, in den von
der Klägerin benutzten Fahrstreifen eingefahren zu sein, sondern lediglich, den linken
Blinker gesetzt zu haben, um in den mittleren Fahrstreifen hineinwechseln zu wollen. Der
Umstand, dass sich das Beklagtenfahrzeug irgendwo in der Nähe des klägerischen
Fahrzeugs befunden haben könne, stelle keinen Beweis dar. Nicht bewiesen und
ebenfalls lediglich spekulativ seien die Ausführungen des Gerichts, wonach die Klägerin
das Brems- und Ausweichmanöver nicht fehlerhaft eingeleitet haben soll. Insbesondere
sei nicht nachvollziehbar, weswegen keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für die
Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens vorliegen sollen, wenn das Gericht die
vorliegenden Zeugenaussagen und Parteiangaben für ausreichend erachte, um eine
adäquat kausale Verursachung des Unfalls feststellen zu können. Den entsprechenden
Beweisantritt der Beklagten habe deshalb nachgegangen werden müssen. Schließlich
müsse sich die Klägerin mindestens die Betriebsgefahr ihres eigenen Fahrzeuges
zurechnen lassen, die hinter einem unterstellten Verschulden des Beklagten zu 1. nicht
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zurechnen lassen, die hinter einem unterstellten Verschulden des Beklagten zu 1. nicht
zurücktrete.
Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe seien fehlerhaft.
Unabhängig davon, dass der ausgeurteilte Betrag in Höhe von 16.366,16 € nicht mit
dem in den Entscheidungsgründen zugrunde gelegten Betrag von 20.000,00 €
übereinstimme, fehle eine Erklärung in Bezug auf die Berechnung eines
Haushaltsführungsschadens in Höhe von 15.354,45 €. Die Schätzgrundlagen würden
nicht mitgeteilt. Hinsichtlich des Feststellungsantrages sei keine Beschränkung für die
Zeit nach Abschluss der mündlichen Verhandlung vorgenommen worden und es werde
die Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes nicht beachtet.
II.
Die Berufungen sind zulässig. Insbesondere wurden sie form- und fristgerecht eingelegt
und begründet (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO), und zwar auch, soweit die Beklagte zu 2.
gegen das Urteil Berufung eingelegt hat, denn diese soll ausweislich der Berufungsschrift
ebenfalls Berufungsführerin sein. Zwar wurde gegenüber der Beklagten zu 2. die Klage
mit Schriftsatz vom 22.12.2002 zurückgenommen, gleichwohl hat das Landgericht
fehlerhaft eine Differenzierung im Rahmen der Tenorierung des Urteils hinsichtlich der
Hauptaussprüche unterlassen. Sowohl hinsichtlich der Leistungsklage als auch
hinsichtlich der Feststellungsklage werden nach dem Urteilstenor sämtliche drei
Beklagten ohne jede Einschränkung verurteilt. Lediglich im Rahmen der
Kostenentscheidung wird erkennbar, dass das Landgericht die im Tatbestand
dargestellte Klagerücknahme scheinbar hat berücksichtigen wollen, indem es der
Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. auferlegt hat. Zwar stützt die
Beklagte zu 2. ihre Berufung nicht auf diesen Gesichtspunkt; gleichwohl genügt die
Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO, denn die
Einwendungen, die seitens der Beklagten insgesamt gegen das Urteil erhoben werden,
erfassen letztlich auch die Beklagte zu 2., wes-halb es unerheblich ist, dass bereits aus
prozessrechtlichen Gründen eine Verurteilung der Beklagten zu 2. nicht hätte ergehen
dürfen.
Die Berufungen haben insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führen.
Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 823
Abs. 1 BGB, 3 PflVG zu.
Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG erfasst alle durch den Kraftfahrzeugverkehr
beeinflussten Schadensabläufe, weshalb es genügt, dass sich eine von dem
Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen auf diese
Weise durch das Kraftfahrzeug mit geprägt worden ist. Für eine Zurechnung der
Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen
örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder
einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht, wobei es erforderlich ist,
dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls
beigetragen hat (BGH VersR 2005, 992; VersR 1988, 641). Mithin ist eine Kollision der
Fahrzeuge nicht maßgeblich für eine Haftung nach § 7 StVG. Vielmehr kann selbst ein
Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder
Ausweichreaktion im Einzelfall dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das
die Reaktion ausgelöst hat (BGH a.a.O.). Hierfür genügt ein Schlenker nach links, ohne
dass die Fahrspur bereits gewechselt worden sein muss (vgl. dazu auch OLG Hamm
NJW-RR 2001, 456). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob es bereits zu
einem Fahrstreifenwechsel gekommen ist und sich daraus ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5
StVG ergeben könnte, denn auch ein Ausscheren ohne Fahrspurwechsel kann unter
Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO eine Gefährdung anderer bedeuten. Soweit das
Landgericht gemeint hat, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Klägerin zu
einer Ausweichreaktion durch das Verhalten des Beklagten zu 1. veranlasst wurde, so
kann dem im Ergebnis gefolgt werden. Das Landgericht stützt sich dabei im
Wesentlichen auf die im Rechtsstreit 5 O 19/03 durchgeführte Beweisaufnahme, die das
Landgericht - vermutlich im Wege des Urkundenbeweises - verwertet hat, denn
ausweislich des Tatbestandes wurden die Akten des vorgenannten Rechtsstreits zu
Beweiszwecken herangezogen, wobei sich die Parteien mit einer Verwertung der
Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausdrücklich
einverstanden erklärt haben. Zwar sind die Angaben der Parteien und auch des vom
Landgericht für maßgeblich erachteten Zeugen K. nicht in jeder Hinsicht detailliert. Im
Kern ergibt sich aber, insbesondere auch aus den Angaben des Zeugen K., dass vom
Beklagten zu 1. ein Fahrmanöver ausgegangen ist, welches die Klägerin zu einer
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Beklagten zu 1. ein Fahrmanöver ausgegangen ist, welches die Klägerin zu einer
Ausweichbewegung veranlasst hat. So hat der Zeuge angegeben, dass der auf der
rechten Fahrspur befindliche VW-Bus des Beklagten zu 1. deutlich schneller fuhr als der
vorausfahrende Lkw und er noch gedacht habe, „der wird doch wohl nicht in die mittlere
Spur ausscheren, der Abstand ist zu gering“. In diesem Moment sei aber auch schon der
VW-Bus nach links ausgeschert und habe den Blinker gesetzt. Wie weit der Beklagte zu
1. nach links ausgeschert ist, hat der Zeuge nicht konkret angeben können. Er hat aber
angegeben, es sei so gewesen, dass das Fahrmanöver des VW-Busses eine Reaktion
des nachfolgenden später verunglückten Wagens aus seiner Sicht notwendig gemacht
habe. Es handele sich dabei um einen Eindruck, den er nicht mit physikalischen Zahlen
belegen könne. Auf weitere Nachfrage hat er angegeben, nach seiner Beobachtung sei
der VW-Bus, als er nach links auf die mittlere Spur ausscherte, zu nahe an den später
verunglückten Wagen herangefahren, ohne dies nach Meter oder Zentimeter berechnen
zu können. Er hat das Fahrmanöver des Beklagten zu 1. als gefährlich angesehen. Wenn
man berücksichtigt, dass sich ein solcher Vorgang üblicherweise in kürzester Zeit
abspielt, sind seine nicht sehr präzisen Angaben verständlich. Gut nachvollziehbar und
überzeugend hat er jedoch dargestellt, dass er das Fahrverhalten des VW-Busses als
äußerst gefährlich eingeschätzt und dieses Verhalten eine Reaktion des nachfolgenden
Fahrzeugs voraussehbar und nachvollziehbar machte, wobei der Zeuge auch
eingeräumt hat, nicht beurteilten zu können, ob diese Reaktion hätte perfekter
aussehen können, ob also ein leichteres Bremsen oder ein Ausweichmanöver in eine
andere Richtung möglicherweise besser geeignet gewesen sein könnten, dem Fahrzeug
auszuweichen. Er hat aber keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Reaktion auf das
Verhalten des Beklagten zu 1. durchaus veranlasst war. Konkrete Anhaltspunkte gegen
die Glaubhaftigkeit der Bekundungen oder gar gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen,
der als neutraler Verkehrsteilnehmer das Geschehen beobachtet hat, bestehen nicht
und werden auch seitens der Parteien nicht erörtert. Die Angaben des Zeugen werden
auch nicht entkräftet durch die Bekundungen des Zeugen Ke., dem Beifahrer des vom
Beklagten zu 1. geführten Fahrzeugs. Er hat vom Geschehen nur wenig wahrgenommen,
sondern hat nach seinen eigenen Angaben „gedöst“. Er meinte lediglich sich erinnern zu
können, dass der Beklagte zu 1. ausgewichen sei, nachdem es zum Zusammenstoß
zwischen dem Pkw und dem Lkw gekommen sei und der Beklagte zu 1. gebremst habe,
weil der Lkw aufgrund des Zusammenpralls gebremst habe. Diese Angaben überzeugen
jedoch nicht, zumal sie mit dem Vorbringen des Beklagten zu 1. nicht übereinstimmen,
der angegeben hat, der vorausfahrende Lkw sei langsamer gefahren und er habe
deshalb überholen wollen, habe etwas abbremsen müssen und auf die linke Spur
ausscheren wollen. Er habe schon den linken Blinker gesetzt und auf die mittlere
Fahrspur wechseln wollen auf der sich die Klägerin schon befunden habe. Diese sei dann
irgendwie gegen den Lkw geraten. Dabei hat er eingeräumt, dass es durchaus sein
könne, dass er irgendeinen Fahrfehler begangen habe. Auch hieraus folgt letztlich, dass
der Beklagte zu 1., sollte er die Fahrspur noch nicht gewechselt haben, hierzu jedenfalls
unmittelbar angesetzt hatte und damit eine Gefahrensituation geschaffen hatte, die
eine Ausweichbewegung der Klägerin nachvollziehbar machte. Dass der Beklagte zu 1.
vor seinem Ausscheren und dem Setzen des linken Blinkers in irgendeiner Form den
nachfolgenden Verkehr beachtet hat, ergibt sich nicht einmal aus seinen eigenen
Angaben.
Es ist zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes auch nicht geboten, ein
Unfallrekonstruktionsgutachten einzuholen, wie es die Beklagten fordern. Soweit das
Landgericht gemeint hat, dass wegen der fehlenden Berührung der Fahrzeuge
ausreichende Anknüpfungstatsachen für weitere Erkenntnisse nicht erkennbar seien,
zeigen die Beklagten solche auch mit der Berufung nicht auf. Konkrete Angaben zu
Geschwindigkeiten oder etwaigen Entfernungen der Fahrzeuge voneinander liegen nicht
vor, weshalb nicht erkennbar ist, woran sich ein Sachverständiger im Rahmen der
Erstellung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens orientieren soll.
Soweit das Landgericht im Rahmen der Ausführungen zu einem Mitverschulden gemeint
hat, ein solches Mitverschulden der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs, dass der
Beifahrer sich als Halter gem. §§ 7 und 17 StVG zurechnen lassen müsse, sei nicht
festzustellen, so ist dies in dieser Form nicht nachvollziehbar, da es vorliegend um ein
Mitverschulden der Klägerin selbst geht und nicht um ein Verhalten der
Fahrzeugführerin, welches dem klagenden Halter zuzurechnen ist. Vermutlich hat das
Landgericht insoweit die hiesigen Parteirollen mit den Parteien des unter dem Az.: 5 O
19/03 geführten Rechtsstreits verwechselt, da sich gleich lautende Ausführungen im
dortigen Vergleichsvorschlag befinden.
Im Ergebnis geht aber auch der Senat davon aus, dass die Klägerin kein Mitverschulden
trifft. Soweit die Beklagten mit der Berufung meinen, die Klägerin habe sich nicht wie ein
Idealfahrer verhalten, so mag dies so sein. Daraus lässt sich aber umgekehrt kein
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Idealfahrer verhalten, so mag dies so sein. Daraus lässt sich aber umgekehrt kein
Verschuldensvorwurf herleiten, insbesondere nicht als erwiesen betrachten. Richtig ist
lediglich, dass ausgehend davon, dass ein unabwendbares Ereignis zugunsten der
Klägerin nicht bewiesen ist, die von ihrem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr zu
berücksichtigen ist. In diesem Zusammenhang rügen die Beklagten zu Recht, dass sich
hierzu in dem angefochtenen Urteil keinerlei Erwägungen finden. Aufgrund der latenten
Gefahren, die von einem Fahrstreifenwechsel ausgehen (vgl. Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 7 StVO, Rn. 16), trifft denjenigen, der einen
Fahrstreifenwechsel unter Missachten der gesteigerten Sorgfaltspflicht vornimmt,
regelmäßig die volle Haftung (Hentschel, § 17 Rn. 16 m.w.N.). Wenn man vorliegend
berücksichtigt, dass der Beklagte zu 1. offenbar weder den (beabsichtigten)
Fahrspurwechsel rechtzeitig angezeigt hat noch in diesem Zusammenhang den
nachfolgenden Verkehr hinreichend beachtet hat, erscheint es sachgerecht, die von
dem Klägerfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr hinter dem Verursachungsbeitrag des
Beklagten zu 1. völlig zurücktreten zu lassen.
Da die Schmerzensgeldbemessung des Landgerichts, das ein Schmerzensgeld in Höhe
von 75.000,00 € für angemessen erachtet hat, mit der Berufung der Beklagten nicht in
Frage gestellt wurde, sieht auch der Senat keine Veranlassung, zur Abänderung der
Schmerzensgeldbemessung.
Unhaltbar sind demgegenüber die Ausführungen des Landgerichts zur Höhe des geltend
gemachten Erwerbsminderungsschadens und des Haushaltsführungsschadens. Das
Landgericht hat gemeint, hierfür sei - von der Klägerin unbeanstandet - nur ein Zeitraum
von 15 Monaten zugrunde zu legen und hat den Schaden mit 15.354,45 € beziffert.
Hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens soll in diesem Zusammenhang eine
Schätzung nach § 287 ZPO erfolgt sein. Weitere Erläuterungen hierzu enthalten die
Entscheidungsgründe nicht. Schließlich wurde noch ein Betrag von 1.011,71 € betreffend
Aufwendungen für Hilfs- und Rehamaßnahmen für erstattungsfähig gehalten. Dieser
Betrag ergibt in der Addition mit dem Betrag von 15.354,45 € schließlich den titulierten
Betrag von 16.366,16 €. Wie sich dazu dann aber die Feststellungen des Landgerichts
verhalten, die Beklagten sei verpflichtet, an die Klägerin 20.000,00 € Schadensersatz zu
zahlen (Seite 6 des angefochtenen Urteils), ist unklar. Das dieser Feststellung
nachfolgende - undifferenzierte - Zahlenwerk lässt eine solche Feststellung nicht zu. Die
Entscheidungsgründe lassen nicht nur jegliche Berechnung der jeweiligen Schäden
vermissen, sondern es erfolgt nicht einmal eine Differenzierung zwischen
Erwerbsschaden und Haushaltsführungsschaden, sondern es wird ein in keiner Weise
nachvollziehbarer Betrag für beide Schadensarten ausgeworfen, und zwar ohne jede
Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Beklagten hinsichtlich des
Erwerbsschadens und des Haushaltsführungsschadens. Damit bleibt auch der Umfang
der Zuerkennung einerseits und Aberkennung andererseits der jeweils geltend
gemachten Schäden völlig unklar. Da damit dem Urteil die Berechnungsgrundlagen
nicht zu entnehmen sind und im Übrigen - wie nachfolgend noch aufgezeigt wird -
streitiger Vortrag zu beweiserheblichen Tatsachen übergangen wurde, ist entsprechend
dem Hilfsantrag beider Parteien die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geboten.
Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen:
Hinsichtlich des Erwerbsschadens hat die Klägerin zur Höhe hinreichend vorgetragen.
Soweit sie in ihrem Schriftsatz vom 11.08.2006 eine geänderte Berechnung
vorgenommen hat, ist seitens der Beklagten ein substanziiertes Bestreiten nicht erfolgt.
Vielmehr betreffen die Einwendungen der Beklagten im Schriftsatz vom 19.10.2006 im
Wesentlichen den Zeitraum nach dem vom Landgericht für berücksichtigungsfähig
erachteten Zeitraum von 15 Monaten, so dass es auf dieses Bestreiten nicht mehr
ankommt. Soweit die Beklagten mit Schriftsatz vom 17.08.2005 die Richtigkeit der
Angaben der Klägerin u. a. zur Anrechnung etwaiger Überstunden und zur Zahlung eines
13. Monatsgehalts bestritten haben, ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin Unterlagen
vorgelegt hatte, die ihr Vorbringen im Wesentlichen bestätigen. Neben den
Gehaltsmitteilungen hatte sie bereits mit der Klageschrift eine Bescheinigung ihres
Arbeitgebers vom 06.11.2002 vorgelegt, mit der ihr ein bestimmter Bruttoverdienst für
eine weitere Vollzeitbeschäftigung bescheinigt wurde. Diese Bescheinigung orientiert
sich in etwa auch an den von ihr vorgelegten Gehaltsbescheinigungen. Insgesamt
erlaubt der Vortrag der Klägerin zu ihren Einkünften eine Schätzung gem. § 287 ZPO,
wobei aber unklar ist, weshalb die Klägerin in ihrer geänderten Berechnung des
Erwerbsschadens die Beiträge zur Rentenversicherung nicht mehr berücksichtigt hat.
Ursprünglich hatte sie von dem errechneten Erwerbsschaden von 98,28 DM einen
Betrag von 78,50 DM abgezogen, der auch einen Betrag von 13,85 DM als Beiträge zur
Rentenversicherung enthielt. Diese Beiträge hat sie dann in ihrer Neuberechnung ohne
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Rentenversicherung enthielt. Diese Beiträge hat sie dann in ihrer Neuberechnung ohne
nähere Erläuterung weggelassen. Sollte es hier zu unfallbedingt nicht geleisteten
Rentenversicherungsbeiträgen gekommen sein, so ist dieser Posten nicht ersatzfähig,
sondern er geht auf den Rentenversicherungsträger nach § 119 SGB X über (vgl.
Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Aufl., Rn. 44). Deshalb muss
sich die Klägerin an ihrer ursprünglichen Berechnung fest halten lassen mit der Folge,
dass zu dem für den Zeitraum vom 21.11.2000 bis 20.11.2001 errechneten Betrag von
3.691,37 € (Bl. 151) für die Zeit bis zum 10.01.2002 ein Betrag von weiteren 515,78 €
(51 Tage x 19,78 DM = 1.008,78 DM) hinzuzurechnen wäre. Für den Erwerbsschaden
ergibt sich damit bei Zugrundelegung eines Zeitraums von 15 Monaten ein Betrag von
4.207,15 €.
Zum Haushaltsführungsschaden hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.07.2005 näher
vorgetragen und ihr Vorbringen unter Beweis gestellt. Die Tatsachen, die der Klägerin als
Berechnungsgrundlage dienten, wurden seitens der Beklagten bestritten. Der verletzte
Haushaltsführende hat darzulegen und - im Rahmen der Beweiserleichterungen des §
287 ZPO - zu beweisen, welche Tätigkeiten er ohne den Unfall im Haushalt ausgeübt
hätte und welche er infolge der konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen infolge
des Unfalls nicht mehr oder nur noch in reduziertem Umfang ausüben kann
(Küppersbusch, Rn. 186). Welche Tätigkeiten die Klägerin im Haushalt erbracht hat, hat
sie mit Schriftsatz vom 11.07.2005 ausgeführt. Soweit in diesem Zusammenhang eine
Stundenzahl von täglich 2,3 ermittelt wurde, erscheint dies nicht überzogen.
Klärungsbedürftig ist aber die bestrittene Behauptung, ob tatsächlich die Klägerin die
gesamte Haushaltsführung allein bewältigt hat, ob also weder ihr Ehemann noch ihr
Sohn sowie dessen Verlobte, die ebenfalls im Haushalt gelebt haben sollen, keinerlei
Haushaltstätigkeiten übernommen haben. Da der Klägerin, wie ausgeführt, insoweit die
Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute kommen, bedarf es insoweit nicht des
Vollbeweises, sondern es genügt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Klägerin hat
Zeugenbeweis für ihre Behauptungen angetreten. Dem entsprechenden Beweisantritt
ist nachzugehen.
Haben nach dem Unfall entsprechend dem Vorbringen der Klägerin die übrigen
Familienmitglieder die Hausarbeit verrichtet, ist Anhaltspunkt für die Schadensschätzung
im Rahmen des § 287 ZPO der Nettolohn einer erforderlichen und geeigneten Hilfskraft
(Küppersbusch, Rn. 188). Die sich daraus ergebende Formel der Schadensberechnung
hat die Klägerin angewandt (Bl. 164). Es kann auch davon ausgegangen werden, dass
die Klägerin in dem vom Landgericht für maßgeblich erachteten Zeitraum von 15
Monaten zu 100 % ausgefallen ist, denn sie hat sich in dieser Zeit ganz überwiegend in
stationären Behandlungen einschließlich Reha-Maßnahmen befunden. Für den vom
Landgericht zugrunde gelegten Zeitraum ist das Bestreiten der Beklagten deshalb
unerheblich.
Zunächst ist jedoch über den Umfang der von der Klägerin behaupteten
Haushaltsführung Beweis (4 Zeugen) zu erheben, wobei nicht auszuschließen ist, dass
im Anschluss daran auch noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens
erforderlich werden kann.
Über die Zuerkennung eines Betrages von 1.011,71 € betreffend Aufwendungen für
Hilfs- und Reha-Maßnahmen besteht im Berufungsverfahren kein Streit.
Zu Recht rügt die Klägerin, was das Landgericht zu berücksichtigen haben wird, dass das
Landgericht Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz tenoriert hat anstelle der
beantragten 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Die Klägerin gibt den Unterschied
zwischen beiden Bezeichnungen in der Berufungsbegründung zutreffend wieder. Den
Antrag auf Urteilsberichtigung hat das Landgericht mit der Begründung abgetan, soweit
im Urteil der Zinssatz mit 5 % ausgewiesen sei, meine dies 5 Prozentpunkte. Dann aber
hätte es aufgrund der Unterschiedlichkeit der Bedeutung einer Berichtigung bedurft,
zumal sich auch aus der Begründung der Zinsentscheidung nicht entnehmen lässt, dass
tatsächlich nur 5 Prozentpunkte gemeint gewesen sein können. Der Zinsanspruch wird
allein auf § 247 BGB gestützt, der jedoch lediglich die Höhe des Basiszinssatzes
beschreibt. Eine Anspruchsgrundlage stellte diese Norm nicht da, sondern insoweit ist
auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB zurückzugreifen.
Die Angriffe der Beklagten gegen den Feststellungsanspruch überzeugen nicht. Richtig
ist, dass das Schmerzensgeld einheitlich zu bemessen ist und das hiervon in der Regel
auch künftige Beeinträchtigungen, so sie bereits jetzt absehbar sind, erfasst werden.
Vorliegend lässt sich aber nicht ausschließen, dass es künftig noch zum Eintritt - weiterer
- immaterieller Beeinträchtigungen kommt, da nicht sämtliche Spätfolgen absehbar sein
dürften (vgl. dazu auch Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle, S. 104 f).
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Auf die von der Klägerin in Frage gestellte Richtigkeit der Kostenentscheidung kommt es
nicht mehr an, da das Landgericht insoweit ohnehin eine neue Kostenentscheidung zu
treffen haben wird. Richtig ist, dass sich die vom Landgericht vorgenommene Quotierung
hinsichtlich der Kostenentscheidung nicht aus § 91 ZPO herleiten lässt, sondern aus § 92
Abs. 1, wobei vor dem Hintergrund der Klagerücknahme auch § 269 Abs. 3 ZPO
heranzuziehen gewesen wäre.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Es
handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die auch nicht in Grundsatzfragen von
höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung abweicht.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 200.663,70 € (196.979,86 € betreffend die
Berufung der Beklagten und 3.633,84 € betreffend die Berufung der Klägerin)
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