Urteil des OLG Brandenburg vom 17.11.2005

OLG Brandenburg: bürgschaftsurkunde, tarifvertrag, anschlussberufung, bauindustrie, abrechnung, rückgabe, stundenlohn, unmöglichkeit, ostdeutschland, aufrechnung

1
2
3
4
5
6
Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
11. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 U 177/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 AGBG, § 812 BGB, §§ 812ff
BGB
Formularmäßiger Bauvertrag: Folgen einer mehrdeutigen
Lohngleitklausel
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. November 2005 verkündete Urteil des
Landgerichts Neuruppin - Az.: 2 O 441/04 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren, zugleich Wert der Beschwer der Klägerin:
478.513,97 €
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von Werklohn wegen einer von
ihr behaupteten Überzahlung.
Das … Autobahnamt schrieb im August 1993 Brückenbauarbeiten aus
(Ausschreibungstext Bl. 9 d. A.). Den Zuschlag erhielt die A… GmbH/S… N… GmbH. Die
B… GmbH schied auf Grund der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens am 1.
April 1996 aus der A… aus. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der S… N… GmbH.
Die Parteien des Werkvertrags vereinbarten eine Lohngleitklausel (Bl. 15, 16 d. A.). Die
Klausel (HVA-StB-Lohngleitklausel 06/92) enthält unter anderem folgende Festlegung:
„Maßgebender Lohn ist der Gesamttarifstundenlohn (Tarifstundenlohn und
Bauzuschlag) des Spezialbaufacharbeiters gemäß Berufsgruppe III 2, wenn der
Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung nichts anderes angegeben hat.“
Unter Anwendung des Änderungssatzes von 0,214 %o (Entsprechend dem Schreiben
der Beklagten vom 20. September 1993; Bl. 106 d. A.) stellte die Beklagte einen Betrag
von 28.981.836,57 DM netto in Rechnung (Schlussrechnung vom 6. Oktober 1998; Bl. 31
d. A.), der von Seiten der Beklagten im Wesentlichen bezahlt wurde. Für die Berechnung
der Lohngleitklausel hat die Beklagte den Gesamttarifstundenlohn für den
Spezialfacharbeiter der Metall- und Elektroindustrie Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet
II, angesetzt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, es sei für die Berechnung der Lohngleitklausel
der Gesamttarifstundenlohn der Berufsgruppe III/2 der Bauindustrie im Tarifgebiet West
anzusetzen. Weil die Lohnsteigerungen insoweit - unstreitig - geringer ausgefallen sind,
hat die Klägerin einen überzahlten Betrag in Höhe von 827.769,15 DM zzgl.
Umsatzsteuer errechnet. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die
Klageschrift (Bl. 1, 6 d. A.) Bezug genommen.
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 486.716,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2003 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt:
Für die Lohngleitklausel sei nicht der Gesamttarifstundenlohn der Berufsgruppe III/2 für
das Baugewerbe maßgeblich, sondern der Ecklohn in der Metall verarbeitenden Industrie
gemäß dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie in Berlin (Ost) und
Brandenburg, Stand 1. September 1993. Dies sei in dem Vergabegespräch vom 4.
Januar 1994 im Einzelnen erläutert und von der Klägerin akzeptiert worden.
Die Beklagte hat ihre Auffassung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der von den
Parteien vereinbarte Faktor von 0,214 sei dadurch zu Stande gekommen, dass der mit
12,07 DM/Stun-de wesentlich geringere Stundenlohn in die Berechnungsformel
eingebracht worden sei. Noch nach dem Zuschlagsschreiben vom April 1994 sei dieses
anlässlich einer Besprechung bestätigt worden.
Die Klägerin habe diese Einigung auch als maßgeblich zu Grunde gelegt. Dieses ergebe
sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Abschlagsrechnungen, in denen -
unstreitig - die Lohnsteigerungen nach dem Tarif der Metall- und Elektroindustrie
berechnet worden seien, beanstandungslos beglichen habe. Vor dem Hintergrund des
Zeitablaufs von fünf Jahren zwischen der Schlusszahlung (1998) und dem
Rückforderungsverlangen (2003) hat sich die Beklagte auf Verwirkung berufen.
Hilfsweise hat die Beklagte den Rückzahlungsanspruch der Höhe nach bestritten
(Klageerwiderung S. 12 ff.; Bl. 101 ff. d. A. sowie Schriftsatz vom 21. April 2005; Bl. 231 d.
A.).
Weiterhin hilfsweise hat die Beklagte für den Fall, dass der Tarif der Bauindustrie
maßgeblich sei, geltend gemacht: Die Formulierung der Lohngleitklausel sei insoweit
unbestimmt, als nicht deutlich zum Ausdruck komme, ob der Tarif Bau „Ost“ oder
„West“ maßgeblich sein solle. Diese Unklarheit sei gem. § 5 AGBG nicht zu ihren, der
Beklagten, Lasten auszulegen.
Aus der Nennung der Berufsgruppe III/2 ließen sich keine Rückschlüsse im Hinblick auf
die Frage gewinnen, ob die Klausel auf das Tarifgebiet „Ost“ oder „West“ Bezug nehme.
Im Mai 1992 habe es in beiden Tarifgebieten die Berufsgruppe des
Spezialbaufacharbeiters III/2 gegeben, wie sich insbesondere aus § 2 des
Überleitungstarifvertrags (Anlage B 17; Bl. 271 d. A.) ergebe. Unter Zugrundelegung der
Steigerungssätze des Tarifvertrags Bau „Ost“ sei ein Erstattungsanspruch der Klägerin
nicht gegeben; im Gegenteil könnte sie, die Beklagte, dann noch eine Nachzahlung in
Höhe von 91.013,38 € fordern. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den
Schriftsatz vom 21. April 2005 (S. 12 ff.; Bl. 242 ff. d. A.) Bezug genommen.
Weiter hat sie ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht und hierzu ausgeführt: Die
Klägerin sei im Besitz der Bürgschaftsurkunde Nr. 235.609/KV Nr. 96-13-4550 der G…
Konzern AG vom 13. Dezember 1995 (Kopie Bl. 128 d. A.). Nachdem die Fa. B… GmbH -
als Schuldnerin der verbürgten Forderung - in Folge des Eintritts der Insolvenz aus der
A… ausgeschieden sei, sichere diese Forderung ihre, der Beklagten, Rückgriffsforderung
gegen die Fa. B… GmbH, sodass die Bürgschaftsurkunde an sie herauszugeben sei.
Wegen des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird ergänzend auf den
Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben nach Maßgabe des Beschlusses vom 17. Februar
2004 (Bl. 152 d. A.) durch uneidliche Vernehmung der Zeugen J…, H… und E... Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 1. Juni 2005
(Bl. 354 ff. d. A.) und 28. September 2005 (Bl. 591 ff. d. A.) Bezug genommen.
Sodann hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 478.513,97 € nebst Zinsen
verurteilt, Zug um Zug gegen Übergabe der Bürgschaftsurkunde, und die Klage im
Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
22
23
24
25
26
27
28
29
30
Der Klägerin stehe ein Rückzahlungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zu. Die
Beklagte sei als Rechtsnachfolgerin der Fa. M… S… GmbH passiv legitimiert, weil sie das
einzige verbleibende Mitglied der A…, der Auftragnehmerin, sei.
Auf Grund der Vertragsunterlagen sei davon auszugehen, dass die Parteien als
Grundlage für die Bemessung der Lohngleitung den Gesamttarifstundenlohn des
Spezialbaufacharbeiters der Berufsgruppe III/2 der alten Bundeslänger zu Grunde gelegt
hätten. Dass es sich um eine übereinstimmende Falschbezeichnung gehandelt hätte,
habe die Beweisaufnahme nicht ergeben. Der maßgebliche Empfängerkreis, hier die
potenziellen Bieter, habe aus seiner Sicht nicht annehmen können, der Tarif der Metall-
und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg sei maßgeblich. Der Umstand, dass die
Klägerin selbst bei der Vertragsdurchführung zunächst den Tarif der Metall- und
Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg angewandt habe, stelle kein hinreichendes
Indiz für das vertraglich Gewollte dar. Auch weise die HVA-StB-Lohn-gleitklausel (06/92)
ausweislich ihrer Überschrift schon darauf hin, dass sie für Bauverträge im Straßen- und
Brückenbau heranzuziehen sei; aus diesem Leistungsspektrum stammten aber die
vertraglich geschuldeten Leistungen. Die Schlussrechnungsprüfung durch die Klägerin
sei ebenfalls nicht entscheidend; die Mitteilung eines öffentlichen Auftraggebers entfalte
keine Anerkenntniswirkung, da dieser Kreis von Auftraggebern der staatlichen
Rechnungsprüfung unterliege.
Die Auslegung führe aber auch nicht dazu, dass der Tarifstundenlohn Ost des
Spezialbaufacharbeiters zu Grunde zu legen sei. Dies folge nicht aus dem Sitz des
Bundesautobahnamtes; zudem nehme die Lohngleitklausel in Ziffer 2 Abs. 2 auch
explizit auf die Berufsgruppe III 2 des Spezialbaufacharbeiters Bezug; hierdurch werde
ein hinreichender Zusammenhang mit dem in den alten Bundesländern geltenden
Tarifstundenlohn hergestellt. Hieran habe sich nichts dadurch geändert, dass der BRTV
gem. § 2 des Überleitungstarifvertrages auf das Beitrittsgebiet erstreckt worden sei.
Denn gem. § 6 Abs. 1 S. 2 des Überleitungsvertrages vom 11. Februar 1991 sei lediglich
auf die Berufsgruppe III des Spezialbaufacharbeiters Bezug genommen worden.
Die Vereinbarung der so verstandenen Lohngleitklausel sei auch nicht gemäß § 9 AGBG
unwirksam, da das Risiko der weiteren Lohnentwicklung bei beiden Parteien gelegen
habe.
Der Anspruch der Klägerin sei nicht verwirkt. Es fehle schon am Zeitmoment. Im
Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung der Rückforderungsansprüche im Oktober
2003 sei erst ein Zeitraum von ca. fünf Jahren verstrichen gewesen. Da die
Rechnungsprüfung erfahrungsgemäß mehrere Jahre nach der Schlussrechnung
durchgeführt werde und die Verjährung des Anspruchs 30 Jahre betrage, fehle es hier an
der Zeitdauer, nach deren Ablauf die Beklagte nicht mehr mit der Inanspruchnahme
habe rechnen müssen. Unter Berücksichtigung der Leistungsstände und der
maßgeblichen Anpassungssätze bemesse sich der Anspruch auf 478.513,97 €.
Nachdem der Sicherungszweck der Bürgschaft der G… … -AG nicht mehr bestehe,
könne die Beklagte dem Zahlungsanspruch im Wege des Zurückbehaltungsrechts einen
Herausgabeanspruch entgegenhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des landgerichtlichen Urteils, welches der Beklagten am
21. November 2005 zugestellt worden ist, wird auf die bei den Akten befindliche
Leseabschrift (Bl. 640 ff.) Bezug genommen. Die Beklagte hat gegen das Urteil am 19.
Dezember 2005 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 19. Januar 2006 - jeweils
Eingang beim Brandenburgischen Oberlandesgericht - begründet. Die Klägerin hat
innerhalb der bis zum 31. März 2006 verlängerten Berufungserwiderungsfrist eine
Anschlussberufung nebst Begründung eingelegt.
Die Beklagte vertieft mit der Berufung ihre Auffassung, der wirkliche Wille der Parteien sei
auf eine Abrechnung auf der Basis des Tarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie
in Berlin und Brandenburg gerichtet gewesen. Die Tatsache, dass die Klägerin die
Abrechnung bewusst auf dieser Basis vorgenommen habe, sei vom Landgericht nicht
ausreichend berücksichtigt worden. Es sei kaum anzunehmen, dass die Klägerin,
obgleich über die Lohngleitung unstreitig ein Gespräch geführt worden sei, bei der
Abrechnung unbewusst einen falschen Tarif akzeptiert hätte.
Weiter rügt die Berufung die Beweiswürdigung des Landgerichts als ergebnisorientiert.
Die Aussage der Zeugen sei vor dem Hintergrund, dass der Tarifstundenlohn der Metall-
und Elektroindustrie Berlin und Brandenburg in Höhe von 12,07 DM Gegenstand der
Erörterungen gewesen sei, nicht hinreichend gewürdigt worden.
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
Im Hinblick auf ihr Hilfsvorbringen wendet sich die Beklagte gegen die Beurteilung des
Landgerichts, die Parteien hätten sich auf den Tarifvertrag West geeinigt. Die
Bezugnahme auf die Berufsgruppe III 2 des Spezialbaufacharbeiters stelle keinen
hinreichenden Zusammenhang mit dem Tarif West dar. § 5 Nr. 2 des
Bundesrahmentarifvertrages 1992/93 bezeichne eindeutig die Gruppen III 1 bis III 3 für
das gesamte Bundesgebiet, wie sich aus § 2 des Überleitungsvertrages ableiten lasse.
Diese Rechtslage habe nicht nur zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 1. Februar
1994, sondern bereits zum Ausschreibungszeitpunkt bestanden. Auf den Umstand, dass
der Tarifvertrag für das Beitrittsgebiet einen Ecklohn der Berufsgruppe III des
Spezialbauarbeiters vorsehe, komme es nach der vereinbarten Lohngleitklausel nicht
an. Weiter lasse das Landgericht unberücksichtigt, dass im Lohntarifvertrag - sowohl für
das Tarifgebiet Ost als auch für das Gebiet West - ein eigenständiger Lohn für die
Berufsgruppe III 2 nicht ausgewiesen worden sei; auch unter diesem Gesichtspunkt sei
die Lohngleitklausel mehrdeutig. In diesem Zusammenhang erhebt die Beklagte eine
Verfahrensrüge: Das Landgericht habe ein Rechtsgespräch im Zusammenhang mit
ihrem Hilfsvorbringen nicht geführt und ihr keine Gelegenheit zu ergänzenden
Ausführungen gegeben.
Die Klägerin sei nicht mehr im Besitz der Bürgschaft, wie sich erst nach Verkündung des
erstinstanzlichen Urteils herausgestellt habe. Anstelle des Zurückbehaltungsrechts
mache sie, die Beklagte, nunmehr die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch
gegen die Klägerin geltend. Diese sei nämlich nicht berechtigt gewesen, die
Bürgschaftsurkunde an die Bürgin herauszugeben. Hierdurch sei ihr, der Beklagten, die
Möglichkeit genommen worden, bei der Bürgin Regress zu nehmen. Die Klägerin sei
insbesondere deshalb verpflichtet gewesen, die Bürgschaft nicht vorzeitig
herauszugeben, weil sie bereits im Jahre 2002 mit der Möglichkeit von
Rückzahlungsansprüchen gerechnet habe.
Die Beklagte beantragt,
die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Klage abzuweisen;
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das
Landgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und im Wege der unselbstständigen Anschlussberufung,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie
478.513,97 € nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Dezember 2003 zu zahlen;
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 318.211,18 € nebst 4 % Zinsen seit dem 30.
Dezember 2003 sowie weitere 160.302,79 € nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Dezember
2003, Zug um Zug gegen Übergabe der Bürgschaftsurkunde Nr. 235.609 KV.-Nr. 96-13-
4550 der G… …-AG vom 13. Dezember 1995 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe der
Berufungserwiderung vom 31. März 2006 (Bl. 839 d. A.). Im Hinblick auf den in der
Berufungsinstanz im Wege der Aufrechnung geltend gemachten
Schadensersatzanspruch verweist die Klägerin auf den Vertrag aus dem Jahre 1996 (Bl.
854 d. A.), nach dem alle Recht und Pflichten aus dem A…-Vertrag auf die
Rechtsvorgängerin der Beklagten hätten übergehen sollten. Dieserhalb bestehe ein
Rückgriffsanspruch nicht. Die Anschlussberufung begründet die Klägerin mit der
Unmöglichkeit der Rückgabe der Bürgschaft; hilfsweise macht sie geltend, dass das
Zurückbehaltungsrecht nur in Höhe des Bürgschaftsbetrages geltend gemacht werden
dürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
46
47
48
49
50
51
52
53
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist
(§§ 517, 519, 520 ZPO) eingelegt und begründet worden. In der Sache hat das
Rechtsmittel Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Rückzahlungsanspruch
aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB, der einzigen hier in Betracht zu ziehenden
Anspruchsgrundlage. Die Klägerin kann von der Beklagten keine Rückerstattung
verlangen, da sie auf Grund des Bauvertrages keine Überzahlung geleistet hat. Unter
Berücksichtigung der maßgeblichen Lohngleitklausel bestand ein Werklohnanspruch der
Beklagten jedenfalls in Höhe der geleisteten Zahlungen.
1. In Übereinstimmung mit der Rechtauffassung des Landgerichts geht der Senat
allerdings davon aus, dass der Ecklohn in der Metall verarbeitenden Industrie gemäß
dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie in Berlin (Ost) und Brandenburg nicht
für die Ermittlung der Lohngleitklausel herangezogen werden kann.
Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt, wäre eine Falschbezeichnung der
Lohngleitklausel unbeachtlich, wenn sich ein übereinstimmender Wille der
Vertragsparteien feststellen ließe, an Stelle der genannten Klausel (Bauindustrie) sei in
Wirklichkeit die Bezugnahme auf den Tarif der Metall- und Elektroindustrie gemeint
gewesen. Solches hat indes die erstinstanzliche Beweisaufnahme - auch unter
Berücksichtigung der von der Beklagten in der Berufungsbegründung aufgezeigten
weiteren Umstände - nicht ergeben. Das Landgericht hat die Aussagen der
vernommenen Zeugen J…, H… und E… nachvollziehbar und überzeugend dahin
gewürdigt, dass eine konkrete Willensübereinstimmung mit dem Inhalt, es solle der Tarif
der Metall- und Elektroindustrie als Bezugsgröße gewählt werden, nach den von den
Zeugen geschilderten Gesprächen gerade nicht feststellbar sei. Die Inbezugnahme des
Ausgangsstundenlohns von 12,07 DM (welches der Basisstundenlohn der Metall- und
Elektroindustrie war) und des hierdurch ermittelten Änderungssatzes von 0,214 ist auch
nach der Auffassung des Senats kein eindeutiges Indiz für einen solchen Willen.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass keiner der Zeugen bekundet hat, die
Berechnung des Änderungssatzes von 0,214 sei zum Gegenstand der Erörterungen
gemacht worden. Wenn auch bei nachträglicher Betrachtung ein Rückschluss von dem
Änderungssatz (0,214) auf den Stundenlohn (12,07 DM) und damit indirekt auf den Tarif
der Elektro- und Metallindustrie logisch erscheint, so fehlt es doch an hinreichenden
Anzeichen dafür, dass die Parteien diesen Schluss bereits im Zuge der vertraglichen
Vereinbarungen gezogen hätten; allein Letzteres wäre für die Auslegung der
Willenserklärungen maßgeblich.
Die Tatsache, dass die Klägerin bei der Freigabe der Abschlagszahlungen und der
Schlusszahlung nicht bereits darauf bestanden hat, die - nach ihrer jetzigen Auffassung
allein maßgebliche - Lohngleitung nach dem Tarif Bau (West) zu Grunde zu legen, ist, wie
das Landgericht weiterhin zutreffend ausgeführt hat, nicht als Anerkenntnis zu werten.
Auch lässt sich hieraus nicht rückwirkend auf einen dahingehenden Willen der
Vertragsparteien schließen. Dem genannten Umstand kann schon deshalb nicht einmal
eine Indizwirkung beigemessen werden, weil die Zahlungen nicht von der für
Vertragsabschlüsse zuständigen Abteilung der Klägerin, sondern von einer anderen
Stelle geprüft worden sind.
2. Das Rückzahlungsverlangen der Klägerin wäre auch nicht verwirkt. Den
diesbezüglichen Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (S. 15 unten/S. 16
des Urteilsumdrucks) tritt der Senat vollumfänglich bei.
3. Der Senat folgt allerdings dem in zweiter Linie geltend gemachten
Verteidigungsvorbringen der Beklagten, für die Lohngleitklausel sei der Tarif der
Bauindustrie (Tarifgebiet Ost ) heranzuziehen.
a. Die Lohngleitklausel lässt dem Wortlaut nach keinen eindeutigen Schluss auf das
maßgebliche Tarifgebiet zu. Die Auslegung der Klausel ergibt, dass diese mehrdeutig ist,
da sowohl die Geltung des Tarifvertrags Bau West als auch die des Tarifvertrages Bau
Ost in Betracht kommt. Die Berufung verweist in diesem Zusammenhang mit Recht
darauf, dass - wovon im Übrigen die angefochtene Entscheidung auch ausgeht - der
Bundesrahmentarifvertrag, der die Berufsgruppen und die Grundsätze der
Eingruppierung der Mitarbeiter in die einzelnen Gruppen festlegt, seit dem 19. Mai 1992
(Überleitungsvertrag Bl. 271 d. A.) auch im Beitrittsgebiet wirksam war.
b. Auch wenn man stattdessen auf den Lohntarif vertrag, der die tatsächliche Lohnhöhe
regelt, abstellen wollte, lasse sich für die Auslegung der Lohngleitklausel nichts
gewinnen. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, unterschieden die Tarife in den
54
55
56
57
58
59
gewinnen. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, unterschieden die Tarife in den
Gebieten „Ost“ und „West“ sich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch insoweit
nicht; beide Tarife (Anlagen B 19, B 20; Bl. 275 ff. d. A.) weisen jeweils einheitliche Löhne
für die Tarifgruppe III (ohne Unterdifferenzierung) aus. Auf den weiteren Umstand, dass
in § 5 des genannten Überleitungstarifvertrages (Bl. 266 d. A.) als Bundesecklohn der
Tarifstundenlohn des Spezialbaufacharbeiters der Berufsgruppe III 2 bestimmt ist,
kommt es für die Auslegung nicht mehr an, weil die Lohngleitklausel auf einen Ecklohn
gerade nicht Bezug nimmt. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang zu Unrecht
auf das Senatsurteil vom 11. April 2006 (11 U 128/05); jenem Urteil lag ein Streit über
eine andere Lohngleitklausel zu Grunde, in der explizit auf den Bundesecklohn Bezug
genommen worden war.
c. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände lässt sich die Frage, wie die nach
dem Ausgeführten mehrdeutige Lohngleitklausel zu verstehen ist, ebenfalls nicht
beantworten. Zieht man die weiteren für die Parteien erkennbaren Umstände ergänzend
heran, so ist zunächst festzustellen, dass das Bauwerk im Beitrittsgebiet errichtet
werden sollte. Beide Mitglieder der A… auf Auftragnehmerseite waren im Beitrittsgebiet
ansässig; gleiches gilt für den Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, der die
Funktionen der Klägerin als Auftraggeberin wahrgenommen hat. Neben diesem
sachlichen und personellen Bezug auf das Beitrittsgebiet könnte aber insbesondere das
erkennbare wirtschaftliche Interesse der A…-Partner dafür sprechen, dass nur der im
Ostteil der Bundesrepublik geltende Tarif und dessen Änderungen zum Bezugspunkt für
die Lohngleitklausel gewählt werden sollte. Die zu erwartenden Lohnsteigerungen, die die
A… im Wege der Vergütungsanpassung auf die Klägerin sollte abwälzen können,
errechneten sich prozentual nach dem Tarif im Beitrittsgebiet, welcher für die
Arbeitnehmer der A…-Partner galt. Aus der Sicht der Beklagten, die nach ihrem
Vorbringen mit einem stärkeren Lohnanstieg in Ostdeutschland als in Westdeutschland
gerechnet haben mag, könnte es auch wenig sinnvoll gewesen sein, den West-
Tarifvertrag zu Grunde zu legen; denn dann ließe sich der mit der Lohngleitklausel
beabsichtigte Zweck, die durch Tarifanpassung zu erwartenden Mehrkosten der Klägerin
aufzubürden, nicht oder nur zum Teil erreichen. Auf solche subjektiven Einschätzungen
kann die Auslegung der Klausel indessen schon deshalb nicht gestützt werden, weil der
Vertrag in Folge einer Ausschreibung zu Stande gekommen ist. An dieser Ausschreibung
konnten sich auch Firmen aus dem Gebiet der „alten“ Bundesrepublik beteiligen; die
gebotene Auslegung aus der objektiven Sicht des Bieterkreises ließe sich nicht mit der
Berücksichtigung von Umständen in Einklang bringen, die nur bei einem Teil der Bieter
gegeben sind.
d. Nach alledem stellt sich die Lohngleitklausel als mehrdeutig dar. Nach dem hier noch
geltenden § 5 AGBG darf diese Mehrdeutigkeit nicht zu Lasten des Vertragspartners des
Verwenders gehen. Bei dem Formblatt „HVA-StB-Lohngleitklausel (06/92)“ (Bl. 16 d. A.)
handelt es sich um Allgemeine Geschäftbedingungen der Klägerin, die damit
Verwenderin der Klausel ist. Daher ist Ziffer (2) Abs. 2 des Formblatts zur
Lohngleitklausel so auszulegen, dass die Klausel die Wirkung entfaltet, die nicht zu
Lasten der Beklagten gehen darf.
Wie sich bereits aus den Ausführungen zu lit. c ergibt, ist für die A… als Auftragnehmer
eine Auslegung günstiger, die auf ihre Kostenstruktur Rücksicht nimmt und ihrer
subjektiven Erwartung - die sich später bestätigt hat - Rechnung trägt, die Löhne in
Ostdeutschland könnten deutlicher steigen als im übrigen Bundesgebiet.
4. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer hilfsweise geltend gemachten Ausführungen
(Schriftsatz v. 21. April 2005, Bl. 242 ff., S. 6 ff.; Berufungsbegründung v. 19. Januar
2006, S. 23 ff. = Bl. 788 d. A.) im Einzelnen dargetan, dass sich bei der Zugrundelegung
des Tarifvertrages Bau (Ost) keine Rückzahlungsansprüche der Klägerin ergeben. Dem
diesbezüglichen nachvollziehbaren Rechenwerk der Beklagten ist die Klägerin nicht in
erheblicher Weise entgegengetreten.
III.
Da die Klage nach dem oben Dargelegten der Abweisung unterliegt, bedarf es - auch
wenn die Rückgabe der Bürgschaftsurkunde wegen Unmöglichkeit nunmehr
ausgeschlossen ist - keines Ausspruchs mehr zur Anschlussberufung.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gem. § 708 Nr. 10 ZPO
für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Anordnung der Abwendungsbefugnis hat ihre
Grundlage in § 711 ZPO. Der Senat lässt die Revision nicht gem. § 543 Abs. 2 ZPO zu.
Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung beruht auf einer
Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung beruht auf einer
Würdigung der Umstände des Einzelfalls; eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist
zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum